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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.09.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950921025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895092102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895092102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1895
-
Monat
1895-09
- Tag 1895-09-21
-
Monat
1895-09
-
Jahr
1895
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Nicht größer konnte der Jubel der Bürger Roms, mit welchem sie dem Stolz, sich als Italiener fühlen zu dürfen, Aus druck gaben, am Tage des Einzugs der königlichen Truppen in die heilige Stadt selber vor fünfundzwanzig Jabren gewesen sein. Im Batican wird er nicht ungebört geblieben sein. Tort wird man am gestrigen Tage sich nicht mehr darüber getäuscht baben, daß der Zauber rer westlichen Herrschaft des Papstes über die Gemütber seine Macht für immer verloren hat, daß das Patrimonium I'etri für den modernen Italiener ein Anachronismus ist und daß Niemand i»i Königreich die Zeilen kirchenstaatlicher Verwaltung unerhört janimerhafteii An gedenkens zurückwünscht. Aber wen» die Politiker des Baticans sich auch der Hoffnung hingeben mögen, daß die Wogen solchen „Schützen- und Turnerfestjnbels" sich rasch wieder zu verlaufen pflegen und darum nicht viel zu bedeuten baben, so bat die große staatsmännische Rede, welche Minister präsident Erispi bei der Enthüllung des Garibaldi-Denkmals gehalten, ihnen sicher darüber keinen Zweifel gelassen, daß, so lange Erispi und König Humbert die Augen offen haben, der nationalen Selbstständigkeit Italiens auch nicht das kleinste Titelcken vergeben werden und Rom die Hauptstadt Italiens bleiben wird. Damit, daß König Humbert seinen treuen Palatin am Schluß seiner bedeutungsvollen Rede beglückwünschte, hat er offen kundgetban, daß sie ihm vollständig aus der Seele gesprochen war, und daß während seiner Negierung ein Zurückweichen vor der päpstlichen Gewalt oder auch nur ein Pactiren mit derselben aus der Grundlage territorialer Prälensionen un möglich ist. Crispi's sehr lange Rede liegt uns beute in ausführlicherem Auszug vor; sie ist ein hervorragendes historisches Document, und wir geben den Letzteren daher an dieser Stelle wieder. Erispi sagte u. A.: Der Gedenktag des 20. September 1870 könne nicht besser gefeiert werden, als durch die Enthüllung des Denkmals Garibaldi's, des treuen und ergebenen Freundes Victor Cmaiiuel's, in Rom. „Letzterer hatte 1860 den Schwur geleistet, Rom zu befreien, indem er das Plebiscit annahm. Die römischen Bürger konnten nicht Heloten der Einheit, Sclaven des kosmopolitischen Fanatismus sein; ihre Knechtschaft war eine Minderung der nationalen Souverainetät, auf welche Italien kraft seines Bestandes ein Recht hatte. Dieser Tag, dieser Ort erinnere an die ruhmvollsten, furcht barsten Kämpfe der Freiheit gegen die Tyrannei. Die Jahre, welche zwischen dem 4. Juli 1849 und 1870 lagen, waren die letzte Probe für die weltliche Herrschaft der Kirche. Dieselbe hatte sich unvermögend gezeigt, aus eigenen Kräften zu leben, und bedurfte, um sich zu erhalten, der ausländische» Bajonette, deren vollständiger Sclave sie ihrerseits wurde. Hier schlug Garibaldi am 30. April nach blutigem Kampfe den Eindringling zurück, welcher, ohne provocirt zu sein, die barbarische Mission übernommen halte, die Priestertyrannei wieder herznstellen Nach der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten mußten die Vertheidiger des Rechtes der Gewalt weiche», indem sie geduldig den Tag der Wieder auferstehung, den 20. September 1870, abwarteten. Die Feinde der Ei», heit möchten das heutige Fest als eine gegen den Papst gerichtete Beleidigung hinstellen, aber der gesunde Sinn des Volkes weist diese künstliche Deutung zurück. Alle wissen, daß das Christen thum, seiner göttlichen Natur nach, zu seiner Existenz der Unterstützung der Kanonen nicht bedarf." Nachdem Redner Liesen Gedanken weiter ausgesübrt hatte, fuhr er fort: „In der That verlangen unsere Gegner die Wiederherstellung der weltlichen Macht des heiligen Stuhls, »icht zum Schutze des A »sehens der Religion, sondern aus me»schliche» Gründen. Sie überlegen nicht, daß ein weltlicher Fürst nicht heilig, nicht unfehlbar sein könne. Die Lurch die Staatsraison als berechtigt erscheinenden materiellen Waffen und gesetzlichen Zwangsmaßregeln stören den Frieden der Seele des Halbgottes, rauben ihm sein Ansehen und ersticken jedes Gefühl der Verehrung für den Statthalter Christi auf Erden, welcher eingesetzt ist, um den Frieden zu predigen und die Kinder Adams durch Gebete und Ablaß zu eiitsündige». D i e Religion ist und soll keine staatliche Function sein. In keinem Staate genoß die katholische Kirche eine solche Freiheit und gesetzliche Achtung, wie in Italien, welches allein unter den Nationen das Beispiel gab, ans alle Befugnisse in kirchlichen An gelegenheiten zu verzichten." Stach ausführlicher Begründung dieses Ausspruchs bemerkt der Ministerpräsident weiter: „Die von uns geschützte und verbürgte geistige Freiheit soll eine Festung sein, in welche der Papst sich einschließen soll und in welcher er nicht angegriffen werden kan». Ihm gehören die Seele». Er regiert sie derart, daß alle Mächte der Erde ihn beneiden können. Auch die protestantische» Herrscher, ja selbst Diejenigen, welche nicht an Christum glauben, beugen sich vor ihm und nehmen sein Urtheil achtungsvoll auf. Durch das Maigesetz von 1871 hat der italienische Genius das Problem gelöst, welches zu anderen Zeiten unlösbar erschienen wäre. Dem Papste wurde in ne r halb des Kreises sein es Priest er amts unbeschränkte Freiheit gesichert, so daß er nurGott über sich hat und keinerlei menschliche Gewalt an ihn heran- reichen ka» n. Als we ltl ich er Fürst hätte der Papst einegerin gere Autorität, weil er allen übrigen Fürsten gleichgestellt wäre und nicht deren erster sein konnte. Alle würden mit ihm kämpfe», wie sie durch Jahrhunderte zum Schaden des Glaubens gekämpft haben. Die geistige Autorität des unabhängigen Herrschers, zu dem wir ihn gemacht, überragt alle; in ihr liegt seine Macht; die katholische Welt sollte Italien für den dem römischen Pontificate erwiesenen Dienst dankbar sein. Nach 1870 vermochte Pins gegen Bismarck zu kämpfen und ihn fühlen zu lassen, wie groß die Kraft der geistlichen Waffen sei. AlleS dies ist unser Werk, das Werk des Parlaments und des Königs; ich sage sogar, daß es in Erfüllung des Willens Gottes geschah, wie es des Höchsten Wille war, daß Italien zu seiner Einheit gelangte. Es mangelt nicht an Ver- messenen, welche im Widerspruche mit dem ewigen Gesetze sich Gott wiedersetzen. Wir müssen mit Bedauern sagen, daß es die- jenigcn sind, die sich seine Diener nennen. Allein sie werden nicht die Oberhand gewinnen, denn Italien ist sehr stark und seiner zu sehr sicher, als daß es Anstrengungen der Rebellion fürchten müßte. Sie werden nicht die Oberhand ge winnen, vielleicht aber klug werden. Die Diener des Cultus wissen, daß sie unverletzlich sind, so lange sie innerhalb des Recht s kreises bleiben. Sie wissen, daß, wenn sie Rebellion gegen die Gesetze predigen, ihr Werk den Anarchisten nützen würde, welche Gott und den König verleugnen. Dieses Werk könnte nicht ungestraft bleiben. Stören wir nicht diese Feier, zu welcher ganz Italien herbeigeströmt ist. Dieser nationale Jubel soll uns an die Pflicht erinnern, die moralischen Siege zu vertheidigen, welche durch lange Jahre der Opfer errungen wurden, und welche wir späteren Generationen iutact übergeben müssen. Dieses Denkmal konnte ebe» zu keinem anderen Zwecke errichtet werden als zu dem, uns zur Pflicht zu weisen, die uns von der Bergaugenheit auserlegt wird. Es lebe der König! Es lebe Italien!" Diese Rede wird ihre» Eindruck wie in Italien, so auch in weiten Kreisen der übrigen katholischen Welt nicht ver- selsten. Noch nie bat ein italienischer Staatsmann seit den 1870er Ereignissen die weltlichen Machlansprüche des Papsllhums so energisch in die diesem gezogenen Schranken zurückgewiesen, noch nie aber auch vor der geistigen Macht des Pontificats sich so tief gebeugt und dadurch hinwiederum die Verdächtiger des italienischen Kvnigtbums so geschickt entwaffnet, wie es Erispi gestern gethan hat. In Italien selbst, in Oesterreich und Deutschland, ja in allen Ländern, wo Katholiken in größerer Zahl wohnen, ist Heuer das alte Jammerlied von der Beraubung und Gefangenschaft des Papstes lauter als je angestimmk worden. In Vereinen und Versammlungen, wie aus den allgemeinen Katholikentagen wurden Resolutionen für die Wieder herstellung der weltlichen Papslmacht beschlossen. Es giebt kaum Einen katholischen Bischof, der nicht einen Hirtenbrief an die Gläubigen seiner Diöcese erlassen Härte, für denselben Zweck zu belen. Es hat eine förmliche Mobilisirung des Klerus wie des ultramontanen Laieii-Heerbannes stallgefunde», um allerorts den Schmerzensschrei zu wiederholen, daß die Besetzung Roms durch die Italiener ein fluchwürdiger Raub gewesen, daß der Papst der nolhwendigen Freiheit entbehre, deren er zur Ausübung seines hoben Amtes bedürfe, daß der katholischen Kirche durch die Vernichtung des Kirchen staates ein furchtbares Unrecht zugefügt worden sei, welches um jeden Preis wieder gutgemacht werben müsse. Diesem heuchlerischen Eifer für das „Reich Gottes" reißt Erispi die Maske durch den Hinweis vom Gesicht, daß gerade in den letzte» fünfundzwanzig Jahren der päpstlichen Gefangen schaft das Ansehen des Papstthums unablässig gestiegen sei. Thatsächlich ist der Papst, der durch keine weltlichen Interessen mehr von den Pflichten eines geistlichen Oberhirlen abgezogen wirb, jedem Einfluß weltlicher Mächte entrückt, er ist un- berührbar geworden, kein Staat kann ihn mehr bedrohen, oder Zugeständnisse von ihm erzwingen, keiner ihn erniedrigen, wie es srüher oft genug geschehen ist. Das Garantiegesey, das von Italien gewissenhaft eingehakten wird, schützt ihn gegen jede Vergewaltigung wirksamer, als eigenes Gebiet und eigene Truppen es je vermochten. Das Ansehen des Papstes hat sich verdoppelt, seit er der weltlichen Fürsten würde entkleidet ward. Das sieht die urtbeilsfähige katholische Welt mit jedem Tage mehr ein, und deshalb werden auch die allüberall künstlich in Scene gesetzten klerikale» Proteste ohne jede Wirkung bleiben. Am allerwenigsten hat Italien sich an sie gekehrt. Unbekümmert um die anmaßenden Zu mutbungen des Papstlbums, begehen das italienische Volk und sein König mit allem Glanze ihr stolzes nationales Fest „aus eigenem Recht", ebenso wie Deutschland trotz aller Proteste der Feinde seiner Einheit und Machtstellung die Erinnerung der Siege feiert, welche seine nationale Unabhängigkeit sicher stellten. Die Schlacht von Sedan öffnete den italienischen Truppen die Thore Roms, und Rom wird die Hauptstadt Italiens bleiben, so lange Deutschland der Früchte von Sedan sich freut, wozu Italien in treuer Bnndesgenoffenschaft mit zuwirten von Neuem gelobt hat. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2 k. September. Wie der Telegraph bereits gemeldet hat, ist Herrn Stöcker, der sich nicht gefallen lassen wollte, daß die „Conservative Eorrespondenz" seine im Jahre 1888 empfohlene und geübte „Taktik", Mißtrauen zwischen dem Kaiser und dem Fürsten Bismarck zu säen, mißbilligte, das Heil widerfahren, daß der Parteirath des deutsch- conservativen Wahlvereins, der die sechs Berliner Wahlkreise umfaßt, einstimmig folgende Erklärung be schlossen hat: „Wir sprechen dem Herrn Hosprcdiger a. D. und Landtags abgeordneten Stöcker, als dem Vertreter Berlins im Gesammt- vorslande der conservative» Partei, für seinen gegenwärtig wie srüher gegen die verderbliche mittelparteiliche Politik geführten Kamps unsere volle Anerkennung und Zustimmung aus. Wir erkennen auch in dem Herrn Hof- prediger Stöcker zugeschriebenen Brief aus dem Jahre 1888 nicht die Absicht, Kaiser und Kanzler von einander zu trennen, sondern vielmehr den berechtigten Wunsch, Seine Majestät den Kaiser in seinen eigenen fürstlichen Anschauungen gegenüber der damaligen inneren Politik des Reichskanzlers zu stärken. Damit fallen für unsere Auf fassung die verleumderischen Anklagen der gegnerischen Presse in sich selbst zusammen." Durch einen weiteren Beschluß wurde der Vorstand beauf tragt, die vorstehende Erklärung dem Vorsitzenden des Partei ausschusses, Frbrn. v. Manteuffel, mit dem Ersuchen zu übermitteln, die Veröffentlichung in der „Conser- vativen Eorrespondenz" veranlassen zu wollen. — Um diesen Beschluß recht würdigen zu können, muß man sich Folgendes vergegenwärtigen. In dem Herrn Stöcker „zu geschriebenen" Briefe beißt es: „Will man die B'jchen Jntriguen seit der Waldersee-Be» sammlung ausipielen, und zwar mit mehr oder weniger Gegenüberstellung von B. und dem Kaiser, so verliert man das Spiel und reizt den letzteren. Ich hörte noch gestern, daß er ganz für die Cartellpolitik gewonnen ist. Was man nun meines Erachtens thun kann und muß, ist folgendes: Principiell wichtige Fragen, wie Judensrage, Mutineum, Harnack, Reichstags-Wahl im sechsten Wahlkreise, die gewiß mit einem Fiasco der antijocialdemokrattschen Elemente schließt, muß man, ohne B. zu nennen, in der allerschärssten Weise benutzen, um dem Kaiser den Eindruck zu machen, daß er in dieser Angelegenbeit nicht gut berathen ist, und ihm den Schluß auf B. überlassen. Man muß also rings um das politische Centrum rejp. das Cartell Scheiterhaufen anzünden und sie hell aufivdern lassen, den herrschenden Opportunismus in die Flammen werfen und dadurch die Lage beleuchten. — Merkt der Kaiser, daß man zwischen ihm und B. Zwietracht säen will, so stößt man ihn zurück." Alsbald nach dem Bekanntwerden dieses Briefes schrieb die „Eons. Eorrespondenz": „Die conservative Partei hat damit (mit diesem Briefe) schon aus dem Grunde absolut nichts zu thun, weit in die conser vative Politik zu jener Zeit, aus welcher das erwähnte Schreiben datirte, eine den darin kundgeg ebenen Ansichten völlig entgegengesetzte gewesen und bis zu der gegen den Wunsch der Conservativen erfolgten Demission des Fürsten Bismarck geblieben ist. Es muß demgemäß auch in den Redactionen der ernsthaften politischen Presse bekannt sein, daß die in dem neuer dings veröffentlichten Briese Stöcker's hervorgehobene persönliche Stellungnahme von der conservativen Partei stets miß billigt worden ist und daß unsere Partei mit der in jenem Briefe empfohlenen Taktik nie etwas zu thun gehabt hat." ^ „ Kurz darauf bekannte sich Herr Stöcker zu dem wesent lichen Inhalt des Briefes und zu der in demselben empfohlenen Taktik mit den Worten: „Ich erinnere mich desselben nicht, aber ich nehme an, daß er im Wesentlichen richtig ist, da er der Lage von damals und meiner Ausfassung derselben entspricht." Gleichzeitig «her protcstirle er im „Volk" gegen den „Ab- Feuilleton. Schwere Kämpfe. Roman aus dem grasten Kriege. 18) Von Carl Tanera. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Man Wußte gar nicht, wo man überall Hinsehen sollte. DaS Herz aber befand sich in so gehobener Stimmung, daß Alles, was das Auge erschauen konnte, noch großar'iger, noch romantischer, noch unvergeßlicher erschien. Ja im Innern der Brust herrschte auch beim Obcrlieutenant Horn Glück, Jubel und ein stolzes, befriedigtes Gefühl. Jeden Soldaten mußte ja das Bewußtsein, einen solchen Sieg miterlebt und »literfochten zu haben, Hinreißen. Zudem batte auch Horn von allen Kameraden des Bataillons am meisten Glück ge habt. Er allein war im Jnfanteriekampf gewesen, er allein hatte im wahrsten Sinne des Wortes die Feuertaufe er balten. Selbstverständlich bildete er den Mittelpunkt des Gespräches. Jeder Kamerad gratulirte ihm, der fragte ihn Dies, jener Das, und der Oberstlientenant bat ihn, genauen Rapport gleich im Kreise der Osficiere zu erstatten, damit jeder höre, inwieweit ein Zug des Bataillons eingegriffen habe. Als er geendet, bemerkte der wohlwollende Comman- deur: „Sie baben AlleS sehr gut berichtet, aber doch einc'Haupt- sache vergessen. Der Major Wild vom 5. Regiment bat mir im Nebeneinanderreiten mitgetheilt, daß durch Ihr persönliches entschiedenes Auftreten der Sieg des linken Flügels der 7. Brigade sehr erleichtert worden sei. Ich freue mich ungemein, dies in meiner GcsechtSrelation besonders betonen zu können. Was in meiner Kraft liegt, will ick versuchen» daß Ihr Verhalten mit dem Militairverdienstorden be lohnt wird." Wie da Vas Blut dem jungen Oberlieutenant in die Wangen schoß! Das hatte er nicht erwartet. Und wie da seine vorherige Philosopksierereien zu Wasser wurden! Er hatte nie geahnt, daß ihn die Hoffnung auf eine ihm noch vor kurzer Zeit so nichtig erschienene Auszeichnung so erregen konnte. Nunmehr kamen Osficiere anderer Bataillone zum Besuche, erzählten von ihre» Erlebnissen, von den Verlusten ihrer Truppentbcile rc. und dadurch wandte sich das Interesse allgemeineren Dingen zu. Jetzt erfuhr man erst Einzelnes über die vergangene Schlacht. „Das V. preußische Eorps soll sehr verloren baben. Auck das XI. Corps muß stark mitgenommen sein. Aber was sagt Ihr dazu, bei Morsbronn, dort hinter jenem Waid soll eine französische Kürassierbrigade völlig aufgerieben worden sein". „Das Corps Mac Mahon's scheint überhaupt ziemlich kriegsunbrauchbar geworden zu sein. Wir haben ja allein an Gefangenen mehrere Tausend Mann in unserer Gewalt. DaS werden wir genau erst in einigen Tagen erfabren. Aber so viel ist sicher, hier vor den Vogesen haben wir jeden falls keinen ernsten Widerstand der Franzosen mehr zu er warten. Vielleicht sperren uns vorübergebend noch einige zurückgclassene Abtheilungen die Pässe dnrck das Gebirge, aber eigentlich liegt nun das Innere Frankreichs, die Cham pagne, frei vor uns." Die Osficiere wurden jetzt durch den Ruf eines seitwärts gestandenen Hauptmanns aufmerksam gemacht, auf die schönen, ans der Gegend von Gunstett herklingenden Töne zu lauschen. ES war herrlich. Dort batte eine preußische Musikcapelle begonnen, die Wacht am Rhein zu spielen, und in kurzer Zeit ahmten alle Musiker das packende Beispiel nach. Die zündenden Klänge, an diesem Abend, in solcher Umgebung zu hören, das war herrlich, zauberisch. Dann folgte das „Heil unserm König Heil", und den Schluß bildeten die erbabenen Accorde deS Gebetes. Kein Wunder, daß jeder, auch der nüchternste Mann von einer andächtig erregten Stimmung ersaßt wurde, und auf kurze Zeit das Jubeln und Schreien der Leute aufhörte, um den entzückenden Klängen zuzuhören. Mit den Worten: „Dies ist wirklich der schönste Tag, den ich je erlebt", bekräftigte auch Hern seine innere mächtige Erregung, und, ohne Trauer in seiner Miene zu verratben, fügte er im Stillen bei: „Wahrhaftig, die innere Seelen- besriedigung, die ich jetzt empfinde, würde ich auch nicht um das höchste Liebesglück in den Armen Renatens bingeben." Er war und blieb eben doch Soldat durch und durch, wenn auch ein Scklag wie der, den er durch die Ablehnung in Hamburg erlitten, ihm vorübergehend die Thatkraft und Bcrufssreudigkeit lähmen konnte. Endlich, nach vielfachem Austausch ihrer Erlebnisse suchten Osficiere und Mannschaften ihre Lagerstellen auf und legten sich zur Ruhe. Die gezogenen Töne des Zapfenstreiches riefen auch die bei anderen Abtheilungen Verweilenden zurück. Nur jene CommaiidoS, welche» die schaurige Arbeit des Auf räumens de« Schlachtfeldes übertragen war, und sämmttiche Aerzte und Sanitätssoldaten setzten unermüdlich noch ihre ernste Thättgkeit fort. Ziemlich früh am anderen Morgen weckten die von allen Musikcapellen und Signalisten geblasenen Reveillesignale die Schläfer. Die ersten Jäger hatten heute trotz des Mangels an Stroh vorzüglich geruht und in ihrem Biwak war die ganze Nacht bindurch fast kein Laut hörbar geworden. Daran trugen einerseits die im Regen bei Jngolsbeim schlaflos ver brachte Nacht, dann die riesigen Strapazen des vergangenen Tages, andererseits aber das glückliche Gefühl ob des erlebten Sieges das Meiste mit bei. Nun wurde Kaffee gekocht und hierauf abmarschirt. Die ganze III. Armee schob sich westwärts vor, um die Vogesen zu durchschreiten und in das eigentliche Frankreich einzufallen. Bis jetzt hörte man ja immer noch deutsche Laute. Daber kam es den Jägern noch gar nicht so vor, als ob sie schon in Wälschland wären. Bald sollte sich dies gründlich ändern. Man mußte wiederum Fröschweiler passiven. Die Brände waren wenigstens gelöscht. Sonst aber sab noch Alles wie am vergangenen Abend aus. Man erblickte sogar noch mehr erschütternde Scenen als gestern. Kaum hatte das Bataillon das bedauernswerthe Dorf hinter sich, so kam ein Mann des 2. Infanterie-Regiments, fragte nach Hauptmann Zimmer, und meldete ihm etwas. Letzterer sprengte sofort zum Bataillonscommandeur vor, und schien eine Bitte bei demselben anzubringen. Der Oberstlieutenant winkte zustimmend, Hauplmann Zimmer ritt zur Compagnie, rief Horn zu: „Herr Oberlieutenant übernehmen Sie das Commando, bis ich zurückkomme", und trabte den gegen Fröschweiler zurückgekehrten Soldaten des 2. Regiments nach. Bald erfuhren die Osficiere des Ba taillons, daß der einzige Bruder des Hauptmanns schwer verwundet im Dorfe liege. Lange wirkte diese Mittbeilung nicht nach, denn es gab zu viel zu seben, und dadurch wurde die Aufmerksamkeit wieder abgelenkt. Der Marsch war ziemlich anstrengend und ermüdend. Man hatte NeickSbofen und Niederbronn passirt und wandte sich in dem engen Bärenthal gegen Bitsch vor. Die Sonne brannte glühend, und es herrschte eine ungemeine Schwüle in der Luft. Dazu ging eS auf sehr weichem Sand- Wege in die Höhe. Nach und nach hörten die lustigen Lieder auf, Alles schob sich in einer dumpfen Schwerfälligkeit weiter. Dazu verzehrte ein brennender Durst die erhitzten, unter der Last der schweren Tornister senkenden Jäger. Immer weiter ging eS bergauf. Die Leute hingen schon die Köpfe, und mancher sah ganz danach aus, als ob der schwarze Mann schon nach ihm greife, d. h. als ob ihm der Hitzschlag nahe sei. Da erklang plötzlich die Stimme des Hauptmanns Zimmer, dessen Nachtraben auf dem weichen Sandwcge Nie mand gekört hatte, über die Compagnie: „Wo stecken denn beute meine lustigen Sänger? Hat denn die Hitze allen die Kehle eingetrocknet?" ,,S' is' sckio' woabr", meinte Huber. „Wir ziebg'n ja d'rbin wie a Henne', dir 'n Pips Hamm. Na, Niederer, singe wir 'mal was." „Recht bast, Schreiber. Stimm mit ein." „Es braust ein Ruf wie Donnerhall! u. s. W." Nun war der Anfang gemacht. Das zündende Marschlied wurde zuerst von einigen milgesungen, dann richteten immer mehr die Köpfe in die Höbe, stimmten ein, nahmen Tritt, und nach und nach schmetterte die ganze Compagnie und dann das ganze Bataillon das stolze Lied durch den Wald, den man soeben betrat. Dies vertrieb schnell den schwarzen Man», wo er sich zeigte, der Mutb der ermüdeten Leute belebte sich von Neuem; andere Lieder, darunter selbstverständlich: „Was kraucht dort in dem Busch herum. Ick glaub' es ist Napolium", und ähnliche folgten. Mit der frisch gewordenen Stimmung schienen auch die Kräfte der Leute neu belebt. So kvnnte der Marsch, der bereits große Schwierigkeiten erwarten ließ, wieder munter fortgesetzt werden. Hauptmann Zimmer war unterdessen an die Spitze der Compagnie ge kommen, wo ihm Horn meldete, daß in seiner Abwesenheit nichts Besonderes vorgcfallen sei. Nach dieser dienstlichen Angelegenheit fügte der Oberlieutenant bei: „Ich habe mit großem Bedauern gehört, daß Ihr Bruder verwundet sei, Herr Hauplmann. Es scheint aber wieder bester zu gehen." „Woraus schließen Sie das, Herr Oberlieutenant?" „Weil der Herr Hauptmann die Leute animirt haben, lustige Lieder zu singen." „Das bat mit meinem Bruder nichts zu thun. Seben Sie, Herr Oberlieutenant, wie ich das Bataillon einholte, erkannte ich, daß die Marschanstrcngungen die Jäger sehr mitgenommen hatten. Sie schoben in jener gefährlichen Stumpfbeit vorwärts, die so leicht Marschmüde geneigt macht, der Ermattung oder sogar dem Hitzschlag zu erliegen. Eine Ablenkung der Gedanken oder eine Auffrischung des Humors ist in solchen Lagen daS beste Mittel, ein Umfallen von Schwachen zu verlsiiten. Darum habe ich die Leute zum Singen animirt, und Sir werden den guten Erfolg erkannt
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