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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.01.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980124024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898012402
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898012402
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-01
- Tag 1898-01-24
-
Monat
1898-01
-
Jahr
1898
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Ve-rtgr-Preir dttto» od«r de» t» Ttadt» Vororten errichteten Aus holt: vierteljährlich ^>4ck0, täglicher Zustellnng in« durch dir Post bezogen für _ Oesterreich: viertestährlich S.—. Direc» tägliche Krrnzbandieoduug in« Ausland: monatlich 7.SV. Li» kNorgen-Ansgabe erscheint um '/,7 Uhr, di« ALend-Ausgab« Wochentag« am L Uhr, Ne-artion »n- Erve-Mo«: Johanne-gaffe 8. DieLnxdition ist Wochentag« »»unterbrach«» »»««t von früh 8 bi« Abend« ? Utz«. Filiale«: Ltt» Riem«'» Earttm. (Alfred Hatz»), Uaiversitätrstratze 3 lPaultuum), Laut« Lösche. Knttzartnnlstr. ich »art. und Köuiglplad 7. Abend-Ausgabe ripIgerTagtblalt Anzeiger. AMsvlatk -es Äönrgtichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Nottzei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. UmzeigemPreis die S gespaltene Petitzeile Ltt Pf§. Neelame» »ater dem RedactionSstrich («am spalte«) b0^, vor den Familtennachrtchn» (S gespalten) 40 Lrößrrr Schriften laut unserem Preis- «erzrichaiß. Tabellarischer und Zisfrrnsatz nach höher»« Tarif. Extra »Beilagen (gefalzt), nur mit d» Morgen - Ansgabe, ohne Postbeförderunz' SV.—, mit Poflbesörderuug ^l 70.—. Zivnuhmeschluß siir Anzeigen: Abeud-Au-gabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filiale« und Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anzeige« stad stets an die Expedition zu richte». Druck uad Verlag von E. Pol» iu Leipzig 41. Montag den 24. Januar 1898. 82. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 24. Januar. Bevor am Sonnabend der Reichstag der fünftägigen Debatte über den Etat des ReichSamtS veS Innern ein Ende machte, verlangte der socialdemokratische Abg. Legi en gesetz liche Maßnahmen gegen daS Ueberhandnehmen von Unfällen im Baugewerbe. Am gleichen Tage hat, wie aus München berichtet wird, dort der Minister des Innern mitgetheilt, daß die bayerische Regierung bei Einführung des Befähigungsnachweises für das Baugewerbe im Bundesrathe angeregt habe. An diesen Bersnck einer Lösung hatte der socialdemokratisch Reichstagsabgeordnete Wohl nicht gedacht; seine und seiner Genossen muthmaßliche Betroffenheit wird aber natürlich nicht inö Gewicht fallen. Für die grundsätzliche Bejahung der Frage nach der Zulässigkeit des Befähigungsnachweises für die Baugewerbetreidenden ist auch im zukünftigen Reichstag eine Mehrheit sicher. DaS kann man bei aller Vorsicht in der Vorhersage von Wahlergeb- nissen getrost in Aussicht stellen. Die nationalliberale Partei insbesondere hat auf zwei Parteitagen, denen zu Frankfurt und zu Berlin, den Erklärungen gegen die Einführung deS Befähigungsnachweises für vaö ganze Handwerk eine Fassung gegeben, die die Beachtung der besonderen Ver hältnisse des Baugewerbes erklärtermaßen ermöglichen sollte. Man stand eben auf dem Standpuncte, daß der Befähigungs nachweis für dieses Gewerbe nichts mit dem aus Rücksichten der Eoncurrcnzbeschränkung geforderten allgemeinen Befähigungs nachweise zu lhun habe, sondern daß er nach den» Bedürf nisse der öffentlichen Sicherheit zu benrtheilen sei, wie z. B. die an die Ausübung des Apolhekergewerbes geknüpften Be dingungen. Die Frage der Zweckdienlichkeit deS Be fähigungsnachweises für das Baugewerbe ist allerdings noch eine offene, und wohl aus diesem Grunde hat die bayerische Regierung nur „angeregt", aber nicht beantragt. Es muß erst noch untersucht werden, ob der Nachweis einer gewissen technischen Ausbildung das Publicum vor dem Leicht sinn und der scrupellosen Gewinnsucht mancher Bauunter nehmer und Bauhandwerker zu schützen vermag. Aber der Einwand der Bevormundung der Verbraucher, die die Freunde deS allgemeinen Befähigungsnachweises zu dem Zwecke einer ungerechtfertigten Einschränkung des Gewerbebetriebs anslreben, wäre der sicherbeitspolizeilichen Vorschrift eines Befähigungsnachweises für Bauhandwerker nicht zu machen. Man wird sich wohl überall darüber klar sein / daß diese Angelegenheit, wenn sie in Fluß gerälh, die „zünftlerische" Bewegung überhaupt aufs Neue beleben wird. Aber diese Voraussicht darf von der sachgemäßen Prüfung etwaiger Vor schläge nicht abhalten. Schon seit geraumer Zeit führen Zeitungen und Parla mentarier des preußischen Freisinns einen jener Kämpfe wider Windmühlen, die den Liberalismus so sehr schädigen, weil sie in ihrer Gegenstandslosigkeit die Wachsamkeit gegen wirkliche Gefahren für wirklichen freiheitlichen Besitz abnutzen. Es handelt sich diesmal um die TiSciplinarvcrhaltntfsc Vcr Privatdocenten in Preußen, mit deren Neuregelung die Re gierung ein Attentat auf die Freiheit der Wissenschaft beabsich tigen sollte. Der den Gegenstand behandelnde Gesetzentwurf ist jetzt dem Landtage zugegangen und er ist so harmlos, daß eS sich eigentlich außerhalb Preußens kaum verlohnt, davon Notiz zu nehmen. Selbstverständlich wird trotzdem der Sturm im freisinnigen Wassergläschen aufrecht erhalten. Die „Voss. Zeitung" spricht von Daumenschrauben, die den Privatdocenten angelegt würden, und auch die „Freis. Ztg." zeigt sich mit den sonst angefeindeten Schwestern von der Vereinigung „auf den Schanzen" behufs Vertheidigung von Rechten, die entweder keine sind oder nicht bedroht werden. Heute untersteht der Privatdocent in Preußen der DiSciplinargcwalt seiner Facultät und der deS Unterrichts ministers. Die Befugnisse der Facultäten sind jedoch nicht an allen Universitäten gleich; sie beruhen auf Statuten und Regle ments. DieBefugnißdeSUnterrichtsministerS,denPrivatdocenten die Erlaubniß zum Collegienlesen zu entziehen — dies bildet den Hauptpunkt —, ist auch nicht für alle Universitäten statuirt. Aber sie kann auch dort, wo ihre Rechtsbeständig keit bestritten wird, tbatsächlich auSgeübt werden und ist auS- geübt worden. Die Regierungsvorlage will im Wesentlichen nichts weiter, als Klarheit und Einheitlichkeit für alle Uni versitäten — und im Bedürfnißfalle für alle Hochschulen — schaffen. Sie stellt die Privatdocenten hinsichtlich der DiS- ciplin den staatlich angestellten Universitätslehrern wie allen nichtrichterlichen Beamten insoweit gleich, als sich aus der Sonderstellung der Privatdocenten nicht mit Nothwendigkeit Aenderungen ergeben. Eine solche Ab weichung ist die Ausscheidung der Geldstrafe, begründet mit der Thätsache, daß die Privatdocenten kein Gehalt beziehen. An Ordnungsstrafen sind nur Warnung und Verweis an gedroht. Sie können von der Facultät wie vom Unterrickts- minister verhängt werden mit dem durch die hierarchische Gliederung bedingten Unterschied, daß der mit Ordnungs strafe belegte Privatdocent von der Facultät an den Minister, nicht aber vom Minister an die Facultät appelliren kann. Materiell fast völlig conform dem Disciplinarverfahren für Beamte und ein Fortschritt gegen den bisherigen Zu stand ist die Regelung des Verfahrens, daS der Entziehung der Eigenschaft als Privatdocent künftig vorangehen muß. Es ist schon bemerkt worden, daß jetzt die Facultät oder der Minister auf Entziehung der vonia, Iczcnäi erkennen kann. Der Entwurf sieht zwei Instanzen vor, als erste die Facultät, als zweite das Staatsministerium, welches die Aberkennung der Eigenschaft als Privatdocent nickt auSsprechen darf, wenn daS Gutachten deS TiSciplinar- hofes, welches nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften durch das Staalsininisterium eingeholt werden muß, die Anwendung einer geringeren Strafe oder Freisprechung als angemessen bezeichnet. Eingeleitet kann daS Ver fahren werden nickt nur von der Facultät, sondern auch vom UnterrichtSminisler. Dieser aber hat vorher die Facultät gutachtlich zu hören. Den Einwänden, welche gegen die Einsetzung des StaatSministeriums, also einer politischen Behörde, erhoben werden, wird in der Presse zunächst der Hin weis entgegengestellt, daß der UnterrichtSminisler jetzt schon für sich allein „removiren" kann. Sodann macht sich mit vielem Nachdruck die Ansicht geltend, daß die Facultät keineswegs die Gewähr einer objektiven Rechtsprechung biete. Wir haben keinen Anlaß, auf dieses Thema einzugehen, und begnügen unS, den Interessentenkreis auf eine Auseinandersetzung in Nr. 37 der „Kreuzzeitung" aufmerksam zu machen, welche den den Faculräien ungünstigen Standpunkt nicht ohne Bitter keit vertritt. Der Verfasser, der die gar nicht akademische, aber ziemlich anspruchsvolle Unterschrift kraotor Romann; gewählt hat, verallgemeinert die Frage der Berechtigung korporativer Einrichtung, die er einen „alten liberalen Zopf" nennt, waS sick, beiläufig bemerkt, in den Spalten des für korporative Zusammenfassung der Berufsstände schwärmenden konservativen PreßorganS sonderbar genug auSnimmt. Ueber die Art, „wie man Privatdocent wird", über die Ursachen zur Scheu vor der Oeffentlichkeit bei akademischen Disciplinar- GerichtShösen und über Verwandtes werden hier Tinge zum Besten gegeben, die nicht unwiderlegt bleiben dürsten. Die bekannte Erklärung deS obersten kaiserlichen Beamten in Böhmen, ,n Betreff deS Farben - Tragens der Prager drutschen Studenten, enthält dieAbdankung der Regierung, die die Deutschen entweder nicht mehr schützen will oder nicht mehr schützen kann. Der Statthalter war offenbar von der Absicht geleitet, das Unvermögen der Staatsbehörde, die Ordnung aufrecht zu erhalten, darzuthun. Daß aber die Unlust, die von ihren staatsbürgerlichen Reckten Gebrauch machen den Deutschen gegen Gewaltthätigkeiten zu sichern, die Hand beim Erlaß des Farbenverbotes geführt habe, ist zum Mindesten eine nickt von der Hand zu weisende Möglichkeit. Jedoch in dem einen wie in dem andern Falle sind die Er klärungen deS Grafen Eoudenhove, unter dem GrsichtSpuncte staatserhaltender Energie betrachtet, gleich inhaltschwer. Die Regierung, so meinte er, müßte „alle verfügbaren Mittel" zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung anwenden. Nach dem Anerkenntniß des Statthalters haben die deutschen Studenten ein unanfecktbareS Recht auf daS Tragen ihrer VerbindungS- farben. Nicht rechtswidrige Mittel bekennt also die Regierung nicht mehr zur Verfügung zu haben, um die oberste StaatS- aufgabe zu erfüllen. Wir verzichten vorerst auf die AuS- spinnung dieses Gedankens. WaS aber nicht unterdrückt werten kann, ist eine Kennzeichnung der Sophistik, mit der das Farbenverbot als eine gegen beide Nationalitäten ver hängte RechtSbeschräukung hingestellt worden ist. „Die Maßregel ist eine ganz allgemeine und betrifft auck die Slawen." Aber die Tschechen, Studenten und Nicht studenten, tragen überhaupt keine oder — zu Demon- strationSzwrcken — nationale Farben, während cS eine alte gänz lich unpolitische Sitte der deutschen Verbindungsstudenten ist, öffentlich in seiner „Couleur" zu erscheinen. Mit der Logik des Grafen Eoudenhove kann man auch eine auf die Untersagung des Gebrauchs der deutschen Sprache auf den Straße» Prags gerichtete Vorschrift als eine „allgemeine" rechtfertigen, denn die Tschechen bedienen sich dieser Sprache öffentlich so wenig, als sie studentische Abzeichen tragen. Es liegt in Wahrheit ein RechtSraub an den Deutschen vor und nur an den Deutschen, was ja auch ans dem Zweck deS Verbotes hervorgeht. Nicht nur ihre Farben, der Anblick der deutschen Studenten selbst ist den Tschechen zuwider und es beruht auf durchaus richtiger Beurtheilung des Verbotes, wenn die deutschen Studenten beschlossen, die Straße überhaupt nicht zu betreten. Denn wenn die Regie rung die Deutschen überhaupt schützen will und kann, so ist sie auch dazu bei abzeichentragenden Deutschen im Stande. Und wenn sie zu Jenem nicht die Kraft oder die Neigung hat, so wird sie auch bei Diesem versagen. Das Verbot läuft that- fächlich darauf hinaus, den deutschen Studirenden den Aufenthalt in Prag unmöglich zu machen; die von Eoudenhove be kundete platonische Liebe zur „altehrwürdigen Universität" ändert an dieser Zweckbestimmung nichts. Da- Alles kann man sagen, selbst wenn man glaubt, die Regierung hoffe wirklich, daS Verbot bald wieder aufzuheben. In der deutschen Presse Oesterreichs wird daS Prager Verbot allgemein als ungesetzlich veruitbeilt. Der Universitäts professor Adolf Menzl weist in der „Neuen Fr. Presse" nack, daß ein solches Verbot nur bei gleichzeitiger Verhängung dcs Ausnahmezustandes zulässig'.sei und daS „Neue Tagblatt" be fürchtet, daß daS Band des Vertrauens zum Reckt und zur Autorität völlig zerschnitten werde. Die Haltung der deutschen Studentenschaft Prags ist dabei fortgesetzt eine durchaus correcte. tapfere und würdige. Ueber ihre nothgedrungenen Entschließungen wird uns berichtet: * Prag, 23. Januar. Die Vertrauensmänner der deutschen Studentenschaft in Prag veröffentlichen folgende Mittheilung: „Die gesammte Studentenschaft der deutschen Hochschulen in Prag hat in ihrer gestrigen Versammlung die einstimmige Erklärung abgegeben, daß infolge des Vorgehens der Regierung, das Verbot des Farbentragens betreffend, der Collegienbesuch von Montag an bis auf Weiteres eingestellt wird. Zugleich ist der händige Egerer Ausschuß behufs Einberufung eines „Akademischen Tages" verständigt worden." Wer noch daran zweifelt, daß die Tschechen das heraus fordernde Element sind, braucht nur nack BudweiS zu geben, dort stand, wie bei den Unruhen in Prag, in den letzten Tagen der Pöbel unter der Führung tschechischer Politiker. Daß die Deutschen bei der Gemeindewabl — mit Beihilfe der Budweiser Inden — den dritten Wahlkörper und damit die deutsche Gemeindevertretung behaupteten, wird von den Tschechen als abscheuliche „Provokation" angesehen. Daher die wüsten Scenen, über die wir berichten mußten und die lediglich auf das Conto der Tschechen kommen. WaS werden nun die jungtschechischen Worthelden im böhmischen Landtage wieder zusammenlügen, um die Horde ihrer Volksgenoffen in Budweis zu entschuldigen oder von ihren Rockschößen ab zuschütteln ! In Frankreich gestaltet sich der Wirrwarr der DrcyfuS-Affaire immer bedenklicher, denn immer weiter entfernt sich die anfänglich rein processuale Angelegenheit von ihrer juristischen Basis und wird zu einer cause scrmäaleusc der Politik, die alle Leidenschaften und schlimmen Instincle der menschlichen Natur aufrührt. Eine Woche schon ist Paris in bedenklicher Erregung und finden Demonstrationen gegen die Juden statt, die mit solchen gegen die Regierung ab wechseln. AuS der Provinz wird das Gleiche gemeldet und in Algier ist es, wie auS unseren, an anderer Stelle wiedergegebenen Nachrichten hcrvorgeht, zu Juden - scandalen schlimmster Art gekommen, bei denen geplündert, geraubt, gesengt und gemordet wurde, als wären die Zeiten der mittelalterlichen Judenverfolgungen wiedergekehrt. Aber die allgemeine Erhitzung der Geister, die Sprache des Pöbels und der Tumult der Straße und die Argumentation ü la rovä^, haben sich auck in daS Parlament verpflanzt. Tas österreichische Abgeordnetenhaus bat Schule gemacht und stebt unter den europäischen Volksvertretungen nicht mehr allein als abschreckendes Beispiel da. Auch die Pariser Volksvertreter haben am Sonnabend mit Fäusten ans einander loSgehauen und sich mit Füßen getreten, Schimpfwörter der rohesten Art wurden ausgetauscht und Ohrfeigen flogen herüber und hinüber. Zuletzt war Alles ein unentwirrbarer Knäuel und im republikanischen Paris mußte Militair requirirt werden, nm die Vertreter deS Volkes an die Würde ihre- souverainen Amte- zu erinnern. Aber FrrrZHetsn- Kampf und Entsagen. Roman von M. von Eschen. Nachdruck vrrboten. „Sie ist verloren!" hatte er mehr denn ein Mal, wenn er neben Lilian saß und die Rede selbstverständlich nur von Fiffi ging, gemurmelt. Merkwürdig schien es, daß Lilian gar nicht so entsetzt über Fiffi's Escapade war, als man von einer so verständigen Dame hätte erwarten muffen. Vielleicht dachte Miß Lilian besser von der Selbstständigkeit junger Damen, als man gemeiniglich bei uns zu thun pflegt. Vielleicht auch war sie duldsamer gestimmt gegen die Regungen des Herzens — oder auch waren ihre Ge danken einfach zu sehr von etwas Anderem in Anspruch genom men, um sich immer nur ungehalten und anhaltend einzig mit der Schwester zu beschäftigen. „Verloren?" hatte sie eben Wolfs Worte wiederholt in einem Ton, als ob sie dergleichen doch für unmöglich hielt, und den Generalstäbler dabei angesehen mit einem Blick, der eigentlich recht abwesend schien. Wolf merkte das gar nicht, denn auch seine Gedanken waren an anderer Stelle. Da gerade war jene Depesche eingetroffen. Major von Weilar und Fräulein von Dernburg hatten sich zu gleichem un ausgesprochenen Glückwunsch die Hand gereicht. „Ganzer Kerl!" meinte Wolf. Und wieder schwiegen sie Beide in einem, wie Einer von dem Anderen glauben mochte, gemeinsamen Gefühl von Freude — während abermals die Empfindungen eines Jeden ihre eigenen Wege gingen. Dann wurde beschlossen, Josefine sollte noch eine Weile in Hamburg bleiben. Von dort wollte Heriberts junge Braut nach Dobbritz gehen, um sich mit Hilfe von dessen Mutter für den Beruf einer deutschen Haus-, Guts- oder Edelfrau vorzubereiten. Damit war ein lait accompli gegeben, an dem Niemand mehr etwas ändern konnte und auszusetzen für n'öthig fand. XX. Erregt war Lorenz Kirchner an jenem gewitterschweren Nach mittag nach Haus gekommen; so erregt, wie er es lange schon nicht mehr für möglich gehalten. Ideen, Bilder, von denen er nichts wissen wollte, gaukelten vor seinem Geist; Empfindungen, mit denen er für immer ab geschlossen zu haben glaubte, bestürmten sein Herz. Wie aus einem bleiernen Schlaf schien er zu erwachen in verzückter Sehn sucht und sehnsüchtigem Entzücken. Lilian hatte wohl recht, es war Frühling! Ein Frühling aber voll seliger Schönheit und Harmonie. Der Mann hatte über den Künstler triumphirt; das Weib war gefunden, endlich, mit dem er seine Interessen tauschen konnte, das ihn verstand, das „Illusion, wieder Illusion!" lachte er bitter auf. Auch dieser Frühling war eine bloße Ironie, ein blasser Traum von Glück und Schönheit! Wie konnte Lilian, auf jener Seite des Lebens stehend, an die keine Mühe und Sorge reicht, den Kampf um das Dasein be greifen, wie konnte sie jene Wahrheit auch nur ahnen, deren Er- kenntniß einzig unter der Noth, dem Schmerz und dem Elend reift; wie konnte sie dies Product einer raffinirten, üppigen Cultur sein Ideal des Schönen verstehen? Sie und er?! Was konnte er, der Armeleutemaler, der An walt aller Enterbten, der Prediger von Mitleid und Erbarmen mit den Kleinen, den Mühseligen und Beladenen — und dann — der Künstler ohne Namen, der Mann im vertragenen Rock, der reichen, vornehmen Dame sein? Eine Laune höchstens! Vielleicht nur die Laune, ihn zu be kehren für den Geschmack deS Publikums, die Sucht nach Erfolg. Und Lorenz Kirchner schüttelt sein Haupt. Er will sich nicht beirren lassen, weder in seiner Kunst, noch in seiner Liebe — in seiner „Treue" verbesserte er sich selbst — „in seiner Treue gegen Anna und daS Kind!" Dennoch ließ Lilians Bild nicht ab, vor seinen Sinnen zu gaukeln, und immer von Neuem erhob sich eine Stimme in seinem Innern, daß sie das Weib seiner Seele sei. Er mußte das in sich durchkämpfen, ehe er sie wiedersah. Er hatte abgeschrieben für den nächsten Tag. Nun schämte er sich vor sich selbst. Sah das nicht aus wie Furcht? War das seiner würdig? Anna und dem Kinde zu Liebe hatte er das Bild zu malen begonnen; Anna und dem Kinde zu Liebe, um der eigenen Ehre willen, mußte er eS vollenden. Und am anderen Tage schon stellte sich Lorenz wieder in der Landgrafenstraße ein. Und wieder blaute der Himmel durch die grünen Zweige; intensiver wurde sein Licht; das Jahr schritt unaufhaltsam vor- wiirts. Der Maler hatte Mühe, die zarten Töne seiner ersten Farben wieder zu finden. Ungewöhnlich schnell stieg dir Wärme. Lilian sah abgespannt aus und müde, wie man müde wird, wenn der Tag nicht halten will, was sein Morgen versprach. Ein selt samer Druck lastete auf ihnen Beiden, sie suchten vergeblich nach einem befreienden Wort. Scheu, verstohlen sah der Mann das Mädchen, sah das Mädchen den Mann an, warum es so anders zwischen ihnen geworden, ob man nicht wieder zurückkehren könne in das alte Gleis. Immer schwüler aber wurde die Atmosphäre; keine einzige luftige Strömung fand mehr ihren Weg in das Häuserlabyrinth der großen Stadt; schlaff hingen die Zweige nieder; die Blätter wurden trocken, staubig, welk, der Duft erstarb in den blauen Fliedertrauben; auch die letzte kleine Blitthe schloß die müden Augen im Tod. Unwillkürlich kürzte man die Sitzungen. Das Bild kam nicht weiter, es wurde geradezu schlechter — „Es ist zu heiß", entschied Wolf eines Tages, da er dienstfrei der Cousine und dem Maler Gesellschaft geleistet hatte. „Wissen Sic was, lieber Freund", er schlug Lorenz Kirchner kameradschaftlich auf die Schulter. „Wir schicken Ihnen das Ding, und Sie machen es gemütblich zu Hause fertig. Was noch fehlt, aus der Erinnerung, oder wenn Sie Fräulein von Dernburg haben müssen, sitzt Sie Ihnen später einmal!" Wortlos fanden Beide, daß dies für den Moment das Richtige sei. Sie sahen sich an wie befreit. Dann aber ward ihm, als habe Jemand den Stab über ihn gebrochen, als sei er auS einem Paradies vertrieben, darinnen er kein Recht hatte, zu verweilen. Lilian aber hatte die Empfin dung, als trieb« sie am weiten Meere, wo der Versinkende zuletzt nach einem Strohhalm greift. „Sie werden uns besuchen, Herr Kirchner, uad mir sagen, wie Sie fortschreiten, und wann Sie mich haben wollen für mein Bild." Sie bot den Maler die Hand. Er neigte das Haupt. War es eine Bestätigung — war es ein Lebewohl? „Armer Teufel", meinte der Major, „er hat sich wohl über nommen. Ich möchte ihm das Honorar im Voraus schicken, wenn Sie nichts dagegen haben, Lilian?" Und da war es Lilian, als habe sie einen Schlag empfangen. Es rebellirte Etwas in ihr gegen sich selbst, gegen die ganze Welt. Sie blickte den Vetter an — es war aber doch nur ein herzlich verständnißvollcs Wohlwollen, was aus seinen Zügen sprach. Und sie schlang die Hände ineinander, so krampfhaft fest, daß die feinen Finger, einer in den anderen, ihre Spuren eingruben. Aber sie widersprach Wolf nicht. — Go war eS still im Hause Weilar geworden. Mehr als je waren Wolf und Lilian aufeinander angewiesen. Sie unterhielten sich sehr geistvoll über Kunst und Politik. Fräu lein von Dernburg nahm Theil an des Generalstäblers Arbeiten, den Vorkommnissen im, militairischen Leben; er begleitete die junge Dame auf ihren Gängen, auf ihren Spazierritten. Die Verlobung der Beiden galt als lait nceompli für die Welt. Die Hauptmännin hatte wieder einmal ihr bekanntes Glück gehabt. Leider nur, daß die zunächst dabei Betheiligten so gar nichts davon verspürten. Je mehr sie zusammen waren, desto weiter gingen doch im Innersten ihre Wünsche und Gedanken auseinander. Je reizen der das Leben sie umspielen wollte, um so mehr begann es sich in dem Mädchen zu regen, wie flüchtig, nichtig, wesenlos im Grunde doch Alles war, was sie bisher nach einer — sie wußie jetzt selbst nicht warum — so willfährig adoptirten Anschauung für des Lebens Werth und Inhalt genommen hatte. Und du- souveraine Miene, mit welcher bisher Lilian Alles zu taxiren pflegte, erfüllte sie in solchen Augenblicken wohl gar mit einen, Schrecken vor sich selbst. Wenn sie sich an Wolf zu schließen suchte, als fände sie hier Schutz gegen ein Etwas, vor dem sie heimlich uneingestanden, aber immer banger zu zittern begann, dann machte gerade diese- Bangen und die damit zugleich sich steigernde Sehnsucht nach einem unfaßbaren Glück zeden Herzenston, jede Herzenswärme in ihrem Verkehr mit dem Vetter unmöglich. Wolf vermißte das nicht, es machte ihm vielmehr das Zu sammensein mit der Couflne leicht und erträglich. Gewiß, je näher er Lina» kennen lernte, um so mehr lernte er sie schätzen. Dennoch, je mehr er sie schätzen mußte, je sicherer er an ihrer Seite ein Leben voll Glanz und Luxus, ohne Kämpfe und ohne Sorgen erwarten durfte, um so häufiger kreisten seine Gedanken um einen anderen Punkt: um Helja Hausen. Er hatte sich um den Eintritt in eine jener Matintzen bemüht, welche Professor Schulze zuweilen für seine Schülerinnen veran stattete: Helja war nicht dort gewesen. Er hatte sich nach ihr erkundigt, vorsichtig, er wollte sie nicht compromittiren. Sie hatte sich seit jenem Tag, da sie das Haus seiner Mutter verlassen, mir nervösem Halsschmerz für die Stunden entschuldigt und nock nicht wieder eingestellt. Nun stand sie immer vor seinem Geist, wie er sie zuerst gesehen. Wenn sie jetzt von ihm entfernt war — wer trug die Schuld? Hatte er nicht in seinem besten Empfinden, von der Sucht dci Zeit angekränkelt, Derrath geübt an seinem schönsten Mannes recht, an seinem und ihrem Glück? — „Wollt Ihr denn Eure Verlobung niemals declariren?" fragte ihn endlich eine- schönen Tages die Hauptmännin, als solche Ge danken ihn umfangen hielten.
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