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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.06.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950620022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895062002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895062002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1895
-
Monat
1895-06
- Tag 1895-06-20
-
Monat
1895-06
-
Jahr
1895
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Sie prägt der ganzen Feier zur Eröffnung des Nord-Ostsce-Canals, der stolzen Versammlung crzgepanzertcr Kolosse im Kieler Hafen den rechten Charakter aus und ist die würdigste Antwort auf jene Stimmen von jenseits der Vogesen, welche die Feier zum Ausgangspunkte einer Action machen möchten, die mit einer Demüthigung derselben Nation enden soll, die gastlich die übrigen Nationen zur Einweihung eines Friedens- und EulturwerkeS geladen hat. Die Rede lautet: „Mkiii verehrter Bürgermeister! Tief ergriffen bin Ich von den soeben vernommenen Worten; tief ergriffen vor Allem von dem Empfange, den Mir Hamburg soeben bereitet hat, wie Ich des gleichen selten wohl erlebt. Ter Geist, der Mir entgcgenschlug, war kein gemachter, kein gewöhnlicher. Gleich einer Windsbraut schallte Mir der Jubel der Stadt entgegen. Ich weiß wohl, daß Ich Mir nicht anmaßen darf, daß dieser Jubel Meiner Person gegolten; vielmehr erkenne Ich in demselben den Ausfluß des Pulsschlages unseres gesummten deutschen Volkes, welches stolz darauf ist, das geeinte deutsche Reich in seinen Fürsten und hohen Güsten vertreten zu sehe». Empfangen Sie dafür Meinen herzlichsten Dank und seien Sie der Dolmetsch Meines Dankes auch Len Hainburgern gegenüber. Solche Augen blicke, wie wir sie heute erleben, rnsc» in uns die Erinnerung zurück; wir müssen in Tank und Wehmut!) gedenken des großen Kaisers, der dahin gegangen, und seines herrlichen Sohnes, unter denen das Werk, auf das Sie soeben angespielt haben, er standen ist. U»S Allen ist noch gegenwärtig der Jubel bei dem letzten Besuche Meines hochsellgen Herrn Großvaters. Wir ver einige» zwei Meere; aus das Meer lenken sich unsere Gedanken, das Meer, das Sinnbild der Ewigkeit. Meere trennen nicht, Meere verbinden. Die verbindenden Meere werden verbunden durch dieses neue Glied zum Segen und Frieden der Völker. Die erzgcpanzerte Macht, die versammelt ist auf dem Kieler Hasen, soll zu gleicher Zeit ein Sinnbild des Friedens sein, des Zusammenwirkens aller europäischen Culturvölker zur Hochhaltung und Aufrecht- erhaltnng der europäischen Culturmission. Haben wir einen Blick geworfen ans das ewige Meer, so werfen wir einen Blick auf Las Meer der Völker. Aller Völker Herzen richten sich hierher mit fragendem Blicke. Sie erheischen und wünschen den Frieden. Im Frieden nur kann Welthandel sich entwickeln, im Frieden nur kann er gedeihen, und Frieden werden und wollen wir aufrechterh alten. Möge in diesem Frieden auch Hamburgs Handel blühen und gedeihen! Es soll ihm stets der Schutz dcS kaiserlichen Aars folge», wohin er auch seine Bahnen über die Welt ziehen möge. Wir aber Alle erheben unsere Gläser und trinke» auf das Wohl unserer werthen Hansastadt: sie lebe hoch! und nochmals hoch! und zum dritten Male hoch!" Der Telegraph meldet nichts Ueberraschendes, wenn er berichtet, diese Rede habe auf die Bertreter der Nationen wegen ihrer entschiedenen Betonung der Friedenspolitik den tiefsten und erfreulichsten Eindruck gemacht. Denn diese Bertreter — die französischen und russischen nicht aus geschlossen — sind es nicht, die eine Störung wünschen und beabsichtigen. Selbst die demonstrative Betonung der russisch- französischen „Entente" hat bei den Regierenden nicht den Zweck der Vorbereitung auf eine kriegerische Action, sondern ist einerseits eine Ruhmredigkeit, die sich etwas zu Gute darauf thut, dem Dreibunde unter Ausnutzung einer Ungeschicklichkeit seiner Diplomatie eine andere Coalition an die Seite gestellt zu haben, und andererseits eine Con- cession an die unruhigen BolkSelemente. Mil Recht geht der Kaiser auf die Wünsche und das Treiben dieser Elemente ebensowenig ein, wie auf jene Demonstrationen. Er richtet sein Wort an Alle, welche die Segungen des Friedens und seine Bedeutung für die Eultur zu würdigen wissen und deshalb mit fragendem Blicke auf den Berlauf der großen Feier sehen. Er richtet sein Wort vor Allem au die Regierenden, denen er seinerseits die feierliche Bcrsichcrnng ertheilt: „den Frieden werden und wollen wir aufrecht erhalten" in der klaren Erkenntniß, daß die Erhaltung des Friedens gleichbedeutend ist mit der Hochhaltung und Äufrcchterhaltung der europäischen Cultur mission. Diese feierliche Versicherung ist zugleich eine dringende Mahnung an Alle, die cs angebt, weder auf eine Schwäche des deutschen AarS, der alles schützt, was unter seinen Schwingen ruht, zu speculiren, noch mit dem Feuer der Vollöl ei den sch asten zu spielen, damit dieses Feuer nicht vcrsehre, was die Staatenlenker zu erhallen suchen. Diese Mahnung wird um so besser verstanden werden, je weniger sich ableugncn läßt, daß die erwähnten Demonstrationen ein solches Spielen mit dem Feuer bedeuten. Ob die Mahnung auch völlig beherzigt wird, muß freilich einstweilen dahinge stellt bleiben. Indem aber Kaiser Wilhelm sich feierlich loS- sagt von allen Bestrebungen, die mit dem Frieden die europäische Cultur bedrohen könnten, giebt er ein leuchtendes Beispiel, das ganz ohne Eindruck uicht^blciben kann, weder im Oste», noch im Westen. Auf alle Fälle hat also Kaiser Wilhelm mit seiner gestrigen Rede der Sache des Welt friedens und der Weltcultur einen Dienst geleistet, auf den die deutsche Nation stolz sein darf und für den sie zn innigem Danke verpflichtet ist. Dem Hauptorgane der „deutschen" Tocialdemokrntie, dem „Vorwärts", war es begreiflicherweise sehr unbequem, auf die Betbeiliguug des französischen Socialismus an der Anfeuerung der Nevanchegelüste aus Anlaß der Kieler- Feier hingewiesen zu werden. DaS Blatt konnte, selbst verständlich ans Rücksicht auf die Anhänger, nicht wegen der Gegner, in dem anfänglich beobachteten Schweigen nicht weiter verharren. Da die Rede Miller and's unzweideutig ist, so versucht daö Blatt den Redner von den Rockschößcn der französischen Socialdcmokratie abzuschütteln als einen Mann, „der sich noch nicht zur socialistischen Welt anschauung emporzearbeitet hat." Das ließe sich hören, wenn durch Thatsachen der Beweis dafür hätte erbracht werden können, daß die anderen französischen Parteiführer mit Millerand nicht einverstanden seien. Dazu haben diese aber den „Borwärts" nicht in den Stand gesetzt; der Fractionsredner der französischen Socialistenpartei für die „Aufrechthaltung der elsaß-lothringischen Frage in ihrem ganzen Umfange" ist gänzlich unbehelligt geblieben, was einem deutschen Socialdcmokraten, der das Fest halten der NeichSlande proclamiren würde, ganz gewiß nicht in seiner Autobiographie zu verzeichnen gegönnt wäre. Der „BorwärtS" schweift auch alsbald mit der Erklärung ab, ihm erscheine „der Chauvinismus im französischen Ge wände ebenso rückständig, wie in deutschem". Aber daraus, wie die Herren Singer und Liebknecht den französischen Chauvinismus beurtheilen, kommt es gar nicht an. Es bandelt sich um die Frage, ob die deutschen Arbeiter mit der Wahrheit bedient oder getäuscht werden, wenn sie die Versiche rungen hören, diefranzösischenSocialisten seien von denselben anti nationalen Gesinnungen beseelt wie die deutschen Partei führer. Darauf giebt die Rede Millerand's eine deutliche Antwort. Es bleibt dabei, daß daS „internationale" Moment in der socialdcmokratischen Agitation auf einem Löwenvertrag beruht, in dem den Deutschen nicht die Stelle deö Löwen zu gefallen ist, und daß das Selbandersahren der russischen und französischen Kriegsschiffe in Kiel, sowie die Verleihung des Andrcasordens an Herrn Faure Begebenheiten sind, die den französischen Svcialdemvkraten zur Genugthuung gereichen. In Oesterreich ist nun in gewissem Sinne Klarheit ge schaffen. Der Kaiser hat gestern die Demission des Ministeriums Windischgrätz angenommen. Von den bis herigen Ministern verbleiben in dem neuen geschäfts führenden Ministerium nur der LandeSvertheidigungsminister Graf Welserskeimb und der Minister ohne Portefeuille v. Jaworski. Den Vorsitz im Ministerrath und die Leitung des Ministeriums des Innern übernimmt der Statthalter von Niever-Oesterreich Graf Kielmannsegg. Windischgrätz, auf dem man so große Hoffnungen setzte, Bacquehem, der sich bewährt hatte, Falkenhayn, der sich Verdienste um die Landwirthschaft erworben hat, und Plen er, die Stütze und Säule der liberalen Partei, treten vom Schauplatz ab. Interessant ist dabei, daß der Kaiser in einem Handschreiben den bisherigen Minister Falkenhayn seines anerkennenden Dankes „für die mit patriotischer Hingebung dem Könige und dem Staate geleisteten Dienste" versichert, eines Dankes, der bei den anderen Ministern bis jetzt ausgeblieben ist. Das jetzige Ministerium stellt sich als ein reines Geschäfts Ministerium dar, insofern die Sectionschefs die provisorische Leitung der Geschäfte der Ministerien übernehmen. Es setzt sich nunmehr das Ministerium wie folgt zusammen: Graf Kielmannsegg, Ministerpräsident und Leiter des Ministeriums des Innern; Scctionschef Boehm-Bawerka, Finanzminister; Jaworski, galizischer Minister; Scctionschef Wittek, Leiter des Handelsministeriums; Scctionschef Krall, Leiter des Justizministeriums; Welsersheimb, LandeSvertheidigungsminister; Sectionöchef Blumfeld, Leiter des Ackerbauministeriums; Sectionschef Rittner, Leiter des Unterrichtsministeriums. Heute soll, wie uns ein Privattelegramm meldet, die Beeidigung der neuen Minister, am Nachmittag die Borstellung im Abgeordnetenhause erfolgen Das Cabinet Windischgrätz wird nicht mchr im Abgeordnelenhause erscheinen. Als Hauptaufgabe betrachtet daö neue Ministerium die Fertigstellung des Budgets, die es bis Mitte Juli zu er reichen hofft. Dann soll auch die definitive Ernennung der Minister erfolgen. Die liberale Partei begrüßt die Berufung des Grafen Kielmannsegg mit Genugthuung; inwieweit die berechtigt ist, wird die Zukunft lehren. Der jetzige Minister präsident war bisher Statthalter in Niederösterreich. Er vertrat die Regierung viele Jahre im niederöfterreichischen Landtag, wo er anläßlich der von ihm geförverten Erweiterung Wiens durch Einbeziehung der Vororte mit den Antisemiten in heftige Fehde gerieth. Zwischen ihm und dem Antisemiten sichrer Lueger bestand eine erbitterte Feindschaft, die allerdings in letzterer Zeit einigermaßen gemildert wurde, nachdem Lueger Bicebürgermeister von Wien geworden war und in der Anwartschaft auf den Bürgermeisterposten es für ge rathen fand, mit dem Statthalter sich auf besseren Fuß zu stellen. DaS letzte Werk KielmannSegz's war die Auflösung des Wiener GemeinderathcS und die Einsetzung des kaiserlichen Commissars. Kielmannsegg ist ein pflichttreuer und äußerst tüchtiger Verwaltungsbcamter; politisch ist er eigentlich nur im Kampfe gegen die Antisemiten hervor getreten. Er gilt als liberal und stand auch mit der iberalen Partei des niederösterreichischen Landtages immer in den besten Beziehungen. Er dürfte, falls sein Cabinet als lebergangsministerium einem neuen Cabinet weichen sollte» auch diesem neuen angehören. Kilmannsegg ist von Geburt ein Hannoveraner, sein Vater siedelte seinerzeit mit dem letzten König von Hannover nach Oesterreich über, sein Bruder ist Hofmarschall des Herzogs von Cumberland.'. Dcr neue Finanzminister war früher Professor der National ökonomie an der Innsbrucker Universität und gilt als hervorragender Socialpolitiker. Vor einigen Jahren ins Finanzministerium berufen, übernahm er daS Steuer reserat. Er ist Schöpfer der neuen Steuerreform und ist auch schriftstellerisch thätig gewesen. Seine Ernennung zum Finanzminister bekundet den Wunsch der Krone, daß di: Steuerreform zu Stande komme. Sie bedeutet aber auch, daß selbst bei einer späteren Wiederberufunz der Linken zur Theilnahme an der Regierung daS Finanzportefeuille ihr nicht mehr zu Theil wird. Ter spanischen Rente, die in einem unheimlichen Fallen begriffen ist und gestern nur noch 67 notirte, während sie vor einigen Wochen noch über 70 stand, kommen einige Siegesnachrichten aus Cuba recht gelegen. Demnach hat Oberst Bogas am Caminar-Flusse zahlreiche Munition er- beutet. General Navarro schlug den Rebellensührer Jackson Santarosa und brachte ihm ernste Verluste bei, zerstörte das Lager und erbeutete Pferde und Munition. General Navarro halte 3 Verwundete. Michalena schlug 400 Rebellen bei Mozotte, machte 14 Gefangene und erbeutete das Lazareth, Waffen und Munition. Auch ist die Nachhut der Aufständischen unter Maximo Gomez zweimal vom General Serrano geschlagen worden. Diese Nachrichten waren so nöthig, daß man fast einige Zweifel in sie setzen könnte. Der spanische und cubanis'che Staatsschatz ist ausgepumpt bis auf die letzte Peseta, der Credit gesunken, vielleicht ist er, wenn heute eine spanische Anleihe im Anstande aufgelegt werden sollte, gar nicht vor handen. Da können denn schon einige Siege Wnndep 'chun. umsomehr, wenn man, wie auch wir mitgetheilt haben, versichert, daß die Separatisten dem Rebellenfühcer Gomez das „Ungerechtfertigte" seines Thuns zu Gemülhe geführt und ihm gerathen haben, den Kampf einzustellen. Man wird abwayten muffen, wie sich Gomez zu diesen Rathschlägen seiner falschen Freunde verhält. Ebenso gefährlich wie der Auf. stand ist den Spaniern das Verhalten der Vereinigten Staaten. Denn welch eine eigenthümliche Haltung dieVcreinigten Äaaten trotz aller Versprechungen, völlig neutral zu bleiben, ein nehmen,davon legen die letzten Nachrichten wiederumZeugnißab. Die Behörden drücken einfach beide Augen zu. Das geht so weit, daß in den Südstaaten separatistische Agenten von einem Ort zum andern ziehen, ganz offen Geld und Waffen ver- theilcn und Rekruten anwerben. Die Beschwerden des spanischen Gesandten sind offenbar erfolglos. Der Mittel- punct dieser Treiberei scheint jetzt nach Philadelphia verlegt zu sein, und ihr eifrigster Schürer ist der „General" Quesada. Die Sitten Afrikas haben etwas unheimlich Ver derbendes für den Europäer. Angehörige aller Völker verfallen ihrem unheilvollen Einflüsse, und keine gesittete Nation bat das Recht, sich der eigenen Tugend zu rühmen und auf die Laster der anderen hinzuweiseo. Der Reihe nach ist gegen alle Verwaltungen der afrikanischen Besitzungen europäischer Staaten die schwere Anklage erhoben worden, daß sie den Sclavenhandel dulden, viel leicht begünstigen, ja sogar sich selbst an ihm betheiligten. Feuilleton. Haus Hardenberg. 12j Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Zwischen den beiden so verschiedenen Frauen hatte sich ein recht herzliches Berhättuiß berauögebildet, und Martha Wiuterfeld war jedenfalls die einzige unter den Verwandten, welche der schönen Fremden Wohlwollen entgegcnbrachte und deren Vorzüge neidlos bewunderte, während BaleSka ihrer seits bald Vertrauen zu der bescheidenen und verständigen Matrone faßte. Endlich war auch diese „große Revue" beendet, und nun sollten neue Bücher verfaßt werden, weil die alten sich als unrichtig herausgestellt hatten. Valeska machte sich an die Arbeit, erklärte aber schon nach einer Stunde, daß sie es nie fertig bringen werde, sich dieser Aufgabe mit Ehren zu entledigen. Lächelnd zeigte sie Hardenberg die Tintenflecke an ihren rosigen Fingernägeln und die verschriebenen Zahlen und krummen Linien, und da Herr Helmreich sich eben bei seinem Chef befand, erbot sich dieser galant, in seinen Mußeständeu die kleine Arbeit für den Haushalt zu über nehmen. ein Anerbieten, welches Balcska sofort dankbar annahm. Später bereute sie eö fast, denn der erste Buchhalter hatte dadurch die erwünschte Gelegenheit erlangt, mit der jungen Frau seines Chefs in persönliche Berührung zu gelangen. Unter dem Vorwände, neue HauShaltungsbücher eiu- zuführen und Valeska beim Rechnungsabschluß, der alle Monate gemacht werden mußte, behilflich zu sein, stellte er sich öfter zur Besuchszeit in ihren Privatgcmächern ein und seine feurigen Blicke und süßliche» Aufmerksamkeiten waren ihr bald so zuwider, daß sie beschloß, Helmrcich entweder abweisen zu lassen, oder ihn durch ein kälteres und schrofferes Benehmen merken zu lassen, daß sie nicht gewillt sei, seine poetischen Huldigungen zu dulde». Hätte Valeska geahnt, wie argwöhnisch Renate ihr Thun und Treiben überwachte und welch eifersüchtiger Groll durch Helmreich'S Annäherung in dem Herzen der Stieftochter erregt ward, sie würde sich wohl gehütet haben, überhaupt Anlaß dazu zu geben. XII. Der Herbst war gekommen und in dem Gärtchen der kleinen Scheitniger Villa, die seit Menschcngedenken im Besitz der Hardenbergs sich befunden, blühten schon weiße und rothe Astern. BaleSka liebte das unscheinbare alte Häuschen, das nur ein paar Stuben und Kammern'in sich barg, weil es das stete Ziel ihrer Ausritte war und wenigstens einigermaßen romantisch, dicht bei dem schönen Scheitniger Parke gelegen war, dcr vor der Ostseite der Stadt und ungefähr drei Kilometer von derselben entfernt lag. Das Gärtchen mit seiner dichten Jasminlaube, die niederen Zimmer mit ihren Rococomöbeln, venetianischen Spiegeln und alten Bildern gefielen der jungen Frau so gut, daß sie nicht oft genug nach der Scheitniger Villa — wie daö Gartenhäuschen pomphaft von der Dienerschaft ge nannt ward — kommen konnte, eine Laune, die Hardenberg belächelte. Fanchon, ValeSka's unbestrittenes Eigenthum, war wohl behalten in Breslau angelangt, und die junge Herrin über wachte ängstlich die Pflege ihres schönen Reitpferdes. Leider kam sie nicht so oft dazu, Fanchon zu reiten, als sie wohl gewünscht hätte. Der Gatte batte so selten Zeit und meist wurde es zu spät, und er ließ dann heraussagen: Valeska möge lieber eine Ausfahrt mit ihren Töchtern machen, nach Kteinburg oder Scheitnig, um frische Luft zu schöpfen. In letzter Zeit war daS freilich anders geworden. Ein Rittmeister von Strehlen von den Dragonern war nach Breölau in das dort garnisonirende Kürassier-Regiment ver setzt worden. Strehlen war verheirathet und die muntere kleine Frau war eine Jugendfreundin Baleska'S. Frau Klementine v. Strehlen, die in BreSlau sonst gar keine näheren Freunde besaß und erst begonnen hatte, ihre Besuche bei den Frauen der Regimentskameraden des Gatten zu machen, war hocherfreut, ihre Freundin BaleSka in so vor- theilhaften Verhältnissen wiederzusinden, wenn sie auch scharfen Blickes erkannte, daß die Rosen hier gar viele Dornen trügen. Aber wo sind diese nicht? Man besuchte sich häufig und Hardenberg hatte keinen Grund, seiner kleinen Aristokratin, wie er BaleSka scherzhaft nannte, diesen ihr zusagenden Umgang zu untersagen, obwohl die Sache nicht ganz nach seinem Geschmack war. Da Frau v. Strehlen eine passionirte Reiterin war, so konnte Valeska jetzt, so oft es ihr beliebte, mit Fanchon paradiren, ohne auf den Gatten warten zu müssen. Es wäbrte freilich nicht lange, da sagte Tante Rosamunde zu ihrem Neffen bei einem seiner sonntäglichen Besuche: „Hör' mal, Wolfgang, verbiete doch Deiner Frau das ewige Ausreiten. Alle Welt moquirt sich ja darüber, und schließlich denken die Breslauer, daß Du eine Kunstreiterin geheirathet hast." „Die Leute würden besser thun", meinte Hardenberg geärgert, „wenn sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten. ValeSka befindet sich in anständiger Gesellschaft, die ihrem Geschmack und ihren Neigungen zusagt, und ich sehe nicht ein, warum ich einigen alten Klatschbasen zu Liebe ihr ein Vergnügen versagen sollte, an daS sie von Jugend an gewöhnt war." Das alte Fräulein lachte spöttisch. „Ei, ich glaube nicht, daß die Gouvernante von Samuel Golbstücker L Compagnie gewöhnt gewesen, täglich im Thier garten spazieren zu reiten." Hardenberg zuckte die Achseln, aber der Hieb saß doch. Als er heim kam, ersuchte er Valeska, bei ihren Ausritten mit den Strehlens zu vermeiden, durch die Straßen der Stadt zu reiten, sondern sich zu Wagen nach dem Scheitniger Hause zu begeben und erst draußen Fanchon zu besteigen. Er sagte ihr nicht, wer sich über ihre Spazierritte auf gehalten habe, aber sie errieth die trübe Quelle nur zu wohl, aus der dies Geklatsch entsprungen war, und rief entrüstet: „Welche Kleinstädterei!" „Du vergißt immer, daß wir nicht in der Residenz, sondern nur in einer Provinzialhauptstadt leben." „Ach nein, daS vergesse ich nicht, und wenn ich eS wollte, würde ich nur zu oft daran gemahnt werden", cntgegnete die junge Frau gereizt und beschloß im ersten Aerger, nun gar nicht mehr auSzureiten. Doch Klementine, der sie ihr Leid klagte, lachte sie ge hörig aus und bewies ihr bald, daß eS kindisch wäre, sich den Spaß verderben zu kaffen und Leuten das Vergnügen zu machen, ihren Zweck erreicht zu haben. Fanchon wurde nach Scheitnig geschickt, wo der alte Hermanns, ein früherer Kutscher, der dort den Hausmeister machte, redlich für sie sorgte, und Valeska fuhr im ReiMeid und Hut hinaus, um von dort aus oft weite Ritte mit den Strehlens zu unternehmen. ' ::: Das Gartenhaus war ihr durch die häufigen Besuche erst recht lieb und vertraut geworden und sie erschrak förmlich, als sie vernahm, daß Hardenberg die Absicht hege, eS Renate zu ihrem sechzehnten Geburtstage zu schenken. Renate theilte nämlich die Vorliebe ihrer Stiefmutter für die Sckeitnigcr Villa und hatte diese sogar oft hinaus begleitet, obwohl sie sonst deren Gesellschaft nicht gerade suchte. Nun war Frau Aurelie mit der Mission betraut worden, den Papa dem Wunsche des Töchterchens günstig zu stimmen, und sie bot auch ihre ganze Beredtsamkeit auf, dies zu thun, wobei sie Hardenberg vorstcllte, daß gerade jetzt, wo dir Töchter den Schmerz erfahren hätten, eine Fremde an dem Platze ihrer theueren verstorbenen Mutter zu sehen, er ihnen recht auffällig beweisen müsse, daß sie, die armen Waisen, seinem Herzen noch nahe ständen. Eine so bedeutende Schenkung sei daS rechte Mittel dazu. Wer weiß, ob Aurelie Winterfeld gesiegt hätte, wenn nicht Hardenberg selbst es gewünscht, daß die Scheitniger Villa von BaleSka minder häufig besucht werben würde. Letztere ließ sich dann voranSsehen, denn daS Verhältniß zwischen Stieftochter und Stiefmutter war leider nicht so herzlich, um cs BaleSka wünschenswert!) zu machen, der Gast des jungen Mädchens zu sein. Erst am Vorabend des GeburtssestcS erfuhr BaleSka von der bereits fest beschlossenen Sache. Sie machte nicht viel« Worte darüber, denn sie verschmähte es, zu zeigen, daß sie sich gekränkt und znrückgesetzt fühlte. Als aber am nächsten Tage — es war am 25. September — die Schentungöurkunde in einer eleganten Mappe auf dem Geburtstagstische lag und die sonst so stille und gemessen« Renate darob in lauten Jubel ausbrach, da gab eS ihr eine» Stich ins Herz und sie fühlte sich wieder als Fremde im Hause des Mannes, dcr sie doch aus Liebe gewählt und dem sie sich in Liebe zugcneigt. Man hatte ganz in Familie gespeist, daS heißt, nur di« WinterseldS waren geladen worben, und jetzt war man gerade dabei, in Hardenberg's Rauchzimmer den Kaffee zu nehmen, als Friedrich eintrat, zwei Visitenkarten auf der silbernen Platte tragend, „für die gnädige Frau und Herrn Hardenberg." BaleSka überflog die Blättchen mit einem Blick und ihre Züge heiterten sich auf.
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