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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980218029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898021802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898021802
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-02
- Tag 1898-02-18
-
Monat
1898-02
-
Jahr
1898
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Li« Morge«-A»rgabe erscheint nm '/,? Uhr, hi« LbtLd-Lu-gab« Wochentag« um b Uhr, Nr-actio« «n- Lrve-itiour Johauuessaffe 8. Li« Expedition ist Wochentag« nnnnterbrochei «eösstlet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filiale«: Ltt» Klemm'« Lorttm. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 lPaulinum), Laut» Lösche. Katharinenftr. hart, und K»nig«plat 7. lvezugS-Prei- M bm Hmrptexpedttiou oh« den Im Stadt- behirt «ch da« Vororte» «richteten An«- aabestellen abgeholt: vierteljährlich^«.SO. bet tweimalig« täglich« Zustellung in« Hau« ^l KLO. Durch di« Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertrliährlich S,—. Dtrecr« tägliche Krenzbaudiendung t»A An«laud: monatlich ^l 7.SO. Abend-Ansgave. MpMer. TagMatt Anzeiger. AmLsvlatt des H'o'nigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. ««zeigenPretA hie SgejpaUene Perüzcüe LV Psh> Meelame» «M« de« Nedactiontstrich (4 a— spalte») VO-4, vor de» FamiUeunackrtckM» (S gespülte») «0-4. Größere Schriften laut unserem Peets- verzeichaiß. Tabellarischer and Ziffernsatz »ach Höhe«« Tarif. Ertra-veilagen (gefalzt), »ar mit dm Morgen-Au-aabe, ohne Postbesörderuni' ^l 60.—, mit Postbrsörderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeige«: Ab end-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. «Jorgeu-AuSgab«:Nachmittag« «Uhr. LA de» Filiale» und Annahmestelle» je «in« halbe Stunde früher. Anteile« sind stet« a» die Gx-e-itf» zu richte». Lnlck »ab v«la- vo» L. Polz t» Leihzlch 82. Jahrgang. 88. Freitag den 18. Februar 1898. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. Februar. Obgleich der Reichstag die am Dienstag begonnene erste Lesung der Postdampfer-Vorlage auch gestern noch nicht zu Ende geführt hat, läßt sich doch erkennen, daß die Borlage nicht in wesentlich veränderter Form auS der Commission hervor gehen wird, sofern diese, wie anzunehmen ist, den Entwurf ebenso wie das Plenum beurtheilt. In der gestrigen Sitzung war es in erster Linie der Staatssecretair Graf PosadowSky, der durch seine die Frage nach allen Seiten gründlich beleuchtende Darstellung die Erörterung vertiefte. Von besonderem Interesse war der Nachweis, daß die Wirkungen der sibirischen Eisenbahn auf die Ver hältnisse des Weltverkehrs mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zur Zurückdrängung des europäisch-ostasiatischen Seeverkehrs führen werden, daß aber unter allen Umständen in der bevor stehenden Vollendung des Riesenunternehmens eine dringende Aufforderung liegt, selbst mit Opfern rechtzeitig Deutschland seinen Antheil an der großen merkantilen Entwickelung, der man in Ostasien gegenübersteht, im Wettkampfe mit allen civilisirten Nationen zu sichern. Auch im Puncte der Dampfersubvention hat das Bestreben eingesetzt, zwischen Industrie und Landwirthschaft Zwietracht zu säen, indem man die letztere auf die aus den Rückfrachten der Dampfer entstehende Concurrenz für das heimische Product mit einer Fürsorge aufmerksam machte, die von der Seite, von der sie bekundet wird, an sich schon höchst verdächtig ist. Diesem Be streben, das er mit den Worten: Oivickv et iiuperu! kennzeichnete, entzog Graf PosadowSky den Boden mit dem Hinweise auf die Bereitwilligkeit des Lloyd, Concurrenzproducte der deutschen Landwirthschaft von derRückfracht auszuschließen. Ausgenommen hiervon ist die Wolle. Der Staatssecretair bemerkte dazu, eS sei vielleicht nicht richtig gewesen, seiner Zeit den Woll zoll abzuschaffen ; nachdem sich aber nunmehr auf der Basis der bestehenden Zollsreiheit eine außerordentlich umfangreiche Textilindustrie entwickelt habe, wäre es unmöglich, die Woll einsuhr beschränken zu wollen. Die beiden im Name» der Landwirthschaft an der Debatte theilnehmenden Redner, die Abgg. Graf Limburz-Stirum und Or. Hahn, gaben dies unbedingt zu und bekundeten, indem sie sich für die Vorlage aussprachen, daß die landwirthschaftlichen Interessenten denn doch nicht kurzsichtig genug sind, einer vor wiegend der Industrie und dem Handel nützlichen Vorlage darum in den Weg zu treten, weil sie der Landwirthschaft nicht die gleichen unmittelbaren Vortheile bietet. Sie knüpften daran die Erwartung, daß Industrie und Handel bei den Zollverhandlungen sich ihrer Solidarität mit der Landwirth- schaft erinnern werden. Im klebrigen sei der Vorschlag des Grafen Limburg erwähnt, den Bergbau in den Kohlenlagern bei Kiaotschau als Betrieb des Reiches zu unternehmen. Der Vorschlag wird jedenfalls erwogen werden; aber schon jetzt Stellung zu ihm nehmen, ist die Regierung schwerlich rn der Lage. Die gestern mitgetheilte Meldung der „Nat.-Lib. Corr.", „Laß eS den marinefreundlicheu Elementen im Centrum nicht gelungen sei, für die gesetzliche Sicherung des von der Regierung als unerläßlich bezeichneten AlsttenminVestbestan-eS eine ausgiebige Anzahl von FractiouSmitgliedern zu gewinnen", wird heute von anderer Seite als verfrüht bezeichnet mit der Hinzufügung, die Verhandlungen würden eifrig be trieben und hierauf sei wohl die Verzögerung der Berathung der Marinevorlage in der Budgetcommission zurückzusühren. WaS zunächst die Behauptung betrifft, daß eifrig ver bandelt werde, so müssen wir wiederholt der Er wartung Ausdruck geben, daß nicht zwischen dem Centrum und der Regierung oder wenigstens nicht über kirchen politische Concessionen der Letzteren als Preis für die Zustimmung des Centrums zu der Marinevorlage verhandelt werde. Die Gruppen der klerikalen Partei mögen unter einander über die Vorlage so viel verhandeln, wie sie wollen. Und daß in der That über die definitive Stellungnahme des Centrums noch nickt das letzte Wort gefallen ist, läßt sich schon daraus schließen, daß die Aufstellung der Centrums candidaten in einer Weise erfolgt, als ob bei der Wahlbewegung die Flottenfrage einen Zankapfel bei den Wählern nicht bilden werde. Die „Germania" schweigt zu der Meldung über den Miß erfolg der marinefreundlicheu Elemente des Centrums und giebt beifällig eine Auseinandersetzung der „National zeitung" wieder, die eine Auflösung des Reichstags entschieden widerräth. Dieses Verfahren des klerikalen Blattes kann wohl als Beweis dafür gelten, daß die Entscheidung seiner Partei noch nickt zu Gunsten der Marinevorlage gefallen ist, aber es unterstützt auch die Annahme nicht, daß die Ent scheidung bereits zu Ungunsten der Vorlage gefallen sei. Man wird also auf die definitive Stellungnahme des Centrums noch einige Wochen warten müssen. Einstweilen sei festgestellt, daß die „Deutsche Tageszeitung", das Organ des Bundes der Landwirthe, zu der Auslösungsfrage mit folgendcu Sätzen Stellung nimmt: „Uns ist eS vollkommen gleickgiltig, ob der Reichstag ausgelöst wird oder ein natürliches Ende nimmt, ob die Flotten vorlage in den Mittelpunct gerückt wird oder verschwindet. Unsere Wahlparole steht fest, mit der ziehen wir in den Kampf. Die Stellung zu der Flottenvorlage ist jedem unserer Candidaten überlassen." Da die national liberalen und die conservativen Bundescandidaten für die Marinevorlage eintreten, so kann der citirte Satz des BundesblatleS nur nievergeschrieben sein, um den in natio nalen Fragen nicht ganz zuverlässigen antisemitischen Bundescandidaten freie Hand zu lassen. Diese Weitherzigkcit der Bundesleitung in einer so wichtigen nationalen Frage verdient besonders angemerkt zu werden. Gestern batte der Proccs; Zola seinen großen Tag: er brachte eine Enthüllung, deren Tragweite Jedermann sofort einleuchtete und von Jedermann als eine sehr ernste empfunden wurde. „Man will Licht über die Affaire Dreyfus, ich will es bringen", sagte General Pellieux nach seiner Confrontation mit Picquart wegen des Bordereaus. Er mochte selbst zu der Ueberzeugung gekommen sein, daß das Bordereau als Beweisstück für die Schuld des DreyfuS zum Mindesten nicht ausreichend sei, und so sah er sich dazu gedrängt, den nach seiner Auf fassung absoluten Beweis zu erbringen. Offensichtlich im Einverständniß mit dem Generalstab durchbrach der General den bis jetzt mit aller Macht aufrecht erhaltenen Grundsatz von der Unzulässigkeit der Discussion einer r68 zuckicata, einer durch GericktSbeschluß erledigten Sache, und brachte den Proceß Dreyfus selbst wieder auf die Tages ordnung. Nach seiner Bekundung wurde, wie unsere an anderer Stelle wiedergegebenen ausführlichen Mittbeilungen besagen, am 4. December 1897 (am Tage der Interpellation Castellin über die Dreyfus-Angelegenheit) ins Ministerium ein Papier gebracht, auf welchem stand: „Sprechen Sie niemals von den Beziehungen, die wir mit diesem Juden gehabt haben." Der Brief war ebenso wie die beiliegende Visitenkarte mit einem verabredeten Zeichen, nickt mit einem Namen versehen. Ob der Name auch auf der Karte fehlte, darüber gehen die verschiedenen Berichte auseinander. Pellieux erklärte, die Schriftstücke selbst gesehen zu haben. Sofort constatirte der Vertbeidiger Zola's, daß Pellieux von einem zweiten geheimen Schriftstück spreche, daS erst lange Zeit nach dem Proceß Dreyfus dem Ministerium zugegangen sei. Dieses könne als Beweis nur dienen, wenn es dem Schwurgericht unterbreitet werde. Indessen betonte Labori zugleich, daß eS auf das spätere, bis jetzt geheim gehaltene, für sich allein einen absoluten Beweis nicht bildende Schriftstück nicht in erster Linie ankomme, sondern auf bas Dreyfus und seinem Vertheidiger im December 1894 vorenthaltene Geheimdocument. Hierauf ging unerwartet General Pellieux wieder ein, und es schien, als ob er geneigt sei, weitere Enthüllungen zu machen, oder als ob*er annehme, daß der Generalstab auch hierüber Licht ver breiten wolle. Zwar machte er selbst keine weiteren Aussagen, indem er fick daraus berief, daß die bewußten Schriftstücke ver siegelt und ihm nicht zugänglich seien, wobl aber beantragte er die sofortige Vernehmung des Generalstabschefs BoiSdeffre, gegen die der Vorsitzende nichts einzuwenden halte. Leider fand der Bote, der nach dem General geschickt wurde, diesen nicht vor, so daß die Vernehmung auf heute verschoben werden mußte. Welch große Bedeutung man der Aussage BoiSdeffre's beilegt, zeigt folgende unS zugegangene Meldung: * Paris, 17. Februar. Während der Pause in der heutigen Verhandlung des Zolaprocesses, in der auf das Erscheinen des Generals BoiSdeffre gewartet wurde, erreichte die Erregung im Saale ihren Höhepunct. Es wurde mit Leidenschaft und mit Erbitterung über die Vorgänge des heutigen Tages debattirt. Viele äußerten, der Weg, den man jetzt betrete, sei ein äußerst ernster, wck dies gaben auch viele höhere Osficiere als ihre Meinung zu er- kennen, die unverhüllt ihr Bedauern aussprachen, daß, um die Brr- theidigung der Ehre des HeereS zu erreichen, GeneralPellieux veranlaßt gewesen sei, eine so ernste Erklärung abzugeben. General Pellieux wurde beim Verlassen deS Gerichtsgebäudes mit Hochrufen begrüßt. Die Abfahrt Zola's ging unbemerkt vor sich. Die Polizei hatte strenge Vorkehrungen getroffen. In der That treten gegenüber der Wendung, welche der Proceß mit der Aussage Pellieux' genommen, die Deductionen der Schriftsachverständigen, die auch gestern weiter gesponnen wurden und alle zu Ungunsten Esterhazy'S anssielen, weit zurück; ebenso die Frage, ob Esterhazy der Ver fasser deS vielerwähnten Ulancn-Briefes ist, der auf die Auf richtigkeit seines Charakters das denkbar schlechteste Licht werfen würde. Heute wird eS sich vielleicht entscheiden, ob der Dreyfus-Proceß einer Revision unterzogen wird. Ist sie, wie General Pellieux sagte, ihm und seinen Kameraden wirklich gleichgiltig, so ist auch zu hoffen, daß Generalstabs chef BoiSdeffre beweiskräftiges Material beibrinat. Ob dies nun das gegen DreyfuS gefällte Urtheil als zu Recht gefällt erweisen oder seine Unschuld an den Tag bringen wird, steht dahin, hat auch für uns keinerlei directeS politijcheS Interesse. Uns interessirt nur die Möglichkeit, daß vor Frankreich französische Richter nachweisen: Deutschland ist absolut unbelheiligt bei dem in Frage stehenden LandeSverrath, und unS interessirt weiter die Möglichkeit, daß eine Frankreich befreundete Macht es ist, welche in Frankreich spioniren ließ. Daß freilich nack beiden Richtungen hin volle Klarheit geschafft werden wird, möchten wir bezweifeln. Wie man vermuthen darf, wird b-i der Vernehmung BoiSdeffre's die Oeffentlichkeit ausgeschlossen sein. Für Frankreich jcheint zu viel auf dem Spiel zu stehen, mehr jedenfalls als die Existenz des Cabinet«, dessen Kriegsminister ja schon seine Demission für den Fall an gekündigt hat, daß es zur Revision deS DreyfuS-Processcs kommt. Wegen des Untergangs -er „Maine" herrscht in den Ver einigten Staaten eine ungeheuere Aufregung. Ueber di: Ursache der Explosion gehen die Ansichten der dortigen Sachverständigen weit auseinander. Die Einen nehmen an, daß im Kohlenraum Feuer entstanden sei, daS sich dann der Pulverkammer mitgetheilt habe. Andere wieder meinen, ein Torpedo oder eine Sprengmine müßte von außen gewirkt haben; allerdings müsse dann daS Zerstörung^ mittel von außerordentlicher Stärke gewesen sein, mir es sei wunderbar, daß dann das Schiff nicht sofort gc funken sei. Nach einer Meldung des „Daily Chronicle" au-: Washington behaupten die Schiffbauer der Marine, daß ein Verbrechen al« Ursache der Explosion auzusehen sei. Dec spanischen Gesandtschaft in Washington sei von General Blanco mitgetheilt worden, daß ein Kessel im Dyuamoraum über einer Pulverkammer explodirt sei, die Pläne dec- Schiffes zeigten jedoch, daß die Dynamomaschine ohne Kessel sei. Im Congreß glaube man an Verrath von spa nischer Seite. DaS „New Dork Journal" veröffentlicht bereits eine Erklärung, durch die eS eine Belohnung von 50 000 Dollars auSsetzt „für die Entdeckung und Ueber sührung der Person over der Personen oder der Regierung, auf welche die verbrecherische Verantwortung fällt". Prä sident Mc Kinley hat am Mittwoch spät Abends, um die öffentliche Meinung zu beruhigen, eine amtliche Mittheilmig ausgegeben, die besagt, daß die Explosion durch einen Zu fall hcrbeigesührt worden sei, abe«- doch sind Taucher nach Havannah udgeschickt worden, von deren Feststellungen das Weitere abhängt. Sie sollen nachsehen, ob die Platten des Schiffes nach innen oder nach außen gebogen sind. Wir er halten darüber folgende Meldung: * London, 17. Februar. Heute Nachmittag herrschte hier große Erregung, hervorgerufen durch Gerüchte auS Key-West, daß durch Taucher in dem Boden der „Maine" ein LzölligeS, durch Per cussion verursachtes Loch entdeckt worden sei. Die Erregung beruhigte sich jedoch infolge der von Washington «iugegaugenen Telegramme, welche melden, daß das Marinedepartement diesem Gerücht absolut keinen Glauben schenkt. Auch haben, wie unS aus New Aork gemeldst wird, die in Key-West eingetroffenen Officiere und Mannschaften der „Maine" übereinstimmend ihre Ansicht dahin ausgesprochen, daß die Explosion nicht von außen verursacht worden sei. DaS scheint man auch in Washington nicht anzunehmen, denn nach einer unS auS Madrid zugehenden Nachrickr stattete gestern der amerikanische Gesandte Woodford den Ministern der Colonien, des Aeußeren und der Marine Be suche ab, um ihnen für die Beweise von Sympathie und für die Hilfeleistung bei dem Unfälle deS „Maine" Dank ab- zustalten. Angesichts deS loyalen Verhaltens der spanischen Behörden bei und nach dem Unglück kann in der That ein Verdacht gegen die spanischen Behörden nicht aufkommen, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß in Havannah eine außerordent- Durch eigene Kraft. Ls Roman von Alexander Römer. Nachdruck «erbot«». „Emily, denke nur, da schicken sie aus dem Magasin du Louvre dieses werthlose Zeug — wie ist mir denn, hast Du nicht wegen dieser Proben geschrieben? Du weißt doch, es handelt sich um die Gesellschaftsrobe in Taubenblau mit der rosa Plüsch einfassung und den Marabouts, wie meine entzückende Prinzeß Ada sie auf der letzten Soirße im Botschaftshotel trug. Und da senden sie dies!" Emily trat mit einer Miene sehr gut gespielter Bestürzung heran und durchblätterte mit geschickten Händen das chaotische Gewirr von Seidenblättchen. „Undenkbar, unerhört!" rief sie, „gewiß, ich habe geschrieben, so bestimmt und ausführlich, daß gar kein Jrrthum möglich war. Die Robe für Ihre Durchlaucht, Prinzeß Ada, war ja vor wenigen Wochen erst geliefert, sie mußten genau wissen, welcher Stoff dazu verwendet worden war. Nein, wie dumm! Jetzt muß nun noch einmal geschrieben werden, welch eine Verzögerung bringt das!" Frau Cäcilie schob ihren Sessel zurück und war nahe daran, aus ihrem sanften Dulderton herauszufallen. „Das bedeutet, daß es jetzt unmöglich wird, die Robe bis zum 28. hier zu haben. Ich weiß gar nicht, was ich anfangen soll." „Tantchen — in der That — es ist schrecklich — aber laß mich nachsinnen — wart! Ich telegraphire zur Minute an die Garderobiere Ihrer Durchlaucht — ich verstehe mich auf das alte Persönchen, di« schwatzt nicht aus der Schule — sie muß so fort eine Probe des richtigen Stoffes nach Paris senden. In zwischen depeschiren wir an das Magasin du Louvre, sie müssen sich beeilen, das Costüm wird, es muß bis zum 28. fertiggestellt werden." Emily's Züge glühten vor Eifer. Die Baronin sah sic einen Moment starr an, sie rechnete etwas langsamer nach. „Du hast einen erfinderischen Kopf, Emily — es wäre mög lich, ja — wir müßten den Versuch wagen." Emily warf bereits in fliegender Eile die Worte für die Depesche auf das Papier, übergab sie der Tante zur Einsicht, klingelte dem Diener und befahl ihm, sofort einen reitenden Boten zum nächsten Telegraphenbureau zu entsenden. „Wir leben hier wirklich noch in antediluvianischen Zu ständen", sagt« Frau Cäcilie bitter, „daß Waldstätten sich noch nicht entschlossen hat, einen Draht bis hierher legen zu lassen!" Emily lächelte und zuckte die Achseln. „Onkelchen ist so hübsch behaglich, «r wartet geduldig, bis Alles an ihn heran kommt." Die Tante erging sich jetzt des Näheren in Toiletten- berathungen; was das bedeutete für den, der dabei neben ihr aus zuharren verurtheilt war, wußte Emily genügend aus Erfahrung. Dem lebhaften, leidenschaftlichen Mädchen war das «ine große Qual. Heute ging man von der Toilette zu den Büchern über; der Buchhändler hatte auch nicht das Rechte geschickt. Emily mußte Hefte aufschneiden, durchblättern, rasche Uebersicht über den Inhalt nehmen, und dann erging sich die Tante in ihrer langsamen, sentimental angehauchten Weise über Gelesenes, ihr nicht ganz klar Gewordenes, wobei Emily hören und ihr lebhaftes Interesse kundgeben sollte. Ein Martyrium, welches noch größer war als das bei den Toilettenfragen. Es war ein richtiges Kunststück, den abgerissenen Gedanken, den kühnen Sprüngen der Tante zu folgen, deren Ehrgeiz es war, eine geistreiche Frau zu heißen, und die bei jedem ihrer oft recht sonderbaren und confusen Aussprüche ein bewunderndes Anstaunen ihrer Geistesblitze forderte. Keiner besaß dafür ein solches Talent, wie gerade Emily, aber innerlich knirschte sie mit den Zähnen und behauptete, in ihrem Kopfe wirble ein Drehrad. Endlich nach zweistündiger Conferenz — der lachende Son nenschein war mittlerweile erloschen und die Dinerstunde heran gerückt — ward Emily entlassen, weil die Tante Toilette machen wollte, und die demüthige Nichte küßte ihr ehrfurchtsvoll die Hand. In der Thür begegnete ihr der Onkel, der breite, behäbige Baron Waldstätten, dessen gutmüthiges Gesicht sic wohlwollend anlachte. Er kam, um jetzt erst sein« Gemahlin «Guten Morgen" zu wünschen, und es war schon über die Mittagstund« hinaus. Er tätschelte freundlich das schwarze weich« Haar der „Kleinen", wi« er Emily titulirte, lachte sehr laut, hatte sich für diese Visite die schweren Feldstiefel ausgezogen, mit denen er heute draußen auf dem neu umgepfliigten Kamp umhergestampft war, und überflog nun mit scheuem Blinzeln die verstreuten Seidenflickchen. „Puh! — hier ist Wohl wieder schwerer Rath gehalten worden in der «ngen Kemenate", meinte er, „schwerer Rath, der mir schwer auf die Börse fällt." Er lachte wieder, während er die zarte, weiß« Hand der Ge mahlin lose an die Lippen führte, und warf sich dann in einen der schweren Armstühle. Er liebte es, kleine Witzchen zu machen, und glaubte sich Meister darin. Frau Cäcilie verzog den Mund ein wenig, lächelte dann aber ihr sanftes, gütiges Lächeln und bemerkte, der verschwindenden Emily nachblickend: „Ja, Victor, wir Frauen haben auch unsere Sorgen, die tief Zusammenhängen mit den Pflichten für die Unterhaltung des Hauses, und ich freue mich, daß Emily mir da wirklich eine Stütze geworden ist. Man wird doch schwächer mit den Jahren." „Na, na, na — gute Cäcili«, Du brauchst ja noch nicht von Deinen Jahren zu sprechen, Du ewig in jugendlicher Blüthe Prangende." Der Baron hatte sich gewöhnt, ohne vieles Nachdenken bei seiner empfindlichen Gattin die alten geläufigen Redensarten beizubehalten. „Ach, Victor, wie magst Du so reden! Du weißt, daß ich auf Dergleichen gar keinen Werth lege." „Ja, das weiß ich, aber auf diese Sorte von Dingen legt meine Cäcilie Werth", er wies auf den Carton, den sie mit leichtem Runzeln der feinen Brauen bei Seite schob, „und die machen dem Manne das Weib doppelt werthvoll, hahaha!" „Victor, diese Witzchen, sie sind wirklich nicht allzu geistreich" — der Ton enthält ein sanftes Mitleid — „übrigens handelt cs sich hier um eine verfehlte Sache, um einen kleinen Aerger — nun — den ich zu überwinden verstehe — und um auf Er quicklicheres Lberzugehen, ich hab« ein reizendes Schreiben von meiner theurcn Durchlaucht, Prinzeß Ada, empfangen. Es ist rührend, Victor, wie di« hohe, so viel jüngere Frau sich mir an geschlossen hat. Sie läßt mich tief in ihr schönes Seelenleben blicken, weiht mich ein in ihre kleinen Scrupel — sie ist so reinen Herzens, so recht religiös, ihre Briefe sind allemal eine Erqaickung wie der Duft einer zarten Rose." Der Baron saß vorn übergebeugt und schaute auf seine neuen Lackstiefeletten, die ihn etwas drückten. Er hatte eben darüber nachgedacht, ob der Dorfschuster si« hier wohl auf seinen Leisten nebmen und ein wenig aufschlagen könne. Er fuhr jetzt empor, nickte und räusperte sich. „Hm — hoffentlich hat sie einstweilen keine Absichten, unS ihren Besuch zu schenken." „Victor!" „Na — na — Frauchen, ich gönne Dir ja gern das aus erlesene Vergnügen dieses hohen, höher, am höchsten sich schwin genden Verkehrs, ober damals, als sie hier war", — er kraute sich den kahlen Schädel, auf dem ein paar graue Härchen aus gebreitet waren — „wann war es doch? Vor einem Jahre, glaube ich, um diese Zeit — das war riesig unbequem. Das Haus wurde so ziemlich umgekrempelt — ha! ha! Ich sehe noch die gute Wolters mit ihrem purpurrothen Kopf umher fahren, die sonst so tüchtige Frau ganz consus, und all die rosa Draperien und Mullwolken — ich denke, so einige Hundert Meter, die für Decorirung der Wände verbraucht wurden. Wo ist der Kram eigentlich geblieben?" „Victor! Deine Uebertreibunzen sind haarsträubend. Das ist Alles wohlverwahrt, kann gewaschen und aufs Neue zur Bekleidung der Wände verbraucht werden, wenn die Prinzeß, wie sie es mir versprach, im Frühjahr hierher kommt." „Im Frühjahr? Gott stehe mir bei!" „Ja, Gott stehe Dir bei!" Die Baronin lachte, ein kleines, sanftes, hellklingendes Lachen, discret und geschult, wie es zu ihrem feinen Munde paßte. „Denn wahrlich, mein guter Victor spielte damals etwas zu sehr die Figur des derben Landjunkers. Na, dieser Winter in Berlin, wo die Politik und die nationalen Interessen Dich er wärmten und in neue Kreise rissen, der hat doch Manches bei Dir abgeschliffen. Es that auch noth, mein Braver." Der Baron seufzte. Es klang schwer und echt. „Ja, ja, Cäcilie, das ist nun Alles nach Deinen Herzens wünschen geschehen, wenn es nur das Recht« gewesen ist", meinte er. „Sieh, ich bin rin ehrlicher Kerl und hab' mir nie in meinem Leben selbst etwas vormachen können; weiht Du, Lorbeeren habe ich da nicht geerntet, weder auf der Rednerbühne, noch in den Commissionsberathungen, und weitergeschoben habe ich die Karre auch nicht. Ich kam mir manchmal beinahe lächerlich vor, wenn ich da mein Blech herunterredete, wöbet mir der Angst schweiß von der Stirn lief. Weiht Du, ich tauge nicht zu Der gleichen, und der alte Heidemann hier, der wirklich merkwürdig viel Grütze in seinem derben Bauernschädel hat, der sagte mir trocken: „Herr Baron, Ihre Augen wären hier auf Ihrer eigenen Scholle nöthiger als Ihre " Er hielt inne, er hatte sich gehen lassen und aus seinem übervollen Herzen vor sich hingeredet, ohne seine Frau im Auge zu behalten. Jetzt erschrak er, sie langte nach ihrem Rieck fläschchen und fuhr mit dem Battisttuch über ihre Stirn. Da hatte er etwas Schönes angerichtet. „Victor! Du bist mitunter unbegreiflich — nun führst Du gar den alten Heidemann an, verzeih' — aber —" Sie lehnte sich in ihren Sessel zurück, als sei sie am Ende ihrer Kräfte, und die Sätze kamen abgebrochen, mit schwacher, ersterbender Stimme heraus. Der Baron erhob sich rasch. Es war die höchste Zeit, daß er sich zurückzog. Er war eigentlich mit der Absicht gekommen,
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