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Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis Tabellarischer und Zissernjay nach höherem Tarif. <Stztra»Brtlagcn (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung ./k M.-, mit PvstbrsörLeruug »l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: (nur Wochentag-) Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die HDedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^ 203. Mittwoch den 21. April 1895. 8S. Jahrgang Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. April. „Der 8. Allgemeine Deutsche Handwcrkertag bat nicht die mindeste Veranlassung von den auf den bisherigen Handwerker und Innungstagen gefaßten Beschlüssen Abstand zu nehmen." So leitet der Hallische Handwerkertag seine Resolution ein, in der die Forderung der obligatorischen Innung die erste Stelle einnimmt. Die Fassung will offenbar alS Antwort auf den Rath des Fürsten Bismarck, von der Forderung der Zwangsinnung, die „wir heutzutage nickt mehr in die Wirklichkeit bringen können", abzustehen, aufgesaßt sein. Diese Versammlung hat dadurch wenigstens den Vorzugder Ehrlichkeit vor dem Organ des Bundes der Landwirt!)« voraus, das wenige Wochen vor der Ansprache Bismarck s an die Hand werker die Zwangsinnung für nnentbebrlick, nach der Friedrichsruhfabrt sie für undurchführbar erklärte und jetzt diesen letzteren Ausspruch wieder einzuschränken beginnt. Be dauerlich aber bleibt es, daß der Handwerkcrlag es ver mieden hat, die Ansicht des Fürsten Bismarck zu widerlegen, denn dieser hat die Einführung der obligatorischen Innung nicht etwa nicht wünschenswerth oder schädlich, er hat sie unmöglich genannt, und daS ist ein Urtbeil, dem nicht eine Meinung über künftige Dinge, wie die Wirkungen der Zwangsinnung, sondern die Betrachtungen deS gegenwärtigen Zustandes zu Gvunde liegt. Der Handwerkertag hätte doch den Nachweis der Möglichkeit ver suchen müssen, zumal da dieser Nachweis auf der von der Regie rung vor einigen Jahren berufenen Cvnseren; den Freunden der Zwangsinnung nicht gelungen ist, die österreichische Erfahrung auch ihnen nicht ausreichend erscheinen kann» da dort die Zwangsgenossenschaft das Handwerk in keine bessere Lage gebracht bat, als es sich in Deutschland oder irgend einem anderen Lande befindet, und die Führer des Handwerkerbundes dem kleinen Gewerbe doch helfen und nicht nur eine Liebhaberei durchsetzen wollen. Der diesjährige Beschluß über die Innung und der Be fähigungsnachweis unterscheidet sich übrigens von den Beschlüssen früherer Jahre dadurch, daß auch die Hand werkerkammer gefordert wirb, also eine Einrichtung, welche die verbündeten Regierungen in Aussicht genommen haben. Dadurch tritt der Handwerkertag doch immerhin in diesen Fragen mit einem Fuße auf den Boden des Erreich- ''aren. Für den Sommer ist bekanntlich auch eine Enquete über die Verhältnisse des Handwerks in Aussicht genommen und danach beabsichtigt die Regierung, allerdings zunächst nur die preußische, einen vollständigen Organisationsentwurf (mit dem vom Freiherrn von Berlepsch vor einiger Zeit angekündigten Unterbau) auszuarbeiten. Ob es richtig ist^ was die „Deutsche Tageszeitung" sagt, daß näm lich die Handwerkerkammern nur eine „vorläufige Organi sation" sein sollen, vermögen wir nicht zu controliren. Wahrscheinlich ist da- Vorwalten einer solchen Absicht gerade nicht. Vermuthlich ist das Vorgehen so gedacht, daß es die erste wichtige Aufgabe der Kammern sein wird, die Regierungsvvr- schläge für den Unterbau zu begutachten. Für die Annahme aber, baß sie dann zu functioniren aufhören sollen, haben die Erklärungen des preußischen HaiidelSniinisters keinen Anhalt ge geben. Jedenfalls darf man sich der Erwartung hingeben, daß die Kammern, auch wo sie in ihrer Mehrheit aus „Zünftlern" bestehen sollten, die Vorschläge für die weitere Organisation wchlich und nicht an der Hand der Parole „Alles oder Nichts" prüfen werden. Hat doch selbst ein hervorragender Centrumsmann, der Weihbischof I)r. Schmitz, auf einer Ver sammlung in Esten seine Ueberzengung dahin ausgesprochen, daß die Zwangsinnungen in ferne Zukunft gerückt seien und daß es rathsam sei, das zu nehmen, was im Augenblicke zu erreichen wäre. Der letzte Handwerkertag bedeutet auch insofern einen Fortschritt' gegen den Berliner von 1802, als in Halle der Vorsitzende Biebl-Münckcn die Anhänger der Zwangsinnung und des Befähigungsnackweises gegen den Vorwurf verwahrt hat, sie legten zu wenig Werth ans die Selbsthilfe. Auf der erwähnten Berliner Versammlung batte sich derselbe Herr recht geringschätzig über die Selbsthilfe ausgesprochen. Andere namhafte Führer der ZwangsinuungSbewegung waren ihm, ohne auS den Kreisen der Handwerker selbst Widerspruch zu erfahren, darin gefolgt und batten auch die Eröffnung von Reichs da nkcredit für das Handwerk zurückgewiesen. In Halle ist die Forderung nach Eredit bei der Reichsbank beschlossen worden. Von den sonstigen Puncten der an genommenen Resolution ist die „Beseitigung der Con- sumvereine" als ein Verlangen hervorzuheben, durch das sich die Handwerkerbewegung ganz unnütz Gegner in Kreisen schafft, die sonst Grund haben, ihr wohl zu wollen, namentlich auch in der Handwerkerschaft. Da aber der „Be seitigung" die Worte folgen: „insbesondere der Officiers- und Beaniten-Consun,vereine und -Waarenbäuser", so darf man wohl annehmen, daß die Forderung nicht so allgemein gemeint ist, wie sie ausgesprochen wird. Ein einschränkendes Wort bei dem Punct „Verbot des Detailreisens bei Privaten" wäre gleichfalls von Nutzen gewesen in einer Zeit, wo man durch ein solches Verbot die Buchindnstrie und ihre zum Theil handwerksmäßig betriebenen Hilfsgewerbe bedroht. Zukunftsmusik, aber solche, die früher oder später nickt mehr zu übertönen sein wird, ist die Forderung, daS Filial- geschäftswesen oder, wie die Hallische Resolution für einen großen Theil der Geschäfte dieser Art zutreffend sich ausdrückt, das Filialgeschäfts-Unwesen zu beschneiden. In Sachen der Umsturzvorlage bemerkt die „ Germania" zu der Erklärung des „ReichSanz.", es sei nicht klar, wie viel darnach an der CommissionSfassung geändert werden müßte, und erst recht nicht, was? „Unerheblich aber scheint es nickt zu sein. Hoffentlich verfallen aber die verbün deten Regierungen wenigstens nicht in den Irrthum, auf dem Gebiete von Religion, Sitte und Ordnung zugleich die Christen wie die Liberalen befriedigen zu können." Zu den Christen rechnet also die „Germania" augenscheinlich weder den Evangelischen Bund, noch alle die zahlreichen Vertreter der Wissenschaft, die in der vom Crntrum zum Schutze von Religion, Sitte und Ordnung gemischten Medici» das Gegentheil eines Heilmittels erblicken. Das ist ja über haupt, bei Lichte betrachtet, der Hauptzweck der Centrums- anträgr, nicht nur eine „reinliche Scheidung" zwischen Christen und Nichlchristen im Sinne des Ultraiiiontanismns zu bewirken, sondern auch über den Häuptern der „Nicht- ckristen" an seidenem Faden ein scharfes Schwert aufzubängcn. Cs scheint indessen, als ob das Cenlrum es doch nicht wagen werde, den ganzen Entwurf abzulehnen, wenn die klerikalen Zusätze und Abänderungen verworfen werden. Läßt fick doch die „Köln. Volksztg." melden, es lasse sich schon heute mit Sicher heit Voraussagen, daß der m ili tairische Theil der Vorlage vom Reichstage mit erheblicher Mehrheit werde angenommen werden, da das von der Militairverwaltung vorgelegte ver trauliche Material den Ausschuß von der Nothwendigkeit einer Verschärfung der betreffenden Strafbestimmungen über zeugt habe. In ähnlicher Weise äußert sich auch vie freiconservative „Post". Es fragt sich nur, ob die ver bündeten Regierungen mit der Annahme des militairischen Theiles der Vorlage sich begnügen. Auf alle Fälle wird die zweite Lesung des Gesetzentwurfs im Plenum des Reichstags eine ganze Anzahl von Sitzungen in Anspruch nehmen. nuiia seiner Grenzen ins Auge fassen und to dem Besitz der Philippinen Verlange» tragen wer - Ministe! macken (wie aus Madrid ^meldct w.rd m. Hnvatg^ svräck kein Hehl daraus, daß etwas geschehen niuste. ui Archipel in VertheidigungszEand Zu fftz^Tor einigen -ag- brachte der Abg. General Ochando die sacke "" ^ngreg s Sprache und verlangte Vermehrung der dortigen , Lande und zu Wasser. Ter Kricgsinmister erwiderte, daß man die Entwickelung derDinge mit der größten Ausnierksamkeit verfolg. InderThat'istGeiieralBlancozurBlldungnetierRegimenterau Eingeborenen ermächtigt worden und die Entsendung einesLa- taillonsMarine-Infanteriesteht bevor Außer den schone bürg direct nach Manila gosandten Mans-rgew-^ weitere Anzahl von hier auS abgehen. Ferner ist die .lliencung einer Anzahl schwerer Geschütze für die ve^'^n^ in Aussickt genommen. Ebenso durften bereits in »achster Zeit einige Kriegsschiffe — der Liberal nennt d,e neiien Kreuzer .ViSoaya" und „Oquendo" — für die ostasiatische Station be- slimnit werden. Einige dieser Maßregeln 'nögen chon rnber mit Rücksicht auf den Feldzug in Mmdanao beschlossen ge wesen sein; jedenfalls werken sie ,etzt »nt chinesischen Frievensvertrag, in welchem die ^el Fornicsa an Japan abgetreten ist, in Zusammenhang gebracht. Ter Minister deS Äeußern hatte, Wie die Madrider Blatter melden, längere Besprechungen mit den Botschaftern England-, Frank reichs und Italiens über die neue Lage in Ostasten. Cs ist nicht unwahrscheinlich, daß Spanien sich einem Borget)«,, das darauf abzielt, den Colonialbesitz der europäischen Staaten in Ostasien sicher zu stellen, anschließen würde. Tie '..cadrider Presse hebt die Vortheile, welche die Bundesgeuoflenschast Spaniens bieten würde, nach Möglichkeit hervor. Bei der Beurtheilung der in Astasie,» neugeschaffenen Verhältnisse, speciell der handelspolitischen, faßt die englische Presse lediglich die englischen Vortheile ins Auge, wobei sich eine ziemlich kurzsichtige Betrachtungsweise geltend macht. Die „Saturday Review" glaubt, daß der Frievensvertrag von Sbimonoseki dem englischen Handel und der englischen In dustrie einen neuen Aufschwung verleihen werde. „Auch Silber wird China nöthig haben", heißt es dann, „um die Kriegsentschädigung zu bezahlen. Dadurch wird das Silber im Werthe steigen und Las indische Budget vielleicht ins Gleich- gewicht gerathen. Jedenfalls wird sich einstweilen die Nachträge »ach britischen Maaren in Ostasien steigern. Allerdings müssen sich die Engländer aus starke Concurrenz seitens der Japaner auf dem chinesischen Markte gefaßt machen. Die Japaner scheinen in jeder Beziehung außerordentlich veranlagt zu sein. Im letzten Vierteljahrhundert habe» sie die europäische Kunst ebenso sehr beeinflußt, wie wir ihr Kriegswesen. In dem Kampfe mit China haben sie uns noch mehr durch ihr Organisations« und Berwaltuiigstalent, durch ihre Strategie und ihr Finanzgrnie in Staunen gesetzt, als durch ihren Muth und ihre Ausdauer. Das Fiilaiizaenie der Japaner scheint bisher der Aufmerksamkeit der europäischen Journalisten entgangen zu sein. Und doch ist es bewundernswürdig. Japan hat den Krieg ohne die Hilfe des Auslandes beendigt. Es hat jede Rechnung aus eigener Tasche bezahlt, und seine Hilfsquellen, anstatt erschöpft, scheinen nicht einmal stark in Anspruch genommen worden zu sein. Niemand kann sagen, zu welcher Höhe Japan in den nächsten Vierzig Jahren gelangen wird. Jetzt ist es schon die größte Macht in Ostasien." Die sich vielleicht zunächst für England ergebenden Bortheile sollen also ausschließlich eine Rolle spielen. Ol) andere berechtigte Interessen dadurch geschädigt werden, oder I ob in einer nicht zu fernen Zukunft auch England selbst in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, wird nicht erörtert, ein gewisses Bangen vor einer Coneurrenz Japan-, die auch dem englischen Handel einmal sehr gefährlich werden kann, pricht aber doch unverkennbar aus dem Selbsttäuschungs versuch der „Saturday Review". Wenn amtlich der Ausbruch der (sholera in Mekka ge meldet wirb, so heißt Vas, daß ganz Arabien der Seuche -ereits verfallen ist. Für Europa erwächst aus dieser Sack- age die driiigenve Pflicht, ohne Säumen seine sanitäre Rüstung in Stand zu setzen. Die aus allen Ecken und Enden der niohamedanischen Welt nach den heiligen Stätten L)eme»S zlisainiileiiströinendeii Pilger, soweit sie nicht während ihres Aufenthalts an Ort und Stelle der Seuche zum Opfer allen, schleppen den Keim der Ansteckung mit sich fort, und man kann sich nur immer darauf gefaßt machen, daß zahl reiche Cholerafälle bei vorrückender Jahreszeit längs der nach und von Südarabien führenden Wallfahrtstraßen aus- kecken und, wo sie günstige Entwickelungsbedingungen vor- inden, einen epidemische» Charakter annehinen werden. Leider wird nun aber das Choleragebiet von einer der meist- iefahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt, dem Seewege von Europa nach Indien und Australasien, durchschnitten, und damit wird der Möglichkeit Thür und Thor geöffnet, daß auch nach Europa Cholerakeime sich verirren und eventuell sich zu Epidemien auswachsen. Indessen haben die zur Eindämmung und Unschädlichmachung der Gefahr vereinbarten internationalen Reglements sich in der Praxis schon hinreichend bewährt, daß man vertrauen darf, sie werden bei sachgemäßer und vor allen Dingen bei rechtzeitiger Inkraftsetzung auch dieses Mal den auf sie gesetzten Erwartungen entsprechen. Ein Ort, der diesmal Ursache hätte, sich doppelt und dreifach vor- zusehen, istLondvn, dessen WasserleitungScalamität während des verflossenen Winters Uikzuträglichkeitcn weitestgehender Art nach sich gezogen und starke Verunreinigung des Bodens, sowie deS GrUndwafferS in zahlreichen Stadtvierteln zu Folge gehabt hat. Schon vor Monaten wurde von medicinischen Fachzeitschriften dieser Uebelstand im Hinblick auf eine mög liche Choleraheimsuchung als ein sehr ernster bezeichnet und dringend eine gründliche Desinficirung der verunreinigten Quartiere gefordert. Die Cholera steht nun wirklich an den Thoren der Levante, von einer sanitären Action der Londoner Behörden aber ist noch nichts in der Oeffentlichkeit ver lautbart. Deutsches Reich. * Berlin, 2.1. April. Das ofsicielle Partei-Organ der C ons erva t iv e n hat bekanntlich dieser Tage die „cleri- calislrte Umsturz-Vorlage", an deren Zustandekommen die Conservativen in der Commission dem Centruin so freundlich geholfen hatten, ausgegeben und erklärt, daß es der Vorlage, wenn sie in Folge dessen zu Fall kommen sollte, keine Thräne nachweinen würde. Ueber diesen Abfall sind die Centrumsorgane natürlich recht böse; eine Berliner Centrumscvrrespvndenz macht diesem Unmuth in folgender Weise Luft: „Wenn bei den Conservativen der Muth in der Brust seine Spannkraft übt, so weiß man, daß sie die Regierung hinter sich haben oder ru haben glauben. Ist nicht alle Welt erstaunt gewesen über die Erklärung der „Cons. Corr", daß die Conservativen die Umsturzvorlage, wie sie ,n der Commission geworden ist, ab lehnen wollen? Was ist denn in die Conservativen gefahren? mag sich da Mancher gedacht haben — sollte es Herrn E. Richter gelungen sein, ihnen den demokratischen Oppositions- Bacillus einzuimpfen? Nur keine Sorge; die Conservativen FeitiHetsir. Vas Geheimniß von Szambo. 1) Novelle von B. MilLr Gersdorff. Nachdruck verboten- In Sachen der Frau Elsa Schulze contra Fräulein Lju — Ljubitza — der Teufel wird aus diesen verdammten Polacken- namen klug! brummte eS dazwischen — Ljubitza von Ra— do—va—no—vits. Endlich war der zungenbrecherische, übrigens nicht der ge schmähten Nationalität angebörige Name über die Lippen des erregten Gerichtsdieners gestolpert unv verhallte in dem langen, von Menschen erfüllten Corridor. Vor der soeben geöffneten Thür des Gerichtssaals standen vier Frauen, die beim Auf rufen der Parteien tuschelnd die Köpfe zusammensteckten, sich gegenseitig mit den Ellbogen anstießen und in ein bedeutungs volles Kichern ausbrachen, als kurzen, festen Schrittes eine jener weiblichen Erscheinungen hereintrat, denen eS nun einmal bestimmt ist, nicht unbeachtet durchs Leben zu gehen. Was war es eigentlich, daS Aller Blicke auf sie zog? Vielleicht in erster Linie der fremdartige Reiz ihres ganzen Wesens, diese dunkeln, in südlicher Gluth lodernden Augen, der inattbraune Teint, die feingesormte Nase mit den leicht be weglichen Flügeln, die blau-schwarze, kaum zu bändigende, krause Haarsülle und die sinnlich aufgeworfenen Lippen — kurz, ein TypuS, wie ihn die Maler so gern in orientalische Pracht kleiden und als träumerische, sehnsüchtig in die Ferne blickende Odaliske aus die Leinwand werfen. In ungezwungener Haltung, frei erhobenen Kopfe-, wie die Verkörperung deS guten Gewissens, ging sie durch die Reihen der blöde Gaffenden, während da« leise Knistern ihres schwarzen Seidenkleides und ein lieblicher Veilchengeruch sie begleiteten. Endlich war die Thür des GerichtSsaals, die der Diener mit seinem breiten Rücken fast auSsüllte, glücklich erreicht, als sich eine große und dicke Frau vorzudrängen suchte, indem sie chr mit keifender Stimme entgegenschleuderte: Bitte, hier komme ich zuerst! Die junae Dame prallte unwillkürlich vor der Berührung mit diesem Weibe zurück und machte Miene, ihm den Vortritt zu lassen. DaS widerstrebte aber dem Gerechtigkeitsgefühl de- GerichtSdienerS; er legte seinen Arm wie einen Ouerbaum I vor den Eingang und sagte mit größter Gemüthsruhe: Nee I Madamken — is «ich! Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. I Dabei hielt er den Arm so lange ausgestreckl, bis Fräulein von Radovanovits die Schwelle des Gerichtszimmers über schritten hatte. Frau Elsa'S Aerger drohte die hochgewölbte Brust zu sprengen, ihre Wangen glichen dem kirschrothen Sammet, der in Form einer Capote auf dem welligen, graumelirten Scheitel saß, und als zum Uebermaß ein forschender Blick aus die schadenfrohen Gesichter der zurückbleibenden Frauen ihr zeigte, daß die kleine Niederlage nicht unbemerkt geblieben, kannte ihr Verdruß keine Grenzen. Sie war eben im Begriff, sich zu einer bedenklichen Aeußerung Hinreißen zu lassen, als glück licherweise der Gerichtsdiener sie barsch anfuhr: „Nu, auf was warten Sie denn noch?" und die erregte Frau ziemlich unsanft in deck Gerichtssaal hineinschob. Die Thür schloß sich, und Elsa Schulze's Freundinnen, denen der Eintritt zu ihrem Leidwesen verwehrt worden war, setzten sich erwartungsvoll auf eine der langen Corridorbänke. Amtsrichter Hagen blätterte müde und abgespannt in den vor ihm liegenden Acten. Es war ein heißer Tag für ihn; er hatte bereit- eine Menge Parteien abgefertiat und dieser — wie aus den Papieren ersichtlich — alberne Weiberklatsch sollte den Schluß bilden. Unterrichtet, daß „Alle« so weit sei", hob er den Blick und ließ seine großen, ausdrucksvollen Augen die gewohnte Runde im Saal machen, bis sie plötzlich staunend und wie gebannt auf Ljubitza von RadovanovilS haften blieben, die ihrerseits von deS Richters geistvollen Zügen sympathisch berührt wurde. Eine wohllautend tiefe Stimme schlug an das Ohr der Angeklagten, die sie aufforderte, sich gegen die von Frau Elsa Schulze Wider sie erhobenen Beschuldigungen zu vertheidigen. Ljubitza'S matter Teint belebte sich, als sie ausstand, und ihre vollen rothen Lippen, nach den ersten Worten suchend, zitterten merklich. Unter kurzem Aufleuchten der dunkeln Augen stammelte sic verlegen: „Ich begreife diese ganze An klage einfach nicht." Die Klägerin saß wie eine aufgeblähte Truthenne da, und sich an ihrem Opfer weidend, dachte sie triumphirend: Der Hab ich eS eingetränkt! Der Richter lächelte ungläubig über Ljubitza'S Erwiderung und entgegnet« ihr: „Nun, Sie müssen doch einen Grund gehabt haben, an den Zeugen Herrn Doctor O-wald Reineckt jene die Klägerin betreffenden Warnungen zu richten?" uiigrvucvig Ipruci) oic rrngcnagce die Frau gar nicht." „Na nu? Das ist doch stark", meinte Frau Elsa, „w wir seit zwei Jahren in demselben Haus wohnen." Den Einwurf überhörend, fuhr Ljubitza fort: „Wenigsten habe ich sie niemals mit Bewußtsein gesehen." Frau Schulze lachte laut aus und platzte heraus: „M Bewußtsein, is jut, die kann so bleiben!" — wofür ihr voi Richter ein strafender Blick zu Theil wurde, der sie veranlaßt hinter einem künstlichen Hustenanfall ihre Verlegenheit z verbergen. „Fräulein von Radovanovits". wendete sich der Amti richter wieder an Ljubitza, „erzählen Sie doch die. Voi gänge, die zu der Anklage gegen Sie führten!" „Das ist mir unmöglich, denn ich besinne mich auf nicht was ich damit in Beriehuna bringen könnte." „Gut. Kennen Sie diesen Herrn?" Dabei wies di Richter auf einen jungen Manti, besten von Narben arg mi genommenes Gesicht auf ven ersten Blick den ehemalige Studenten erkennen ließ. Doctor Oswald Reineckt machte Ljubitza eine komisch-ernsl Verbeugung, während die Gefragte, nachdem sie ihn flüchti angesehen, wieder dem Nichtertisch zugekehrt, zur Antwo, gab: „Ja, ich besinne mich, diesen Herrn einmal gesproche zu haben, sein Name jedoch war mir bisher unbekann wie ich auch sollst keine weiteren Aufschlüsse über ihn gebe konnte." ° werden Sie sich wohl auch besinne», wie Sie i Ohrer Eigenschaft als Madame Lenormand dem Herrn d Karten gelegt und ihm daraus die Winke ertheilt haben d Sie zur Anklagebank führten?" ^ ' entging der über Ljubitza'S Antlitz huschen! Schatten nicht, als er sie in sarkastischer Weise Madan Lenormand genannt. Sein Interesse für die Anaeklaate wuä überhaupt in. Laufe der Verhandlung,^ vornehmes und e,gentbümliches Wesen ihn zu keinem Schl, kommen ließ, wen er eigentlich vor sich Hab! ^ aleickwlls* Lenormand". nahm sie n, «n Au ttär .^ Ü ^ Wort, „bin ich allrrdini «A """" schien e« Elsa Schulze angethan zu habe Llfuhr sie p'feilsLnell von ihre drüber kann e« nu keinen Zweifel geber tagte sie und zog aus der Tasche eine sehr plattzrdrüä Zeitung. „Hier steht es in bellgedruckten Buchstaben: Madame Lenormand, Belle Alliance-Straße 53, zwei Treppen. Das sind Sie doch wohl?" „Ich bin jedenfalls damit gemeint", gab Ljubitza zurück, „wenngleich die Anzeige ohne mein Wissen veröffentlicht wurde." „Ohne Ihr Wissen?" fragte erstaunt der Richter. Sie nickte, und achselzuckend erklärte sie in ärgerlichem Ton: „Irgend ein unbedachter, recht schlechter «scherz von so genannten guten Freunden. Man wußte, wie ich mit den geheimen Künsten auf vertrautem Fuße stehe, und drängte mich hier und da, zum Zeitvertreib die Karten zu legen. Ich ließ mich bewegen, und da zufällig einzelne meiner Prophe zeiungen sich erfüllten, erging häufiger die Aufforderung an mich, einen Blick in die Zukunft ru thun. Schließlich kam eine Dame in ihrem WohltbätigkeitSdrange auf den erfinde rischen Gedanken, ich solle in einem zum Besten der Ferien- colonien veranstalteten Bazar als Zigeunerin die Karten legen. Möglich, daß die betreffende Anzeige von ihr herrührt, obgleich ich es kau», glaube." „So so", sagte nachdenklich der Amtsrichter und streifte mit prüfendem Blick Ljubitza'S elegante Toilette. „Herr Doctor Neinecke, Sie werden uns am besten über die Sache Aufschluß geben können", wandte er sich an den Zeugen. Dieser drehte an seinem Schnnrrbärtchen und polterte, um seine Befangenheit zu verbergen, unnöthig kaut heraus: „Studentenjux, Herr Amtsrichter, weiter nicht-. Die Annonce lesen und den Entschluß fasten, mir einen Spaß zll machen, war eins. Ich muß gestehen, daß die mit mir in einem Hause wohnende Madame Lenormand mir vom Ansehen genau be kannt ist. Also ich gehe nach Hause, stehe bereits vor dem Eingang zum Tempel der Pythia, als mir noch rechtzeitig ein fällt, daß Kartenlegen wohl ein Geschäft wir jedes andere sei und daß man mir die gewünschte Sitzung nur nach Er legung deS entsprechenden ObuluS gewähren werde. Es war aber der 30. Januar, und da die geheimnißvolle Expedition in meinem Budget nicht vorhergesehen war, so fand ich mich zur Bestreitung der Kosten veranlaßt, eine Anleihe bei meiner damaligen Wirtbin, Frau Schulze, zu machen." „Das hätte ich wissen sollen!" brummte diese. „Nachgrdanken, liebe Frau Schulze", sagte Doctor Reinecke heiter, „überflüssige Nachgedanken. Sie gaben mir damals die gewünschten zehn Mark, und ich eilte damit zu Fräulein von Radovanovits. Ich muß betonen, daß die Dame sichtlich von meinem Ansuchen unangenehm berührt wurde und auf