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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.11.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-11-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18931116026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893111602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893111602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-11
- Tag 1893-11-16
-
Monat
1893-11
-
Jahr
1893
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h« h» t» «»«dt. »ch h» PoroEm errichtete» At» ob,hott otertrlM-itch^L^z kl »>»ej»»»tioer «glich» g»ft«ll»», in« Lau» ^l lÜL L»rch dl« Post bezogra für Dentschlooh und Oesterreich: viertel,ädrlich ^ll 6.—. Direct« täglich« Kreu-bandlendun^ i»S LuSlaad: «oaotltch ^l 7ck0. PteW»w»».U«Sgab« erschein täglich V,?Uhk, di« «üod-AoSgab« Wochentag« b Uhr. Leditto« »»» Lrpeßitio«: L-tz«»»e«g«ße 8. DteErveditio» ist Sochcatags unuvtrrb röche» gräffaet von früh 8 bi« Lb«»d» 7 Uhr. Fittsle»: VU» Me»»'« Eoeit«. (Alfred UaiversitilSftroh« 1. ^ L«>t» «sch«. Rat-errineastr. ich pari, und »Soia-dla- 7. Abend-Ausgabe. MipMerIagtblatt Anzeiger. Organ fSr Politik, Localgeschichte, Handels- and Geschäftsverkehr. AuzetgenPrei- dte Sgespaltme Petitzeile 70 Pfg. Reel«»«« unter dem Sirdoctto»«strich (Sgo- spaUr») SO^. vor den Fa»ilir»aachrichten (Sgefpaitro) 40^. GrSßerr Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifferosotz nach höherem Tarif. Extra-veil «ge« (gefalzt), aur mit der Morgen-Ausgabe. ohne Postbeförderung 60.—. mit Postbeförderung 70.—. Annalimeschluk für Äuzeigeo: Nb«nd-An0gab«: Bormittag« 10 Uhr. Morge ».Ausgabe: Simi,mitlag« 4 Uhr. Sonn- und Festtag« früh '/,» Ukr. Pit de» Filialen und Aanabmeslellen >« «in« halb« Stund« früher. A»zeige« find stets an die Grpepttto« zu richten. Druck und Verlag »o» L. Polz t» Leipzig. 58K. Donnerstag den 16. November 1893. Die Eröffnung -es Reichstags. * Der Reichstag ist heute vom Kaiser mit folgender Thronrede eröffnet worden: Geehrte Herren! Als Ich Sie im Juli d. I. um Mich versammelt hatte, gab Ich dem Vertrauen Ausdruck, daß Sie Mir und Meinen hohen Verbündeten Ibre Mitwirkung zu der im Interesse der Sicherheit des Reichs gebotenen Fortbildung unserer HeereSeinrichtungrn nicht ver sagen würden. Ich freue Mich, daß Meine Zuversicht nicht getäuscht worden ist, und indem Ich Sie beute bei Ihrem Zusammentritt begrüße, ist eS Mir Bedürfniß, dem Reichstag für seine patriotische Bereitwilligkeit Meinen kaiser lichen Dank au-zusprechen. Die mannigfachen Beweise warmer Sympathie, deren Ich Mick» während der letzten Monate in den verschiedenen Theilen des Reichs zu erfreuen gehabt habe, sind Mir eine Bürgschaft dafür, mit welcher Gcnuglhuung dir Ration eS empfindet, daß dem deutschen Heere eine Organi sation gesichert worden ist, in welcher die Gewähr für den Schutz deS Vaterlandes und für die Erhaltung dcS Friedens beruht. ES wird nunmehr Ihre vornehmste Aufgabe sein, in gemeinsamer Arbeit mit den verbündeten Regierungen für di« Beschaffung der Mittel Sorge zu tragen, welche zur Deckung deS durch die erhöhte Frieden-Präsenzstärke deS Heeres entstandenen Mehrbedarfs erforderlich sind. Die Vor schläge, welche Ihnen in dieser Beziehung zugehen werden, be wegen sich auf einer breiten, zugleich die finanziellen Be ziehungen des Reiches zu seinen Gliedern neu regelnden Grundlage. Die Fioanzverwaltung dcS Reichs hat eine endgiltige Ordnung im Sinne der ReichSversassung noch nicht ge sunden. Die bisherigen Erfahrungen haben bewiesen, daß ohne Schädigung desReichS und derEinz elstaaten «ine Auseinandersetzung zwischen druselben nicht länger hiuauSgeschvben werden kann. Da« Fmanz- wesen deS Reichs wird dergestalt aufzubauen sein, daß unter Beseitigung der bisherigen Schwankungen die Anforderungen desselben an die Einzelstaaten in ei» festes Verhältniß zu den llcberweisuogen gestellt werden und ein gesetzlich festgelegter Antheil an den eigenen Einnahmen deS Reichs für einen vorher bestimmten längeren Zeitraum den Einzelstaateu zugesichert wird- Eine solche Ordnung wird im Einklang mit der föderativen Gestaltung unseres Staat-wesenS ein ungestörtes Zusammen wirken deS Reiches und der Einzelstaateu gewährleisten und ohne Schmälerung der Rechte des Reichstages die Finanz. Verwaltung in hohem Grad« fördern. Zu diesem Bchufe wird dem Reichstag rin Gesetzentwurf» betreffend die ander weite Ordnung deS Finanzwesens des Reichs, vorgelegt werden. Zur Beschaffung der hiernach erforder lichen Mittel werden dem Reichstag Gesetzentwürfe, be treffend die Besteuerung de- Tabaks und des Weins, sowie die Erhebung von ReichSstempelabgaben, zugrhen. Ich zweifle nickt, daß die Lösung dieser bedeutsamen Aufgabe Ihrer hingehenden Mitwirkung gelingen wird. Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Finanzlage des Reich- ist der RrichShauShalt mit äußerster Spar samkeit ausgestellt. Die beim Abschluffe der Handels verträge deS Reichs mit Oesterreich-Ungarn, Italien, Belgien und der Schweiz gehegte Erwartung, daß dieselben zugleich den AnknüpfungSpunct für die vertragsmäßige Regelung unserer HandelSbeziebungen zu anderen Staaten bilden würden, hat sich inzwischen insoweit erfüllt, als e- gelungen ist, auf der durch jene Verträge, durch welche unserem Güteraustausch mit diesen Ländern die wünscken-werthe Stetigkeit und die Möglickkeit gedeihlicher Entwickelung geboten wird, geschaffenen Grundlage weiter zu bauen. Die mit Spanien, Rumänien und Serbien abgescklossenen Ver träge werden Ihnen zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme zugeben. Im Einverständnisse mit Meinen hoben Verbündeten Hab« Ich Mich veranlaßt gesehen, Rußland gegenüber von der Besugniß einer außerordentlichen Erhöhung der Ein fuhrzölle Gebrauch zu machen. Die von Mir erlassenen Verordnungen werden Ihnen sofort mitgetheilt werden. Ich gebe Mich der Hoffnung hin, daß der Verlauf der schwebenden Handelsvertrag-Verhandlungen mit Rußland zur Beseitigung dieser Maßnahmen führen wird. Dank den energischen Bemühungen, welche die ver bündeten Regierungen aufgewendet haben, ist eS ge lungen, die verheerende Epidemie, welche im vergangenen Jahre schwere und schmerzliche Opfer gefordert hatte, seitdem fernzuhalten und, wo sich vereinzelte Krankheitsfälle zeigten, ihrer Verbreitung erfolgreich entgegenzutrete». Die gewonnenen Erfahrungen noch wirksamer zu verwcrtben und die Abwehrmaßregeln zu dauernden und einheit lichen zu gestalten, ist der Zweck eine« Gesetz-Entwurf», welcher Ihnen vorgolcgt werden wird. Um die mit der pflicht- mäßigen Strenge jener Abwehrmaßregeln vereinbare Schonung de« international«« Verkehrs thnntickst sicher zu stellen, hat unter Betbeiligung de« Reich« im Frühjahr in DreSd rn eia« von der Mehrzahl der europäischen Staaten beschickte Conferenz stattgcfunden, deren Beschlüsse Ihnen zur Genehmigung zugeben werden. Die Erledigung der Ihnen auf finanziellem und handelspolitischem Gebiet gestellten Aus gaben wird Ihre Arbeitskraft in so hohem Maße in Anspruch nehmen, daß die verbündeten Regierungen eS für rathsam erachtet haben, den Kreis der Vorlagen im Uebrigen thun- lichst einzuschränken. In dem Verhältniß Deutschland« zum Ausland« ist eine Aenderung nicht «iugetretrn. Bei Fortdauer der engen Freundschaft mit den zur Verfolgung gemeinsamer friedlicher Zwecke uns verbündeten Reichen stehen wir zu allen Mächten in guteo und freundlichen Beziehungen. Ich gebe Mich daher der Zuversicht hin. daß uns mit Gotte« Hilfe die Segnungen des Friedens auch fernerhin werden erhalten bleiben. Die straffe Knappheit dieser Rede wird in allen jenen Kreisen, die ein kraft- und zielbcwußteS Regiment im Reiche für die erste Vorbedingung einer Besserung unserer ganzen inneren Lage halten» um so woblthuender berübren, je anmaßender und drohender in der letzten Zeit die Anhänger extremer Ricktungen mit ihren Forderungen bervorgelreten sind und den verbündeten Regie rungen eine Marsckroute vorzuzeichnen versnckt habe». Es wird sich nun fragen, ob der Herr Reichskanzler im Stande ist, mit derselben Entschiedenheit, welche die Thronrede atbmet, die von ihr kargclcaten Ziele zu verfolgen. Leicht wird ibm die- bei der Zusammensetzung des jetzigen Reichstags und dem seltsam verschobenen Verhältnisse der Parteien zu einander und zur Regierung nickt werken. Ost genug wird die Ver suchung an ihn berantrcten, durch TranSaclioncn mit der einen oder der anderen Partei zu einem Erfolge zu gelangen und dafür auf eine andere Absicht zu verzichten. Je kräftiger er aber dieser Versuchung widersteht, um so bester nicht nur für ihn und das Ansehen der Reichs- regierung, sondern auch für eine heilsame Aenderung in unserem zcrklüsteten Partciwesen und in der Zerfahrenheit der öffentlichen Meinung. Müssen dann auch vielleicht die verbündeten Regierungen darauf verrichten, mit dem jetzigen Reichstage zu einer Verständigung über wichtige Fragen zu kommen, so wächst doch die Aussicht auf eine Volksvertretung, der die beklagenSwenhen Mängel der jetzigen nicht anbaslen. Neue- kündigt die Thronrede nicht an: sic faßt nur zu sammen, waS aus den verschiedenste» Canälen schon früher in die Oeffentlickkeit gedrungen ist. Zunächst beweist sie, daß der Kaiser und seine Hoden Verbündeten durch die Er gebnisse der Wablstatistik in ihrer tiefen Uebcrzeugung von der absoluten Notbwendigkeit einer Verstärkung unserer Wehr- macht sich nicht haben wankend machen lassen und daß sie auf das im Reiche durch da« neue Wckrgesetz hervorgerussne SickerbeitSgefübl mit Recht größeres Gewicht legen, als auf eine Opposition, die an der Wohlibal dieses Gefühl« theil- nimmt, ohne eS eingesteben zu wollen. Und wenn die Thron rede e« auch nicht ausdrücklich sagt, daß die befriedigende internationale Lage zum wesentlichsten Tbeile aus da« neue Wcbrgesey zurückzusühren ist, so ist dieses Verschweigen doch lediglich eine Rücksicht auf jene Mächte, die uns die stärkere Rüstung aufgenölhigl haben. Jetzt bandelt eS sich, die Mittel zur Deckung der Kosten dieser Rüstung zu beschaffen und darüber hinaus noch Mittel »a gewinnen, di« da« Reich finanziell aus eigene Küß« stellen und ihm zu gestatten, nicht länger eine die Finanzwirtd» schast der Einzelstaateu ruinirenbe Kinanzwirtbschaft zu treiben. Leider ist das Rcsormproject, durch da- diese Verbesserung erzielt werden soll, nur ein halbes und verzwicktes. Es stellt aber das unter den jetzigen Umständen Erreichbare dar und muß deshalb wohl oder übel hingenommrn werden. ES trägt überdies die Keime einer späteren Verbesserung und Vereinfachung in sich. Um so erfreulicher ist eS, daß die Thronrede mit so großer Bestimmtheit die absolute Nolhwendigkeit dieser Reform betont und damit zu erkennen giebt, daß sie an den Grundlinien derselben nicht rütteln lasten will. Von den Mitteln zu diesen Zwecke», das beißt von den einzelnen Steuervorlagen, spricht die Rede mit dieser Bestimmtheit nicht. Hier bleibt also Raum zu AbänderungS- und Verständigungsversuchen und vier ist ein Feld, aus dem die Anpassungsfähigkeit dcS Grafen Caprivi ohne Nachthell für da« Ganze sich bewähren kann. WaS die Vertrag-Verhandlungen mit Rußland betrifft, so ist eS bedeutsam, daß die Thronrede zuerst die außerordentliche Erhöhung der Einfuhrzölle er- wähnt und lediglich die Hoffnung ausspricht, daß eS möglich sein werde, diese Maßregel wieder zu beseitigen. Durch diese Wendung wird die Verantwortung für ein fernere« Bestehen der Maßregel Rußland zugeschoben. ES ergiebt sich hieraus, daß Feurlletsir. Leben um Leben. 10s Roman in zwei Bänden von M. Gerhardt. Nochtrock »ertöten. (Fortsetzung.) Hildegard war hinweggestürzt, als stehe da- Hau« hinter ihr in Flammen. Sie lief durch den Garten und hielt erst ganz unten am Zaun inne, da. wo sie vor zwei Wochen Waldemar nachgeschaut hatte. Hier blieb sie stehen, klammerte ihre Hände um das Stackct und starrte in den breiten, trübgelben Streifen am Horizont, den die scheidende Sonne zurückgelaffen. Ihr war, al« müsse etwa« Ungeheueres geschehen, Feuer vom Himmel fallen oder entfesselte Kluthrn sich über alle« Land ergießen und r« unter sich begraben. Aber Alle« blieb still und friedlich, nur der Wind sauste und stöhnte in den Kiefern am Zaun, und feiner eiskalter Sprühregen fiel kühlend auf ibre glühende, pochende Stirn. War, was sie soeben erlebt, nur wüster Fiebertraum? Hatte der angebetete Mann sie nicht betrogen, beleidigt, ibre unschuldige Hingebung höhnisch mit Füßen getreten? — Hatte ibre Schwester sich nicht an den ungeliebten Mann verkauft? Ibre Mutter sie nicht angesicht- fremder Leute mit Sckmäbworten au« dem Hause getrieben? Wie ein Traum verflüchtigten sich all diese Eindrücke und ließen nur eine lastende Schwere in Körper und Geist, ein unklare«, namenlose« Schmerzgefühl zurück. WaS batte sie denn vorgehabt? Hatte sie nicht eine Aufgabe zu erfüllen, rin Versprechen einzulöseo? Mechanisch griff sie in ihre Tasche, wo da« Geld für Minna in einem gehäkelten Beutelchea steckte. Es war schon spät und sie mußte eilen, wenn sie vor Eindruck der Dunkel heit den See erreichen wollte. Ader mochte doch die Nacht berabsinken — nach Hause durfte — und konnte sie ja nicht zurück. Ein Psörtckrn im Zaun führte aus einen Fußweg, der in dir Fahrstraße mündete. Müden Fuße« und dumpfen Sinne« ging Hildegard des Wege«, den sie schon Bormittag« zurück« gelegt. Auf einmal, wie rin lodernder Blitz stand Alle« wieder vor ihr, wa« geschehen. E« war, al- ginge ein klaffender Riß durch Himmel und Erde. War eS denn möglich, daß Bertha Waldemar ihre Lippen zum Kuß bot, während ihr Herz nach einem Andern schrie? Wußte er e« nickt? Wußten die Eltern nicht, daß ihr Segen der Wahrheit Gottes Hobn sprach? Hatte sie selber bis jetzt im Märchenlande gelebt? Ist die Wirklichkeit nicht- als Lüge, Widersinn, Gottlosigkeit und Grausamkeit? Sie eiite vorwärts, al« könnte sie ihren Gedanken ent fliehen. blieb athcmlo« stehen, drückte die Hand an ihr wild schlagendes Herz und schritt weiter. Dunkle Regenwolke» zogen tief am trüben Abendhimmel, ein stumpfer Glanz lag auf den breiten Wafferstreisen, welche die mürbe EiSdecke de« See« an beiden Rändern überstauten. Jetzt ging Hildegard die Uferhöhe entlang, hörte das melancholische Geschrei der Kräben auf den windbewegten Bäumen, blickte auf das dunkle Wasser zu ihren Füßen, und dachte, daß da unten Kühlung zu finden sei für brennende- Herzeleid. Dort unten in der Tiefe lauert der Nix. er umschlingt die Braut mit sehnsüchtigen Armen und zieht sie hinab in sein feuchtes Reich Er setzt ibr die Krone auf- Haupt, und stumme Fische und glotzäugige Ungetbümc werden ihre Diener sein. Ueber ihrem Thron himmel schwanken Seerosen, der Mond spiegelt sich in der dunkelblauen Fluth und ein Kahn mit zwei kosenden Liebenden gleitet darüber hin. „O Gott, Vater im Himmel, warum muß ich so grenzen los unglücklich sein?" rief sie laut in bitterer Verzweiflung. »O Gott, laß mich sterben, unter den Menschen ist kein Platz mehr sür mich!" Plötzlich zerriß ein markerschütternder Schrei die schwer- müthige Stille der einsamen Landschaft. Die Kräben flogen krächzend auf. Hildegard stand von Kopf zu Fuß zitternd still. »Woher kam da«?" Sie lauschte mit anaebaltenem Athem. Da — war eS wieder — schwächer, erstickt gleichsam — und noch einmal, wie ein Ertrinkender in letzter Todesangst aufsckreien mag Ueber die Länge de« See« her schien r« zu kommen, von jeaseit de« WaldbäuSchen«. Hildegard begann zu laufen. Eia Lichtchen schimmerte röthlick durch da« sinkende Abrnddunkel. Es flackerte bin und her und jetzt erhellten sich auch die Fenster der Hütte. Der Hund bellte, da« Licktcken wankte am Ufer hin and erlöscht«, und jetzt töate die Stimme de« alten HauSmaan heiser und schauerlich von dort her: »Hilfe I Hilfe!" Hildegard hatte da» Häuschen erreicht, aber da« Hunde gebell und da« Hilfegeschrei kam jetzt von weiterher und ward vom Echo de« Walde« verstärkt zurückgeworfrr. D^r» verbreiterte sich der See — dort war die Wasserfläche schon theilweise eisfrei. Bor der Thür de- Häuschen- stand die taube Magd, rang die Hände und jammerte halblaut, ohne anscheinend recht zu wissen, warum. Hildegard rannte vorüber, ohne sich einen Augenblick zu besinnen. Endlich, als sie um einen Borsprung des WalbsaumcS bog, gewahrte sie die Gestalt dcS alten Haus mann, die sich dunkel und unnatürlich groß von den Abend nebeln abhob. Er stand im Master, hielt eine Stange in beiden Händen und schien damit auf dem Sergrund umhrr- zustoßen. »HauSinanu, ich bin hier!" rief Hildegard von oben. »Wa« ist geschehen? Wa« kann ich tbun?" Der Alte wandte sich und sah auswärts. Da» graue Haar Hinz ihm in wirren Strähnen über der Stirn. Heiser und abgebrochen rief er hinauf: »Die Minna, Fräuleinchen! Sie hat'« getban! Wenn ich nur den Kabn hier hätte! Ich kann nicht fort — weil sie doch — hier nach oben kommen muß!" »Ich hole den Kahn!" ries Hildegard. „Wo liegt er? Am Hause, nicht wahr?" Der Alte zog die Stange zurück und schien seine Gedanken zusammenzusasten. »Ach Gott, Fräuleinchen, waS wollen Sie doch machen! Geben Sie lieber nach Hau« und schicken mir wen von den Knechten." »Aber da» dauert zu lange —" »Ja — ack lieber Herrgott, e» hilft ja doch Alle« zu nicht« mehr —" Er verstummte und horchte nach dem Walde hin. Ein einsame« Schlittenglöcklein tönte dorther, hielt inne, dann knackten Zweige, wie von einem Fuß, der sich durch da« Ge strüpp de« Waldboden« Bahn bricht. Der Alte erhob wieder sein Hilfegeschrei. .Hier!" rief eine Männerstimme Antwort. „Ich komme." Eine hohe, dunkle Gestalt sprang durch die Böschung de« Ufer- hinab. »WaS giedt'S? Eia Ertrunkener?" Es erfolgte keine Antwort. Der alte HauSmann starrte mit weit aufaeriflrntn Aoarn auf einen dunkeln Fleck, der aus dem Master zwischen schwimmenden Eisschollrn erschien. „Da — da —" stammelte er. »Nehmen Sie die Stange, Herr, reichen Sie sie mir, wenn —" Er stand schon bi« über die Knire >m Wasser, gleich darauf bi« an den Gürtel. Der Fremde faßte die Stange, trat eben falls ins Wasser und behauptete, da der Alte unten sich 87. Jahrgang. unangebrachte schwächliche Nachgiebigkeit in diesem Falle nicht zu besorgen stebt; man darf aber auch daraus schließen, daß tcinerlei einseitige Protestation den Abschluß eines Ver trage« abwenden wird, der im allgemeinen wirthschaftlichcn und politischen Interesse Deutschland- liegt. Von dem übrigen Inhalte der Thronrede ist besonder» bervorzubeben die Sparsamkeit bei der Ausstellung deS RcichsbauShaltSetatS und derBemestuna de« Arbeits pensums deS Reichstags. Nach beiden Richtungen wird diese Sparsamkeit bemängelt werden, da viele Forderungen an den Etat berechtigt sind und viele nöthige Arbeiten schon lange ihrer Erledigung harren. Aber man wird mit dieser doppelten Sparsamkeit ffch auSsöbncn, wenn Alle- erfüllt wird, was die Thronrede vom Reichstage hofft. Gelingt eS dem Reichskanzler, die« zu erreichen, so wird die soeben «öffnete Rcichsragssession eine hochbcdeutsame und sehr fruchtbare sei». Politische Tagesschau. * Lechzi,. IS. November. Aus der Thronrede, mit der gestern der sächsische Landtag eröffnet worden ist, wird in der Presse der übrigen Bundc-staate» besonders die folgende Stelle Hervorgeboben: Wenn die Lage der StaatSfinanren gegen bisher eine weniger günstige geworden ist, so liegt der Grund hiervon, abgesehen von dem Rückgänge der Erträgnisse in einzelnen Staatsbetrieben, in der Hauptsache in der Verkettung der Fi nanz wirtbschaft de« Reich« mit der der einzelnen Bundesstaaten und de» dadurch sür letztere h erbeigesühr ten Sckwan-. knngen in ihren Staatshaushalten. Da die längere Beibehaltung diese« Verhältnisses von den Bundes regierungen allseitig als unhaltbar erkannt und ein« baldige Reform der ReichSfinanzverwaltung als dringend nötbig erachtet worden ist, so läßt sich erbosten, daß die darauf gerichteten gemeinsamen Be strebungen in nickt zu langer Zeit von Erfolg begleitet fc», »nd damit auch die gegenwärtig schwer empfun denen Störungen iu nuferem Staatshaushalt werden beseitigt werden Man erinnert sich, daß die Thronrede, mit welch« unlängst der bayerische Landtag eröffnet worden ist. in ähnlicher Weise und mit derstelben Entschiedenheit aus die Nothwcndig- keit einer Finanzresorm und neuer Steuern im Reiche (nicht blo« zur Deckung der Koste» de« Militair gesctze») hingewiesen hat, und daß beide Kundgebungen in baltlich sich vollkommen mit den Erläuterungen decken, welche die „Denkschrift" zu dem Finanzgesem, da- dem ReiLStag« demnächst zugchen wird, enthält. Man ersieht daran«, das; die Einigkeit der verbündeten Regierungen in der Frage der Finanz- »nd Steuerreform deS Reiche« eine vollkommene und daß den Regierungen daran gelegen ist, die« vor dm Einzellandtagen za constatiren. Die Absicht der ReichSregirrung, dem Reichst«,« bei seinem hrntigen Zusammentritt anßer den Handelsverträgen und dem RcichShauSbaltSelat pro t8S4/S!; auch gleich die aus die Steuerreform im Reiche bezüglichen Vor lagen zu überreichen, wird sich, wie verlautet, nicht durch führen taffen. Die AuSi'chüsse de« BundeSratb», welche mit der Borberatbuug der Steuergesetzentwürfe beschäftigt sind, vermochten trotz angestrengtester Arbeit ihre Berathung nicht so rasch zu fördern, daß diese ursprünglich gehegte Absicht zu verwirklichen gewesen wäre. Dem Vernehmen nach wurde der „Gesetzentwurf, betreffend die anderwrite Organisation de« Reich-fiuanzweseos", in den Susschüsten einstimmig an- krampfhaft an die Spitze derselben klammerte, nicht ohne An strengung sein Gleichgewicht. Jetzt hob sich der Körper der Verunglückten langsam über Wasser. Der Alte kielt ibryr Kopf bock, »nd kämpfte mühsam gegen den Druck de« Wasser« an. Unwillkürlich griffen Hildegard « Hände ebenfalls nacki der Stange. Der Fremde warf einen erstaunten Blick auf sie, der sic soeben erst zu gewahren schien, und sie wußte jetzt, daß sic diesen edlen Männerkvpf schon gesehen habe, konnte sich aber nicht entsinnen, wo? »Nicht in- Wasser treten, Fräulein", gebot er. Können Sie fest halten?" Sic nickte und er ließ die Stange lo«, hielt sich nur mit der Linken daran, ging noch ein paar Schritt vor und reichte dem Alten die Rechte. Dieser griff so ungestüm damach, daß er den Andern fast mit in die Tiefe gerissen hätte. Einen Augenblick schwankte Alle«, dann gewannen die Männer festen Boden unter den Füßen und zogen den Fraucnkvrper langsam an Land Da lag er, die waffergetränkten Röcke an de» erschlafften jugendlichen Gliedern klebend, da- bläulich bleiche, seitwärts gcsunkene Haupt von den triefenden Haarsträhnen umflossen. Der All« kauerte stöhnend neben ibr am Boden und versuchte mit zitternden Hände» ihr das -Kleid um die Brust zu lösen. »Lasten Sie mich da- macken", sagte der Fremde. „Ist ein Hau« in der Näbe?" »Mein Hau»", murmelte der Alte und kam schwerfällig aus seine Füße. Wir müssen sic hinschaffen — aber wie? Am besten wäre «S, meinen Schlitten brrzubolen." „Ich will geben", erbot sich Hildegard. „Sie werden sich nickt zurecht finden", versetzte der Fremde, dem es mit einiger Muhe gelungen, Haken und Knöpfe an dem Leibchen der armen Minna zu lösen. Er drehte und schüttelte ihren Oberkörper, damit da» verschluckte Wasser au- Nase und Mund absließe, und rieb ihre Brust mit dem Pelz seiner Mütze. Der Alte stand mit schlotternden Gliedern, von Wasier triefend, daneben. „ES nützt ja Alles nicht«, lieber Herr, sie bat zu lange im Wasser gelegen Ist auch für sic am besten so und der liebe Gott wird ikr gnädig sein. Sie bat nicht können in Schande leben —" „Geben Sie hiaaus» mein guter Alter, holen Sie den Schlitten", unterbrach der Fremde, und fügte, al« Jener ge horsam am Uferrand rmporglimmte, zu Hildegard gewandt.
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