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Tabellarischer und Zifsernjatz nach höhere», Tarif. Vptra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbefhrderung 00.—, mit Postbeförderung .L 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Für dir Montag-Morgen-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine baibe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Potz in Leipzig. Freitag den 11. Oktober 1895. 89. Jahrgang. Anzeigen für die ain Montag früh erscheinende Annulier werden bis morgen, Sonnabend, Mittag erbeten. Potitische Tages schau. * Leipzig, 11. Oktober. Die „Post" versichert beute nochmals, daß bisher in den „maßgebenden Kreisen der Regierung" eine Entscheidung über Schritte, die möglicherweise gegen die agitatorischen Bestrebungen der Sorialöcinokratie gethan werden könnten, nicht getroffen sei. „Alle Mittkeilungen über die Vor bereitung eines neuen VereinSgcsetzeS nach bayerischem oder sächsi,chcm Vorbild oder einer Novelle zu dem bestehenden Vercinögcsetz werden uns als Erfindungen bezeichnet. Wie wir hören, bes'.chcn ferner iiincrhalh des Staalöministeriums lcincrici Meinungs-Verschiedenheiten über die Behandlung dieser Frage; es sind daher ganz be sonders die Gerüchte, daß Herr von Koller andere Ansickten vertrete, als Fürst zu Hoben lohe, in das Reich der Fabel zu verweisen. Es wird, wie wir erfahren, weder beabsichtigt, dem Reichstage ein neues Umsturz- oder Socialistengesetz vorzulcgen, noch ist beschlossen worden, ein neues VereinSgesctz für Preußen auszu- arbcilen. Es dürften sogar auch für die nächste Zeit schwerlich irgend weiche bindende Entschlüsse zu erwarten sein." Auf derselben Spalte knüpft das frei- eonservative Organ an die bekannte Erklärung des preußischen Slaaleministeriiims gegen die verleumderischen Ausstreuungen über Herrn v. Bvetlicher die folgende Betrachtung: „Mit der Erklärung deS Staatsministeriums in Sache» Herrn vo» Voetticher's dürste der Maulwnr'sarbeit gegen de» Personen- beslaud des Ministeriums wohl definitiv der Bode» abgegraben sei». Auch nach der sachlichen Seite wird die bald beginnende parlamen tarische Eampagne im Reiche wie in Preuße» der Regierung Gelegenheit geben, den Nachweis von der Unrichtigkeit derjenigen Ausilreuliilgen zn erbringen, in welchen in durchsichtiger Absicht thr Mangel an Einheitlichkeit, Entschlossenheit und Kraft nachgeiagt wurde. Sie hat in der verflossene» Pariamcntszeit einerseits noch »um ln-nenoiv mveutniü insofern gewinhschastct. als sie sich jll Ler-bmnntiac!>r i-?ici,riii>f.>il «>»« - N'it !>ec>nAuun wcaler.nl, das ,w votiana, zn arbeiten. Dies gilt »amenllich auch auf dem Gebiete der Agrarpolitik, wie des Schutzes des Mittelstandes in Stadt und Land, wie der Sociaipolitir. Anderer seits hatte sie gerade auf diesem Gebiete eine bedenkliche Erb schaft überkommen, von der sie erst durch die Katastrophe der Umsturzvorlage im Frühjahre befreit worden ist. Nack beide» Richtungen sieben jetzt die Tinge wesentlich anders. Eine vvn der früheren Regierung nbernvmnicnc Marschroute besieht nicht mehr. Mit der vollen Bewegungsfreiheit ist zugleich die zeitliche Möglichkeit gekommen, wenigstens einen energischen Aiisang mit de» eigenen gesetzgeberischen Plänen zu machen. Stizzirt ist ja mancher dieser Pläne schon in der letzten Reichs- und Landtagssessivn, und durch die Aeiidcrung der Brannt wein- und Znckersicncrgcjctzgebung ist im Reiche und durch die Er- rlchiting der Eenlralcredireasje sur Genossenschnstcii re. in Preußen mit der Turchstchrnng der von dem Staatsrathe enipsohlenen planmäßigen Agrarpolitik ein vielveriprcchen.cr praktischer Ansang gemacht. Mau ist daher zu der Annahme berechtigt, Laß die bevornehende parlamentarische Campagne der Regierung die volle Gelegenheit bieten wird, die i» der politischen Sommer pause auch dieses Mai anstauchcndcn Behauptungen unzureichender Einheitlichkeit, Geschlossenheit ,,»d Kraft innerhalb der Regierung all absurdum zu sichren. Daß solche planmäßige kraftvolle Geschlossenheit nicht blvs ans dem Gebiete der Gesetzgebung, sondern auch in der ganzen Verwaltung und zwar hier ganz be- sonders nothwendig ist, und nach welcher Richtung nament lich deren Bethätigung zu erwarten sein wird, ist bereits wiederholt ausführlich dargeiegt." Wir gestehen, daß wir die zuversichtliche Erwartung der „Post", die preußische Regierung werde „die Behauptungen unzureichender Einheitlichkeit, Geschlossenheit und Kraft nck ulwunlum führen" nicht recht begreifen, nachdem dasselbe Blatt versichert hat, es dürften „für die nächste Zeit schwerlich irgend welche bindende Entschlüsse" darüber, ob dem Reichstage ein neues Umsturz- oder Socialisten- gesetz vorzulegen oder ein neues Vereinsgesetz für Preußen auszuarbeiten sei, zu erwacten sein. Wir können daher die Vermuthung nicht abweisen, daß das freiconser- vative Blatt mit seiner Auslassung über die „planmäßige kraftvolle Entschlossenheit" der preußischen Regierung nicht eine Schilderung des bestehenden Zustandes geben, sondern vielmehr, einem vormaligen pädagogischen Brauche folgend, eine Mahnung in das Gewand emer unverdienten An erkennung kleiden wollte. Nachdem der socialdcmokratische Parteitag die Anträge der Parteigenossen im Lande in mißächtlicher Eile zum Keh richt geworfen, hat er sich der Berathung des Hauptpunctes seiner Tagesordnung, dem Agrargrogramm, zugewendet. Das Ergebnis; der Verhandlung ist mit Sicherheit voraus- zuschen: die ausdrückliche Verleugnung der Parteigrundsätzc wird in Breslau verweigert werden. Nach ein, zwei Jahren hat man sich aber wahrscheinlich allgemein zu der Ansicht bekehrt, daß die Hintergehung der Landbevölkerung an der Hand eines vfsiciellen Leitfadens und nicht nach Belieben der einzelnen Agitatoren betrieben werden müsse. t Die Frage, ob das Eine oder das Andere zu geschehen habe, ist Cämtich der ganze Inhalt der Meinungsverschiedenheit, die wir aus dem Parteitag sich geltend machen sehen. Der Streit erinnert uns an eine Antwort, die der bayerische Minister v. Lutz einem Ab geordneten gab, der sick über die Grundsätze.der von dem ... D-rttw- graphie beschwert batte. Der kluge Mann fugte ungefähr: Bleiben Sie mir mit Ihren Ausstellungen vom Leibe, mir ist cs ganz gleichgiltig, ob ein Wort mit t oder th-geschrieben wird, meine Verordnung soll nur verhindern, daß jeder verr— Schulmeister seinen Schülern seine eigene Orthographie eintrich tert. Das ist, aufs Politisch-Agitatorische übertragen, der Sland- pniict der VertbeidigerdessoeialdemokratischeiiAgrarprograiiims. Herr k)v. Q narck sagt: Landagitation wird mit und ohne Land-Programm betrieben, ein Programm bringt Einbeitlich- kcit in die Sache und verhindert Stegmüllereien. Es wird nickt lange dauern, und die Partei wird für eine verbindliche Anweisung zum Bauern Betrug, den Sie Alle wollen, ge wonnen sein. Die Agrarcommission hat einem späteren Stimiilungviunschwillig die Wege geebnet, indem sie knapp vor Eröffnung des Parteitages ihren Antrag noch einmal neu sormulirte. Die Bedeutung der Aenderungen ist sachlich gleich Null; aber da die Lust, auf dem flachen Lande zu tanzen, in der cLveialtemokratic allgemein verbreitet ist, wird »ach der etwas anders gestimmten Geige bald, wenn auch nickt i» Breslau, ausgespielt werden können. Die neuen Anträge unterscheiden sich von den früheren in der Hauptsache da durch, daß ein paar nicht socialistisch, sondern demokratisch klingende Phrasen weggefallen sind und daß die Mehrzahl der ausgelegten Bauernköder nicht dem bestehenden Programm an- gehängt, sondern in einem eigenen „Landprogramm" zusammen- gefaßtsind.JnNachahmungdesbußsertigenWoifes, derdieFasten- gebote zu halten gelobt hatte, aber einem ihm am Freitag zu Gesicht kommenden Lamm nicht widerstehen mochte, dieses aber zur Beschwichtigung seines Gewissens „Herr Fisch!" anredete, ist das Landvrogramm nicht „Programm", sondern „Resolution" getauft worden. Der „Bauernfang" ist den „Genossen" mund gerecht gemacht worden und wird binnen Kurzem ver speist werden. Er würde es vielleicht schon in Breslau, wenn die hochtönenden Beschlüsse gegen die Preisgabe des socialdemokratischen Grundprincips nicht hindernd in den Weg träten. Die Schöpfer des" Pro gramms haben nämlich den stärksten Bundesgenossen ge wonnen, den sie finden konnten, Bebel, dessen Unter stützung um so mehp bedeutet, als er noch im vorigen Jahre der Anführer der Gegner gewesen war und das Wort vom „Bauernfang" ausgesprochen hatte. Bebel ist voll ständig bekehrt und dichtet sich zur Bemäntelung seines rapiden Meinungswcchsels seine Privatmetamorphose, indem er dem „Herrn Fisch" erzählt, im vergangenen Jahre, in Frankfurt, sei er wirklich noch ein Lamm gewesen, jetzt aber wäxr er ein veritabler Fisch, den der Frömmste und sogar am Aschermittwoch genießen dürfe. Mehr als diese Fiction hat ihm den Uebergang ins anbepe Lager Herr Schippet erleichtert, der eine bösartige Kritik der Agrarcommission, der er selbst angehörte, und des Agrarprogramms, gegen dgs er in der Commission nichts eingewendet hatte, lieferte und sich dabei vermuthlich von persönlichen Abneigungen leiten ließ. Schippel, der s. Z. mit den Jungen kokettirte, bat einen abgelagerten Zorn aus Bebel, der ihm damals übel mitgespielt haben soll. Das besorgte er denn auch wieder jn Breslau, nach dem Bericht des „Vorwärts" zu schließen, ohne Mißfallen zu erregen. Das Blatt verzeichnet hinter .den Worten Bebel'S: „Wir beide sind als Menschen unter- 'clnaneer sc^ig": „Bewegung, vereinzelte Ruse: Sehr richtig!" Der alteFübrer hatte bei dcrAbschlachtungSchippel'seine verhält- nißmäßig leichte Aufgabe. Er wies auf seine Fehden mit Pollmar hin, stellte weitere in Aussicht, „denn unsere Ansichten sind mittler weile so tief auseinandergehende geworden, daß wir scharf aneinander gerathen werden", und ging dazu über, Bollmar als den Urheber des Agrarprogrammentwurss gegen die Vor würfe der Charlatanerie und des Mangels an Gewissen haftigkeit, die Schippel erhoben hatte, zu vertheidigen. Der gewandte Redner bewährte sich hier, wie späterhin, wo er zu einer überschwänglichen Lobpreisung der Hypotbekenverstaatlichung überging, die er noch vor zwei Jahren in Grund und Boden geredet hatte. Herr Bebel schwärmte überhaupt für Verstaatlichung aller Arten und verwies die Erzählungen von der Bedrückung dex in Staatsbetrieben Beschäftigten in das Reich der Fabel, wofür ihm der dadurch einer Schablone beraubte Nedacteur des „Vorwärts", Herr Liebknecht, wenig Dank wissen wird. Auf Weitere einzugeben, verlohnt sich nicht. Bebel bat sich über zeugen lassen, daß die Parole Quarck's: „Reform als Vor bereitung der Revolution", praktisch sei und durch oas scheinbare Eingehen auf die Wünsche der Kleinbauern diese für die Unter stützung oder doch Duldung des gewaltsamen Umsturzes ge wonnenwerden können. Kautsky, Singer und Andere glauben vor läufig noch nicht an die Zweckmäßigkeit dieses Mittels, die Einen wie die Anderen sind aber einig im Ziele geblieben, und auch diese Meinungsverschiedenheiten über die richtigen Wege sind von geringer praktischer Bedeutung. Endlich ist die amtliche Bestätigung der Einnahme von Antananarivo, der Hauptstadt Madagaskars, amtlich nach Paris gemeldet und damit der Regierung ein schwerer Stein vom Herzen genommen. Die flüchtigen englischen „Berichterstatter" waren also eisiger gewesen als der amtliche französische Bote, sie werden wissen, warum. Daß es vor der Einnahme der Hovashauptstadt zu einem nennenswerthen Widerstand gekommen sei, ist trotz der Meldung von dem „glänzenden Kampfe", den die französische Truppe noch be standen haben soll, nicht wahrscheinlich, die zahlreiche und recht gut ausgerüstete Hova-Armee, an der englische Ossiciere ein Jahrzehnt lang gedrillt, hat sich als eine ganz erbärmliche Bande von Feiglingen bewiesen. DaS stete Zurückweichen von Majunga aus nach der Hochebene Centralmadagaskars konnte als wohl- berechneter Plan gelten; die Franzosen verloren durch Klima und Märsche ein Drittel ihrer Armee, die Verpflegungs schwierigkeiten häuften sick, ein ernster Widerstand mindestens bei Babay mußte den Vormarsch ausballen, und schließlich Kälte die Niederbrennung von Antananarivo nach dein Bei spiele von Moskau die nothwendigen Quartiere während der Regenzeit vernichtet. Von allen hochtönenden Ankündigungen der Hovas ist keine zur Wahrheit geworden. Das Klima hat gegen die Franzosen gekämpft, die Bewohner des König reiches nicht! Feiger als der kleinste Negerstamm Mittel afrikas haben sie ihre Hauptstadt und ibr Land preis gegeben. Wenn di? Franzosen sich jetzt damit begnügen, den Premierministep Rainilairiveny zu deportiren und nur ein etwas „verschärfter«- Protektorat" einzusühren, statt die Königin abzusetzen und Madagaskar faktisch zu aneetiren, so thun sie nur klug daran, denn sie lasten sich damit nicht die schweren Verpflichtungen auf, welche die formelle Ver wandlung des Jnselreickes in eine französische Colonie ge fordert haben würde, dürfen aber, wenn sie genügende Vor kehrungen treffen, ui» das bisher besetzte Gebiet zu behaupten und namentlich die Verbindung der Hauptstadt mit der Ost- und Westküste sreizuhalten, getrost als Herren Madagaskars sich geriren, denn wenn auch die Königin Ranavalo Manjaka III. ihres Thrones nicht für verlustig erklärt worden ist, so wird sie doch nur ein Scheinregiment führen, die faktische Macht wird in der Hand des französischen Gouverneur liegen. Madagaskar ist thatsächlich französisches Besitzthum, und Englands Einfluß ist vorläufig gebrochen. Aber wie gesagt, es ist nöthig, das Erkämpfte zu behaupten und das wird nock ungezählte Millionen kosten. Jn Paris ist natür lich die Nachricht vom Fglle Antananarivos mit Jubel begrüßt worden und vielleicht verzeiht man jetzt auch den Veranstal tern des Feldzuges die schweren Fehler, die sie sich haben zu Schulden kommen lassen; die in der Kammer angekündigten, auch für den Fall eines siegreichen Ausgangs der Expedition die Bestrafung ihrer Organisatoren verlangenden Interpella tionen dürsten bei der gehobenen Stimmung, welche die neuerliche Hebung des französischen Prestiges erfahren hat, nicht viel Effect erzielen. Feuilleton, Schwere Kämpfe. Roman ans dem grytzcn ttricgc. 35s Von Earl Tanera. Nachdruck verboten. «Fortsetzung.) In der Nackt vom 10. zum 20. November sollte eine Meldung von den Vorposten im Walde südlich von Chartres zu dem in einem Hofe liegenden Stabe gebracht werden. Die beiden entsendeten Soldaten kamen nicht an und kehrten auch nickt zu ihrer Feldwache zurück. Als sie gegen Morgen noch nicht sichtbar wurden, entsendete der Feldwachcommaiidant eine neue, diesmal 10 Mann starke Patrouille. Mitten im Walde, wo dichtes Unterholz keine weiten Durchblicke ge stattete, fanden die Lente ihre Kameraden, aber wie! „Herr Serschant, Herr Serschant, iS denn so was meiischenmögli'? Da woaß ma' nimmer, Hamm dees Mensch'» ttma oder Deisel aus der Höll'? Schneid's es nur ab. I' kann ja goar nimmer hinschgn." Der Anblick war auch fürchterlich, gar nicht zu sagen entsetzlich. Die beiden armen Soldaten hingen an Bäumen ansgeknüpft. Statt der Augen standen ihnen aber Holzklötze ans de» Augenhöhlungcn heraus, während die Angen selbst zerquetscht und mit Blut vermischt an den Wangen klebten. Als dje Soldaten diese armen Opfer entsetzlicher Rohheit, eines wirklich bestialischen Fanatismus, abgeschnitten halten, erkannten sie, daß Beide durch Schrotscbiisse von hinten gc- tödtet und dann auf so kannibalische Weise verstümmelt worden waren. Kann man es ihren Kameraden verargen, wenn sie sich in den schroffsten Ausdrücken der Wutb ergingen und schwuren, schonungslos Jeden niedcrzuknallen, der nur im Geringste» verdächtig erschien, mit einer solchen Bande von FranctircnrS z»sainmenzlibäiigen'? „Jetzt laßt aba die Schimpferei geh n. Lcbcndi' mack'n lönne wir die arme Deisel do' nimmer. Wir wollen s' wenigstens ordcnlli' bcgrab'n. Ta ncb'n der Straß' is' grad a still'« Platz'l. Da grab'n wir s' ein." Die Leute folgten der Aufforderung des Sergeanten, legten die beiden Todten neben einander und begannen daS Grab auSznbcbc». Pier Mann standen unterdessen Posten. Fast eine Stunde dauerte die Arbeit, weil die Soldaten keine Schaufel (Schanzzeug gab es damals in Bayern noch nicht; dies trugen eigene Infanterie-Pioniere) bei sich batten und daher nur mit ihren Seitengewehren und den Deckeln der Kochgeschirre graben und die Erde ausbeben konnten. Endlich waren sie fertig. Der Sergeant unter suchte nun die Taschen der Ermordeten, fand aber nichts mehr vor. Beraubt waren sie also auch worden. Ebenso fehlten die Tornister und die Waffen. „Jetzt breckt a paar Ficht'nzwoag ab un' legts ins Grab. An andern Sarg Hamm wir halt int." Es geschah, wie er angcordnet. Nun wurden die Todten darauf gebettet, dann wieder mit Zweigen belegt und nun mit Erde bedeckt. In wenigen Minuten war das Grab geschloffen. „DecklS es no' mit Zwoag zua. I' will aus a paar Steck'»» a Kreiz z'sammnbind'ii." Auch dies war bald geschehen. Hierauf begann wieder der Unterofficier: „So, Kamerad'n, jetzt woll'n wir no' drei Vaterunser für ihre arm' Seel'n bet'n." Er nahm den Helm ab und betete laut vor. Alle Soldaten folgten seinem Beispiel und beteten laut nach. Wenn die ruchlosen Mörder, wenn jene Fanatiker, die das rohe Volk durch ihre Aufrufe zn solchen Greuelthaten anreiztcn, wenn Gambetta und seine Helfershelfer diese Scene gesehen hätten! Zehn einfache bayerische Soldaten, zerlumpt und schmutzig, mit ungeschorenen Bärten, verwildert durch den Krieg, hier mit entblößten Häuptern, gefalteten Händen, zwei von ihnen auf dem Boden kniend, laut daS Vaterunser betend — ob sie dies nicht iliiigcsriinnit Kälte, ob ihnen dies nicht gesagt hätte: diese Deutschen mir ihrer vorzüglichen Führung, ihrer soldatischen Disciplin, ihrer so viel bewiesenen Tapferkeit, ihrer nicht frömmelnden, aber doch gläubigen Denkungsweise besiegt man auch nicht, wenn man eine blinde Volkswuth gegen sie entfesselt und sogar den Meuchelmord gegen sie zu Hilfe nimmt. „Herr, gieb ehane die ewig' Rnahl" „Und das ewige Licht leichte ehane!" „In Ewigkeit — Amen!" Damit bekreuzigten sich der Unterofficier und die Soldaten, die Knienden erhoben sich, Alle setzten die Helme wieder auf, der Gedanke an den Krieg nahm sie von Neuem vollständig ein. Zunächst Patron,llirten sie den Wald nach allen Seiten ab, sanken aber weder eine Spur von den Mördern, noch überhaupt einen Hof oder eine menschliche Wohnung. Nack etwa einer Stunde zogen sie weiter. Jn kurzer Zeit kamen sie an einen Seitenweg. Ein Mann ging einige Schritte hinein. Plötzlich rief er: „Herr Serschant, da kemnia S' her. Da is a Spur." Der UnterosficZr folgte mit der ganzen Patrouille. Der vorausgegangene Soldat Wilbold dielt ihnen eine bäuerische Mütze entgegen. „Dees is die Mütz'n vom Dallmann. Sehg'n S' es. Da is sein Nam' und der Compagnie stempel. Die Hamm s' weggeworf'n, weil s' es nit Hamm brauck'n könne." „Ja so is es. Jetzt vorsichti' vorwärts. Wilbold un' Schauß als Spitz voraus." Wie Indianer schlichen die zehn Mann durch den Wald. In ungefähr 12 Minuten erreichten sie eine Lichtung. Etwa 400 Schritt vor ihnen lag ein Hof. Der Sergeant ließ ausschwärmen. Kaum betrat die Linie das freie Gelände, so sah man einen Bauern dein Hofe zulanfen. Sofort schossen einzelne Leute auf ihn, ohne ihn jedoch zu treffen. Er ver schwand im Hofe. Vorsichtig plänkelten die Bauern weiter. Obne angcschoffen zu werden, kamen sie bis auf lOO Schritt an den Hos heran. Man bemerkte außer einigen Hühnern nichts Lebendes im Innern des großen Bauerngutes. „Wer geht voraus zum Recognosciren?" „I, Herr Serschant." Damit schlich sich der Wilbold von Baum zu Baum vor, während die Anderen »nit schuß bereiteten Gewehren beobachteten. Nun winkte der Soldat. Man drang vor und lief die letzten 50 Schritt »nit Hurrah bis in den Hof hinein. Alles war leer. Im Stall standen jedoch noch 6 Kühe. Während einige Soldaten diese als willkommene Beule beranstrieben, durchsuchten der Sergeant und 4 Mann das Haus; 3 standen nach außen Posten. Plötzlich entdeckte einer u»ter einem Tisch, wie wenn er schnell hinunter geworfen worden wäre, einen bäuerische» Tornister. Er gekörte laut dem im Deckel angebrachten Stempel eben falls dem erinordelen Gemeinen Dallmann. „Die war'»» 's also do'. Aba die Saubande is auSg'riff'n. Wir woll'n ebane do' 'S Wieadakemma versalz'»." Hierauf ließ der Sergeant daS Vieh außerhalb des Hof bereiches treiben, einige Bund Stroh aus der Scheune in die Wohnränme tragen und dann überall anründen. Jn kurzer Heit brannte der ganze Hof lichterloh. Gin in einem großen schrank versteckter Bauer kam elend in den Flammen un». Die Patrouille sah die« nickt mebr. Sie hörte auch sein Schreien nicht, denn sie marschirte mit dem erbeuteten Vieh und den» Tornister des Dallmann zu ibrer Feldwache zurück. Der Bauer war an dem Morde nicht betheiligt gewesen. Den hatten Leute aus dem benachbarten Dorfe vollbracht und ihm nur beim Durchmarsch Len Tornister geschenkt. Als er die Bayern sah, fürchtete er wegen dieses Tornisters Un annehmlichkeiten zu baden, jagte Frau und Kind schnell zur Hintertbür hinaus in den Wald, wollte selbst noch sein Geld holen und wurde durch das Hurrah der Bayern überrascht. Nun versteckte er sich und kam in den Flammen um. Am folgenden Tag erlebte eine Compagnie des 12. Regi ments ebenfalls ein Rencontre »nit FranctirenrS. Die Com pagnie deckte eine Reibe von Lebenömittelwagen, welche der 3. Brigade folgen mußten. Jn dem waldigen Gelände un» le Thieuli» mußte der Conipagniesübrer, Lieutenant Debisch, nach allen Seiten Patrouillen entsende», um sich zu decken. In einein Weiler wurde plötzlich eine solche aus 3 Mann bestehende Patrouille von einigen Bauern mit Jagdgewehren angeschossen, von etwa 15 Bauern mit Mistgabeln um zingelt und erstochen. Es war aber nock zwei Soldaten gelungen, Schüsse abzugeben und zwei Eingeborene zu tödten. Man hatte das Feuern bei der Compagnie gehört. Sofort ließ Lieutenant Debisch einen Zug ausschwärmen und den Hof umzingeln. Das batten die Bauern nicht geahnt. Sie meinten, es nur mit einer einzelnen Patrouille zu tbun zu haben. Sechs von ihnen wollten entfliehen, wurden aber einfach von den Zwölfern niedergeknallt, weil man sie noch mit den Waffen in der Hand antraf. Die klebrigen wurden gefangen genommen und gebunden. Auf einmal tauchte ein Geistlicher in der dort üblichen langen Soutane auf und erklärte, die gefangenen Bauern hätten sich nickt ain Kampfe betheiligt. Dafür gebe er sein Wort. Der Zugführer ließ sich nicht irre machen, sondern befahl, die Burschen zur Compagnie abzuführcn. Daraufhin folgte der Geistliche dem Zuge unter fortwährendem Protest gegen die Vcrgewaltigung unschuldiger Bauern nach. Bei der Compagnie angekommen, stürzte der Caplan sofort auf Len Lieutenant Debisch zu und wollte ibm eine lange Klagerede kalten. DerLsficier bedeutete ihn, noch zn warten, bis der Zugfüdrer seinen Rapport gewacht Hab». Während die« gesckab, gebärdete sich der Geistliche, wie wenn das himmelschreiendste Unrecht geschehen sei. Her Ossicier kümmerte sich jedoch nickt daruin, sondern besaht, den Gesangenen die Taschen zu untersuchen. Als die Soldaten sich dazu an- schicklen, wurde der Caplan plötzlich todtenbleick und mäuschen still. Sein Gesicht nahm eine geradezu erdfahle Farbe an,