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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980202020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898020202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898020202
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Text schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-02
- Tag 1898-02-02
-
Monat
1898-02
-
Jahr
1898
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Da uun aber Leute, die todt gesagt werden, meist noch recht lange leben, so brauchte man sich um diese demokratischen Prophezeiungen nicht zu kümmern, wenn sie nicht gleichzeitig offenbarten, daß die Verfasser die aller seltsamsten Vorstellungen von dem haben, was das Leben erhält und zerstört, und daß sie das eigene Dasein zu unter graben eifrigst bemüht sind. So leitet das „Berl. Tagebl." den Untergang der Nationalliberalen von der Geneigtheit dieser Partei ab, für die berechtigten Forderungen der Laudwirthschaft einzutreten. AuS dieser Geneigt heit eine Todesursache abzuleiten, kann natürlich nur Dem in den Sinn kommen, der gewillt ist, allen Klagen und Nöthen der Landwirthe Ohren und Augen zu verschließen. Daß die Landwirthe nicht selbstmörderisch genug sein werden, für Taube und Blinde solcher Art zu stimmen, liegt auf der Hand. Nun weiß allerdings daS „Berl. Tagebl.", daß die Demokratie in ländlichen Kreisen überhaupt nichts mehr zu suchen hat; wenn das Blatt aber glaubt, daß dieser Umstand die Demokratie dem Handel und der Industrie besonders empfehlen werde, so ignvrirt eS die Aussprüche von Tausenden der einflußreichsten Vertreter der beiden letzteren Erwerbsgruppen, die zwar den von der Berliner Leitung des Bundes der Landwirthe geforderten „großen Mitteln" gegnerisch gegenüberstehen, aber eine Hebung der Lage der Laudwirthschaft mit zweckdienlichen Mitteln als eine Grundbedingung des weiteren Wohlergehens von Handel und Industrie anschen. Die Gegner einer solchen Hebung ver treiben sich daher durch diese Gegnerschaft mit eigenen Händen von dem Boden, auf dem sie bei den letzten Reichstagswahlen noch eine kärgliche Ernte einaeheimst haben. Die „Voss. Ztg." sieht in der Stellung der Nationalliberalen zum Flotten- gesetze eine dem politischen Selbstmorde nicht unähnliche Handlung. Daß die Demokratie ihrerseits sich durch ihre Opposition gegen diese Vorlage die besondere Gunst weiter Wählerkreise sichere, das zu glauben ist die „Voss. Ztg." allerdings nicht kurzsichtig,genug, aber sie ist wenigstens der Ueberzeugung, daß die Demokratie durch diese Oppo sition sich nicht schade» werde. Den AuSschlag für die Flotten vorlage werde ja das Centrum geben, mit diesem in erster Linie werde also die Wählerschaft abzurechnen haben. Mit Verlaub, wer ist es denn, der das Centrum zur ausschlag gebenden Partei auch in diesem Falle macht? Einzig und allein die Demokratie. In ihrer Hand läge eS, die Stellung nahme des CentrumS zu einer gleichgiltigen zu machen. Nun giebt eS aber sicherlich eine recht ansehnliche Anzahl linkS- liberaler Elemente, die es peinlich empfinden, daß dem Centrum die Entscheidung über die wichtigsten natio nalen Fragen förmlich in die Hand gespielt wird; diese Elemente werden eS also mindestens den Demo kraten des Reichstags nicht als Ruhmesthat anrechnen, Laß sie das Schicksal des Flottengesetzes in die Hand des Centrums legen. Und mehr noch. Es giebt zahlreiche link-liberale Wähler, die nicht nur daS demokratische Fördern des CentrumSeinftusseS beklagen, sondern auch der Flotten vorlage an sich günstig gestimmt sind. Die „Voss. Ztg." gesteht dies selbst zu, indem sie ihre Befriedigung darüber ausspricht, daß die Flottenfrage nicht zur Wahlparole werde gemacht zu werden brauche. Wenn aber die Reichstagsfortschrittler befürchten müssen, es würden ihnen nach Ablehnung der Flottenvorlage bei den Neuwahlen Gegner aus dem eigenen Lager entstehen, so müssen sie doch auch sagen, daß fortschritt liche Wähler Gedächtniß besitzen und überdies Logik genug im Leibe haben, um sich zu sagen, daß in den nächsten fünf Jahren der Reichstag vor neue hochwichtige nationale Fragen gestellt werden kann, deren Lösung man mit Vertrauen unmöglich Leuten anzuvertrauen vermag, welche die Entscheidung dem Centrum zuschieben, um selbst einer öden Opposition sich hingeben zu können. Wenn man alt genug ist, um auf eine lange Reihe von Reichstagswahlen zurückzublicken, so ist man auch nicht mehr gutgläubig genug, um mit voller Sicherheit auf den jedes maligen Sieg der „guten Sache" zu rechnen. Aber man ist doch auch nicht Pessimist genug geworden, um anzunebmen, die nächsten Wahlen würden trotz der Stellung der Links liberalen zu den landwirthschaftlichen Fragen und zum Flotteugesetze Herrn Eugen Richter und den Seinen zu einem Siegestanze auf den Gräbern der Nationalliberalen ermuthigen. Dem Reichstage hat der StaatSsecretair des ReichS- IustizamtS eine neue Zusammenstellung über die Anwendung der bedingten Berurthetlung in anderen Staaten zugehen lassen. Unter bedingter Verurtheilung ist bekanntlich eine Verurteilung zu verstehen, nach der die zuerkannte Strafe erst nur vollstreckt wird, wenn der Verurtheilte sich eines Rückfalls innerhalb einer gewissen Frist schuldig macht. Nach der Zu sammenstellung ist in Belgien die bedingte Verurtheilung ein geführt worden für solche Urteile, bei denen die erkannte Strafe 6 Monate nicht übersteigt. Nach der über die Jahre 1890 bis 1896 mitgetheiltcn Statistik bat die bedingte Verurtheilung pro- centual im Verhältniß zu den Urteilen, für welche sie zulässig ist, zugenommen und zwar von 9 Proc. der Fälle im Iabr 1890 auf 30,9 Proc. im Jahre 1896. Bei den Straf kammern kam 1896 die bedingte Verurtheilung in 38,9 Proc. der Fälle zur Anwendung, bei den Polizeigerichten in 28,8 Procent. Von den bedingten Verurteilungen entfielen 1896 auf Verbrechen 442 oder 0,7 Proc., auf Vergehen 24 478 oder 39,9 Proc, auf Uebertretungen 36 390 oder 59,4 Proc. Weiterhin aber ergiebt sich, daß von den bedingten Ver urteilungen 1896 nur 10,4 Proc. auf Freiheitsstrafen, da gegen 89,6 Proc. auf Geldstrafen entfielen. Bei den Frei heitsstrafen bat die bedingte Verurtheilung nicht zu genommen, sondern seit 1890 von 23,7 Procent auf 10,4 Procent abgenommen. In nahezu »/^o der Fälle, in denen auf Geldstrafen erkannt wurde, war die Verurtheilung nur eine bedingte. Die Zahl der fest gestellten Rückfälle zeigt eine erhebliche Zunahme. Auf je 100 bedingte Verurteilungen kamen bei den Strafkammern 1888/89 2,2, 1896 dagegen 10,9 Rückfälle. Bei den Urteilen ver Polizeigerichte dagegen ist die Zunahme weniger erheblich. Es kommen auf je 100 bedingte Verurtheilungen im ersten Jahre 1,2, 1896 2,1 Rückfälle. In dem Berichte Les Reichs justizamts wird nun zwar hervorgehoben, daß die verhältniß- mäßrge Häufigkeit der Rückfälle keinen Rückschluß auf un günstigere Ergebnisse gestatte, weil die in einen, Jahre fest gestellten Rückfälle sich offenbar nur zum geringen Theile auf die in demselben Jahr bedingt verurteilten Personen beziehen. Ein Rückfall, der den Strafaufschub hinfällig macht, liegt nach dem belgischen Gesetze nur dann vor, wenn der bedingt Verurtheilte innerhalb der Bewährungsfrist von Neuem, und zwar pour ciiwo cm clelit verurteilt wird. Der Bericht des belgischen Justizministers bemerkt aber in Bezug auf die Wirkungen des Gesetzes auf die allge meine Criminalität und insbesondere auf die Häufigkeit der wiederholten Begehung strafbarer Handlungen, daß sich diese Wirkung kaum schon beurtheilen lasse. — In Frankreich hat dagegen ein unter dem 8. November 1897 erstatteter Bericht des Iustizministers über die Strafrechts pflege während des Jahres 1895 hervorgehoben, „daß die Einführung der bedingten Verurtheilung wesentlich dazu bei getragen habe, eine Abnahme der Nückfälligkeit herbei zuführen. — Jedenfalls wird die Uebersicht des ReichSjustiz- secretairS Anlaß geben, im Reichstag auf die Frage der Einführung der bedingten Verurtheilung auch in Deutschland zurückzukommen. Wir glauben aber nicht, daß die Uebersicht den Eifer der parlamentarischen Freunde dieser Maßregel beflügeln werde. Wir besitzen ja in fast allen Bundes staaten eine der bedingten Verurtheilung verwandte Maß regel; ihre Wirkung abzuwarten, empfiehlt sich also mehr, als der rasche UeberganL zu einem anderen Experimente, dessen Resultat selbst in Belgien nach jahrelangen Versuchen sich „kaum schon beurtheilen läßt". Wenn man die zahlreichen Auslassungen liest, welche von tschechischer und tschechenfreundlicher Seite über die ge plante Errichtung eines dentschcu Konsulats in Prag gemacht werden, wird man unwillkürlich an die „großen Häuptlinge mit den zwei Zungen" erinnert. Man findet die Errichtung unnöthig, inopportun, ja sogar zweckwidrig — nach der politischen Seite hin; fast gleichzeitig aber wird eine classisch-tschechische Stimme laut, nämlich die des Prager Handelskammerpräsiden ten, der in einem dieser Tage erstatteten Rechenschaftsberichte in geradezu enthu siastischer Weise für die Errichtung neuer Consu late in Prag ein tritt. Präsident Wohanka beklagt eS sogaH daß daS Bestreben der Kammer, in Prag Consulate jener Staaten zu errichten, mit denen daS Königreich Böhmen in geschäftlichem Verkehre steht, an den berufenen Stellen nicht die gewünschte und uothwendige Förderung fand. Erst seit Graf Goluchowski und der frübcre Handelsminister Baron Glanz ins Amt getreten seien, sei hierin eine erfreu liche Aenderung eingetreten. So sei im vergangenen Jahre in Prag ein französisches Consulat eingerichtet worden, das schweizerische trete soeben in Thätigkeit, und die von der Kammer angestrebte Creirung weiterer Consulate dürfte nun mehr nach und nach erfolgen. Die von Herrn Wohanka aus gesprochenen Ansichten sind sehr löblich; wenn es aber ein Staatswesen giebt, das mit dem Königreich Böhmen in ganz besonderem geschäftlichen Verkehre steht, so ist dies doch unleug bar das deutsche Reich. Manufacturen, GlaSwaaren, Braunkohlen, Zucker, Cerealien, darunter vor Allem Obst, sind Artikel einer ständigen, ja, wie die statistischen Ausweise belegen, von Jahr zu Jahr zunehmenden Ein- und Ausfuhr, und der sich ganz bedeutend steigernde Elbe verkehr allein würde die Errichtung einer deutschen Amlsstätte in Böhmen rechtfertigen. Es wäre seltsam genug, wenn man sich gegen Errichtung eines deutschen Consulats in Prag aus durchaus unmotivirten und „nationalpolitischen" Gründen wehren wollte, während ein so berufener Anwalt böhmischer Handelsinteressen, wie der Präsident der Prager Handelskammer eS ist, die Errichtung neuer Consulate als eine dringliche Angelegenheit erklärt. Das Exportbureau der Prager Kammer weist im Jahre 1897 3037 Nummern gegen 1731 im Vorjahre auf. In dem von der Kammer herausgegebenen Exportadressenbuche hat das deutsch: Reich eine der hervorragendsten Stellen inne; der Verte, c steigt von Jahr zu Jahr und eS würde sich sehr seltsam auSnehmen, wenn beispielsweise Portugal oder Spanien Prag früher Consulate etabliren würden, als das deutsche Nei Anläßlich des AuftauchenS der Meereugenfrage sei a» Folgendes erinnert: Im September 1841 wurde zwischen den fünf europäischen Großmächten und der Pforte der sc genannte Meerengen-Vertrag abgeschlossen, welcher bestimmte, daß ohne die Erlaubniß deS Sultans kein nichttürkische- Kriegsschiff in den Bosporus und die Dardanellen einlaus n dürfe; der Pariser Congreß bestätigte diesen Vertrag und 1. hielt dem Sultan nur daS Recht vor, leichte», den Vertrete, n der fremden Mächte zur Verfügung gestellten Fahrzeuge:, mittels besonderer Fermane die Durchfahrt zu gestatte::. In dem Londoner Protokoll vom 13. März 1871 wurrc die Schließung der Meerengen neuerdings stipulirt und dan:: durch den Berliner Congreß abermals festgesetzt; im Jahr? 1891 folgte sodann das Abkommen zwischen Rußland und der Pforte, laut dessen den Schiffen der sogenannten frei willigen russischen Kreuzerflotte die Durchfahrt nach vorher gegangener Anzeige auch mit Soldaten oder Strafgefangene» erlaubt ist, ein Abkommen, das große, leidenschaftliche Die cussionen in allen europäischen Staaten hervorrief. Um di: Durchfahrt eines solchen Schiffes der freiwilligen Flotte, nicht um die eines Schiffes der russischen Kriegsflotte handelt es sich beim Passiren des „Saratow". Aber eS ist keineswegs ausgeschlossen, daß die Petersburger Bemühungen bei der Pforte, die Erlaubnis: zur Durchfahrt russischer Kriegsschiffe durch die Meerenge» zu erwirken, immer von Neuem sich wiederholen, ja daß sie vielleicht überhaupt niemals geruht haben. Für Rußlanr ist die Frage von enormer Wichtigkeit, denn eS verknüpft sich mit ihr die Möglichkeit einer freien Ausfahrt aus dem Schwarzen Meere, das obne diese Möglichkeit im Gruncc nur ein Binnensee ist. Doch mau darf sehr entschieden daran zweifeln, daß, von der generellen Erlaubniß zu ge schweige«, der Sultan auch nur einzelnen russischen Kriegs schiffen für bestimmte Fälle einen Berat oder Ferman zur freien Durchfahrt ertheilt hätte. Die Meerengenfrage gehört zu jenen eminent europäischen Fragen, über deren Lösung nicht ein Abkommen zwischen Petersburg und Konstantinopel, sondern eine Verständigung zwischen allen europäischen Groß mächten zu entscheiden hat. Wollte aber Rußland an die Mächte sich wenden, um für sich die freie Durchfahrt durch den Bosporus und die Dardanellen zu erlangen, so würde cs zweifellos dem Gegenansprüche begegnen, daß, wie ihm die Ausfahrt auS dem Schwarzen Meere, den übrigen Mächte» auch die Einfahrt in dasselbe freigegeben werden müßte. Ob Rußland in diese Bedingung willigen würde, bleibt dahingestellt; jedenfalls aber wäre auf einem anderen Wege die friedliche Erfüllung seines Wunsches nicht zu erlangen. Um den HanSmannspoften vo» Kreta ist noch arger Streit. Rußland hält hartnäckig an der Caudidatur des Prinzen Georg von Griechenland fett, während der Sultan sich auf daS Entschiedenste weigert, dem Wunsche des Zaren nachzugcben. Frankreich unterstützt den Letzteren — man sagt, auch England l — Oesterreich-Ungarn soll sich ab lehnend verhalten und von Deutschland heißt eS neuerdings in englischen Blättern, cs habe sich „in elfter Stunde" noch entschlossen, mit Rußland und Frankreich auf den Sultan zu drücken. Letzteres wird officiös auf daS Bc- Feirrlleton. Alice. 8s Roman von I. Lermina. Nachdruck verboten. „Mein lieber Freund", sagte Vidocq trocken, „wenn Du nicht wieder in's Bagno zurückkehren willst, und zwar schleunigst, so darfst Du nicht lügen." „Lügen? — Aber ich versichere Ihnen . . ." „Coco ist vor einer halben Stunde hergekommen." „Coco allerdings, aber . . ." „Ah, das erscheint Dir unbedeutend; mein lieber Freund, wenn Du mir wieder auf meine Frage, ob etwas los ist: Nichts! erklärst, so bekommst Du es mit mir zu thun. Also Coco ist hergekommen und hat Dich gefragt, ob ich nicht da wäre?" „Ja, Herr Vidocq." „Und Du hast „Nein" geantwortet?" „Allerdings, Herr Vidocq." „Nun, das ist nur eine Dummheit, die verzeihe ich Dir." „Wie? Eine Dummheit? Aber ich hatte Sie doch gar nicht gesehen?" „Das ist noch lange kein Beweis, daß ich nicht gekommen war. Ja, ja, senke nur den Kopf, Du dreifacher Dummkopf; ich werde viele Mühe haben, etwas aus Dir zu machen .... Na, sei jetzt aufrichtig, wenn Du kannst! Ist das Alles, was Dich Coco ge fragt hat?" „Nein, er hat mich noch gefragt, ob Herr Henri Sie nicht hätte holen lassen." Vidocq stieß einen heftigen Fluch aus, dem er noch einen Schlag auf den Tisch folgen ließ. „So, also man wollte wissen, ob man mir nicht eine Falle stellen könnte? . . . Oh, Herr Coco Lacour, Sie thun Unrecht, mit mir zu spielen, das wird Ihnen Unglück bringen!" Vidocq, der seit 15 Jahren als unumschränkter Herr über die Sicherheitspolizei berrschte, eine Stellung, die er sich durch die scrupelloseste Rücksichtslosigkeit zu erringen verstanden hatte, fing an, sich über die Bedeutung zu beunruhigen, die der frühere Dieb Barthelemy Lacour, ocnannt „Coco", im Polizeidienste einnahm, ein Mensch, den er selbst in den Criminaldienst ausgenommen ./und der jetzt große Lust zu haben schien, sein Nachfolger zu wsMn. Vidocq's Hauptsünde war eine maßlose Eitelkeit, der er übrigens später in seinen Memoiren freien Lauf gelassen hat. Er nannte sich wohlgefällig den Napoleon der Polizei; doch er hatte keine Lust, wie der Kaiser auf St. Helena zu enden. Herrisch bis zum Despotismus, dabei äußerlich herzlich und liebenswürdig, gehässig und ein Heuchler durch und durch, war Vidocq ein lebendes Zeugniß für die Richtigkeit der Behauptung, daß ein jedes Laster, wenn es richtig angewendet wird, sich fast in Tugend verwandeln kann. Vidocq empfand ein beständiges Bedürfniß nach Erfolgen, einen Durst nach Lobeserhebungen, und nichts war ihm zu ge fährlich, das er nicht mit Vergnügen vollbracht hätte, um sich seine tägliche Portion Complimente und Schmeicheleien zu sichern. Zwischen ihm und Coco Lacour herrschte ein ewiger Kampf, doch waren äußerlich ihre Beziehungen stets die freundschaftlichsten von der Welt; nie verabsäumte es Lacour, die Verdienste Vi- docqs zu rühmen, während Vidocq stets der Energie und Kalt blütigkeit Lacours seine volle Anerkennung zollte, „Wer ist unten?" fragte Vidocq plötzlich. „Lanterre, Moulier und Davidot." „Ah, Davidot, gut, sage ihm, er soll heraufkommen, und bleibe unten, um mich zu erwarten." Grombier wandte sich der Thür zu, doch bevor er sie öffnete, blieb er stehen." „Herr Vidocq!" „Was denn?" „Sie sind mir doch nicht weiter böse?" „Dummkopf, gehorche mir zunächst, dann werden wir weiter sehen." Der Ton und das Lachen, das diese Worte begleitete, beru higten den armen Grombier, der thatsächlich Vidocq wie ein Hund ergeben war und nichts weiter verlangte, als seine Pflicht thun zu dürfen, so große Furcht hatte er, wieder ins Bagno zu- rückkehren zu müssen. Als Vidocq sich allein sah, zog er «inen Zettel aus der Tasche, den ihm Henri, der Chef der zweiten Division, eben übergeben hatte, und las ihn mit finsteren Blicken, wie ein Mann, der etwas sucht. Man klopfte an die Thür. Davidot trat ein, sauber wie gewöhnlich gekleidet, mit der Miene und dem Aeußeren eines sanften und harmlosen kleinen pensionirten Beamten. „Guten Tag, Davidot", sagte der Chef mit liebenswürdigster Stimme; „nun, sind wir in Stimmung, zu arbeiten?" „Ich stehe ganz zu Ihren Diensten." „Hm, das hindert nicht, daß Du uns in ganz seltsamer Weise im Stich gelassen hast." Davidot zitterte leicht und erwiderte: „Das geschah ganz gegen meinen Willen, Herr Vidocq! Ich bin gezwungen worden, ja wohl, gezwungen worden; Sie wissen doch, weshalb." „Was willst Du, lieber Freund, so etwas passirt alle Tage; doch das thut nichts. Du hast recht gehabt, mich aufzusuchen, und ich bin der Ansicht, wir werden noch gute Arbeit zusammen machen. Es freut mich. Dich hier zu sehen. Du erinnerst Dich doch noch an unsere Affaire Lambrun? ... Es war im Jahre ... im Jahre 1819." „1817, Herr Vedocq! Ob ich mich erinnere! Ach, das war eine Menschenjagd und gegen einen sauberen Hallunken! Ich habe drei Nächte im Schnee zugebracht, um auf ihn zu lauern. — Wenn ich denle, daß kein — ich will nicht sagen, kein Beweis, aber kein ernsthaftes Jndicium vorlag, und ich mir doch sagte: das ist der Mörder! Es war gleichsam wie eine innere Eingebung, und als ich ihn abfaßte, als er gerade den Hammer vergrub, mit dem er das Verbrechen verübt hatte, da glaubte ich, ich müßte toahnsinnig werden vor Freude!" Je länger Davidot sprach, desto mehr verklärte sich sein blasses, mattes Gesicht, seine Augen glänzten, und der kleine Mann schien förmlich zu wachsen. Man sah, daß eine allmächtige Leidenschaft ihn beherrschte, die ihn vollständig umgestaltete. Die beiden Criminalisten tauschten ihre Erinnerungen aus. Im Jahre 1810 hatten sie sich zum ersten Male gesehen. Vidocq kam eben aus dem Bagno und erkaufte seine Freiheit durch die der Polizei geleisteten Dienste, während Davidot ein ehemaliger Beamter des letzten Generallieutenants der Polizei, Louis Thi roux de Crones, war, der am Tage der Erstürmung der Bastille fiel. Davidot erklärte frei und offen, daß die Geheimpolizei vor Vidocq überhaupt nicht existirt hatte; ihm, ihm ganz allein ver dankte man diese originelle Einrichtung, die, aus wenigen Ele menten bestehend, die große Schaar der Missethäter in Schach hielt. „Sie sind mein Herr und Meister", erklärte er ehrlich und offen, „in Ihrer Schule habe ich Alles gelernt." „Doch Du besaßest die Veranlagung, das Talent, ja, ich kann fast sagen, das Genie.... Nicht wahr, Du liebst doch die Polizei wie eine Braut?" „Das ist wahr." „Und doch hast Du ihr untreu werden wollen! Aber sie hält Dich fest, und als Du vor sechs Monaten erklärtest. Du wolltest Deinen Abschied nehmen, habe ich, der ich Dich von Grund aus kenne, gesagt: er wird wieder zu uns zurückkehren! — Und Du bist zu uns zuriickgekehrt, was mich herzlich freut." „Sie sind sehr gütig, Herr Vidocq." „Nein, nein, ich bin nur gerecht; siehst Du, ich habe gute Beamte, aber sie sind Maschinen. Initiative nicht für einen Pfennig; Du besitzest das wahre Polizeigenie. Di« Anderen warten, bis die Geschichte ihnen in den Mund fliegt; Du ge brauchst Deine Zähne, bis Du darauf beißen kannst. Und darum muß ich Dich haben, mein alter Davidot, denn man stellt uns Fallen." „Ichweiß, ich weiß", versetzte Davidot, mit dem Kopfe nickend. „Erst vor zwci Stunven hat Herr Henry zu mir gesagt: „Man behauptet. Du seiest nicht mehr der Alte." „Das ist nicht wahr", erklärte Davidot lebhaft. „Nun, gleichviel, man hat Interesse, mich zu stürzen, und darum suchen meine Feinde Alles heraus, um mir zu schaden." Er schwieg und fuhr nach einer Weile fort: „Diese Geschichte in Neuilly Hot großes Aufsehen erregt; schon sind 14 Tage vorbei, und ich muß gestehen, daß ich noch immer nichts weiß!" „Die Geschichte in Neuilly?" wiederholte Davidot, lebhaft den Kopf erhebend. „Aber eines der Opfer ist ja gar nicht todt." „Nicht todt, aber sie ist doch halb verrückt, sterbend! Was nützt uns denn das? Wenn man sic nur an ein Wort erinnern könnte, das ihr Gedächtniß erweckt! Die Polizei mischt sich auch in die Sache, denn Frau v. Versannes hat ihr ganzes Vermögen der „Gesellschaft Jesu" vermacht, und nun beschuldigt man die Jesuiten, den Mord veranlaßt zu haben, um sich schneller der Erb schaft bemächtigen zu können... Es ist ein öffentlicher Scan- dal, und um die Geschichte zu ersticken, müßte man den oder die Mörder fassen können, denn ich glaube, es sind mehrere; sonst kann ich ruhig meinen Abschied nehmen. So stehen die Sachen! Nun, was sagst Du?" Davidot dachte einen Augenblick nach und sagte dann: „Man hat nichts entdeckt, nicht das Geringste?" „Nicht das Geringste .... Und doch habe ich mich stark mit der Geschichte beschäftigt .... Aber immer ist mir Coco zwischen die Beine gelaufen. Er hatte direkte Instructionen vom Präfecten und Du kannst Dir denken, daß er mich überall zu verdrängen sucht!" Es trat eine Pause ein. Davidot schien in tiefes Nachdenken versunken, bis Vidocq plötzlich fragte: „Willst Du die Sache übernehmen?" » „Ich? Wo Sic keinen Erfolg erzielt haben?" „Ach, rede doch keine Dummheiten! Dir läuft ja da» Wasser
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