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Zweifellos ist allerdings, daß auch die leiseste Bermuthung, Deutschland habe auf seine völlige Neutralität zu Gunsten Englands verzichtet, die europäische Lage in un erwünschter Weise beeinflussen müßte. So selbstverständlich die Pflickt rst, deutsche Interessen unbekümmert um die Stimmungen der Franzosen zu wahren, so zweifellos ist Zurückhaltung dort geboten, wo Deutschland nichts zu wahren und zu gewinnen hat. Der französisch-siamesische Conflict ist beendet, aber nun sind Verhandlungen zwischen England und Frankreich über die Grcnzregulirung zu führen. Dieselben werden wahrlich nicht gefördert werden, wenn in Fraukreich der Glaube entstände, England habe einen Rückhalt an Deutschland. Es wird also nicht einmal dem deutschen HandelSinteressc gedient, dem eine rasche definitive Er ledigung der Grenzfrage willkommen sein muß. Die andere Befürchtung der „Hamburger Nachrichten" gründet sich auf die Auffassung, daß schon durch den Schein größerer Intimität mit England unser Vcrbältniß zu Rußland leiden müßte. DaS ist um so Einleuchtender, als der Zoll krieg. mag er auch von beiden Seiten rein geschäftlich aus- gesaßt werden, möglicher Weise doch Schatten >» das politische Situationsbild einzcichnet. Gerade im Hinblick auf den Zoll krieg sollten die Steuerleute dcS neuen EurscS ihre gerade vor Jahresfrist feierlich publicirten Ansichten über die staatS- männische Oualificalion dcS Fürsten Bismarck einer Revision unterziehen. Der erste Kanzler hegte andere und — vom Standpunctc des Freihandels gesehen — schroffere Ansichten über die handelspolitischen Beziehungen zu den fremden Mächten, insbesondere zu Rußland. Trotzdem wußte er den Kampf zu vermeiden, vor de» sein nachgiebigerer Amtsnach folger nach kurzer Zeit gestellt worden ist. Die Warnungen der „Hamb. Nachr" sollten nicht in den Wind geschlagen werden, wenngleich sie von dem „BiSmarck von setzt" herrühren. Die konservative Parteileitung hat in der vorigen Woche zweimal an die Parteimitglieder im Lande die Weisung er gehen lassen, unter dem GcsichtSpuncl streng durchzuführcndcr Selbstständigkeit die Organisation zu verbessern und zu vervollständigen. In der Form, in der dies geschah, verrieth sich ein gewisser Widerwillen gegen die „ge mischten" Wahlvereinc, in denen die gemäßigten Eonservativcn und Liberalen angesichts eines gemeinsam abzuwehrcndcn radicalen Gegners früher an vielen Orten vereinigt waren. Daß die Zahl dieser Vereine noch eine nennenöwerth große wäre, möchten wir bezweifeln. Dort, wo sie noch bestehen, dürfte aber der preußischen conservativen Parteileitung eine Einflußiiahme kaum zugestanden werden, so bei uns im Königreich Sachsen, wo die „reine" Scheidung der zur Abwehr der zur Socialdemokratie berufenen Miltelparteien in einigen Kreisen bisher noch unter blieben ist, und im Königreich Württemberg, wo die deutsche Partei noch manchen gemäßigten Conservativen mit den Nationalliberalen zum Kampfe gegen UttramoiitaniSmus und Demokratie vereinigt Einige „Rcichsvercine", denen auch Conservative angchvren, bestehen außerdem noch in Thüringen, so in Altenburg und Gotha. Ersterer hat nur den Social demokraten zumernsthaftenGegncr und batihn biShernochimmer mit glücklichem Erfolg niedergehalten. In Gotha hat sich leider daS Blatt diesmal gewendet, aber wenn die Socialdemokratie dort wieder bezwungen werden soll, wäre eö daS Verkehrteste, die conservative Minderheit auS dem Landesvcrein jetzt herauS- zuheben und damit die Abwehrkräflc zu zersplittern. Genug: in den wenigen, unS überhaupt bekannten Fällen, wo »och „gemischte" Wahlvereinc im Sinne der neuesten conservative» Anweisung bestehen, liegen auch besondere, triftige Gründe für deren Fortbestand zu Tage. An allen anderen Stellen baben sich dagegen die Mittelparteicn je ihre eigene Organi sation inzwischen geschaffen. Insoweit also die conservative Parteileitung etwa zu wünsche» scheint, daß die Grenzlinie zwischen den Conservative» und den gemäßigten liberalen Partcibcständcn schärfer gezogen werden möge, ist die aus gegebene Anweisung so gut wie gegenstandslos. Bcsrcmdcn erregte dieselbe hauptsächlich auf freiconservativer Seite. Eine selbstständige Organisation der frciconscrvativen NeichS- partei ist bisher im Lande nicht versucht, auch nicht für »öthig erachtet worden, weil cS eben, wie billig, den Eonservativen in jedem Kreise und in jedem Einzelfalle überlasten blieb, sich über die Person des aufzustellcnden Candidaten zu entscheiden, wobei ja auch die erforderliche Rücksicht darauf genommen werden konnte, ob die conservative Wählerschaft mehr nach der Seite der Frciconservativrn oder der Deutschconscrvativen hinneigte. Daß die letzteren dabei daS schlechtere Geschäft gemacht hätten, wird sich beim besten Willen nicht behaupten lassen; wenigstens nicht für die Neichstazswablen. Eine Auseinandersetzung mit den Frciconscrvativen könnte denn auch nicht dabin verstanden werden, daß man eS aus deutsch- conservativcr Seile leid geworden wäre, eine dem gemäßigten mittelparteilichen Flügel bisher bewilligte Position auch weiterhin anzucrkcnncn. Vielmehr müßte eine solche Auseinandersetzung als eine Kündigung des Einflusses erachtet werden, den die Frciconscrvativen seither innerhalb der conservativen Organisation üben konnlen, wo cS sich darum bandelte, eine gemeinsame Marschlinie auch mit der liberalen Mittel- Partei zu finden und zu vereinbaren. Daß der ,Fircuz- Zeitung" dieser Einfluß des Ocstcrcn unbequem gewesen, ist ja bekannt. Ob cS aber nach den Ersakrunzen seit dom Tivoli-Parteitag politisch richtig und taktisch klug wäre, die Fühlung mit dem sreiconscrvativcn Flügel zu lockern und dessen vermittelnden Einfluß zu unterbinden, dagegen das Drängen und Stürmen der „Kreuz-Zeitung" in der anti semitischen Richtung unvermindert forlwirken zu lasten, — darüber dürften doch im conservativen Lager selbst die Meinungen noch weit auscinandergcke». Die konservative Parteileitung hat ihre Anweisung inzwischen dabin ergänzt, eine Scheidung von dem reine» demagogische» Antisemitismus sei auch beabsichtigt gewesen. Es kommt »un eben daraus an, welcher Grenzberichtigung die Priorität eingeräumt wird, denn gleichzeitig beide durchzuführcn, ist wobt nicht denkbar. Sollte auf der antisemitischen Seite begonnen werten, so hätte es freilich aus der mittclpartcilichcn Seite für lange Zeit noch sein Bewenden beim statu5 guo. Ter klerikale SocialismuS und die Lösung der socialen Frage auf katholischer Grundlage haben jetzt in Belgien durch einen sensationellen Vorgang eine neue Beleuchtung erfahren. Jüngere „demokratische" Klerikale, denen sich eine ansehnliche Gefolgschaft angcscblossen hat, haben i» letzter Zeit mit Feuereifer für die Forderungen der Arbeiterpartei Propaganda gemacht und sind auch im Bunde mit sociatistischen Führern für socialistische Ziele in die Schranken getreten. In Folge dessen haben die Bischöfe deS Landes ein gemeinsames Manifest beschlossen und drucken lassen, daS alle Katholiken ermahnt, in der socialen Frage nicht über die Encyklika hinauszugehen und in Reden und Handlungen vorsichtig zu sein. „Es wäre unvorsichtig, dem Arbeiter die vollständige Verwirklichung seiner berechtigten Hoffnungen zu versprechen." Infolge ^ge wichtiger Vorstellungen haben die Bischöfe dieses Manifest wieder zurückgezogen. Die leitenden demokratischen Klerikalen sollen unter der Hand zur Vorsicht gemahnt werden. Die Lage der Dinge in Ttain ist, wie schon vorhin erwähnt, durch die Annahme der französischen Forderungen seitens dieses Staates bis zu einem Punctc ihrer Entwickelung geführt, wo die Möglichkeit einer unmittelbaren kritischen Wendung vorläufig beseitigt erscheint. Nachdem Siam, wie Pariser Iournal- stlmmen sich auSdrücke», vor Frankreich vollständig capi- tulirt har. entfällt sür Letzteres auch die Veranlassung zu bewaffnetem Einschreiten gegen die Siamesen und damit erledigen sich auch gewiste auf daS internationale Gebiet hinüberspielende Problenie, insbesondere auch die Frage nach der Handhabung der FriedenSblockabe, be kanntlich ein unter den Theoretikern wie nicht minder auch den Praktikern deS Völkerrechts noch sehr strittiges Tbema. Diese ganz ungemein schwierige und auölegungSsähige Materie scheidet für jetzt auS dem Kreise der schwebenden Probleme auS. Etwas Anderes ist eö mit der Frage nach der Trag weite der von Siam an Frankreich gemachten Con- cessionen. In dieser Hinsicht muß immer wieder daran erinnert werden, daß seiner Zeit England das linke Ufer des oberen Mekong zwar an Siam ab trat, jedoch nur unter der ausdrücklichen Be dingung, daß von Siam dieses Gebiet nicht weiter cedirt werden dürfe. Nach dem Rcchlsgrundsatzc nun, daß Jemand einem Andern nur daS abtreten kann, worüber ihm selbst die freie Verfügung zusteht, würde also erhellen, daß die siamesischen GedictSabtrelnngen am linken User dcS Mekong, soweit jene Ländersttccken zu den vormals englischen Besitztiteln gehören, keineswegs unanfechtbar unk einwandfrei erscheinen, ganz abgesehen davon, daß außer England auch noch Ehina in Betracht zu ziehen wäre, dessen Interessen sphäre gleichfalls in jene Gebiete hinüberreicht, die untec den französischen Forderungen in Siam siguriren. Zwischen Frankreich und Siam ist also in Folge der Unterwerfung deS letzteren unter daS französische Ulti matum jeder dirccten kritischen Wendung einstweilen vor- gcbcugt, aber die Streitsache als solche ist so lange nicht als beendet anzusehcn, als die Auseinandersetzungen der fran zösischen mit den englischen und den chinesischen Interessen am Oberlauf deö Mekong noch unerledigt sind. Man wird des halb in der Muthmaßung kaum fehlgehen, daß die siamesische Frage sobald »och nicht von der politischen Tagesordnung verschwinden dürfte. Gleich den Franzosen sind die Spanier ein unruhiges Volk, das für nichts mehr als sür Neuerungen schwärmt. So herrschen in der Hauptstadt des ehemaligen Königreichs Galizia, in Coruilna, bedenkliche Zustände. Durch eine Reform des Kriegsministers hatte dieser Stadl daS dort befind liche CorpScomniando genommen und nach Leon übertragen werden sollen. Die ganze Stadt erhob sich indeß wie Ein Mann, um gegen diese Maßregel, welche die Interessen der Bürger schwer schädigte, energisch zu protestiren. Da sich jcdocki die Regierung durch keinerlei Einwendung der Eorunnescii und ihrer Abgeordneten in den CortcS von ihrem rcsormatorischen Vorgehen abhalten ließ, ent schlossen sich die guten Leute von Corunna, den äußersten Widerstand zu leisten. Es bildete sich ein Comitö auS den angesehensten Einwohnern, das eine lebhafte agitatorische Thaligkeit entfaltete, um der Stadt im Falle deS Verluste- de» CorpScommandos sich unabhängig zu erklären und enlucll unter daS Protektorat Englands zu stellen. Die provisorische Re gierung erließ ein Manifest, besten erster Satz lautete: „Bis auf Weiteres wird die Zahlung jeder Art von Steuern ein gestellt; jeder Dawiderhandelnde wird als Vertäther am Vaterland«: betrachtet" rc. Gleichzeitig behängten alle guten „Patrioten" ihre BalconS zum Zeichen der Trauer mit schwarzen Tüchern. Da daS Comitö auch in die Provinz Agitationsrciscn unternahm, um die Bevölkerung zum Widerstande gegen die Regierung auszurcizen, und man Ausschreitungen der gröbsten Art befürchten mußte, sah sich endlich daS Cabinet Sagasta zu einer energischen Maßregel veranlaßt. Am 2!). Juli ward, wie bereits telegraphisch ge meldet, das ganze Coinitü verhaftet. Die Junta besteht aus mehr als vierzig der angesehensten Bürger, und eS befinden sich darunter meyrere gewesene Bürger meister, ein Ex-Minister, Advokaten, Bankiers ic. Es wieder holte sich die Verhängung dcr Balcone mit schwarzen Tüchern, alle Läden wurden gesperrt und die Häuser der Inhaftirten wurden vom Volke festlich geschmückt. Sofort bildete sich ein zweites Comitö, und nach den inzwischen mit der StaatS- regierunz gepflogenen Verhandlungen erwartet man, daß die Maßregel, die den Anstoß zu der ganzen Bewegung gegeben hat, zurückzcnommen wird. Die irische Frage fängt, nachdem Glad stoncdie Homerule bill im englischen Unterhause glücklich durchzrpeitscht, an, allmälig etwas langweilig zu werden, um so mehr, als der Behandlung dieser Frage kaum noch eine neue Seite ab» gewonnen werden kann. Und doch hat eS einer der hervor ragendsten Führer der unionistischen Partei verstanden, diese Frage in der „Pall Mall Gazette" noch von einem neuen Standpunct aus zu beleuchten, nämlich vom katholischen Standpunctc. Der Verfasser weist darauf hin, daß die katholische Kirche in Irland eines Grave» von Freiheit sich erfreue, wie kaum in irgend einem anderen Lande, einer Freiheit, die sie zu der Zeit, da eS ein eigene- irische- Parlament gegeben, jedenfalls nicht besessen habe. -Abgesehen von einen» einzigen dshen Posten" — schreibt der Antor — „können die irischen Katholiken zur Zeit alle Aemter bekleiden, und in Wirklichkeit bleibt al« regelung-bedürftig nur die Frage de» höheren Unterricht- übrig, die vom RcichSparlameute jedoch in gerechter Weise zum AuStrage gebracht werden wird. Die katholische Kirche hat bei Home Rule nicht- zu gewinnen, wohl aber viel zu verlieren. Aus der einen Seite werden wir gewarnt, daß Hom« Rule so viel wie Rome Rule bedeute; daß ein Parlament in Dublin unter der Controle dcS Erzbischofs Walsh stehen würde, der die Mehrheit der Parlamentsmitglieder geradezu ernennen könnte; auf der anderen Seite dagegen wird behauptet, daß Home Rule gewährt werden muffe, um den Priester vom politischen Gebiet fern zu halten. Die Katholiken, heißt es, kämpfen für die Freiheit, ist dieselbe er rungen, so hat der Priester in der Politik keine Stellung mehr. Unsere Antwort lautet: Diesen Propheten darf man nicht glauben. Unglücklicherweise haben sich einzelne katho lische Bischöfe in dem Kampf für Home Rule st eine einflußreiche politische Macht constituirt. Sie sind jedoch nicht blos um Jahre, sondern um Jahrhunderte zurück, wenn sic glauben, daß sie in unseren Tagen den mittelaltcrlicbcn Einfluß deS Klerus wieder beleben können." Nach der Meinung dcS Verfasser- des Artikels sind die Fouillrton. Ln des Reiches Ostmark. 3s Roman von B. W. Zell. N-iddruck verboten. (Fortsetzung.) Graf ikaver wußte Wohl, was sie meinte, mochte aber das traurige Thema von der bevorstehenden Versteigerung nicht weiter ausspinnen. Ein srohcö Glücksgefühl, hier helfen zu können, schwellte seine Brust, und heiter ries er daher: „Fort sür jetzt mit allen trüben Gedanken, mein Fräulein! Sie mögen sagen, was Sie wollen, Hoffnungslosigkeit ziemt nun einmal der Jugend nicht. Erzählen Sie mir lieber, was Sie heute in jene Hütte trieb und was Sie mit dem kleinen Mädchen zu schelten hatten?" „Haben Sie das bemerkt?" fragte sie mit leichtem Lächeln. „Ich schalt die Stascba, weil sic ihre kranke Mutter so schlecht pflegt und die armselige Wirthschast mit sammt den kleineren Geschwistern in Schmutz verkommen läßt. So ein kräftiges, zwölfjähriges Mädchen kann doch wohl ernst Massen und arbeiten. Aber der Sinn für Reinlichkeit seklt nun einmal riesen Leuten ganz, und vergebens bab ich versucht, es wenigstens in unscrm Dorfe zu bessern. Wie maa'S Ihnen nur in der Heimath Vorkommen, Graf, nach dem langen Aufenthalt im schönen, eleganken Paris?" „Ich sükle mich zu HauS!" cntgegncte PodbielSki ernst, „und daS sagt alle»! Im guten und schlechten Sinne ist hier alles beim Alten geblieben — das ersreut und bekümmert mich zugleich. Polentkum ist nicht auSzurottcn, aber auch nicht zu erheben — leider! Doch auf wie schwerwiegende Dinge sind wir da gekommen — zum Glück liegt der Guts- hos vor unö und setzk unserer Unterhaltung wie unserem Wege ein Ziel." Ja, der GutShos lag vor ihnen. Mit seiner lückenhaften Umzäunung, den verfallenen Wirtbschastsgebäuden und dem großen, unsauberen Hof. den daS weit offene Thor übersehen ließ, zeigte er fick nicht eben vortheilbast. Das langgestreckte niedere WobnhauS, dem seit Jahrzehnten kein neuer Anstrich zutheil geworden war, sah einem Herrensitz nicht gerade sehr ähnlich. Auf dem Hose von Leczyce herrschte eine traurige Oede, von dem vielgestaltigen Betrieb einer großen Gutswirthschafl keine Spur. Nur ein borstiger Kettenhund schlug beim An blick des Fremden ein heiseres Gebell an, kroch aber auf Juza'S Zuruf sogleich wieder in seine verfallene Hütte. Pod- bielöki warf einen suchenden Blick umher, entdeckte aber keinen Knecht oder Jungen, dem er sein Pferd hätte übergeben können. DaS Fräulein verstand seinen Blick und trat hastig näher. „Die Leute sind alle auf dem Felde — wir wollen das Pferd dort an die Barriöre binden." Der Graf nickte und war eben beschäftigt, die- auszusübren, als die HauSthür geräuschvoll aufgerissen wurde und ein älterer Herr die zwei Stufen heruitterpolterte, um mit auS- zebreiteten Armen auf ihn zuzustürzen. „Jst'S möglich — Kavcr PodbielSki — Brüderchen! Du bist da, und wir wißen eö nicht einmal? Im Triumph dachten wir alle Dich nach Podbiels zu führen, und nun bist Du so ohne Sang und Klang eingetroffen —" „Gleichwohl bin ich da, alter Freund, und daS wäre ja wohl die Hauptsache", lächelte der Graf, sich auS der Um armung lösend und mit vollem Blick die Gestalt deS vor ibm Stellenden umfassend. Aber sein Herz krampste sich zusammen bei diesem Anblick — was batten zwanzig Jahre auS dem einst so stattlichen, blühenden Iugcndgenosscn gemacht! Völlig ergraut Hinz daS Haar in wirren «träbncn um ein aufgc- schwemmteS, gedunsenes Gesicht, in welchem eine Nase von blaurother Färbung und riesigem Umfang unangenehm aussicl. Die etwas stieren blauen Augen hatten einen unheimlichen Glanz, der, vereint mit dem scharfen Duft, welcher die ganze Gestalt gleichsam einhüllte, dem Grafen keinen Zweifel dar über ließ, daß Kasimir LeczynSki dem unheimlichen Schicksal seines Volkes, der Trunksucht verfallen war. Die übervolle, jeder Haltung bare Figur war mit einer schäbigen, settglänzenden Czamarka (Schnürrock) bekleidet, auf dem Kopf saß schief aufgestülpt die viereckige Polenmütze, und die Füße steckten in hoben Stulpsticicln, welche in Wochen keine reinigende Bürste berührt zu haben schien Noch immer hielt Herr v. LeczynSki beite Hände deS lang entbehrten Freundes in den seinen und preßte und drückte sic. In seinen wässerigen Augen glänzte cs wie Rührung und Dank — wußte er doch, wenn Graf Kader PodbielSki über haupt kam. so kam er, um Hilfe zu bringen. „DaS ist einmal wirkliche Herzensfreude, Brüderchen — aber waS blickst mich so trübe an? Der Kasimir von jetzt will Dir wohl wenig gefallen — ist freilich nicht so jung und stattlich und elegant geblieben wie Du! Aber ich erkannte Dich jojorl und die Iuza, mein Prachtmädel, hat Dich her- gcleitet" — ein zärtlicher Blick flog zur Tochter hinüber, die mit verdüsterter Miene diesem Wiedersehen zuschaute. Welch ein Gegensatz in diesen beiden Männergestalten — und der Vater hatte grade heute wieder stark getrunken! „Ich traf Deine Aelteste im Dorf und begrüßte sie mit den« wenig schmeichelhaften Complimcnt, sie für ihre Mutter zu halten", sagte PodbielSki heiter. „Nachher sah ich frcilick, wie sehr ich mich geirrt, und Fräulein Iuza verzeiht mir, nicht wahr?" „Verzeihen? Es war mir wirklich eine Schmeichelei, Herr Graf, denn Mama soll sehr schön gewesen sein." „Und solltest sie jetzt sehe», meine Malwiua, Brüderchen", seufzte LeczynSki, den Freund unter den Arm ncbmend, um ihn inö HauS zu führen. „Achtjähriges, schweres Siechthum, vereint mit der Bürde der Sorgen, die so ziemlich von An beginn unserer Ehe an aus uns lasteten, baben die Aermste zu einem Schatten ibreS früheren Selbst gemacht. Du würdest Sie nicht erkennen, Kaver." „Und geschah nichts, ihr die verlorene Gesundheit wieder zu geben?" fragte PodbielSki tbeinebmend. „Grade gegen Lähmungen gicbl es doch beilkräfligc Bäder in Menge." „Woher sollte das Geld dazu kommen?" gab LeczynSki achselzuckend zurück. „Wir batten stet- Noth und Mühe genug, daS liebe Leben zu fristen." „So zürne ich Dir, und mit Recht, daß Du mich nicht früher von deiner Lage in Kenntniß gesetzt hast. Wie gern hätte ich alles versucht, Frau Malwina die Gesundheit zurück zugeben — aber vielleicht ist'- noch jetzt nicht zu spät." Sie waren inzwischen in daS erste Zimmer recht- vom Eingang getreten. Dasselbe schien zum ausschließlichen Gebrauch deS Hausherrn bestimmt, denn außer einem verbrauchten Ledersopha, Tisch und einigen Stühlen bildete ein große-, mit Papieren gefülltes Gestell die ganze Ausstattung des Raumes, den dicker Tabaksqualin erfüllte. Auf dem Tisch stand eine Branntwcinflasche nebst Glas — beide mochten heute schon stark benutzt worden sein. Iuza schritt schnell voran und öffnete die Thür zum zweiten Zimmer. „Darf ich bitten, hier cinzutreten, Herr Gras, ich nehme an, Ihr lieber Besuch gilt der Familie und nicht Papa allein?" „Da haben Sie Recht, mein Fräulein. WaS zögerst Du, Kasimir? Willst Du mich durchaus hier in Deinem Sanctu- arium behalten?" DcS Gaste- Blick streifte dabei die Flasche, und die letzten Worte kamen herb und spöttisch hervor. „Ich dachte nur — aber wrr können ja auch nachher allein sprechen", murmelte LeczynSki, nun auch näher tretend. Der saalartige Raum, in de», man sich jetzt befand, schien EmpsangS- und zugleich Festzimmer der Familie. Er war sehr einfach, fast ärmlich möblirt, aber machte dennoch einen behaglichen Eindruck. Tie klaren Fenster zeigten saubere, weiße Vorhänge, Topfgewächse standen auf den Brettern, und ein riesiger Flicdersirauch schmückte den Tisch und streute Düste über den Raum. Auf einem Scitentischchen lagen einige Bücher, dar unter ein aufgeschlagcneS; der Graf griff danach. „Ah, deutsch, — und Goethes „Faust?" Wer liest der gleichen Bücher hier im Hause — Deine Söhne, Kasimir?" „Nein", brummte dieser, sich schwer in einen Stuhl werfend. „Die Jungen sind Blut von meinem Blut, aber Iuza ist ihrer Mutter Tochter und eine Deutsche dem Herzen und auch dem Sinne nach. Im übrigen ist sie ein Prachtmädel — ich sagte eS Dir bereits. WaS hätte auS Haus und Kindern Werken sollen, wenn sie nicht gewesen wäre! Die beiden ältesten Jungen sind in I. aus dem Gymnasium, und ich mutzte all die Jahre die tbeure Pension für sie erschwingen. Bei den jüngeren McidclS war daS unmöglich, nicht einmal eine Gouvernante konnte ich in den letzten Jahren nehmen. Da unterrichtet Iuza sie denn, und meinen jüngsten neunjährigen Sohn mit. Wie sie das alle- neben der Leitung der ganzen Wirtbsckaft möglich macht, weiß ick selber nickt." „Und wo genoß Deine älteste Tochter ihre Ausbildung?" fragte Kaver PodbielSki dazwischen. „Ach, Ausbildung — davon war nickt viel die Rede, Brüderchen. In den ersten Jahren eine französische Bonne — Du siehst, ich fing- im großen Stil an. Dann kam eine polnische Gouvernante, die freilich selber nicht viel verstand, jedenfalls nie ein Eramcn gemacht hatte. DaS Meiste und Beste hat Iuza wohl von der Mutt« gelernt und dann auf dieser Grundlage selber weiter gebaut. Manche.Menschen aber baben den besten Lehrmeister in sich selber." Diejenige, von der die Rede, erschien eben wieder auf der Schwelle, ein große- Präsentirbrett in den Händen, auf dem eine Weinflasche nebst zwei Gläsern, sowie etwas kalter Imbiß sich befanden. Sie schritt zum Tisch und ordnete dort schnell und mit der ihr eigenen stolzen Grazie die Gedecke, dann wandte sic sich zum Gaste. „Der Ritt war weit, Herr Graf, und unsere scharfe Luft erregt Appetit und Durst. Darf ich Ihnen bieten, was Küche und Keller in leider so bescheidenem Maße vergeben?" Herr v. LeczynSki hatte unterdessen mit verwundertem, liebkosendem Blick nach der Flasche geschaut.