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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961020015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896102001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896102001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-10
- Tag 1896-10-20
-
Monat
1896-10
-
Jahr
1896
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Jedenfalls muß jeder VateriandSfreund es als ein betrübendes und be schämende- Zeichen geistigen Rückganges emeS Volkes be zeichnen, wenn gebildete Kreise mehr und mekr zu dem Faust reckt längst vergangener Zeiten zurückdrängen, um Gewalt ror Recht geben zu lassen. Dieses Gefühl wirb jeden Unbefangenen beherrschen, wenn er vernimmt, daß bei einer wörtlichen oder tbätlicken Beleidigung der Be leidiger einfach über den Haufen gestochen oder geschossen wird. Verstärkt wird aber ein solches Gefühl noch werden, wenn solche Vorgänge sich bei einem Volke ereignen, das sich das Volk in Waffen nennt, wo der Osficierstand einen Tbeil der Erziehung des Volkes zu übernehmen und :u leiten berufen ist. Wenn nun solche Uebergrisfe und gcwaltthäi g Ausschreitungen von einzelnen Mitgliedern des Officierslandes begangen werden, so kann man zwar nickt den Stand an und für sich oder alle seine Mitglieder dafür verantwortlich machen, denn auch hier werden solche Vorkommnisse von dem verständigen Tbeile verurtbeilt; andererseits kann man die in Bürgerkreisen herrschende Annahme nicht als haltlos verwerfen, daß mancher Officier das Borgesten seines Kameraden in Karlsruhe billigt, wcft-di ser seine Waffe „zur Wahrung seiner Ttandesebre" benutzt bat. Und diese „StanbeSehre" ist es eben, waS schon so viel Elend und Kummer über Einzelne wie über ganze Familien gebracht hat. Unwillkürlich fragt man sich: Ist denn die Ehre des Officierslandes eine so ganz andere, als die des Bürgerstandes? Bei ruhiger Erwägung dieser Frage wird man sie einsach verneinen müssen, denn die Ekre des Einen ist ebenso viel Werth wie die des Anderen, vorausgesetzt, daß Beide gleick unbescholten sind und ihre menschlichen wie alle übrigen Pflichten in gleichem Maße erfüllen. AuS dem Bewußtsein redlich erfüllter Pflicht ergiebt sich das Recht für jeden Staatsangehörigen, zu fordern, daß seine Ehre sür gleichwerthiz mit der Ebre des Anderen erachtet und an erkannt werke; dieses Recht ist dem Herkommen durchaus nicht entgegen, daß die einzelnen Stände sich noch besondere Standes- pflichten auferlegcn. Zu solchen Slandespflichlcn darf aber doch nun und nimmermehr die gehören, einen Beleidiger ohne Weiteres zu lödlen. Eine Beleidigung kann doch nur an der Ehre geschehen, und da die Ebre des Bürgers mit der des OsficierS gleickwerlhig ist, so könnte auch der Bürgerstand für sich das Recht in Anspruch nehmen, jeden Beleidiger niederznscblagen oder todt zu stechen. Tas würde zu den grauenhaftesten Zuständen führen, die nicht weiter auSgemalt zu werben brauchen. Jeder Stand bat daher die Verpflichtung, bei seinen Gliedern dahin zu wirken, daß solche Gewaltthätigkeiten vermieden, jedenfalls aber unter keinen Umständen gut geheißen werden. Wer dieser Verpflichtung sich entzieht, ladet die schwerste Verantwortung auf sich und ist moralisch mitschuldig an Vorgängen, wie sie leider nicht selten gemeldet werden. Erfreulicherweise hört man in den Kreisen der höheren und älteren Officiere, dir vielfach mit bürgerlichen Kreisen bei der Erfüllung gemeinsamer vaterländischer Pflichten sich begegnen, nur höchst selten ein Wort der Ueberhebung über den Bürgerstand. Tie Hauptschuld an der Thatsache, daß solche Ueberhebung mit ihren Folgen nicht selten bemerk bar wird, tragen jene jüngeren Mitglieder res Officier- standeS, die in ihrer jungen Freude an der Zugehörigkeit zu diesem Stande den Menschen erst beim Lieutenant anfangen lasse». Wo soll das aber hinaus? Vom Bürgerstande wird den Officieren vollste Achtung entgegengebracht, ja sie werden oft in überraschender Weise bevorzugt und geehrt und dadurch zuweilen verwöhnt. Nun sollten aber solche Verhältnisse wenigstens auf Gegenseitigkeit beruhen und die Officiere sollten dem Bürger »n der gleichen Weise entgegentrelen. Aber hierin wird ganz entschieden gefehlt, und eS ist dringend zu wünschen, daß die höheren DefeblS- staber noch öfter und energischer den Officieren ein höfliches und zuvorkommendes Benehmen gegen den Bürgeistano empfehlen, das ja von den Officieren beim Unterricht der Mannschaften nachdrücklich empfohlen wird. Auch im offent- ichcn Leben sollte der durch Uniform und Waffe vor den übrigen Staatsbürgern ausgezeichnete Officier em Vorbild ein und die Waffe, die er zur Vertsteidigung des Vaterlandes führen soll, nicht zur Verfechtung seines vermeintlichen Rechtes durch Selbsthilfe mißbrauchen. Dies sollte schon die StandeSpflicht verbieten und nicht, wie die Auffassung vorherrscht, fordern. Die Streitenden sind immer Partei; keiner von istnen kann daher den Streit schlickten oder Richter sein; dieses Amt muß einem Unparteiischen überlasten bleiben, und nickt dem gewalt samen Gebrauch der Waffe, wie er bei dem Karlsruher Vorfall so vernichtend in die Erscheinung trat. Kommt dann noch Erregtheit durch Alkobvlgcnuß hinzu, so wird die Sache auch nicht einmal in milderem Lickte erscheinen können, denn man wird immer auf den Kernpunct derselben zurückkommen, der in einem unrichtigen Gegenseitig- keirsverbältniß zwischen Osficierstand und Bürgerstand zu suchen ist, einem Verstältniß, das zu bessern gerade ter Ofsicier- stand sich angelegen lassen sein sollte, um zu zeigen, daß er es als seine höchste Aufgabe erkennt, das Vaterland und den friedlichen Bürger selbst mit Gefahr des eigenen LcbenS zu schützen und zu schirmen. Die Äbschiedsrede vr. Knyser's im Lolonialrath. D Berlin, 19. October. (Telegramm.) In der heutigen Sitzung des Eolonialraths stielt der Vorsitzende desselben, Or. Kayser, folgende Ansprache: Nicht ohne tiefe Bewegung habe ich den Herren den Rücktritt von meinem Amt anzuzngen, zumal ich zum letzten Male zum Vorsitz in dieser Versammlung berufen bin. Eine angesehene Zeitung bemerkle vor wenigen Tagen, daß ich derjenige Reichrbeomle sei, der den heftigsten und gröbsten Angriffen ausgefitzt wäre und dein sein Amt zu verleiden, von gewisser Leite Alles angewandt werde. Der Schluß läge ziemlich nahe, wenn man annehmen wollte, daß ich diesen Angriffen weiche. TaS wäre nach jeder Hinsicht ein Jrrthum. Leit länger als Jahr und Tag strebe ich danach, von der schweren Last meines AmieS befreit zu werden. Wiederholte daraus gerichtete Anträge sind stets zurückgewiejen worden und noch in letzter Stunde sind die verschiedensten Versuche gemacht worden, mich von meinem Entschluß zurückzubringen. Die Entschlossenheit meines Willens hat mich jetzt zum Ziel geführt. Es ist gewiß richtig, daß sehr heftige und geradezu pöbelhafte Angriffe gegen mich erhoben wurden, und daß auflandige Menschen es vorziehen, aus dem Wege zu gehen, wenn aus der Straße mit Schmutz geworfen wird. Jene Angriffe würden aber niemals die Regierung bewogen haben, mir Len Abschied zu gewähren, noch würde ich selbst dadurch veranlaßt sein, ihn zu fordern. Handelt eS sich doch hier nur um eine kleine Clique von Leuten, die jedes Mittel anwcnden, um ihr rein persönliches Ziel zu erreichen. Die Achtung vor dieser Hohen Versammlung hält mich davon zurück, einzelne dieser Menschen bis in ihr innerueS Mark, wie mit Röntgen strahlen zu beleuchten. Ein zahlreiches Material steht mir zu diesem Zweck zur Verfügung. Ich darf cs vorliegenden Falls um so mehr unterlassen, als das Gottesgericht bereits über Einige von ihnen hereingebrocken ist und das Wort, daß rede Schuld jchon aus Erden sich rächt, an ihnen Allen zur Wahrheit werden wird. In der kürzesten Zeit wird die Lust gereinigt sein. Dieses Ergeb»,ß abzuwarten, würde, so sachlich auch die Vor- kommmsse zu bedauern sind, sür mich gewiß eine persönliche Ge- nugthuung sein. Ich lehne sie aber ab, da ich ihrer nicht bedarf. Tas vorerwähnte Blatt bezeichnete die Angriffe jener Leute aus mich als ein« Angelegenheit, die mir in den Augen anständiger Leute nur zur Ehre gereichen könnten. Trotz dieser Angriffe hat die von mir geleitete Verwaltung, abgesehen von meinen Vor- gesetzten, von zwei großen Parteien, vom Katholikentage in Dort mund im August und von dem nationalliberalen Parteitage in Berlin im Ociober, «ine ungrtheilte Anerkennung erfahren. Die selbe ist in einer Adresse unserer angesehensten übrrseestchen Firmen und Colonialgejellschasten ausgesprochen worden. Sogar die Osl- afrikauische Gesellschaft hat sich ihr angeschlosjrn, die bei dieser Ge legenheit wenigstens nicht vergaß, daß meine Mitwirkung im Jahre 1888 sie von einem schweren finanziellen Zusammenbruch gerettet hatte. ES hätte mir nur zur Befriedigung gereichen können, den Etat im Reichstage zu vertrrten. Meine Herren, zu der amtlichen Thätigkeit, wie sie mir ohne mein Zuthtln in den letzten 6',, Jahren beschielten war, gehört ein reicher Fond- großer Begeisterung. Er war e-, der mich im Jahre 1890 veranlaßte, das glänzend» Angebot einer hervorragenden amtlichen Stellung auszuschlagen, um die Leitung der colonialen Angelegenheiten zu übernehmen. Damals hatte der Vertrag mit Eng land eine tiefe Depression in Deutschland dervorgerusen; die kaum reconstruirte Lilafrikaiujche Gesellschaft wollte mit ihren mühevoll zusammengebrachten 2 Millionen liquidiren. Die Mittel der Sudwcst- afrikanischen Gesellschaft waren tast völlig erschövft, Togo und Kamerun fristeten ein kümmerliches Dasein. Wir halten nickt ein mal das Geld, um dem Sultan von Zanzibar die vertragsmäßige Abfindung sür die Abtretung der Kaue zu bezahlen, und noch weniger die Mittel, um ihre wirtbschaftlichc E»tw ckelung für qe- ichert ansehen zu können. Die Mehrheit im Reichstage war unserer Colonialpvlitik völlig abgeneigt. Wer wollte sich wundern, wenn damals in manchem bekümmerten Herzen der Gedanke Platz griff, daß der coloniale Besitz nicht würde gewahrt werden können. Aber alle diese fast unüberwindlich erschienenen Hindernisse wurden überwunden. Und wenn es mir auch selbstverständlich fern liegen muß. Las Verdienst der Männer zu schmälern, die hierzu beigetrogen haben, auch bei großer Bescheidenheit und Zurück. Haltung darf ich sogen: ma^ua pars t'ui. In jener schweren Zeit wurde der Eolonialrath ins Leben gerufen, dec uns das Ver trauen der colonialen Kreise schaffte und zu einer dauernden, werih- vollen Einrichtung wurde. Damals wurde Los Etatsreckt Les Reichstags auf die Colonien ausgedehnt, hauptiachlich in der Absicht, in dem Parlament einen verfiändnißvollen Rathgeber auf einem ganz neuen, unbctr.tencn Gebiet zu finden. Zahlre.che Expeditionen wurden ausgerüstet, um uns die Herrjchait in den Hinterländern von Togo und Kamerun zu sichern. Wenn auch im erstgenannten Gebiet die Frage noch offen ist, unsere Machtitellung habcn wir gegenüber von England und Frankreich gefestigt, und die Kameruner Abgrenzung hat unS ein werchoolles Gebiet zugeführt, ohne uns in Abenteuer zu stürzen, deren verhangnißvollen Ausgang wir an dem Miß geschick einer befreunüeten Nation haben w.ihriiet,men können. Ich kann die weiteren Erfolge aus dem Gebiet der auswärtigen Eolonialpolilit, die Streitigkeiten mit dem Eongoslaat und mit England übergehen; fie sind noch frisch in Aller Erinnerung. Auch würde zu weit sichren, im Einzelnen auseinanberzuseyen, was in den letzte» sechs Jahren an ethischen, wirthichaf liehen und wijienjchait- t ich en Errungenschaften in unseren Colonien geleistet worden ist. Ich kann Mich hier lediglich auf das Unheil unserer Missionen, unserer Mujeeiiverivallungen und unserer gelehrten Kreise beziehen. Was wir in der Krankenpflege, was wir in der Tropen- bygirine gethaa haben, Hai er» in den jüngsten Tagen die größte Attk.tcnrnng an Len maßgebenden Stellen gesunden. Aber ich kann eS mir nicht versagen, bei diesem Ueberblick wenigstens einige Zahlen sprechen zu lassen, die beredter, als Worte es thun können und mit einer unübertroffenen Sicherheit und Unparteilichkeit zum Ausdruck bringen werden, Lag die Arbeit der letzten sechs Jahre keine ver- gebliche geweien ist und daß die Grundlage für die Entwickelung unserer Schutzgebiete ners poremuus fleht. Hier diese Uebersicht: Bei Uebernahme meiner Verwaltung waren die Einnahmen in Kamerun 2.8 000^1, sie sind in diesem Eiatsjahr aus 640000 Mark gestiegen; in Togo betrugen sie 1890/91 93 LOO und belaufen sich in diesem Elatsjahr aus 380000 In Südweft- afrlka beliefen sich die Einnahmen 1890/91 aus 1200^t, in dein laufenden Elatsjahr aus 386 000 JnOilafrita sind die Einnahmen während der ganzen Zeit sau ständig geblieben, was aber insofern eine Steigerung dedeuiet, als der Rupiecouts einen erheblichen Sturz erlitten hat, der seither fast 2L Procent betragt. Dem allmählich wachsenden Interesse des Reichstages für die Colonien entspricht Li» Erhöhung VeS Relchszuschilsses, woraus hervorgeht, daß das Vertrauen zu der Entwickelung unserer Schutzgebiete und zu der Verwaltung der Colonien dauernd gestiegen ist. Während im Jahre 1890,91 von dem Reiche etwa 2"/^ Millionen iür die deutschen Colonien verwendet worden find, hat die Aufwendung im Jahre 1896,97 etwa 9'/, Millionen betragen. Diesen erhöhten Auf wendungen entspricht ober auch der wirthschas.liche und culturelle Fortschritt. In allen unseren Colonien ist die Zahl der Stationen im Innern gewachsen. Von 4 Stationen, die im Jahre 1890,91 in Ostafrika bestanden, ist die Zahl im Jahre 1896/97 auf 19 ge stiegen, in Kamerun von 2 aus 10, in Togo von 2 auf L, in Südweft- afrika von 1 auf 26. Ten gleichen Fortichrut macht» das Anwachsen der weißen Bevölkerung, sie betrug in Kamerun im Jahre 1890 IOÜ und stieg auf 230 im Jahre 1896, in Togo 3L und im Jahre 1896 : 96. In Südwesl-Afrika im Jahre 1890: 4L0 und im Jahre 1896 : 2025. Für Ost-Afrika liegt eine solche Statistik nicht nut Genauigkeit vor. Wenn aber im Jahre 1894 die weiße Bevölkerung aus 7L0 Köpfe geschützt wurde, so darf man annehmcn, daß diese Zahl das Sechsmche der Anfangsbevölkeruug darslellt. Auch die Zahl der Handelsfirmen hak sich in allen Schutzgebieten ver größert. Während in dem Jahre 1890 an der ostafrikaiilschen Küste dir Lstafrikaniiche Gefelljckack mit ihren Stationen thärig war, sind im Jahr« 1896/97 13 selbstständige Firmen vorhanden. Die elf Kamerunfirmerr des Jahres 1890 haben sich um fünf deutsche ver mehrt. In Togo wuchs die Zahl der Firmen von 11 aus 18, in Südweft - Afrika von 12 auf 23. Der Handels verkehr unserer Colonien betragt im Gejammtumsatz über 30 Millionen Mark, wovon 10 Millionen auf bas deutsche Zoll gebiet fallen, welches im Jahre 1890 an diesem Handel mit einem kaum nennenswrrthrn Betrag« brrherligt war. Bon Plantagen- Unternehmungen war im Jahre 1890 noch nirgends di» Rede. In Ostairika sind jetzt 16 derartige Unternehmungen im Gange und Gesellschaften dabei thätig, deren Grundcapital allein für diese Zwecke mehr als 8 Millionen beträgt. In Kamerun sind ebenfalls 7 Plan- tagen-Uiiternehmilngen im Gange. In To^o sind diese Unter nehmungen aus 8 gewachsen. Ueber die in «udwestasrika thätigen Gesellschaften und deren Capital ist dem Colonialrath »ine beson- Lere Denksckrist zugegangen. Schon hat auch aus unseren Schutz gebieten eine mehr und mehr wachsende Ausfuhr staitgefunden. Bereits im vergangenen Jahre hat allein die Ostafrikanische Gesellschaft 100000 Pfund Kaffee von ihren Plantagen nach Teul'ck'tand gebracht. In Kamerun ist z. B. die CocaoauSsuhr von etwa LOOO lex; Les Jahres 1890 aus 141 973 im Jahre I89L ge- stiegen. Urbrrall ist klorgestellt, daß der Plantagenbau in unseren Schutzgebieten eine außerordentliche Zukunft hat. In Ostafrika sind werldvolle Kohlenlager entdeckt und die Möglichkeit deS Auf findens wertbvoller Steine in eine größere Nähe gerückt. In Kamerun Haden die BoLenuntersuchungen ergeben, daß wahr scheinlich Kohlen oder andere werlhvolle Gesteine zu finden sind. Auch in Südweslafrika kann die Hoffnung auf den Betrieb eines einträglichen Bergbaues nicht als eine aussichtslose bezeichnet werden. Während die Sterblichkeit in den ersten Jahren unserer Colonialpolitik eine erhebliche war, ist dieselbe insbesondere auch dadurch glücklicherweise gesunken, daß einerseits überall sür gesunde und zweckmäßige Wohnungen und eine gute körperliche Verpflegung gesorgt ist, und daß andererseits durch Entsendung zahlreicher Aerzte und durch die Erbauung wohleingerichteter Krankenhäuser die Tropeukrankheiten mit großem Erfolge bekämpft werden. In ollen afrikanischen Schutzgebieten bestehen Krankenhäuser, die gleichzeitig mit wissenschaftlichen Laboratorien verbnnden sind, in welchen sehr werthvolle Forjchungen über die Malaria und andere tropische Er krankungen gemacht werden. Ter letzte Congreß deutscher Natur forscher und Aerzte hat der Colonial-Abtheilung wegen ihrer Für sorge auf dem Gebiete der Tropenhygieine feine besondere Anerkennung ausgesprochen. Was wissenschaftlich auf unserem colonialen Gebiete ge leistet worden ist, davon geben nicht nur die Sammlungen unserer Museen Auskunft, sondern nicht minder die mit Unteruützung der Colonial - Abiheilung herousgegebenen wissenschaftlichen und karto graphischen Werke. Auch in den Schutzgebieten sind überall Regie- rungrschulcn sür die Eingeborenen eingerichtet und Wanderlehrer angestellt. Einen geradezu staunenswerthen Aufschwung hat das Miss ions- wesen in nnieren Schutzgebieten genommen. Im Jahre 1890 waren im Ganzen in unseren Colonien sechs deutsche Missions- gejellschaften thätig. Jetzt haben sich allein 12 protestantische deutsche Misstonsgejellichasten nm 66 Stationen und acht deutsche katholische MissionsgeseUjchafreu mit 79 Stationen gebildet. Die Zahl der Miisionare ist im Wachicn begriffen. In Togo sind 27, in Kamerun 37, in Ostafrika in drei Küstenslädten allein 45. Diesem geistigen Rüstzeug zur Seite steht in allen afrikanischen Gebieten eine kriegstüchtige Schutztruppe; während im Jahre 1890 von allen Seiten darüber geklagt wurde, daß in unseren Colonien weder sür Missionen noch für rmrthjchastliche Unter- nehmungen ein ausreichender Schutz vorhanden sei, ist jetzt überall Eigenlhum uns Leben gesichert und soweit überhaupt ein dauernder Friede in Afrika noch jetzt möglich sein kann, der Friede im Wesentlichen gewahrt und alle Mittel vorhanden, um einen Bruch des Friedens jofort nicderzujchlagen. Für die nächste wichtige Ausgabe zur Erschließung der Eolonien, sür de» Eisrnbahndau, sind alle ersorderlicheu Vorarbeiten ab geschlossen. Aber trotz aller dieser Erfolge im Einzelnen ist unsere Thätigkeit eine so eigen geartete, daß, wer sich ihr widmet, darauf verzichten muß, As ersehnte Endergebniß zu schauen. Troy Allem ist die Frage, ob unsere Colonialpolitik Lem deutschen Volk zum Heil und Segen gereichen wird, noch immer eine offene. Welche Begeisterung und welche Entsagung gehört dazu, um diese Arbeit zu thun, in der bestimmten Aussicht, deren Früchte nicht zu ernten, wie Mose viel leicht einmal nach mühseligem Klimmen das gelobte Land zu sehen, aber nicht betreten zu dunen. Meine Herren, der Fonds dieser Begeisterung, den ich in reichem Mage hatte, ,st so gut wie erschöpft. Er ist ausgerieben in Lem dauernden und täglichen Kampfe mit Widerwärtigkeiten und selbstsüchtigen Gegnern, mit Aufregungen und anstrengenden Ar beiten, die auch das Maß der physischen Leistungssahigkeit seil Langem überschritten haben. Im Reichstage werben Lie schwierigsten sachlichen Fragen vietsach übergangen, wo wir Brod verlangen, erhalten wir Steine und die Debatte beschäftigt sich säst ausschließlich mit einzelnen — wenn auch verdammens- werthen — Vortommnissen, so daß nur ein Zerrbild unserer Colonialpolitik zu Lage geiördert wird. Welches Unheil hätte man von Leiitickland, wenn man es ausschließlich nach einigen imJahre vor« gefallenen Crmunalwchen bemessen wollte! In zahlreichen colonialen Kreisen herricht noch immer der Heroencultus. Jeder, der nach Afrika geht — und wenn auch nur als Schreiber beim Gouvernement —, gilt als Held, der bei Abreise und Ankunft gefeiert wird, und Wenige sind so bescheiden, um nicht mit einem fertigen Programm zurück- zu kehren, wie der Colonie zum Emporblühen geholfen werden kann, und jede» dreier Programme findet feinen Anhang und Feuillstsn. Der Naubmordproceß Lerchtold und seine Lehren. Bon Victor Ottmar» a. DaS erschütternde Drama vor dem Münchener Schwur gericht ist beendigt, die Geschworenen haben gesprochen, und in einsamer Zelle sieht der Unglückliche, dcm ein fühlender Mensch nicht sein Mitleid versagen kann, dem Tode entgegen. Aber in den Kreisen der Münchener Bevölkerung und auch weit darüber hinaus bildet der „Fall Berchtbold" noch immer das bevorzugte Gesprächsthema. Zwölf lange Tage hat man mit dem Angeklagten und nun Berurtheilten gekämpft, ge- bofft und gefürchtet, Wort sür Wort bat man Rede und Gegenrede mit fieberhafter Spannung verfolgt, spurlos ist der Zarentaumel von Paris, da« Getriebe ver übrigen Welt an den Münchenern vorübergegangen, dran nur die eine Frage schien sie zu bewegen: ist er schuldig oder unschuldig, wird er verurtbeilt oder freigesprochra werden? Er ist verurtheilt worden. Mit mehr al« sieben Stimmen haben ihn di« Geschworenen des dreifachen Frauenraub- mordes, sowie des Diebstahls an der gestorbenen Emmrts« kofer bezichtigt, und man kann ibren Wahrspruch nicht anders als mit schuldigem Respect bianehmrn. Der Wabrspruch beendigt den Proceß und ein Leben, aber nicht die Discussioncn, dir dieser Proceß, der merkwürdigsten einer seit vielen Decennie», entfacht hat. Die Verhandlungen, über deren Verlauf Vas „Leipz. Tagebl. bereit« kurz berichiete, haben eine solche Fülle von auffälligen Erscheinungen zu Tage gefördert und nach so vielen Richtungen hin zum Nachdenken angeregt, daß sie nickt nur in juristischen, sondern auch in Laienkreisen eingehende Beachtung verdienen und doch au- diesem Grunde eine kurze Erörterung der wesentlichsten Fragen den Lesern nicht unwillkommen sein wird. Wir sehen, wie die Anklage eisten vollständiges Jndicien- beweiS gegen Bercktold führen muß, der mit erstaunlicher Festigkeit, Ruhe und Intelligenz die That leugnet, wie sie einen ungeheuren Zeugeaapparat aufbirten muß, um den An geklagten zu überführen. Wir hören die Aussagen der Zeugen, sie sind zum größten Theil unsicher, widerspruchsvoll, unwahrscheinlich und mitunter geradezu phantastisch, nur wenige unter ihnen machen einen unbedingt vertrauea- erweckenden Eindruck, und dennoch vermag die Vertheidigung die Theorie der Anklage nicht umzustoßen, da« sichere Gefühl, Berchtold sei der Thater, diclirt da« vernichtende Unheil. Man darf wohl sagen, daß es für die Meisten überraschend kam, denn es fehlte an der Kette der Beweise so manche« wichtige Glied und es hieß im Publicum: Berchtold ist wohl der Mörder, aber sie können ihm nicht« beweisen, sie können ihn nicht verurtheilen. Wenn es gilt, die lebhafte Antheilnahme der Münchener Bevölkerung an dem Proceß zu analystren, fo muß aoth- wendig auf di« Mutter der öffentlichen Meinung zurück- gegriffen werden: die locale Preffe. Schwerlich hat sie ander-wo so prompt wie hier ihren Lesern das selbstständige Denken abgrwöhat, sie scheint das offenbar als ihr« vor nehmste Aufgabe zu betrachten. Wir sprechen natürlich nicht von den großen, im anständiges Sinne geleiteten Zeitungen, sondern von den vielen Blättern und Blättchen, die auf die rohe SensationSlüsternbeit und Klatschsucht speculiren und ihrem zahlreichen Publicum eine enlspreckende geistige Nahrung vorsetzen. WaS diese Presse an StinimungSmacherei und Verhetzung zu leisten im Stande ist, wird der Fernstehende kaum glauben. Zwrimal in diesem Jahre baden wir nun Gelegenheit gehabt, ihre verderbliche Thätigkeit kennen zu lernen, da« eine Mal nach der „Moskauer Rede", wo sie ,n Bezug auf Entstellungen und Wühlereien sich selbst übertraf, und da« andere Mal beim Verfahren gegen Berchtold. Von geringfügigeren Anlässen, wie z. B. der „Deutschen Theater" - Äffaire, wollen wir ganz schweigen. Die Vertheidigung deS Berurtheilten hat ohne Frage arge Fehler begangen, aber darin wird ihr jeder DorurtheilSlofe Recht geben: noch nie hat die Preffe so verwerfliche SlimmungSmacherei betrieben, wie bei Beginn und während der Dauer deS Verfahrens. In der That, die Untersuchung wurde öffentlich geführt, und WaS dem Richter Vorbehalten bleiben sollte, da« überließ man dem Stoffhunger der Winkel presse und dem Geklatsch ver blöden Masse. Mit apovictischer Sicherheit wurde täglich geschrieben: Bercklolb ist der Mürber, ja, auch eine Reihe früherer, unaufgeklärt gebliebener Mord- thaten wurde ihm auf den Kopf zugesagt. Kein Geschwätz war zu dumm, daß ihm nicht liebevolle Aufnahme in die Spalten dieser Blätter vergönnt wurde, und um den Unter suchung-gefangenen spann sich ein förmliche« Sagengewebe. Ist es da ein Wunder, wenn die Vertheidigung ihre Haupt stütze in der These sucht«, di« überwiegende Mehrzahl der Zeugen wäre durch Zeitungslectüre zu Ungunsten des An geklagten beeinflußt? Eine Suggestion der Bevölkerung, vor Allem VeS weiblichen TöeileS, lag thatsächlich vor, das weiß Jeder, der unter die Leute geht und seine Augen aufmacht, nur hat die Vertheidigung den Mißgriff gethan, daß sie sick aus ihre Theorie zu sehr capricirle und daS, was nur auf gewisse Zeugen paßte, in ungeheuerlicher Weise verallgemeinerte und auf den ganzen Zeugenapparat anwanvte. Abgesehen von dem noch in frischer Erinnerung stehenden Fall EzinSky, der aber hier gar nicht in Vergleich kommen kann, war im Proceß Berchtold wohl zum ersten Mal vor einem deutschen Gerichte die Lehre von der Suggestion der Gegenstand lebhafter Erörterungen. Man kann der Ver- thcirigung wohl nachsühlen, von welcher Wichtigkeit sür sie die Betonung der Suggestion war, denn da die Alibi-Beweis führung auf recht schwachen Füßen stand, so blieb dem Ver- lbeiviger nur übrig, einerseits die Zeugen aä adsurckum zu führen und ihre Glaubhaftigkeit anzuzweifcln, anderrrscits au« psychologischen Gründen die Unhaltbarkeft der Anklage zu erklären. In Beiden» hat e« der Benbeidiger an Ueber- zeugung-krast fehlen lassen. Dir psychologischen Gründe, die er iaS Treffen führte, waren ganz haltlos, denn warum z. B. solle ein Mensch, brr kalten BluieS drei Frauen er stickt, nicht dennoch ein großer Thiersreund und ein brauch barer Arbeiter sein? Di« Eriminalgesckichte weist dergleichen Fälle zahlreich auf. Aber gegen dir Art und Weise, wie der Vertheidiger seine SuggestionSlehre handhabte, thun sich nicht nur in juristischen Kreisen, sondern allenthalben im Volke die schwersten Bedenken kund. Wohin soll «s führen, fragt man, wenn es nach dem im
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