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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.01.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980131021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898013102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898013102
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-01
- Tag 1898-01-31
-
Monat
1898-01
-
Jahr
1898
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Vezugr-Pre» kt zwewwltarr täglicher Zoftell«»- io« Haus^l L-SC Durch di» Post bezog« fär Leutschlsud md Oesterreich: vtetteliä-rltch ch--. Lire«, tägliche Krruzdaadiclldullg AO HlMaod: «waatlich ?chv. Di« Vkorgnl-Arlögab« erscheiot «« '/.? Uhr, di« »b«d-»u»«aba «ochautag» m« b Utz^ Ledortto» «r» Lr-edMo«: Jabaauesgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag« »«»utarbeocha« Wtst«t vm» früh 8 bi» «bueb» 7 Utz«. Fittale»: Vtt« Klemm « Lorti«. (Alfred Hatzak llutversitättsttaße S iPanlioom), Laut» Läfche. K«ttzirlm>st«» ich pari, «üb KänigDplalt 7^ Wend-Ausgabe. MpMrrIaMM Anzeiger. Amtsblatt -es Königliche« Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes »nd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. «azeigeaPreis Ue -gespaltene Petitzeile SY Pfz Aeelama» mwr da« KftdaetioaSftttch läßm spalw») «-ch, »oe de, F«MU-»»«t>rickdm lS^Mall«) 40^. Gr-ßer» Schrift»« lo,t „irre« Puich verzeichiitz. Tabellnischer uod gisserusatz «ach höherem Tarif. 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Don den Nationalliberalen hat nicht nur der west preußische Landwirth Sieg, sondern auch der der Provinz Sachsen angehörige Professor Fried berg die Mitwirkung bei der Politik der Sammlung, die, wie wir dieser Tage auS- sührtea, vor Allem jede mögliche Berücksichtigung der Land- wirthschaft bedeutet, zugesagt, nachdem verrheiaischeJndustrielle Abg. v. Eynern und der in Berlin lebende Abg. vr. Sattler daS Gleiche schon vor der Anregung des Minister- ausgesprochen batten. Diese einmüthige Stellungnahme der Fraction ent spricht durchaus dem Verlaufe des letzten nationalliberalen Parteitage-, sowie früheren Erklärungen deSAbg.Bueck, dem in seinem bürgerlichen Berufe die Vertretung der Interessen deS größten industriellen Verbände- Deutschland- obliegt. Auch die Erklärung de- Minister- v. Hammerstein besagt nicht- Neues. Eine Kritik der gegenwärtigen Handels verträge, die sie ohne Zweifel enthält, ist schon öfter von Negierungsseite geübt worden, und wenn freisinnige Blätter in ihr eineKritik der Handel-vertrag-politi k zu finden sich den Anschein geben, so führen sie ihre Leser ge flissentlich irre. Der Entschluß der Regierung, an dieser Politik festzuhalten, wird vielmebr in der Erklärung deutlich ausgesprochen. Die bessere Wahrung der Interessen der Landwirthschaft wird gerade für den Fall künftiger Vertrags verhandlungen al- möglich und nothwendig bezeichnet. Hat sich damit die Regierung natürlich nicht verpflichtet, der Industrie uud dem Handel um jede» Preis Handelsverträge zu verschaffen, so hat sie ebenso selbstverständlich der Land- wirtbschafl nicht den Charakter deS einzig berücksichtigrnS- wertben Gewerbe» zuerkannt. Es wäre nicht nöthig, die- auSzusprechen, wenn nicht die „Köln. Ztg." dem preußischen Lanbwirthschaft-minister etwa« in den Mund legte, was er nicht gesagt hat.' Das Blatt äußert die Bk- forgniß, „daß die Berücksichtigung der Wünsche der Agrarier dazu führen würde, daß die Regierung der Industrie und dem Handel nicht mehr diejenige Beachtung schenkt, auf die diese ebenso gut Anspruch haben al- die Landwirthschaft". Nun, eS giebt „Agrarier" sehr verschiedener Art und von sehr verschredeuen Wünschen. Wenn die „Köln. Ztg.", wie anzunchmen ist, die extremen Agrarier meint, so ist einfach festzustellen, daß der LandwirthschaftSminister, schon ehe er die Erklärung über die künftigen Handelsverträge abgegeben, die Wünsche dieser Richtung zurückgewiesen hatte. Wir müssen daran erinnern, daß die „Köln. Ztg." seit der VereinSgesetz-Action eine der nationalliberalen entgegen gesetzte Auffassung insofern vertritt, als sie die wirth- schaftSpolitische Gruppirung der Parteien unter politischen, nicht etwa natioualen Gesichtspunkten vollzogen wissen mochte. DaS Blatt sieht sich hierbei in der nationalliberalen Presse vollkommen isolirt. Die WirtbschaflSfragen werden den Mittelpunkt der nächsten Wahlkämpfe uni so sicherer bilden, als sich die Aussichten der Flottrnvorlage mit jedem Tage bessern. Ob für die positiven Parteien die Streitfragen durch die Erklärung de« Minister- v. Hammerstein sich ver einfachen, hängt, wie wir schon hervorgehoben haben, ganz allein von der Berliner Leitung deS Bundes der Land ls irt he ab. Auf die maßvollen Auslassungen, mit denen Herr v. Plötz die Worte d«SMinister» entgegennahm.ist so viel nicht zu geben. Die Temperatur des preußischen Abgeordnetenhauses war in den letzten Tagen seiner agitatorischen Eigenart nickt günstig. Und da» Organ de« Bundes läßt sich zweideutig vernehmen, wie e» immer tbut, wenn die Umstände seiner heißen Begier, die „Sammlung" zu vereiteln, Zügel anlegen. Die konservative Partei als solche ist durch die Provokation der Erklärung der Regierung auf die Politik des agrarisch Möglichen festgelegt. Der Wunsch deS Abg. Grasen Limburg- Stlrum ging von der Anerkennung der Nothwendigkeit auS, die Erhaltung deS vertragsmäßigen Zustande- in der Handels politik anzustreben. Es ist wohl auch kein Zufall, daß zur Herbei führung einer Erklärung gerade derjenige konservative Partei führer auSersrben wurde, der nicht lange vorher, in Breslau, sick grundsätzlich gegen die Bindung von Zöllen auf landwirth- schaftliche Erzeugnisse und somit gegen Handelsverträge über haupt ausgesprochen hatte. Die konservative Partei in Preußen hatte auch gar nicht verhehlt, welche Bedeutung sie ihrer Anregung beilegte. Bon dem Abg. v. Arnim ist am Sonnabend im Abgeordnetenhause der Befriedigung darüber Ausdruck gegeben worden, daß die Antwort der Regierung noch vor dem Dresdner Parteitage erfolgt ist. Durch den Verlauf der DiScussion, sowie durch die Erörterungen über da- Börsengesetz, die Saccharin-Besteuerung und verwandte Dinge ist die Parteileitung auch in die Lage gesetzt worven, daS Vorhandensein einer starken landwirthschaftSfreundlichen Coalition, wenn nicht mit neuartigem, so doch mit neuem Material darzuthun, vorausgesetzt, daß einer selbstsüchtigen Agitation verwehrt wird, da» Zusammenwirken der positiven Parteien zu verhindern. Die gestern veröffentlichte, die sog. lex Heintze betreffende Eingabe de» Vörsenverein» Ser -rutschen Buchhändler be dürfte auch dann keines Commentars, wenn die Petenten den Gegenstand, soweit er sie angebt, uickt, wie sic gethan, vollständig erschöpft hätten. Die meisten Fragen, die durch die Aufwärmung dieser Materie angeregt werden, entzieben sich der eingehenden Erörterung in einer Tageszeitung. Wo von nahezu allen gesagt werden kann, ist das, waS die Buchhändler ausgesprochen Haden. DaS Vermögen, den an uud für sich nicht unannehmbaren Vorschriften eine einerseits zweckdienliche, andererseits unschädliche Fassung zu geben, versagt. DaS wird so rasch nicht ander» werden. Man darf nicht vergessen, daß eS da- Centrum ist, welches dieses Gesetz wieder eingcbracht hat, eine Partei, die in dem, was sie Wissenschaft nennt, nur Thomas von Aquino gelten läßt, die in der Kunst — sehr im Gegensätze zu vielen Päpsten — die Natur unterdrücken und die Publicistik dem Syllabus unterwerfen möchte. E- ist wahr, di« lox Heintze hat ursprünglich den Steurpel der Regierung getragen. Aber es war der der Regierung Caprivi, die bereit war, auf jeden casus eine lex zuzuschneiden. Die Zeiten haben sick geändert, und am allerwenigsten hat da» Centrum den Beruf, sich in Fragen dieser Art vorzu drängen. Es hat auS der im Ganzen annehmbaren „Um sturzvorlage" ein ultramontanes Vebikel zu machen gesucht und damit auch guten Gedanken ein abschreckendes Aussehen gegeben. Wir können, wie gesagt, auf Einzelheiten nicht eingehen uud wollen nur noch bemerke», daß die letzte Sitzung der Com mission für die lex Heintze un« den Wunsch nahe gelegt hat, di« gewaltthätigen Tugendverbreiter vom Centrum und den Conjervativen möchten sich einmal Immermanu'S „Oberhof" vornehmen. Sie würden dort finden, daß ein stark kon ¬ servatives Bauernthum sich mit Sitten verträgt, die Herrn Lingen» nicht gefallen. Die betrübenden Erscheinungen, welche die -eutschen Hoch schulen in Prag darbieten, sind nur rin Reflex, ja ein Bcstand- theil des Kampfes, den die Deutschen in Oesterreich überhaupt zu führen haben, und sie tragen alle charakteristischen Merkmale dieses Kampfes an sich. Wenn die deutschen Studenten in Leitmeritz beschließen, solangekeineBorlesungen zubesuchen, alsdasVerbotdeSFarbentragens nicht aufgehoben ist, so beruht das auf denselben ver zweifelten Gründen, auf demselben trostlosen Gedankengang, wie wenn die deutschen Abgeordneten die Obstruktion beschließen, so lange das Joch der Sprachenverordnungen nicht von ihnen genommen ist. Wenn die Prager deutsche Studentenschaft dabei auf den Anschluß der Commilitonen an allen deutschen Univer sitäten Oesterreichs rechnet, so ist das nichts als die vielleicht verfehlte und schädliche, aber allein al« wirksam erprobte An wendung der deutschen Gemeinbürgschaft auf ihren Fall. Diese den nationalen Kampf der Deutschen in seiner gegenwärtigen Phase kennzeichnende Politik der Verzweiflung, dieser desperate Gebrauch von Waffen, die, wie die Deutschen sehr wohl wissen, sie selbst nicht weniger verwunden, als ihre Widersacher, ist das Product einer durch zwei Jahrzehnte auS verkehrten Maßregeln sich zusammensetzenden Staatskunst, das Ergebniß der Erfah rung, daß alles Andere keinen Eindruck macht, daß jedes nach giebige und Erwägungen der Zweckmäßigkeit folgende Verhalten für die Deutschen stets nur neue Schädigungen und Zurück setzungen zur Folge gehabt hat. Gewiß, der Hochschulstreik, der in Leitmeritz beschlossen wurde, wird höchst wahrscheinlich die jenigen zunächst und am meisten schädigen, die ihn veranstalten, aber bevor man die Unbesonnenheit der Jünglinge anklagt, prüfe man die Weisheit der Maßregeln, die von den Staatsmännern ergriffen wurden, um eS zu solchen Ausbrüchen des Tempera ments nicht kommen zu lassen. Wenn die Regierung zur Stunde vor der Eventualität steht, eine oder vielleicht einige Hochschulen auf längere Zeit schließen zu müssen, so wird sie nicht leugnen können, daß da» eine öffentliche Calamität und eln Symptom krankhafter Zustände ist, wenngleich in erster Lime die streikenden Studenten selbst davon betroffen werden. Sie wird aber auch nicht leugnen kennen, daß mit »inlger Voraussicht und mit einiger am rechten Orte verwendeten Lhatkraft diese Eventualiriit Härte ausgeschlossen werden können. Die Verordnung der Prager Polizei-Direktion über daS Verbot der Farben steht ziemlich auf der Höhe mancher anderen Verordnung, deren Urheber erst hinterdrein merkten, daß es besser gewesen wäre, sie nicht zu erlassen. Und die das bekennen müssen, haben nicht einmal den mildernden Umstand der Jugend für sich, der Manches ent schuldigt und wegen dessen man Viele« verzeiht. Wer also wirft den ersten Stein auf den Leitmeritzer Akademikertag? Die chauvinistischen stanz-fischen Blätter geben sich noch immer die vergebliche Müde, die in jeder Hinsicht unan fechtbaren Erklärungen de» deutschen StaatSsecretairS, Herrn v. Bülow, abzusckwächen. Eia russische- Blatt ertheilt nun dieser Presse eine wohlverdiente Lektion. Die „Nowosti" schreiben unter Anderem: „Diese durchaus officirlle, autoritative Erklärung, welcher man unmöglich keinen Glauben schenken kann, ist in vielen Beziehungen von Wichtigkeit. Die Dreyfus-Assaire hat eben deshalb die öffent liche Meinung Frankreichs erregt, weil man DreyfuS der Aus lieferung geheimer Dokumente an dir deutsche Regierung für schuldig hielt. Ta der Proceß bei geschlossenen Thüren gesührt wurde, so waren bis zu diesem Augenblick Alle in Frankreich davon überzeugt, Laß sich die französische Regierung nur deSwegeu der Revision deS ProcessrS Drryfn« widersetzt, weil sie fürchtet, es würden dadurch Zwischenfälle hrrvorgerufen werde«, welche für Deutschland beleidigend sein könnten. Die Erklärung v. Bülow hat jedoch der französischen Regierung in dieser Beziehung freie Hand gegeben und befreit die französische Nation von dem schweren Verdachte, daß es einen Officier geben könnte, der Frankreich an Deutschland verrielh. Nun entsteht aber die Frage: Wenn Dreyfu-S an Deutschland nichts ausgelirferl hat, worin besteht dann seine Schuld? Woiür ist er verurthrilt worden? Er ist für Hochverrat!« auf Lebenszeit auf eine Insel verbannt worden. Eine solche Be schuldigung wäre nur in dem Falle möglich, wenn DreyfuS die Ge heimnisse des französischen Kriegsministeriums an die Regierung einer der Mächte des Dreibundes verrathen hätte. Offenbar kann aber in diesem Falle von einem solchen Anrath gar nicht die Rede sein. Wenn somit wirklich eine Auslieferung von Dokumenten stattgefunden hat, so bleibt nur übrig, vorau-zusetzen, daß es einer Frankreich befreundeten oder doch ungefährlichen Macht gegen über geschehe« ist. ES konnte sich vielleicht eine Macht au« rein diplomatischen Gründen für die wahre Lage n» Kraakreich intrressireu Für eine Mitthrilung dieser Art pflegt man aber keiae großen Summen zu zahlen, und DreyfuS ist bekanntlich selbst reich. Somir ist wohl von einem Verkaufe von Dokumenten überhaupt keine Rede; also hat auch kein Verrath stattgefundea. Möglicherweise hat sich DreyfuS einer Verletzung de» Kaazleigrheimuissr« schuldig gemocht, wofür aber eine so harte Bestrafung nicht vorgesehen ist. Daher ist uns die Energie und dir feste Ueberzeugung Zola's voll kommen verständlich, und für ihn ist die Erklärung des deutschen Minister- ia allen Beziehungen werthvoll." Eine andere Frage ist, ob Zola'S Proceß Licht in die dunkle Sache bringen wird, denn e- hat den Anschein, daß von den l04 von ihm namhaft gemachten Zeugen die wichtigsten nicht erscheinen werden. Der Krieg-nnoister soll den Officieren, auf welche Zola sein Augenmerk gerichtet hat, verboten haben, die Vorladung zu beachten; ferner halten sick die Mitglieder de- Cabiaet» Dupuy durch da» BerufSgeheimniß gebunden, und waS die fremden Diplomaten betrifft, so gut eS für gewiß, daß ibre Regierungen ihnen jede Betheiligung au dem Processe untersagen werden. Die Regierung, dl« eS bisher verstanden hat, eine Klarstellung der DreysuS>Esterbazr)-Affaire zu verhindern, dürfte eS demnach auch verstehen, den großen Zeugeuapparat, den Zola aufgeboten hat, lahm zu legen. Die vom Reuter'schea Bureau über die Expedition Cavendish in die «bereu Ntttäuster mitgetbeilten Einzel heiten sind mehr al- genügend, um erkennen zu lassen, daß e- sich dabei um ganz andere Dinge al- um wissenschaftliche Forschung-Zwecke handelt. Obwohl der „private" Charakter der Expedition formell hervorgehoben wird, drängt sich doch unwillkürlich die Ueberzeugung auf, daß das Vorgehen Cavendish'« mit einer so starken Macht den Zwecken der eng lischen Weltpolitik in jenen gerade jetzt so vielfach umworbenen Gegenden des dunklen ErdtheilS nicht ganz fremd sein wird. Expeditionen ü la Cavendish vertreten m entlegenen, von der europäischen Cultur noch unberührten Laudern die Stelle der in regulären Armeen den Aufklärungöbienst übernehmenden Cavallerie. Ueber die Vorgänge im oberen Nilthale ist ei» dichter Schleier gebreitet, an dessen Lüftung England ein um so begreiflicheres Interesse hat, al- eS hinter jenem Schleier die Thätigkeit der französischen Expeditionen Marchand und BonchampS vermutbet, bei der für die englischen Afrika plän« kaum etwa- Ersprießliche- berauSkommen kann. Mög lich, daß auch sonst dort noch „ForschungS"-Objecte sich der Controle entzogen hatten, behufs deren Eruirung dir von Cavendish milzunehmenden Maximgeschütze gute Dienste leisten können. Jedenfalls hat man eS hier mit «wem englischen Vorstoß zu thun, der darauf berechuet erscheint, den Stand der um die Herrschaft in den oberen Nilländrrn von den verschiedenen Concurrenten engagirten Schachpartie soweit zn Alice. Sj Roman vo« I. Lermina. Nachdruck verboten. Der Doctor Berthomieu spielte sich gern als Menschenkenner auf, vergaß aber ganz dabei, daß er andere Leute immer nach seiner eigenen Persönlichkeit beurthettte. Im Grunde genommen glaubte er nicht an das Böse, sondern hielt eS nur für einen vorübergehenden Zufall. So glaubte er auch hier ganz auf richtig, sich einer vortrefflichen Natur gegenüber zu befinden, und darum wollte er die Ungerechtigkeit des Schicksals gut macken, indem er sich mit der Zukunft deS jungen ManneS be schäftigte. Er wollte auS dem Vicomte v. Clairac zwar keinen Arzt, aber einen Chemiker macken, und hatte gerade einige sehr wichtige Entdeckungen im Kopfe, die sie zusammen auSbeuten wollten; e» handelte sich nur darum, Geduld und Fleiß zu be sitzen. Gaston ging auf Alles »in und erklärte, man käme seinen ge heimsten Wünschen entgegen; die Chemie, von der er bisher kaum den Namen gehört hatte, wäre stets kein Traum gewesen. So sah sich der Vicomte zu der Würde eine» Schüler» d«S DoctorS Berthomieu erhoben, der sich nach zwei Monatm vollständig zu frieden mit ihm erklärte. ES fehlte Gaston in der Thai auch nicht an einer gewissen Intelligenz. Er vermochte r», sich eint Sache schnell, wenn auch nur oberflächlich, anzueignen und besaß ein vorzügliche» Gedacht- nitz. Die Elemente der Wissenschaft, in die man ihn einführte, machte er sich bald zu eigen und verstand e», schon nach kurzer Zeit mit den technischen Ausdrücken wie ein bewährter Chemiker Yerum. zuwerfeu. Weiter kümmerte er sich um die Sache allerdtng» nicht, denn er wartete nur auf eine Gelegenheit, um sich einer einträg licheren und leichteren Thätigkeit zu widmen. Er war ein Heuch ler durch und durch, aber eia Heuchler von zwanzig Jahren, und die Jugend sollte ihm einen Streich spielen. Er verliebte sich wahnsinnig in die Tochter de» Doctor», die kleine Alice, die man noch immer als verzogene» Kind behan delte, die aber bereits achtzehn Jahre zählte. Alire war ein kleiner Romankopf, ohne daß sie Romane ge lesen hatte, und die lebhafte Phantasie, die ihr Vater nur mit s» großer Mühe zu dämpfen verstanden, zeigte ihr in diesem jungen Manne, der dem Tod« wie durch rin Wunder entgangen war, in dieser von Allen verlassenen Waise, den Helden, den sie sich schon lange in ihren Träumen ersehnte. Ihre Gouvernante, die früher in aristokratischen Häusern be dienstet gewesen war, wurde in Lobeshymnen über diesen feinen, eleganten Vicomte nicht müde, der einer vornehmeren Gesell schaftsklasse angehörte und doch den Muth hatte, sich wie ein ge wöhnlicher Sterblicher an die Arbeit zu machen. Gaston ließ sich diese stumme Bewunderung ruhig gefallen, und während Berthomieu ihn mehr als Gleichgestellten behandelte, empfand er ein großes Vergnügen daran, sich bewundert, ja fast beneidet zu fühlen. Dieser befriedigten Eitelkeit entsprang seine Sympathie für Alice, doch bald wurde daraus Liebe, und Gaston wurde zum Dichter, ja, er schien sogar seine angeborenen, häß lichen Neigungen verloren zu haben. DaS Leben beschränkte sich für ihn auf em Lächeln Alices, auf eine Berührung ihrer Hand, auf einen Blick ihrer sanften Augen. Eines Tages fing der Doctor Verse auf, die an seine Tochter gerichtet waren; er öffnete jetzt die Augen und bemerkte, daß Alice den jungen Mann mit einer Innigkeit liebte, die bei ihrem leicht erregbaren Temperament gefährlich werden konnte. Doch sah er darin nichts Schlimme», denn er glaubte um so mehr an Clairacs Ehrenhaftigkeit, al» seine Tochter an ihn glaubte. Er ahnte nicht die häßliche Seele seines Schüler»; seine verliebten Naivetäten erschienen ihm al» die sicherste Garantie für die Aufrichtigkeit seiner Neigung. Kurz und gut, genau nach zwei Jahren seit dem Eintritt de» jungen Manne» in die Familie de» Doctor», ver mählte ihn dieser Letztere mit seiner Tochter. Gaston warf sich in sein« Arme und nannte ihn „mein Vater", Alic« aber ward vor Freude fast ohnmächtig. Die Hochzeit konnte nicht gleich stattfinden, denn der Doctor forderte, daß Clairac erst tm Stande sein sollt«, seinen Lebens unterhalt zu verdienen. Sin Freund Berthomieu», «in großer Fabrikant im Departement der Oise, stellte ihm seine Werkstätten zur Verfügung, und zwei Jahre der Lehrzeit würden genügen, um den Haushalt bestreiten zu können. Der Doctor besaß einig, Ersparnisse, di« zur Einrichtung dienen sollten. Clairac sing auf Alle» rtn und machte nicht dir geringsten Einwürfe. Er sah nur Alire und kümmerte sich wentg um die praktischen Einzelheiten, dte er seiner und seiner Lieb« unwürdig hielt. Seine jugendliche Begeisterung verlieh ihm «ine Art ve- redtsamkeit, in der er erklärte, die Welt au» den Angeln heben zu können, und versprach, seiner Frau ein Paradie» auf Erden za schaffen. » Eine» Tage» wurde der Doktor Berthomieu in seiner Doh- nun- verhaftet; man beschuldigte ihn, mit dem General Lasayett« wie sie blaß wurde, nicht allein vor Schmerz, sondern auch vor wildem, unbezähmbarem Zorn. Er bliH jetzt dis 3 und 4 Uhr des Morgens aus dem Hause, ja, manchmal kam er sogar noch später zurück. DaS war für die arme Frau, die ihn mit der ganzen Kraft ihrer nervösen Natur liebte, eine beständige, gräß liche Marter. Der Gedanke, er könne eine Andere als sie aasehen, durchbohrte sie wie die Spitze eines Dolches, sie dachte daran, die ganze Stadt zu durchstreifen und sie Beide, wenn sie sie gr fanden habe, zu tödten. Doch jetzt — welch ein Glück, welches unschätzbare Glück — theilte man ihr mit, daß er spiele! Daher also seine Sorgen: Geldes wegen! DaS war auch gerade der Mühe werth! Ach, wir sie ihm dankte! Wie ein Alb fiel es ihr von der Brust und sir athmete schneller und fröhlicher. Sie speisten zusammen, wie richtige Verliebt« und das Essen war reichhaltiger als gewöhnlich. Gaston fragte nicht, woher sie das Geld batte; solche Kleinigkeiten tnterefftrten ihn nichr. Alice hatte einfach ihr« lebten Juwelm verkauft und fühlte sich noch obendrein glücklich darüber. WaS kümmerte sie dieser werth lose Tand? Hätte sie doch mit Freuden ihr Herzblut für ihn hin gegeben! Sie fühlte sich reichlich belohnt von Gaston'» Lebhaftigkeit, der noch nie ein solches Vertrauen auf dte Zukunft zur Schau getragen hatte. Diese Lage, erklärte er, könne nicht andauern War e» überhaupt nicht «In Skandal, daß ein Mann wie er so lange herum vegetirte? Diesmal glaubte er sicher, sein Ziel zu erreichen. „Und nicht wahr. Du wirst nicht mehr spielen?" Gaston zog die Stirne krau». „Glaubst Du wirklich ich spiele au» Liebe zum Geld«?" „Nein, nein!" „Diese Spielhäuser werden überhaupt stark verlämndrt. Man trifft dort Leute, die über jeden Argwohn erhaben sind Dieser Herr v. Vaucroix zum Beispiel . . ." „Kennst Du ihn so genau?" fragte Alice lebhaft, „ich muß gestehen, mir hat er nicht besonder» gefallen." Gaston brach in laute» Lachen au». DaS waren so echte WeiberrebeuSarten! Ihrer Meinung nach wären also di« schönsten Männer die besten? ..I«", meint« sie harmlos, stritt aber nicht weiter mit ihm darüber, denn er mußte ja besser wissen, wie er dir Menschen zu beurtheilen hätte. Er möchte nur nach seinen eigenen Ansichten handeln, sie wäre überzeugt, sie würden ihn nicht täuschen. Als Gaston sie verließ, stand Alice hinter dem Vorhang ihre» Fenster» und warf ihm eine Kußhand nach. conspirirt zu haben. Berthomieu erklärte sich für unschuldig und regte sich in dem ersten Verhör mit dem überaus strengen Untersuchungsrichter dermaßen auf, daß ihn der Schlag traf. Man wollte ihn nicht im Gefängniß sterben lassen und beeilte sich, ihm die Freiheit zurückzugeben, gerade zur rechten Zeit, daß er in seinem Bett« sterben konnte, nachdem er seinen beiden Kindern noch seinen Segen ertheilt hatte. Das war eine schreckliche Katastrophe für Alice. Was wäre aus ihr geworden, hätte Clairac nicht ihr zur Seite gestanden? Der junge Mann befand sich noch unter der Einwirkung seiner jugendlichen Leidenschaft und erklärte sich bereit, da» gegebene Wort zu halten. Der Doctor hatte etwa dreitausend Thaler hinterlassen, Alice war das Geld gleichgiltig, doch Gaston war von der Zahl geblendet und glaubte, daß ihm mit einer solchen Summe die Zukunft ge höre. Die Hochzeit fand statt; Alice befand sich noch in tiefer Trauer, denn e» war erst sechs Monate nach dem Tod« de» DoctorS. Gaston machte sich an die Arbeit; er fand aber nicht di« zusagende Beschäftigung; bald gerieth er in schlechte Gesellschaft und die geringen Ersparnisse deS DoctorS gingen schnell im Spiele auf. Wa» Alice betraf, so wußte sie nicht» und rrrirth nicht», sie hatte vertrauen zu ihrem Gatten und liebte ihn. Um den Hvhegrad ihrer Zuneigung zu bezeichnen, wäre daS Wort Anbetung nicht übertrieben gewesen. Er war für sie edler, wür diger und klüger als alle Anderen. Sie glaubte an sein Wort wir an da» Evangelium, und er verstand r» vorzüglich, ihre etwa auftauchenden Bedenken sofort zu beschwichtigen. Wenn er sie allein ließ, so that er da» nur, um gegen daS Schicksal anzukämpfen, und wenn er gebrochen, manchmal er schöpfter al» nöthig, nach Haus« zuriickkehrte, dann tröstete sie ihn und versuchte, ihn aufzurichtrn. Nie ließ str eine Klage laut werden, und nie sprach sie einen Wunsch au», der ihm unangenehm hätte sein können. So war sie glücklich, verlangte nicht» weiter, und vergaß in den wenigen schönen Stunden, die ihr beschiedrn waren, alle Sorgen. Trotzdem waren ihr noch und nach gewisse Zweifel aufgr- stiegen; denn Gaston, der stundenlang fortbtteb, gab ihr keine Erklärung über die Verwendung seiner Zeit: er war zuweilen derkegen, ost müde und zeigte eine Gleichgiltigkeit, die Alice in Erstaunen setzte und ihr einen aufrichtigen Kummer bereitete. Wa» ging denn nur vor? Plötzlich schoß ihr ein seltsamer Gedanke durch den Kopf: Er llebt mich nicht mehr, er liebt eine Andere! Bei diesem Gedanken fühlte dir so sanfte, ergebene Alire,
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