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Reklamen unter dem Redaction-sttich (4ge- spalte») 50-^, vor den Famlliennachrichtea (V gespalten) 40-^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß Tabellarischer und Ziffernsa, nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderun; ^l VO.—, mit Postbeförderung 70.—. Anuahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Margen»?lu«gabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Lei-;!«. — 92. Jahrgang. Prof. Wach und die Novelle zur Eivilproceßordnung. ?. Die Civilproceßnovelle wird bekanntlich gegenwärtig in der Reichstagscommission beratben, und es ist dankenS- wertb, daß die Commission den Rcformvorschlägen, welche auS Iuristenkreisen an sie herantreten, ein so williges Obr leiht. In der „Deutschen Juristenzeitung" hat jetzt auch einer der bedeutendsten RechtSlehrer auf dem Gebiete de« CivilprocesseS, Prof. vr. Wach in Leipzig, seine Ansichten über die Novelle kundgegeben. Die bestehende Civilproceß- ordnung bat sich in den verflossenen zwanzig Jahren nach seiner Ansicht bewährt, wenn sie auch verbesserungsbedürftig ist und einer Generalrevision baldmöglichst unterworfen werden muß, zu welcher allerdings gegenwärtig keine aus reichende Zeil vorhanden ist. Die Novelle bringt Abände rungen materiell-rechtlichen Inhalts, die eine Folge der neuen Cokification deS CivilrechteS sind, und solche vorwiegend formalen Inhalts. Mit den letzteren beschäftigt sich in der Hauptsache die Kundgebung Wacd'S. Bei der Behandlung deS Begriffes der Parteifähigkeit bezeichnet er eS als unannehmbar, daß dem nickt rechts fähigen Personenverein eine einstitige, passive Partei fädigkeit zugesprocken werden soll. Wach tritt dafür ein, daß solcke Personenvereine, vertreten durch ihr« statuten mäßigen Organe, nicht nur verklagt werden, sondern auch die Stelle deS Klägers spielen können. Dafür macht sich in der Tbat auck ein praktisches Bedürfniß geltend, denn heute ist die Rechtssübrung hinsichtlich solcher Vereine eine umständ liche, beschwerliche und nur wenn ihnen volle Parteifähigkeit gegeben wird, ist eine Beseitigung des UebelstandeS zu er warten. Die Officialpriifnng der Bollmacht im Anwaltsproceß wird von Wach bekämpft, da sie daS Verfahren belastet, ohne daß sich für eine solche Prüfung ein dringendes Bedürfniß herausgeslellt hätte. Eine Hobe Bedeutung ist zweifellos den Klagen bei be tagten Ansprüchen znzugesteben, welche der Partei für den Verfalltag schon vorher einen Vollstreckun^Stitel ver schaffen sollen. Sie sollen nicht nur bei Gelkforderungen, sondern auch, und vielleicht vorwiegend, bei RLumungS- ansprücken und Ratenzahlungen die Rechtssicherheit er höhen und dem Kläger die Befriedigung seines Anspruchs schneller ermöglichen. Ein betagter Anspruch, der nickt auf eine Geldforderung oder eine Räumung gerichtet ist, soll nur dann als klagbar anerkannt werden, wenn „den Umständen nach die Besorgniß gerechtfertigt ist, daß der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde". Der Unter schied von dem jetzt bestehenden Rechtsverbältniß ist der, daß bei betagten einseitigen Geldfordernngen und Räumungs ansprüchen, sowie Ansprüchen mit Ratenzahlungen nicht mehr ein rechtliches Interesse nachgewiesen werden muß, sondern ohne Weiteres Klage erhoben werden kann. Die Kosten fallen allerdings dem Kläger zur Last, wenn der Beklagte nicht Anlaß zur Klagerbebung gegeben bat. Wack wendet sick gegen die Einführung dieser Bestim mungen. Er sagt, daß es unerträglich sei, daß der Schuldner ohne Grund, nur zwecks Erlangung eines Bollstreckungstitels mit einem Proceß behelligt und, wie es folgerichtig sein müßte, in die Kosten verurtbeilt werde. Diese letztere Conse quenz will indessen der Entwurf nicht ziehen. Wir sind aber der Meinung, daß sckon die Verwickelung in einen Proceß überhaupt, wenn kein Grund dazu vorliegt, etwas Unerträgliches ist, denn sie verursacht zum Mindesten Zeit verluste, Aufregungen u. s. w., die in unserer Zeit Jedem nach Möglichkeit erspart werden müssen. Wach will sich lediglich mit einem Zusatze zu tz 231 der Civilproccßordnung begnügen, welcher sagt, daß daS Interesse an der Feststellung auch dann als berechtigt anzusehen sei, wenn ausreichender Grund zu der Annahme vorliegt, daß der Schuldner sich der Erfüllung seiner betagten Schuld am Verfalltag entziehen werbe. Auch diese Bestimmung würde schon einen wesentlichen Schutz bringen, ohne daß Härten für Ferritteto«. Die Bürgerschaft Leipzigs in den Märztagen 1848. In Nr. 29 diese« Blatte« gaben wir einen kurzen Rück blick auf die Märzbeweguna des Jahres 1848. Stoff dazu lieferte unS ein Artikel im Januarhefte der Zeitschrift „Nord und Süd" („Da« erste deutsche Parlament, zu besten 50jäh» rigem Jubiläum'), besten Verfasser, Professor Karl Bieder mann, darin über die damaligen Vorgänge auS eigener Kenntniß- und Antheilnabme berichtet. In jenem Artikel, der Sachsen« in ehrenvollster Weise gedachte, al« desjenigen deutschen Lande«, wo sich die (den Umständen nach unausbleibliche) Bewegung in durchweg streng gesetzlicher Form, obne jede Gewalttbäiigkeit oder Störung der öffentlichen Ordnung, bi« zuletzt vollzogen habe. Bekanntlich ging die Bewegung von Leipzig aus und blieb auch im Wesentlichen auf Leipzig beschränkt, da sie vom übrige.7 Lande auS nur spärliche und erst sspät Unterstützung erhielt, von der Residenz Dresden auS sogar den heftigsten HHerspruch ersub-. Ack. io erfrcnl.cher war es, daß durch die Einigkeit und die mit Ä ^'gui g und Besonnenheit gepaarte Festigkeit der Leipziger Bürgerschaft — obne Anwendung de« Mittel«, daS so leich» ,(blcke Bewegungen auf falsche Wege leitet, einer öerufug an Leibenschaften der Masten — da« äiel erreich sard. Dir,K« Ziel selbst war ein durchau« ge- und besonnene«, mämlich nicht« weiter al« die Ber auschung eines (wie Herren Friesen in feinen „Srinne- ruuaen" e« ganz richtig bezeichnet) hinter den veränderten «rrhältuissea und tzen in dre Sevölkerung eingedrungroeu den Pflichtigen entstünden, der gar keine Weigerungsgedanken gefaßt hat. Die Hauptsache ist natürlich, daß daS jcststellende Urtheil ein BollstreckungStitel ist, waS auch von Wach in einem Zusatz zu ff 672 gefordert wird. Die Feststellungs klage bietet beute wenig Vortbeile; erst wenn das FeststellungS- urtbeil vollstreckbar sein wird, werden diese Bortheile zu Tage treten. Was die Schadenshaftung wegen provisorischer Vollstreckung anlangt, so stellt der Entwurf den Satz auf, daß der Kläger für den Schaden haftet, den er durch Voll streckung oder durch Leistung zweck« Abwendung der Voll streckung eines corrigiblen BollstreckungstitelS (vorläufig voll streckbare- Urtbeil, Vorbebaltsurtbeil, Arrestbefebl, einstweilige Verfügung) verursachte, wenn dieser Titel sich al« grundlos erweist. Beim sogenannten BorbebaltSurtbeil, welche« unter Vorbehalt der Geltendmachung von VertheidigungSmitteln ergeht (§ 502), soll allerdings die Haftung nur auf ungerecht fertigte Bereicherung geben. Wach rügt das als inkonsequent. Ihm erscheint die obzective Scbadensbaftung deS Klägers in jedem Falle nicht ungerechtfertigt, wenn er sich auch nicht verhehlt, daß durch sie die Energie der vorläufigen Voll streckbarkeit abgeschwächt und dadurch auch dieRechtSverfolgung gelähmt wird. Eine wesentliche Verbesserung ist nach Wach, und darin wird ihm daS rechtsuchende Publicum beistimmen, die Zu lassung der Klageänderuna in erster Instanz nach Er messen de« Gerichtes, wenn die Aenderung die Bertheidigung teS Beklagten nickt wesentlich erschwert. Wie oft müssen Klagen zurückgenommen werden, weil ein falscher Klagcgrunb angegeben ist, obwohl der Anspruch an sich kltpp und klar ist. Der leidige Formalismus duldet dann nickt die Correctur deS Klagegrundes, und die Klage muß vom Kläger unter erheb lichen Kosten zurückgenommen, oder er muß abgewiesen werden. Diesem Mißstände mußte Abhilfe gebracht werden, und zwar um so mehr, weil, wie Wach hervorhebt, die Frage, ob Klageänderung oder nicht vorlirgt, an sick zu den spinösesten gehört. In der Berufungsinstanz soll die Klage änderung nur mit Einwilligung deS Beklagten angängm sein. Wir sind der Meinung, daß man auch »>en letzten Schritt wagen und hier die Einschränkung, gegen die ^ich mancherlei sagen ließe, fallen lassen sollte. Bei Einführung eine» sogenannten Vorterm in S will Wack dem letzteren obligatorischen Charakter beilegen und Anwalts zwang einsübren. Nur Vergleiche, Verzichte, Anerkennt nisse, Klagrücknahmen sollen zwischen den Parteien per sönlich verhandelt werden können. Die Beseitigung der beiden Versäumnißzwiscbenurtheile im Versäumnißverfabren (§ 217, 480) billigt Wach. Er schlägt auch sonst noch Ver einfachungen vor, auf die hier nicht naher eingegangen werden kann. Den ProtokollirungSzwang im amtSgericht- licken Vcc fahren, soweit er sich nicht nur auf Anträge und Erklärungen über Eide bezieht, verwirft Wach mit Iastrow, da er eine Erschwerung des AmtSgerichiSprocesseS bedeutet. Die Beschwerde wird im Entwürfe stark beschränkt. Die zweite anterweite Beschwerde wird beseitigt, die Be schwerde gegen oberlandeSgerichtliche Kostencntscheidung von einer summa N'avaminis von 100 die weitere Beschwerde gegen Kostenentscheidungen der Landgerichte von einem Be- schwerdeinleresse von 50 abhängig gemacht. In seinen Ausführungen zu diesem Punkt bemängelt es Wach, daß in Sacken, die wegen Mangels der Revisionssumme nicht revisibel sind, Beschwerden von minimalstem Streitwerlh bis zum Rcich-zericht getrieben werden können. Die weitere Beschwerde ans Reichsgericht sollte nach seiner Meinung ebenfalls von einem gewissen Werth des Streitgegenstandes abhängig gemacht werden. Die Revision soll in zwei Hauptstücken geändert werden, einmal durch Möglichkeit der Sachentscheidung bei Spruch reife und durch die Erhöhung der RcvisionSsumme. Die erste Aenderung soll die vielen Zurückweisungen über flüssig machen und damit, wie Wach anerkennt, die wesentliche Verbesserung deS Verfahrens berbeiführen. WaS die Er höhung der RevisionSsummc anlangt, so weist Wach den Ideen zurückgebliebenen und dadurch unhaltbar gewordene» Regierungssystems — im Einzelstaate und in ganz Deutsch land — mit einem zeitgemäßen, volkSthümlichen und nationalen. Wir folgen bei der Schilderung des Verlaufs dieser Leipziger Bewegung im März 1848 den Mittbeilungen zweier Augenzeugen, de« Professor« Biedermann in seinem Buche „Mein Leben unv ein Stück Zeitgeschichte" und deS ver storbenen Dicebürgermeistrr« vr. Stephani in den von seinem Biographen vr. Böttcher gesammelten Tagebuchnotizen. Ja den letzten Tagen deS Februar langten in Leipzig sehr beunruhigende Berichte auS Pari« an. Sie verkündigten ven Beginn eine« großen Aufstande- am 22. Februar. Nach früheren Vorgängen und nach der damaligen Lage der Dinge in Frankreich erschien e« al« höchst wahrscheinlich, daß dieser Aufstand sich zu einer förmlichen Revolution erweitern werde, als ebenso wahrscheinlich aber, ja als beinahe gewiß, daß eine revolutionaire Bewegung im Nachbarlande Frankreich nicht ohne die allerstärksten Rückwirkungen auf Deutschland bleiben werde. Gerade Sachsen hatte diese Erfahrung schon einmal, im Jahre 1830, gemacht. Welchen Verlauf die somit jedenfalls demnächst auch kirr zu erwartende Bewegung nehmen werde, da- würde davon adhängen, welche Partei sich zuerst derselben bemächtigte. ES gab damals in der, im Allaemeinen überwiegend liberal gesinnten Leipziger Bürgerschaft zwei Parteien, eine radicale unter Robert Blum'S Leitung unv eine gemäßigt liberale, zugleich nationale, deren Wortführer, namentlich m der Presse, Professor Biedermann war. Die Radicalen erhielten die Nachricht von dem Sieg der Revolution in Pari« zuerst, und zwar, wie in den, Leben Robert Blum'S von seinem Sohne Han« Blum erzählt wird, auf einem Balle im Hotel dePologne, dem eine Anzavl radicaler Führer und Parteigänger beiwohnte. E« war in der Nackt vom 28. zum 29.Februar. Wir Han« Blum weiter berichtet, wäre sein Vater alsbald mit seinen politischen Freunden zusammen getreten, um die Schritte zu verarhen, di« in Leipzig geschehen Vorwurf zurück, daß dieselbe einen antisocialen, plutokra- tischen Charakter habe. „Unbemittelte, in beschränkten Ver hältnissen lebende Arbeiter und dergleichen führen für ge wöhnlich nicht Processe mit einem denkbaren RevisionS- intereffe zwischen 1500 — 3000 sie werden also nicht betroffen. Im klebrigen gilbt der Werth dieses Anlässe« keinen Maßstab für daS Vermögen der Partei. Es könnte sein, daß mit Armenrecht böchstwerthiger Anspruch verfolgt wird. Nicht Begünstigung de« Reichen, sondern die durchaus sachliche Abschätzung de« objectiv höheren Gewichte« der Sache, deS richtigen Verhältnisses von Mittel und Zweck entscheidet." Wach hält im Urbrigen an dem Grundsatz fest, daß die Revision principaliter überhaupt nicht dem Interesse der Parteien, sondern der Recht-eiabeit dient. „Und daß diese RechtSeinheit, soweit thunlich, gewahrt werde, ist zumal jetzt, da wir zu ihrer Verwirklichung da- bürgerliche Gesetz buch geschaffen haben, ein bobeS und unabweisbare« Interesse." Die Revision auf daS Niveau ve« Caffation-recurseS, bez. der preußischen Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuschrauben, er scheint Wach nicht angängig. Auch da« Princip der reinen Schriftlichkeit im Revisionsverfahren und desgleichen die Ein führung einer cllumbrs cle rsquste« nach französischem Vor bild wird von ihm im Wesentlichen mit derselben Begrün dung, die schon Oberreichsanwalt Hamm gegen den Bor» prüsungSscnat inS Treffen geführt hat. verworftn. Auch dem erkennenden Senat will er nicht da- Recht zugestanden wissen, eine Vorprüfung vorzunebmen und die Verwerfung der Revision durch Beschluß au«;usprechen. „So bleibt allein die Beschränkung der Revisibilität." Die Revisionssumme ist zu er höhen. „In der Thal", sagt Wach, „sind 1500^1 im Jahre 1875 erheblich mehr gewesen als heute der gleiche Betrag. Nur die Höhe der Revisionssumme verbürgt sicheres Resultat der Entlastung deS Gerichtshöfe-, ohne die« Rechtsmittel zu verderben. Nur sie wahrt die Continuität der RechtSentwickelung. Und sind denn 3000 .L exorbitant? Die alten Reichsgerichte hatten sckon im 17. Jahrhundert eine summa appoUadilis von 400 Reichsthalern und eine summa revisibills von 2000 Reichs thalern." Die Erledigung dieser Frage erklärt Wach für unauf schiebbar, „denn wir können eS nicht darauf ankommrn lasten, daß daS Reichsgericht am Uebermaß der ihm aufgebürdelen Geschäfte erlahmt, daß sich in höchster Instanz rin Stillstand der Justiz entwickelt". Es taucht da- Schreckgespenst au« dem Wetzlarer Reichs kammergericht wieder drohend auf! Deutsche- Reich. /?. Leipzig, 8. Februar. Ehren-Sigl'S „Vaterld." fährt fort, Todesfälle zur Bekundung seiner Rohheit zu benutzen. E« ist noch in frischer Erinnerung, wie daS genannte Organ für politischen Unrath den Tod eines Kindeö de« CentrumSabgeordneten Vr. Orterer in so widerwärtiger Weise journalistisch auSschlachtetc, daß die Entrüstung darüber allgemein war und der Reichsraa auf gefordert wurde, daS schuldige Mitglied moralisch ,u stäupen. Dies geschah aber nicht; und daß die Züchtigung durch die Presse völlig wirkungslos geblieben ist, obwohl Sigl durch den inzwischen erfolgten Selbstmord seines eigenen Sohnes hätte läulerungsfähiger werden können, bezeugt die nach stehende Notiz ans der letzten Nummer des „Bayr. DaterldS": „Im Kieler Hasen ist eine Dampfpinasse der Marine vom Sturm umgeblasen worden, weil die Preußen wieder einmal bei Sturm nicht zu fahren wußten. Als da« Schiff bereits unter gegangen und der Kessel geplatzt war, kamen die Marinepreußen. ES sind 10 (oder 6) Mann ertrunken. — Wenn die Preußen es nicht können, aber doch fahren wollen, dann ersaufen sie und sagen: navigaro neccsso ost, virere uou ost neeesso; zu deutsch: gefahren muß sein, wenn wir's auch nicht können und ersaufen. ' Ob der Kieler Unglücksfall durch menschliches Verschulden oder allein durch höhere Gewalt herbcigcführt ist, wird die müßten. „Alle hätten darin übereingestimmt, daß die Stadt verordneten und womöglich auch der Stadtratb die Wünsche der Bürgerschaft vor den Thron bringen müßten. Am nächsten Morgen habe sich aber ergeben, daß auck dir Ge mäßigten unter Biedermann'« Führung genau dasselbe Ziel verfolgten." Anders stellen die Sache unsere beiden Gewährsmänner dar. Biedermann schreibt: „In der Nacht vom 23. auf den 29. Februar gelangte die Nackrickt von der Flucht Ludwig Philipps und der Einsetzung einer provisorifchen Regierung in Pari« nach Leipzig. Ich erhielt sie am 29. Februar früh. Mir war eS keinen Augenblick zweifelhaft, daß auch in Deutschland, auck in Leipzig die Wogen der Aufregung alsbalo sehr hoch geben würden, ebenso wenig aber, daß die Radicalen beeifert sein würden, sich der Bewegung zu bemächtigen. Und wirklich vernahm ich noch im Lause deS Vormittag- au« glaubbaiter Quelle, daß dieselben mit einer Demonstration zu Gunsten der Pariser Revolution umgingen." Damit stimmt vollkommen die folgende Tagebuchuotiz von Stephani überein: „Der radicale Unverstand steckt daS Haupt heraus; Arnold Rüge und Andere beabsichtigen rin Siegr«ba»k«t ru Ebren der Republik. Die Gefahr lag nabe, daß di« äußerste Demo kratie sich der Bewegung bemächtigte." Diese Gefahr ward dadurch abgewendet, daß die Gemäßigten ungesäumt Schritte thaten, um die Bewegung in die Hand zu bekommen und sie in ruhige, gesetzliche Bahnen zu leuken, und daß die Bürgerschaft mit seltener Emmütbigkeit uad Ausdauer ihnen auf diesem Wege folgte. Der Blum'schen Partei aber und insbesondere ihrem Führer muß e« al« ein auerkennen-werther Act der Selbstverleugnung auaerechuet werden, daß sie, nachdem ihnen die Leitung der Bewegung entzogen worden war, nun den Gemäßigten — „um der Einigkeitt willen", wie sie sagten — sich anschloffen und sich aller radikaleren Schritt« enthielten. Ein Fest zu Ehren der Pariser fand zwar noch statt, allein inzwischen hatt-u dir sofort eingeleitete Untersuchung ergeben. Diese aber mag ausfallen, wie sie will: bei solchem Anlaß in solcher Form gegen die „Marinepreußen" zu Hetzen, das bringt nur ein Mensch fertig, der über seiner Spekulation auf den Bierkäse geschmack seiner Anhänger längst verlernt hat, sich darüber zu schämen, daß seine eklen Ergüsse die Verachtung deS ganzen übrigen TheileS der Nation ans sich laden. Es sollte uns übrigens wundern, wenn nicht sogar in einigen der obskursten Münchener Winkclkneipen die empörten Gäste dem Wirtbe die letzte Nummer des „Vaterlands" zur Ver treibung von Natten und AbortSdiebcn übergeben und gründ liche Ausräucherung des Local- verlangt hätten. * Meißen, 8. Februar. Wie das „Meißner Tageblatt" zuverlässig erfährt, hat der frühere Meißner Stadtralh, jetzige Leipziger Bankdirector vr. Rothe nun zum zweiten Male und endgiltig unter Hinweis auf seine jetzigen Bernfspsstchlen die Annahme einer ReichStagScandidatur abgelehnt. Man wird e« daher voraussichtlich im 7. sächsischen Wahl kreise außer dem Socialdemokraten nur mit dem Candivaten de« Bundes der Lanbwirthe und der Conservativen, Ritter gutsbesitzer Sachße-Merschwitz, und dem Candivaten der Reformer, Gutsbesitzer Gäbel «n Klassig bei Nossen, zu tbnn haben. Uebrigrn« sind da- gerade genug Candivaten! * Berlin, 8. Februar. Der freisinnige Muster-Politiker vr. Dobrn ist von einer barten, aber wohlverdienten Strafe ereilt worden; auch die freibändlerische „Frankfurter Ztg." führt ihn all absurdum, indem sie zu seiner von un« gestern gewürdigten Auslassung sarkastisch bemerkt: „Herr vr. Dohrn irrt in einer Kleinigkeit: Die Blut laus ist unmöglich identisch mit der Josefslaus. Eie findet sich wenigstens bei unS nur an den Aepfelbäumen, wird aber anderen Obstbäunien nickt gefährlich. Das stimmt mit der im „ReickSanzeiger" gegebenen Beschreibung nicht überein, die auch in anderen Stücken auf die Blutlaus nicht zutrifft. Man hat oliv anzunehmen, daß die San JojS-Schildlau« «in ganz anderes Thier ist." Die ministerielle „Berl. Corr." tritt ebenfalls der von Herrn vr. Dobrn ausgehenden Irreleitung der öffentlichen Meinung dadurch entgegen, daß sie folgende Erklärung ver öffentlicht : - „Die Jdentificirung der Blutlaus mit der San Joss-Sck'ildlau? beweist eine Unkenntniß der Dinge, wie man sie von dem Vorsitzenden eines entomologischen Vereins nicht hätte er warten sollen. Die Blutlaus (äckironeura lauigera Nausm.) gehört zu der Gruppe der Aphiden, während die Sau Joss-Schild- lau- (^»piäiotu» peruieiosus 6owst.) zu der Gruppe der Loccideu gehört. Die Blutlaus sieht ganz wie eine Blattlaus aus, kann ihre Füße gebrauchen und ist mit weißem Flaum bedeckt, während die Sau JosS-Schildlaus, wie schon der Name jagt, von einen, Schilde bedeckt wird, und, einmal festgesaugt, ibre Beweglichkeit und später auch ihre Füße verliert. Die Schädlichkeit der Blutlaus für den Obstbau wird Lurch die für diesen geradezu vernichtende Wirkung der San Josö-Schildlaus, die den ihr amerikanischerseitS gegebenen Beinamen perniciosus mit Recht führt, unendlich übertroffen." Goethe, Königlicher Lekonomierath, Dircctor der Königlichen Lehranstalt für Garten-, Obst- und Weinbau in Geisenheim. Ls § Berlin, 8. Februar. Heber einen eigenartigen Hofgebrauch schreibt man der „Allg. Ztg." aus Berlin: „Die gesellschaftliche Saison ist auf ihrem Höhepunkte an gekommen, auch am Hofe folgen sich die Festlichkeiten rasch, und die Hofmarschallämter haben von früh bis spät zu sorgen, daß Alles nach den Regeln der Kunst vor sich gehe. Auffällig muß es erscheinen, daß noch immer daran festgehalten wird, die nichtpreußischen Herren und Damen aus den deutschen Einzel st aaten, welche am Hofe hier vorgestellt werden, als „ausländische" zu bezeichnen. Wahrscheinlich herrscht dieser Brauch auch an anderen deutschen Hosen, und cs mag schwierig sein, hierin eine Aenderung herbeizuführen, doch wird dieses sich mit der Zeit als nothwendig Herausstellen, wenn man nicht die Kritik des Auslandes hcrausfordern und namentlich Dinge cincn solchen Verlauf genommen, daß es ohne jede revolutionaire Aufregung verlief. So gelang eS, nicht nur ini Stadtverordnetencolleginn, eine Adresse an den König einstimmig eurchzubringen, sondl.ü auch den, in seiner damaligen Zusammensetzung sehr const:- vativen Stadtrath für einen ebenso einstimmigen Beitritt ;u Vieser Adresse zu gewinnen. Die Adresse (von Prof. Biedermann versaßt) war, zumal im Vergleich zu den vielen anderwärts laut gewordeue:,, zum Tbeil sehr weitgehenden „Forderungen deS Volkes', überaus bescheiden: sie bat nur um Zweierlei: um große,. Freiheit für die Presse und um die Berufung eine- deutsche:, Parlaments. Gleichwohl ward diese so bescheidene Adresse und di« st- überbringende Deputation von Stadtratb und Stadtverort rieten vom Körrig Friedrich August II. sehr ungnädig ausgc nommen. Der König batte sich schwer gekränkt gefühlt durch ei ic Stelle der Adresse, worin eS hieß. „Ja, Ew. Majestät, wir sprechen eS au« mit der ganzen Offenheit, welche brr gebieterische Drang der Umstände er drückt: auch in Sachsen, wie leider in den meisten deutschen Ländern, wird schmerzlich jene innige Eintracht und Wechsel wirkung zwischen dem Geiste der Verwaltung und dem Geiste de« Volks — wir meinen den unabhängig denkenden, be sonnenen Tbeil deS Volke« — vermißt, wodurch allein deck, eine aufrichtige und vollständige Ausführung und Ausbildung der Verfassung möglich ist." Der König batte diese Stelle, die natürlich aus die vc/ autwortiichea Käthe der Krone, die Minister, ging, auf sich bezog«». -ß Durch eine zweite Deputation, die am folgenden Tage »ack Dresden abging, ward diese« Mißverstäntniß aus geklärt, zugleich nochmal« um Erfüllung der von der Bürger schaft geäußerten Wünsch« gebeten. Erst al« man sah, daß der König über die Stimmung in Leipzig und im Lande und über dir Wirkungen de« von