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Tabellarischer nutz Zigrrnjach nach höherem Tarif. Ertr«-Vetla«e» (gefalzt), nur mit de» Morgen. Ausgabe. ohne Postbesvrder»», ^4 SO.—, mrt Postbeförderun, ^ll A>.—. Ärmahmefchlnß siir Anzeige»: «dend.Aurgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« »Uhr. Sonn- und Festtag» früh '/,S Uhr. Bet den Filialen und Annahmestelle» je astch Halde Stunde früh«. Uazetge« sind stets an dt« ErprdtttaM zu richtn». Druck «nd Verlag von S. Polz ft, Seipzt» ^ W. Dienstag dm 5. Februar 1895. 8S. Jahrgang. Politische Tagesschau. Leipzig. 5. Februar. In der heutigen Morgenausgabe haben wir einen Bericht a«» Berlin abgedruckt, dem zufolge es den Anschein gewinnt, als ob die „Umsturz-lkommission", in der unlängst der Minister v. Koller die Zuziehung von Stenographen anregte, jetzt am liebsten alle und jede Berichterstattung aber ibre Beratbnngen verböte, um zu verhüten, daß die Mitglieder auf ihre Äeußerungen festgenagelt werden. Begreiflich Ware ein Be schluß auf Geheimhaltung der Berathungen allerdings, denn es geschehen in der Commission Tinge, die nicht dazu angethan sind, das Vertrauen aus die Weisheit dieses Ausschusses zu erhöhen. In den tz. lila hat man in dem Bestreben, möglichst viele „Verherrlichungen" von Ver brechen und Vergehen unter Strafe zu stellen, so viele be denkliche Bestimmungen hineingebracht, daß die Richter in die schwerste Lage kommen werden, wenn sie nach diesem Para graphen Recht sprechen sollen, und daß Leute betroffen werden müssen, die nichts weniger als Umsturz wollen. Jetzt, beim 8- 112, der sich ans die Verleitung von Angehörigen des Heeres bezieht, fühlt sich ein Tbeil der Commission von der Sorge angewandelt, dieser Paragraph könne zu uner träglicher Beschränkung der unschuldigsten Bestrebungen dienen. Nach der bisherigen Fassung des tz. l12 wird Derjenige mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bedroht, der eine Person des Soldatenstandes auffordert oder aufreizt, dem Befehle des Oberen nicht Gehorsam zu leisten, und insbesondere eine Person des Beurlaubtenstandes auffordert oder anreizt, der Einberufung zum Dienst nicht zu folgen. Neu lnnzugefügt soll werden, daß die Slrafvorschrift auch auf Den ihre An wendung findet, der einen Angehörigen des Landsturms auffordert oder anreizt, deni Ausruf nicht Folge zu leisten. Des Weiteren soll folgender Absatz neu hinzugesügt werten: „Gefängniß von einem Monat bis zu drei Jahren trifft Den jenigen, der es unternimmt, einen Angehörigen des activen Heeres oder der Marine zur Betheiligung an Bestrebungen zu verleiten, welche auf den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staatsordnung gerichtet sind. Hat der Thäter in der Absicht gehandelt, ein bestimmtes, auf den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staatsordnung gerichtetes Verbrechen zu fördern, so tritt Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren ei»; auch kann aus Zu lässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden." Zur Begründung dieses Antrags wies der General v. Spitz mit Recht darauf hin, daß die Versuche, Angehörige des Heere« und der Marine zur Betheilignng an auf den gewaltsamen Umsturz zielenden Bestrebungen zu verleiten, hauptsächlich von der Socialdemokratie ausgingen und daß diesen Ver suchen ein Riegel vorgeschoben werden müsse. Nicht die auf Ver desserung der Lage der Arbeiter binzielenden Bestrebungen wolle man treffen, sondern nur diejenigen, die auf jene Ver> leitung gerichtet sind. Und diese Absicht gehe aus dem Wort laute des Paragraphen klar hervor. Man sollte meinen, jeder ruhig Urtbeilende müßte dem General beipflichten und gleich ihm die Nothwendigkeit einer energischen Abwehr, wie die Beschränkung des Paragraphen auf diese Abwehr an erkennen. Aber weit gefehlt. Weil der General darauf bingewiesen batte, daß jene Verleitungsversuche hauptsächlich von der Socialdemokratie ausgehen, sah der „freisinnige" Abg. vr. Barth mit Schaudern vor sich das Gespenst eines Ausnahmegesetzes gegen die Socialdemokratie und alle ihre Bestrebungen. Ein „Ausnahmegesetz" gehört für einen richtigen „Freisinnigen" zu den schrecklichsten der Schrecken, und wenn die Nationalliberalen in I ihr Programm eine staatsgefährliche Tendenz aus-1 nähmen, so würde Herr Vr. Barth mit seinen Freunden I bis aus den letzten Blutstropfen gegen einen diese Tendenz unter Strafe stellenden Paragraphen sich wehren, um nur ja kein „Ausnahmegesetz" zu Stande kommen zu lassen. Weil cs leider eine Partei giebt, deren Mitglieder vorzugsweise von der Slrase getroffen werden würben, die aus tue Ber- leilung von Angehörigen des Heeres und der Marine zur Betheiligung an ans den gewaltsamen Umsturz gerichteten Bestrebungen gesetzt werden soll, so muß man sich aus das ängstlichste hüten, eine solche Strafe sestzuseyen! Ja, wenn es keine Partei gäbe, von deren Mitgliedern man solche Berleituiigsversuche zu gewärtige» hätte, dann könnte man ruhig solche Strafdämme ausrichten. Aber die unantastbare Partei gebt über den Staat! Was könnte der „Partei" passiren, wenn ein solcher Paragraph Gesetzeskraft erlangte! Nach Vr. Barths banger Ahnung könnte jede, selbst die einfachste und selbstver ständlichste, zum Beispiel die Familienbeziehung zwischen Soldaten und socialoemokratischen Angehörigen, unter den tz. 112 gekrackt werden. Dieser spricht zwar aus drücklich nur von Bestrebungen, die aus den „gewalt samen Umsturz der bestehenden Staatsordnung" gerichtet sind, aber was kann man einem Gerichtshöfe nicht Zutrauen, wenn der Reichstag ein Gesetz mackt, das einem Ausnahme gesetze deshalb äbnelt, weil ansnahmsweise eine Partei be sonders fühlbar davon betroffen werden könnte? Um die P clme mit dem Abg. vr. Bartl, rang der Centruinsabge ordnete Spahn, der sogar mit Beben voraussah, baß von dem tz. I k2 auch die katholische Kirche und ihre Propa ganda mit betroffen werden könnten! Wahrlich, man brauchte sich nicht darüber zu wundern, wenn die Commission Geheim- Haltung ihrer Berathungen beschlösse. Als in Lesterreich die „parlamentarische Coalitiorck sich bildete, erklärten die klerikalconservativen Theil nebmer an derselben ihre Bereitwilligkeit, die „konfessio nelle Frage" zurückzustellen. Ohne diesen vorläufigen Verzicht ans die Wiederherstellung der consessionellen Volks schule wäre ein politisches Zusammenwirken des Clubs der Conservativen mit der vereinigten deutschen Linken von vorn herein undenkbar gewesen. Seither sind es nur mehr die Entschieden-Klerikalen, welche im Einvernehmen mit den Christlich-Socialen die Action gegen die „con fessionslose" Schule fortsetzen, und da diese beiden Gruppen zugleich Gegner der „Coalition" sind, die Bischöfe aber aus den Fortbestand der Coalition, in der ja die klerikal konservative Partei keineswegs die letzte Rolle spielt, großen Werth legen, so begreift eS sich vollkommen, wenn die Kirchen fürsten bezüglich der „consessionellen Frage" sich als Diplo maten benehmen und der „modernen Volksschule" die besten Seiten abzugewinnen trachten. DicS hat unlängst Cardina Kopp im schlesischen Landtage gethan und seinem Beispiele ist letzter Tage im nieberösterreichischen Landtage der Bischof von St. Pölten, vr. Röster, gefolgt, indem er bei der Beratbung des Katecheten - Gesetze« betonte, er müsse unter Wahrung des principiellen katholischen StandpuncteS zugestehen, daß der Staat auch in der Volksschulgesetzgebung seine Verdienste habe. Die liberale Landtagsmehrheit nahm die Versicherung des Bischofs mit Genugthuung entgegen und war nicht minder angenehm berührt, als der Eardinal-Fürsterzbisckof von Wien, vr. Gruscha seinen Dank für das warme Interesse äußerte, welches der Hebung der materiellen Gewinn zu dem 'Coalitionsn,inister,um Verlegenheiten zu bereite , Uitterricht-verwaitung bemüht ist, den Wünschen der Kler.kal- cvnservativen nach Möglichkeit zu genügen. In der Schweiz bat am Sonntag, wieder eine Volks- abstunmimg staugesimden. Das von cou,-rvanv-r und demo- kratiscker Seile angefochtene Bundesgefetz über ^ . i ck eu, dco,, sularischeVertretung derSchwe, z in, Anstande wurde mit 171 732 L6en l22 396 Stimmen cibaetelint Bis jetzt batte der Bundesrath sich die -oe fuqniß vorbebalt-n, ständige diplomatische Vertretungen ^ Auslände zu errichte» ober aufzukeben. Eine Mitwirkung an der Errichtung diplomatischer Posten kam der schweize rischen Bundesversammlung nur insofern zu, sie nötbigen Crebite bei der Budgetberathung gewahren oder »er- weigern konnte. Dieser Fall trat me e.n d-nn aum ' ein zweites Parlament Europas gegenüber der Landesregierung so gefügig wie die schweizerische Bundesverfammlung. Cmig P-Mamentarier me.nten nun, der Errichtung Ge andt- schastsposten solle die Bundesversammlung auch etwas zu sagen haben. Diese forderte daher vom BundeSratbe em Bmidesgesetz über die Vertrerung der Schweiz ^slande. Ein solches kam im Juni 1884 zu Stande Jetzt erschien einigen ultramontanen Blättern, denen die Unterhaltung vom Bund rcssortirenver Gesandtschaften als den föderativen Charakter der Eidgenossenschaft zuwiderlaufend und oben drein überflüssig erscheint, der Anlaß willkommen, gegen BundeSrath und Bundesversammlung zu Hetzen. Die legten dem Volke nabe, e« sei ihm, dem obersten Souvera,n, bi'sber jede Mitwirkung an der Ernennung der schwei zerischen Gesandten im Auslande versagt. Bald waren 4l 000 Unterschriften gegen das GesandtsckaftSgesetz ge sammelt, und am Sonntag hat diese Richtung den Sieg davongetragen. Das neue Gesetz legte die ganze Verfügung und Aussicht über daS Gesandtschafts- und Con- sularwescn in die Hände des Bundesrathes und machte nur die Errichtung neuer Gesandtschaften von der Zustimmung der Bundesversammlung bei der Budgetverhandlung nach Vorlage einer Sonderbotschaft des Bundesraths abhängig. Bezeichnend für die Rrferendumsfrage ist es jedenfalls, daß, wie die „Voss. Ztq." hervorhebt, circa 300 000 Schweizer Bürger aus Gleichgiltigkeit gar keine Stimmen abgegeben haben, ein Vorgang, der sich auch bei der Volksabstimmung im Can ton Bern über die bisherige obligatorische Schutzpockenim pfung wiederholte. w!it 26000 gegen 23 000 Stimmen wurde diese ab ge sch afft. 68 000 Berner Bürger hatten nicht abgestimmt! In Frankreich ist der politische Fasching in vollem Zuge Am Sonntag gab Paris dem letzten Marschall des zweiten Kaiserreiches dem Gehilfen des Staatsstreichs vom 2. December 1851, Caurobert, das ehrende Geleite zur ewigen Ruhe, und an demselben Tage jubelte dasselbe Paris dem mit dem Amnestieerlaß der neuen Regierung in der Tasche nach Frank reich zurückgekehrten socialdemagogischen Agitator Henri Nochesort bei seinem „großartigen Einzug" zu. Beider Ausgaben erledigte sich das souveräne Volk mit der dem be weglichen französischen Temperament eigenen Verve, ohne sich daran zu kehren, daß die beiden Objecte seiner Begeisterung :wei unversöhnliche politische Gegensätze verkörperten: Can- robert, der Vertbeidiger derselben Sache, die Henri Roche- ort stets aus das Wüthendste bekämpft hat. Dem etzigen Regime wird es seitens Rochesort'S schwerlich besser ergehen, denn dieser Volksmann kommt zurück mit einem Herzen voller Gift und Galle; und die Stimmung, in welcher eine Bewunderer ihn bewillkonimneten, war auch nicht gerade von Hochachtung vor der parlamentarischen Republik und ihrem derzeitigen Repräsentanten beseelt. Man kann die politische Befäbignug des Mannes nur gering taxiren, aber er besitzt die Gabe des Wortes und kann ^ls Volksversammlungsredner, als Tribun des allgemeinen Stimmrechts immerhin Unfug genug anstiften, wenn am Ruder des Staatsschiffes nicht eine eiserne Hand ihres Amtes waltet. Die triumphirende Rückkehr Rochesort'S wird jedenfalls weder zur Beruhigung der Volksleiden schäften noch zur Abschwächung der feindlichen Gegensätze beitragen, obwohl doch eigentlich die Regierung von beute beides sehr wohl gebrauchen könnte. Aber daß die Pariser sich für Canrobert und Nockesort begeistern, während sich um Herrn Felix Faure und seine Leute kein Mensch bekümmert, ist für das Maß von Ansehen, dessen sich die Erben Perier's und Dupuy's erfreuen, recht bezeichnend. Rochefort gedenkt übrigens, sich keineswegs blos auf die innere Politik zu beschränken; vielmehr hat er, wie er vor seiner Abreise aus England sich äußerte, sich vorgenommen, nicht nur sofort aus Beseitigung des „schändlichen Gesetzes gegen die Anarchisten", zu dringen, sondern auch auf Klarheit betreffs der russischen Allianz. „Ich will genau wissen, wie wir stehen. Existirt eine Allianz, so wollen wir sie ver öffentlicht haben, existirt sie nicht, so muß Faure verstehen, daß die Dauer seines Amtes von dem Abschluß einer solchen abhängt... Ich bin sicher, die öffentliche Meinung in beiden Ländern begünstigt solch ein Bündniß". — Das kann gut werden! Deutsches Reich. v. Leipzig» 5- Februar. Ein Vorspiel zu dem Memeids- processe gegen den ehemaligen Reichstagsabgeordneten Leuß bildet der Proceß gegen den Rechtsanwalt ör. für. Alexander- August Nack in Hannover, der gestern den 3. Strafsenat« des Reichsgerichts beschäftigte. Herr Nack ist am 26. October vorigen Jahres wegen unternommener Nvthigung des Ober staatsanwalts zu Celle zur Verhaftung des damaligen Reichs tagsabgeordneten Leuß zu zwei Wochen Gefängniß verurtheilt worben. Der Angeklagte war Bevollmächtigter des vr. Schnutz in dein Ehcscheibungsprocesse, den dieser Hegen seine Ehefrau führte, vr. Nack batte bereits im Frühfabre 1894 die Be weise dafür in Händen, daß Leuß einen Meineid in dem EbescheidungSprocesse geleistet habe, und betrieb dessen Ver haftung um so mehr, als er gehört hatte, Leuß beabsichtige, nach Amerika auszuwandern. Der Staatsanwalt in Hannover, sowie der Oberstaatsanwalt in Celle leisteten den im März und April 1894 erfolgten Anregungen Nacks keine Folge, bis dieser dann im Mai dem Ober staatsanwalt schrieb, er werde, falls dieser nicht dir Verhaftung des Leuß veranlasse, die Sache durch die Presse Ferrrlletsir. Graf Jarl. 3vj Roman von Hermann Heiberg. Nachdruck verböte». (Fortsetzung.) Was sonst erzählt worden war von Zusammenkünften des Grafen mit Nelly, Jung's Eifersucht und Verschwinden von Horst, Graf Adam's Zerwürfniß mit Eduard und Anderen, Fräulein Marxens Mund entquollene Erzählungen traten in ihrer Bedeutung völlig gegen diese Thatsachen zurück. Kurz vor Berlin ward ihm aber eine noch weit schwerere Enttäuschung und Ueberraschung. „Höre, schweigsames Dorfkind!" hob der Graf an. „Wir werben in fünfzehn Minuten in den Bahnhof hineinfahren. Da wirst Du das Fräulein auS dem Pastorenhaus, das Fräulein van Wimpen sehen. Sie wird mir — stürze nicht vom Sitz, moralisches Dorskind! — zärtlich um den Hals fallen. Du mußt nämlich wissen, Peter Hunck — und Du wirst darüber mit Niemandem vorläufig sprechen —, daß ich mir dieses schöne Mädchen zu meiner Frau ausersehen habe. Was meinst Du dazu? Gefällt Dir meine Wahl?" „Ach, Herr Graf, was soll ich sagen! Jft'S Ernst oder Scherz? Ich bade in der letzten Zeit so viel gesehen und gehört, daß mein Kopf von Allem ganz wirr ist. Ich weiß — mit Verlaub — nur Eins: ich möchte, daß wir wieder auf unserm schönen Horst wären, daß wir der großen Stabt so bald wie möglich den Rücken kehrten. Ja, wenn Herr Graf die Dame zu Ihrer Frau machten und mit nach Horst nehmen wollten, wenn wir da unser Leben beschließen könnten! Man sagt, sie sei sehr reich! Müssen denn Herr Gras trotzdem noch Unterricht geben? Ist wirklich gar keine Aus sicht, daß Herr Graf sich wieder in Horst ankaufen? Nichts für ungut, wegen meiner Unbescheidenheit. Ich hoffe, Herr Graf werden mir nicht deswegen zürnen." „Nein, Peter Hunck", entgegnet- Graf Jarl. „Meine Braut ist nicht reich. Das ist ein Jrrthum. Aber sind denn die Dinge und Personen stets dann nur etwa« wertb, wenn sich Geld hineinmischt ? Bist Du immer »och nickt gekeilt, thörichteS Dorfkind? WaS fehlt Dir denn? Leidest Du Mangel? Du kannst ja mich verlassen. Meine Schwester nimmt Dich auf. Du kannst sofort zurückkehren." Jarl sprach'« schroff und unmuthig. Ein verächtlich tadelnder Zug legte sich um seine Lippen. In Peter Hunck aber regte sich schwere Reue. Er hing ft» zärtlich au seürem Gebieter, ihn jemals freiwillig zu ver lassen, war ihm ein so gänzlich fremder Gedanke, daß nun die Furcht in ihm emporstieg, Graf Jarl werde, des ewigen Klagen- satt, ihn wirklich von sich lassen, ihn zwingen, nach Horst zurückzukehren. So öffnete er denn zu einem raschen, demüthigen Einwand den Mund, aber statt daß Worte erschienen, begannen die Lippen zu zucken, und eS traten schwere Thränen, Thränen der Bedrückung in seine alten Augen. „Ich — ich — dachte doch gar nicht an mich, Herr Graf — gar — nicht -- nur — an — an — den Herrn" — Aber er kam nicht weiter. Allzu starke Empfindung dämpfte die Rede. In Jarl aber stieg ein Gefühl von Rührung auf. Er umfaßte mit den Händen des alten, ehrlichen Mannes Wangen und streichelte ihn liebevoll. „Ich habe Dich ja verstanden und verstehe Dich immer, liebes, treues Dorskind, wenn ich auch bisweilen Dir kurz begegne. Ich meine so! Hoffen wir, daß unser aller Wünsche sich noch einmal erfüllen! Streben wir danach! Und glaube, Peter Hunck, ich empfinde es auch — jetzt doppelt schwer, — daß Alles dahin ging." Er wandte nach diesen Worten den Kopf draußen der Gegend zu. Er wollte nicht, daß der alte Mann sehen sollte, wie bewegt er selbst war. rj, Es waren nach dieser Rückkehr* Jarl's nach Berlin fast vierzehn Tage verflossen, und schon vollzog sich Jegliches in dem allzewohnten Gleise. Von der zehnten Bormittagsstunde an übte er seine UnterrichtS-Tbätigkeit auS, unterbrach sie nur, um im Hause ein von Peter Hunck hergerichtetes Mittag essen einzunehmen, und setzte dann seine Beschäftigung fast ohne Unterbrechung bis zum Spätnachmittag fort. Nur insofern war eine Aenderung in seinem Tagestbun eingetreten, als er nicht mehr Abends einsam in seinem Zimmer sich Studien und der Musik hingab, sondern im Verkehr mit seiner Braut alle glückseligen Wonnen genoß, die der ersten feurigen Liede steter Begleiter sind. Sie malten sich eine herrliche Zukunft au« und saben, weil sie von ihren starken Hoffnungen beseelt und ihrem ernsten Willen getragen wurden, keine Schwierigkeiten. In der Thal verhieß ihre ganze innere Veranlagung, besonder» aber die Tiefe ibrer Gefühle ein Glück, bei dem die äußeren Verhältnisse eine untergeordnete Nolle spielen würden Sie liebten sich zärtlich, und Jeder fand in dem Andern die ideale Verwirklichung einst gehegter höchster Wünscht. In Frau van Wimpcn, die eine elegant behagliche Wohnung inne hatte, lernte Jarl eine zwar stark geinißsüchlige, aber durchaus gebildete Krau kennen. Sie gehörte zu jenen Personen, die in dem Auskosteu der Lebensfreuden die wahre Ausgaben des Daseins erkennen. Sie besaß aber auch di für die Verlobten wichtige Eigenschaft, Andere nach ibrei Geschmack gewähren zu lassen, und hatte demzufolge Tessä veränderte Herzenswünsche lediglich als eine vollendete Tha sache ausgenommen. Es ward ihr dies um so leichter, a! sie an Jarl, an seiner äußeren Erscheinung, an seinem cavalie: mäßigen Wesen und seinem vornehmen Namen einen große Geschmack fand und nun Gelegenheit hatte, ihre häufig ur auSgesülllen Abende in der Gesellschaft eines Mannes zuzi bringen, der immer neu war, immer anregte und desse feuriges Temperament und vorurtheilSfreie Auffassung mcnsct sicher Dinge sie außerordentlich anzogen. Wenn auf die Zukunft der Beiden die Rede kam, stellt« sich wohl bei ihr Vergleiche über die ihrer Tochter gewordene sehr viel geringeren Aussichten ein, aber da ihr Evuai Halben'« pedantische, oft schulmeisterliche, überhaupt engherz wägende Art nichts weniger als sympathisch gewesen wa erkannte sie in der Zukunft für sich nur erhöhte Annehmlid keilen. Jarl erschien ihr überhaupt als ein Mann, der n untergeben konnte, vielmehr noch eine bedeutende Nolle i Leben spielen werde. Seine Verwandtschaft hatte Jarl nicht ausgesucht, wo aber d,e Einleitung zu einer Versöhnung zwischen Eva ur ihnen kräftig gefördert. Gleich von Berlin hatte er nockma an Leonore geschrieben und ihr wiederholt, in welcher Wei sie und Eva sich Campe« nähern sollten. Endlich hatte , auch sogleich nach seiner Rückkehr mit Hadeln eine Zusarnmei ^unst herbeigeführt und nach einer längeren, sreimüthig, Auseinandersetzung über Anfang und Ende seiner Beziehung, zu Teffa dem Freunde erklärt, daß ihn Eva liebe. Um dieselbe Zeit fand sich auch in den Tagesblättern d Anzeige einer Verlobung zwischen dem Grafen von der Are und Gräfin Gunda von Kalte. Die Schließung dieses Bündnisses berührte Jarl ausie ^ Wechsel in den Dina dieser Welt nicht zu Tage treten. Die Frau, der er sein Namen zu geben emst überlegt, die um ihn fast gcworbe 5» I.""" Todfeinde die Hand gereicht. Aber wohla Mochten sie glücklich werden! Sie wurden eS sicher — paßten zu einander. ^ Als Jarl am Ende der Woche Abends neben Testa ko sie die Zukunft besprachen, aber auch der Vergangenheit E Mahnung geschah, kam zum ersten Mal eingehender die Re auf b'e Umstande, welche den Verlust seines Vermöge, Alle«'?»^! - "zählte ,hm, was man übe?il «""et welche immer neue Combinationen bezüglich d künftigen Besitzers gemacht worden seien, und legre zügle an den Tag, welch' lebhaftes Verlangen sie empfinde, von ihm Näheres zu kören. „Natürlich sollst Du Alles wissen, mein liebes Mädchen? Schon drängte es mich selbst, Dir Mittbeilung darüber zu macken. Was übrigens meine sogenannte Gebeimnißkrämerei betrifft, so hat die einen guten Grund. Ich habe Dem, an welchen ich an jenem verhängnißvollen Abend eine so große Summe und zuletzt Horst verlor, Schweigen gelobt. „Er verließ am Tage nachher Berlin, ward auswärts sogleich aufs Krankenlager geworfen und ist erst jetzt zurück- gekehrt. Ich entging durch das ihm gegebene Versprechen der fortwährenden Erörterung über einen Gegenstand, an den erinnert zu werden ich wahrlich keine Freude fand. Die ganze Sache hat um so bedeutsamer auf mich gewirkt, als ich vordem dem Spiel fast ganz ausgewichen war. Höchstens batte ich einmal ein paar Goldstücke hingeworfen, mich aber principiell auf große Summen niemals eingelassen. Ich zog mich wieder zurück, gleichviel, ob ich Glück hatte oder verlor. Aber nun köre: „Der jetzige Inhaber von Horst gehört zu meinen engsten Freunden. Es ist der bereits seit sechs Jahren vom diploma tischen Dienst zurückgetretene, hier in Berlin lebende Ge- sandtschaftSrath Gras Baröde. Er wobnt in der Wilbelm- straße, nabe dem Palais des Prinzen Friedrich Karl und macht eins der ersten Häuser in Berlin. Ich habe — namentlich in früheren Jahren — sehr viel dort verkehrt und in ibm einen der liebenswürdigsten und herzensfreundlichsten Menschen kennen gelernt, welche die große Berliner Gesell schaft beherbergt. Erst in neuerer Zeit hatte ich, wegen seines immer mehr zu Tage tretenden HangeS zum Spiel, seine Gesellschaften seltener besucht. Ich fand allinäbllch Personen dort, die mir äußerst wenig behagten. Auch munkelte man von besonder« starken Verlegen heiten, in denen sich Baröde befinde, und sein Bestreben, das Manco durch Glücksspiele zu compensiren, erfüllte mich mit einem großen Mißbehagen. Dies schwand allerdings wieder, als er sich mir einmal in sehr eingehender und sreimütbiger Weise eröffnete. Ich sah, das; er sich keineswegs leicht über die unerfreulichen Dinge hinwegsetzte. Er beklagte seinen Mangel an Festigkeit und erklärte, daß er sich eine längere Zeit von Berlin entfernen wolle, um die Gelegenheit zu einer ferneren Verführung abzuschneiden. Durch diese Unterredung gewann ich auch einen Einblick in die VermögenSverbältnisse. Er erzählte mir, daß sein Schwiegervater ein sehr reicher Mann sei und daß rr hoffe, von diesem die Mittel zu erhalten, um seine bedeutenden Verbindlichkeiten zu losen. Sein offenes Vertrauen und die auch bei dieser Gelegen heit bervortretendc, im Grunde nie von mir bezweifelte solide