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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951107026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895110702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895110702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1895
-
Monat
1895-11
- Tag 1895-11-07
-
Monat
1895-11
-
Jahr
1895
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7908 Hauptstadt z, empfangen, ganz abgesehen davon, daß der Charakter Lueger'» eine unparteiische Leitung deS Ge meinwesen- auf die Dauer ausschloß. Dem Irrthume möge man sich also nicht hingeben, daß der Kaiser den Wiener Antisemitismus als solchen deSavouiren wollte. Diesen wird Wien nicht wieder loS, wenigstens früher nicht, als bis die deutsch-liberale Partei gründlichst reorganisier ist. Lueger ist gefallen, ein anderer Antisemit wird an seine Stelle treten. Deshalb glauben wir auch, daß die Erregung unter den Antisemiten sich bald geben und einer ruhigeren Ueberlegung Platz machen wird. Die Obstructiv», mit der sie drohen, haben sie gar nicht nvthig. Am Dienstag ist die lnxemlmrgische ttammcr zusammen getreten; man sagt, daß daS Ministerium Eyschen die Session nicht überdauern und über eine der angekündigten Interpellationen fallen wird. Die französisch gesinnte Partei will nämlich über die Beziehungen zwischen Deutschland und Luxemburg, über den Richtempfang einer luxemburgischen Abordnung durch Kaiser Wilhelm während seines letzten Aufenthaltes in Lothringen, über die Betheilizung des Großherzogs an der Sedanseier durch Beleuchtung des Schlosses Königstein im TaunuS, sowie durch Ucberlassung des Festsaales im Schlosse an einen preußischen Krieger- vrrein interpelliren. Nicht als ob das Ergebniß dieser Interpellationen zweifelhaft sein lönnte. So wenig deutschfreundlich die gegenwärtige luxemburgische Kammer mehrheit sein mag, so ist doch nicht anzunehmen, daß sie durch einen unklugen Beschluß einen Conflict mit Deutsch land ober mit der Krone Hervorrufen wird. Was die Regierung dagegen fürchtet, sind die Reden der sranzosen- sreundlichen Deputirten, die sehr leicht irgend einen inter nationalen Zwischenfall Hervorrufen könnten. Große Sorgen bereitet der Regierung ferner der Gesetzentwurf, belr. die Schaffung einer luxemburgischen Miliz. DaS Großherzoz- thum besitzt derzeit überhaupt kein Heer, sondern nur eine ungenügende Gendarmerie. Zu den Lieblingsgedanken des Großherzogs gehört es nun, ein stehendes Heer zu schaffen, waS jedoch in der Kammer auf heftigen Widerstand stößt, vr. von Ehschen hat eS nun übernommen, den Milizgesetz- entwurs in der Kammer zu vertheidigen, wodurch er im Falle einer Niederlage zum Rücktritt gezwungen wäre. — Die Kölnische Spionenan gelegenh eit, in die bekanntlich als einer der Hauptangeklagten der Luxem burger Paul Schoren verwickelt ist, ist in Luxemburg fort während der Gegenstand der lebhaftesten Erörterung. Durch Vermittelung deS dortigen deutschen Minister-Residenten wurden zahlreiche luxemburgische Zeugen über die Beziehungen der Familie Schoren, insbesondere des verhafteten Paul Schoren, zu dem früheren Metzer ReichStagsabaeordneten Antoine vernommen. Der Hauptzeuge Mathias Prost, der über diese Beziehungen als Freund Schoren'S die ausführ lichste Auskunft zu geben vermag, wird sich zur Hauptver handlung vor dem Reichsgericht nach Leipzig begeben. Wir bezeichneten vorgestern die Lage in der Türkei als außerordentlich ernst. Als Bestätigung unserer Auffassung kam gestern über Rom die Meldung, die Botschafter der Großmächte in Konstantinopel hätten sich einzeln zur Pforte begeben und dieselbe bringend ersucht, geeignete Maßregeln zur Wiederherstellung der Ruhe und zur Sicherheit der bedrohten Christen zu treffen und diesem Ersuchen die Erklärung beigefügt, die Mächte würden sich ge eigneten Falles über die dann zu ergreifenden geeig neten Maßregeln ins Einvernehmen setzen. In London hat diese Nachricht wie eine Bombe gewirkt und die nervöse englische Diplomatie, namentlich so weit sie in den führenden Blättern zu Worte kommt, außer dem Häuschen gebracht. Man ruft sich erregt zu: der Anfang vom Ende ist da, die gemeinsame Einmischung der Mächte unmittelbar vor der Thür, die „Drohung" der Botschafter be deutet die Besetzung der Türkei, diese die russische Besetzung Armeniens, die große Ratsche um die Hinterlassenschaft deS „kranken Mannes" geht los, Rußland bekommt den Löwenantheil, der eigentlich England gehört, um den eS sich so lange bemüht hat und der ihm nun entgeht, weil eS — nicht vorbereitet ist. Gemach! Wenn die Meldung der „Agenzia Stefani" sich bestätigt — und sie ist bis jetzt nicht dementirt worden — so bedeutet sie allerdings, daß die Mächte sich entschlossen haben, eine stärkere Pression als bisher auf die Pforte ausznüben und daß sie geeigneten Falles dem Sultan zur Unterdrückung der überall in Hellen Flammen auflodernden Revolution ihre Unterstützung, d. h. mit anderen Worten eine eventuelle Intervention in Aussicht stellen, aber von dieser Ankündigung bis zur tatsächlichen Ausführung der kundgegebenen Absicht ist doch noch ein weiter Schritt, den zu thun die Mächte sich noch hundert mal überlegen werden. AuS welchen Gründen, haben wir schon wiederholt angedeutet. Wenn eine europäische Intervention auch wirklich zur Herstellung der Ordnung führte, sie könnte sich doch zuerst nur auf die leicht zugänglichen Küstenpunkte beschränken. Während des Vormarsches würde jedoch der mohamedanische Fanatismus Orgien feiern, und an jedem Punkte der zu „beruhigenden" Gebiete wären Metzeleien die Folge. Dann würde jeder Fußbreit Boden» erobert werden müssen, d. h. jede rinschrritende Macht hätte einen schwierigen und verlustreichen Feldzug zu führen, dessen AuSgang nicht sicher wäre. Und wäre dann wirklich die Türkei „pacificirt", so würde zweifellos der Zwist unter den Interventionsmächten über die Belohnung ihrer guten Dienste auSbrecken, ein Zwist, dessen Folgen für den Friede» Europas unübersehbar wären. Wir glauben nicht, daß, wenn auch mit einer Intervention ge droht wird, eS thatsächlich zu einer solchen kommt, denn ebensowenig wie England ist Rußland vorbereitet und beide sabcn gerade im gegenwärtigen Angenblicke alle Hände voll zu thun, um vitale Interessen im äußersten Osten energisch zu wahren. Vorläufig scheint eS unS zu genügen, daß man den Sultan nöthigt, nicht nur die Ausrührer — Armenier wie Türken — mit Gewalt zu unterdrücken, sondern auch die Ausführung der versprochenen Reformen thatkrästig in die Hand zu nehmen, denn nur wen» dies geschieht, ist zu hoffen, daß sowohl die Armenier wie die Iungtürken sich beruhigen. Es scheint auch, daß die Mächte jetzt dieses Ziel inS Auge gefaßt haben. Wenigstens wird aus London unterm 6. November gemeldet: Die „Times" erfahren aus Wien: Oesterreich, Deutsch land und Italien gaben der Pforte zu verstehen, das; sie ans Grund des Artikel 61 des Berliner Vertrages sich für berechtigt halten, dieselbe Notifikation bezüglich der Absichten der Pforte über die Ausführung der armenischen Reformen zu erhalten, wie die übrigen drei Mächte, sowie mit der vom Sultan ernannten Commission in Verbindung zu treten. Ein solches Verlangen, das zweifellos im Einvernehmen mit Rußland, Frankreich und England gestellt wurde, wäre durchaus berechtigt und könnte vom Sultan nicht unerfüllt gelassen werden. Bei der Bedeutung, welche die gegenwärtige schwere Krisis der Türkei allmählich für ganz Europa gewonnen hat, ist längst jeder Grund für eine bevorzugte tLonderstcllung Englands, Frankreichs und Rußlands fort- gefallen und wenn sämmtliche Mächte sich vereinen, dürste die Pforte sich denn doch zu größerer Energie ermannen. Damit freilich, daß der Sultan, wie uns heute gemeldet wird, den eben erst ernannten Groß vezier Kiamil Pasjcha seines Postens enthoben hat, ist eS nicht gethan und es wird ihm deutlich zu verstehen ge geben werden müssen, daß nicht der „rasende See" der europäischen Aufregung ein neues Opfer braucht, sondern daß ans der Pforte der ehrliche, ernste Wille vorhanden sein muß, zu thun, was zu tbun ist. Aber auch für den Fall, daß die Mahnungen der Mächte erfolglos bleiben sollten, sind wir doch der Meinung, daß den Sultan schlicßtich die Erkenntniß, daß längeres Zögern ihn zweifellos um den Thron und die Türkei nm ihre Stellung in der Reihe der selbstständigen Staaten bringen muß, zum Erwählen deS besseren TheileS dränge» wird. Nicht nur, daß in Konstantinopel sein Leben und seine Freiheit bedroht ist, nicht nur daß in Anatolien und anderen von Armeniern besiedelten Gebieten der Aufruhr tobt, auch in Makedonien sieht man für daS Frühjahr neue» Putschen entgegen; Bulgarien ist — darüber besteht kein Zweifel — fast mobil und beginnt sich zu consolidiren; Montenegro hält die neugefchickicn russischen Waffen bereit; die Albanesen, immer nur halb abhängig, sind über die trostlose Negierung verstimmt und drohen, sich für autonom zu erklären; in Syrien gährt eS, in Arabien regt eö sich, in Kreta erhebt die Opposition das Haupt, und dazu kommt noch die kritische Finanzlage, in welche die Türkei gerathen ist. Alles ist zum Umsturz reis. WaS speciell die Lage in Kreta anbclaugt, so liegt heute folgende Meldung aus Wien, 6. November, vor: Die „N. Fr. Pr." meldet aus Athen: Die Pforte zog die vor einem Monat crlheilte Genehmigung des Budgets von Kreta und die Erlaubnis zur Ausnahme einer kretcnsischcn Anleihe von 120000 Pfund zurück und verweigert die Einränmung von Selbst- verwaltungSrcchten. Die christlichen Abgeordneten Kretas werde» sofort zurVcrathung und Protcsterhebung ziisanimentreteii. Der Nevo ll, tionsausschuß hat kürzlich seinen Präsidenten und einen rnili- tairijchen Führer gewählt und bleibt unter dem Schutze vieler Auf ständischen beständig zusammen. Der von einer türkischen Heeresabtheilung unternommene Versuch, den Ausschuß ge fangen zu nehmen, wurde mit Waffengewalt zurückgcwiesen. Ein allgemeiner Aus stand auf der Insel gilt als höchst wahr scheinlich. Die Krisis spitzt sich aufs Höchste zu, sie ist weit schwerer als die, welche znm russischen Feldzug im Jahre 1877/78 führte. Die richtige Lösung liegt in der Hand des Sultans. Möchte er nicht länger zögern, dieselbe zu ergreifen, ehe es zu spät ist! Deutsches Reich. * Berlin, 6. November. Der Bund der Landwirthe hat in der Sitzung der Commission zur Reorganisation des Getreidehandels am 5. und in der Sitzung deS Gesammt- vorstandes am 6. November folgende Resolution gefaßt: „Unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des Bundes der Land» wirthe vom 3. und 4. December 1894, sowie ans die in demselben Jahre gefaßte diesbezügliche Resolution des Reichstags beschließt der vtNld der Landwirthe neuerdings, dahin zu wirken: ». daß stimmt« ltchr gemischte Getreide.Transttlaaer so schnell wie möglich aufgehoben werden; d. daß jeder Zollcrrdit für Getreide- und Mühlrnfabrtkate beseitigt wirb und o. daß daS Umrechnung-- Brrhältniß zwischen Mehl und Getreide dem thalsächiichen AuS- beutc-Verhältniß der Großmühlen-Jndustrie entsprechend von Neuem geregelt wird." Ferner hat der Gesammtvorstand deS Bunde» eine Er klärung vereinbart, in der eS heißt: „..So baut sich die Lösung aller großen wirtbschaftSpvlitischen Fragen der Gegen wart organisch auf der Lösung der Agrarfrage auf. Die vollständige Lösung der AHrarsrage kann nur geschehen mit der Durchführung sämmtlicher agrarischer Forderungen bis zur systematischen Ausgestaltung des Agrarrechts; aber unerläßliche Voraussetzung einer heilenden Wirksamkeit aller agrarrechtlichen Maßregeln ist die Besse rung der Preise der landwirthschaftlichen Producte. Nur aus der wieder hergestellten Rentabilität der Landwirthschaft können die Mittel zu deren Schuldentlastung stießen. Des halb aehört eS jetzt zur wichtigsten Aufgabe deS Bundes, für die Maßregeln zu kämpfen, welche zur Besserung der Preise der landwirthschaftlichen Erzeugnisse führen und hier wieder in erster Stelle zur Besserung der Preise deS wichtigsten der selben, des Getreides. Der Bund verfolgt in zielbewußter Ein wirkung auf die Getreidepreise nicht nur daS Interesse der Producenten, sondern auch dasjenige der Consumenten. Seine Forderungen rickten sich gegen den herrschenden freibänd- lerischen Großcapitalismus, welcher das gesammte Wirth- sckastsgebict der Völker einer ausschließlich zu seinem Nutzen betriebenen, durchaus unckristlicken specnlativen Ausbeutung überliefert. Diese Ausbeutung vernichtet zur Zeit durch den Tiefstand der Getreidepreise ven Producenten. DaS inter nationale Großcapital wird demnächst in gleicher Art die Verhältnisse umkehrend, durch Erzeugung von TheuerungS- preisen die Eonsumenten auöbeuten. Der Bund will mit durchgreifenden Reformen auf dem Gebiete der Waaren- und Geldbörse, der Währung, deS Steuersystems und der Frachten Die krankhaft extremen Preisschwankungen nach unten und oben thnnlichst beseitigen zwecks Her beiführung einer unserem geschichtlichen EntwickelungS- gauge entsprechenden gesunden und natürlichen mittleren Preisbewegung, welche die Interessen der Produceuten und Consuiiienten gleichmäßig in sich vereinigt. Dies ist das Endziel der BundeSbeslrebringen auf dem Gebiete der GetreidepreiSbildung. Die beutige ernste Nolhtage der Land- wirtkschaft erfordert in der Richtung dieses Endzieles sofortige AbhilfSinaßrcgeln. Der erste zielbewusste Schritt auf dieser Bah» geschah durch den Uebergang znm Schutzzollsystem im Jahre 1879, dessen später erfolgte Durchbrechung nicht tief genug beklagt werden kann. Der weitere zur Wicder- anbahining einer Gesundung unserer nationalen Wirthschasls- verhältnisse jetzt gebotene Schritt ist der in der Sitzung des Gesamnitaiisschusses des Bundes der Landwirthe vom 3. und 4. December 1894 formulirte Antrag Kanitz zur Befestigung der Getreidepreise. Die darin beabsichtigte direcle gesetzliche Preisbestimmung für den inländischen Verkauf von ausländischem Getreide znm Zwecke einer Ausgleichung der Getreidepreise auf mittlerer Höhe bleibt die dringlichste, zur Zeit durchznsührende Maßregel zur Erhaltung der deutschen Landwirthschaft." * Berlin, 6. November. In der heutigen Sitzung der Commission für die Revision der Arbeiterversiche rungsgesetze wurde, wie der „Nat.-Z." berichtet wird, mit der Berathung der vom Reichsaint des Innern znm Invali- ditäts- und AlterSversicherungSgesetz vorgelegten Novelle fort gefahren. Es wurde zunächst die Frage der Feststellung der Invalidität einer Prüfung unterzogen und in dieser Be ziehung mehrfach der Wunsch ausgesprochen, daß die Invalidität nicht mehr abhängig gemacht werde von einem bestimmten Arbeitsverdienst, weil eine solche Grenze zu großen Ungerechtig keilen führt, daß man vielmehr die Invalidität ein fach dann anerkennen soll, wenn festgestellt ist, daß die Er- werbssähigteit eines Versicherten ein Drittel der Erwerbs fähigkeit eines gesunden Versicherten derselben Art nicht mehr erreicht. Eine Anregung, die freiwillige Versicherung insofern auSrndehnen, als den Versicherten gestattet würde, auf Grund von Zuschußmarken sich eine höhere, als die gesetzliche Rente zu sichern, fand allgemeinen Beifall. Ferner wurde die Ausdehnung der Rechte der Versicherungsanstalten bezüglich der Erhöhung der Leistungen von niedreren Seiten befürwortet, von anderer Seite, namentlich von Seiten der preußischen Regierung, lebhaft bekämpft. Dagegen fand die Aus dehnung der Rechte in Bezug auf die KrankheitS- verhütnng auf allen Seiten Zustimmung. Auch der Vor schlag, die Invalidenrente da beginnen zu lassen, wo die Leistungen der Krankencassen aufhören, fand allgemeinen Antlang wenigstens insofern, als die jetzige Zwischenzeit von einem ganzen Jahr aus sechs Monate ermäßigt werden soll. Von ärztlicher Seite wurde dann noch der Wunsch ausgesprochen, daß die Invalidität, welche infolge geschlecht licher Krankheiten eintritt, in Zukunft das Recht auf Rente nicht ausschließen möge. — Dem Vernehmen der „B. P. N." nach dürften sich die Wirkungen der P e n s i o n s n o v e l le vom 22. Mai 1893. sowie de» Mehrbedarfs an Pensionen infolge der letzten HeereS- und Marinrverstärkungen in einer Erhöhung de» nächstjährigen Etats über den allgemeinen PenstonS- fondS bemerkbar machen. Sowohl die Pensionen als auch die Bewilligungen für Hinterbliebene sollen eine Steigerung aufweise«. Auch die Pensionen für die Schutztruppen Dcutsch- ostafrikaS, SüdwestafrikaS und Kameruns dürften in größerer Höhe zum Ansatz gelangen. > — Der Umstand, daß die letzte StaatSministerial- Sitzung am Sonntag abgrhaltrn wurde, hat Veranlassung zu allen möglichen Combinalionen in der Richtung gegeben, als ob eS sich um außerordentliche Dinge bei der betreffenden Berathung gehandelt habe. Der Grund, warum die Sitzung de» StaalSministeriumS am Sonntag stattfand, ist einfack, der, daß am Sonnabend, aus welchen Tag sie ursprünglich anberaumt war,verschiedene Mitglieder deS Staatsministeriums behindert waren. — In der „Post" lesen wir: „Der Reichstagsabgeordnete Paul Singer, der fortgesetzt darüber klagt, daß die social demokratische Forderung der Einführung achtstündiger Arbeits zeit von der Bourgeoisie nicht beachtet werde, hat eS, wie man unS schreibt, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der socialdemokratijchen Parteileitung, der als solcher auch den unmittelbarsten Einfluß aus die Verwaltung deS „Vor wärts" übt, nicht verhindert, daß die bei der Herstellung de- Blattes beschäftigten drei Stereotypeure in den letzten 14 Tagen 200 — sage zweihundert — Ueberstunden gemacht haben, waS pro Kopf und Tag 5>/r Stunden beträgt. DaS in der Buchdruckerei deS „Vorwärts" officiell die Achtstunden-Arb eil eingeführt ist, soergieblein Rechen-Exempel, daß in diesem Fall jeder Mann 13 Vr Stunden arbeitete. Hätte man die achtstündige Arbeitszeit aufrecht- erhalten, so wären zwei arbeitslose Stereotypeure zur Arbeit gekommen; denn diese hätten in diesen zwei Wochen 192 Stunden arbeiten und bei dem im „Vorwärts" durck- geführten Lohnsatz von t ^ pro Stunde 192 ^ verdienen können. — Wie wir weiter erfahren, ist am letzten Sonntag der Arbeiterausschuß der^Buchdruckerei des „Vorwärts" rusammengetreten und hat beschlossen, in .dieser Hinsicht vor stellig zu werden." — Zu dem Proceß Dierl und Gen. geht der „Post" von dem betr. Referenten solgenve Mittheilung zu: Da die in dem Berichte wiedergegebene Aussage deS Oberhofmeisters Frhrn. v. Mirbach Anlaß zu Angriffen gegen Letzteren gegeben hat, halte ich es für meine Pflicht, darauf hinzu- weiscn, daß — wie allgemein bekannt sein dürfte — der artige Berichte nur in gedrängtester Kürze die Hauptpunkte der Zeugenaussagen wiebergeben. DaS trifft auch bezüglich der Aussage des Frhrn. v. Mirbach zu, der noch dazu un mittelbar vor Redactionsschluß vernommen wurde. Die Notizen des Referenten über einzelne jetzt zum Gegenstand der Zeitungspolemik gemachte Puncte der Zeugenaussage ergeben Folgendes: In Bezug auf den Zeitpunkt seines Besuches beim Stadtverordneten Singer sagte der Zeuge: „Mein Besuch bei Singer kann 2 oder 3 Jahre her fein — etwa Ende 1892 oder Anfang 1893. Wenn es nölhig ist, kann ich den Zeitpunkt genau feststellen, ich ver mag mich augenblicklich nicht genau darauf zu besinnen, und eS ist hier zur Sache wohl gleichgillig." — Man schreibt den „Berl. N. N": „Der Ausfall der Wahl in Pleß-Rybnik hat die Aufmerksamteit wieder aus die polnische Agitation in Oberschlesien gelenkt; auch lolgende Thatsache ist eine drastische Illustration für diese antideutsche Bewegung. Zwei polnische, katholische Geistliche drohten ihren Beichtkindern im Beichtstuhl: „Wenn Ihr auch nur ein Wort Deutsch sprecht, so ist daS schwere Sünde, daß wir Euch nicht davon losfprechen können." Also Lüge in der Ausübung des PriesteramlS, schwerer Miß brauch eines SacramentS, Beängstigung der Gewissen, Alles wird benutzt, um den Deutschen Haß zu schüren. Daß diese Geschichte wahr ist, verbürgt bas Ansehen deö Fürst bischofs Kopp von BreSlau, der sie selbst au der Tafel des Erzbischofs von Köln erzählte." — Die vielgenannten beiden „schlesischen Land- wirthSsrauen" sind sehr gekränkt darüber, daß ihre Ver fasserschaft der Ratiborer Petition augezweifelt wurde. Sie senden deshalb der „D. TagcSztg." eine lange Zuschrift, von der wir nur den Anfang wiedergeben wollen: „Aus die heftigen Anfeindungen der freisinnigen, liberalen und auch einiger Centrumsblätter ersuchen wir eine verehrliche Redaction höslichst. Folgendes zu erwidern: Ties verletzt durch den Ausspruch dieser Organe, daß die Petition an den Landwirthschaftsiniuisler nicht unser Geistesproduct gewesen, erklären wir hiermit öffentlich, daß wir dieselbe, sowie diese Vertheidigung ganz allein ans. gearbeitet haben, daß uns dabei Niemand behilflich war» und wir deshalb mit Niemand in Verbindung standen, auch nicht mit Len, Bund der Landwirthe." DaS Beste an der Sache ist aber, daß auch diese Zuschrift anonym ist. Sie trägt nur die Unterschrift „Tie Ver fasserinnen der Petition". Wer nun noch nicht glaubt, daß die Petition von zwei Landwirtbschaftsfrauen verfaßt ist, den, ist nicht zu helfen. — Nach der im kaiserlichen statistischen Amt znsammen- gestellten vorläufigen summarischen Nachweisung betrug die Wände und schlägt mit Ueberzeugung acht Mal an das Glöckchen, wenn dieser ernsthafte Zeiger auf neun Mal besteht." „Ja", lachte Iakoba, „es ist allerdings wahr, bald nimmt sie sogar ganz Platz und man muß sie erst zum Weilergehen nöthigen. Also eS ist schon später? DaS wäre aber doch nicht angenehm." „Und diese Stunde, die Du heut bei mir warst, statt bei jenen Leuten, möchtest Du sie zurück haben, um sie besser zu verwerthen?" „Um Gott nicht I" rief sie ganz erschrocken. „Dann lauf' aber jetzt nur und zieh' Dich an! Aber die Rosen da kannst Du nicht mehr behalten. Bedenke, welch' grausigen Luftsprung Herrn Bergmann'- Phantasie machen würde beim Anblick dieser geknickten, gedrückten Gabe seiner Huldigung! Nicht wahr?" Sie nickte. Als sie die Treppe hinuntergingen, blieb Iakoba Plötzlich stehen. „Soll ich mir lieber die Annemarie zum Abholen bestellen?" „Nein, nein", unterbrach er sie. „Du wirst schon einen Cavalier finden." Sie warf einen etwas betroffenen Blick in sein heiteres Gesicht. Ihre Gedanken aber wurden gestört durch eine fremde, zittrige Stimme, welche ihr einen „Guten Abend, gnäd'geS Fräulein" bot, und sie sah die gebückte Greisenaestalt, daS bartlose faltige Gesicht ihres Abschreiber- im Halbdunkel deS letzten Treppenabsatzes vor sich auftauchen. „Ach, daS ist wohl die fertige Arbeit, Herr NawelSki? Leider ein wenig spät, ich muß auSgehen! Bitte, tragen Sie daS Ding nur yinauf. DaS Honorar müssen Sie sich dann schon morgen bei mir holen." „Hat gar nicht« zu sagen, gnäd'geS Fräulein, hat durch aus keine Eile." „Wie viel hat der Herr denn zu fordern?" fragte Hel muth lächelnd, „vielleicht brauchst Du keine Schulden bei ihm zu machen, falls der Inhalt meiner Börse genügt." Der alt« Mann aber stieg schon mit einem gemurmelten „Danke gehorsamst, Herr Lientenant!" und einem ergebenen Gruß gegen Iakoba die Treppe hinauf. „WaS ist da» für ein Mensch? Er drückte sich auS Wie Jemand auS der guten Gesellschaft?" fragte Helmuth erstaunt. „DaS ist sein Geheimniß". sagt« Iakoba ernst, „für mich ist er «in guter Abschreiber. Ich entdeckte seine Existenz zufällig — sah eines Tages durch das Treppensenster i» die Fenster des HofgebäudeS; dort saß der alle Mann und schrieb. Ich schickte Annemarie hinüber nnd ließ fragen, ob er Abschriften übernehmen wolle. Sie erzählte mir dann, daß er auf ihr Anklopfen herauSgekonimen wäre aus seiner Stube und die Thür fest hinter sich zugedrückt habe, als dürfe da um keinen Preis Jemand Hineinblicken. Es mag da schön bei ihm auSsehen." „KannS mir denken. Verhungert und verwahrlost sah er genug aus. Er macht- wohl für ein Butterbrod, der arme Teufel?" fragte Helmuth. „Für mich nicht. Ich nehme grundsätzlich von solchen Leuten keine billige Lieferung — nur gute — weißt Du. Ich setze meinen Preis — ein guter Durchschnitt. Ich finde es so schrecklich, diese geringen bescheidenen Arbeiter nnd Hand werker um den Werth ihrer Arbeit zu drücken." Helmuth stimmte lebhaft bei. „Weißt Du, Iakoba, wenn wir heirathen, dann wollen wir dadurch so vielen bescheidenen Leuten Freude und Verdienst zuwenden, als irgend möglich. Alles, WaS wir brauchen, wollen wir bei kleinen Handwerkern u. s. w. bestellen. Wir haben ja Zeit nnd Beide Geschmack. Wir machen die Zeichnungen, entwerfen die Muster u. s. w." Sie nickte vergnügt. „Und bekommen Alles solider und vielleicht doch noch billiger als in den großen, reichen Magazinen." In menschenfreundlichen Zukunftsplänen schwelgend, tief befriedigt im Bewußtsein ihres wahren Zusammenaehörens, eilten Helmuth und Iakoba die öde, schmutzige Vorstadt straße hinab, dem nächsten Blumenladen zu. Der Himmel hatte sich theilweise aufgeklärt, der Mond schimmerte silbern an den Rändern der dunklen Wolkensetzen, bis er langsam siegend am nächtlichen Himmel schwebte. Immer weiter wichen die Wolken zurück, immer klarer wurde die tiefe, wundervolle Kuppel deS himmlischen DomcS mit ihren geheimnißvollen, unfaßlich fernen Welten. Helmuth's und Iakoba'S Augen richteten sich still hinauf. „Und wenn den Sinn Dir will die böse Welt verwirren, So sieh zum Himmel ans, wo nie die Sterne irren." sagt Iakoba nnd innig drückte Helmuth den Arm de» geliebte» Weibe». — Als Helmuth Iakoba an der Thür der Bierke'schen Wohnung verlassen hatte und die kleine gußeiserne Gartenthür wieder hinter ihm in» Schloß gefallen war, stand er einen Augenblick tief athmend still. Ihm war so eigenthümlich zu Muthe, halb froh, halb beklommen. Mit einem ernsten Lächeln strich er, die Mütze lüftend, über seine Stirn. Unschlüssig sah er die breite, stille Straße hinunter, ans welcher man nur vereinzelte Passanten erblickte. Der auf steigende Mond stand jetzt so, daß er die breite Straße in zwei Hälften zn theilen schien — eine weißlich Helle und eine, die im tiefen Schatten blieb. Er wußte im Augenblick gar nicht, WaS eigentlich mit dem angebrochenen Abend ansangen. Vater und Schwester waren irgendwo eingeladen. Nach Hause gehen? Schrecklicher Gedanke — in dieser erregten, halbseligen Stimmung mit sich selbst allein sitzen! Dann ging er entschlossen mit raschem, elastischem Schritt die Straße hinab, der westlichen Stadt zu. Er wollte irgend ein Local, wo er Bekannte erwarten durfte, anfsuchen. Wenige Minuten später trat er in das Restaurant, in welchem sich häufig Kameraden zusanimensanden. ES herrschte strahlende Helle, ein frohstimmender Dnst von edlen Weinen und würzigen Speisen wehte dem Ein tretenden entgegen, lebhaftes Plaudern und Lachen, Kommen und Gehen — das ganze bunte Bild fröhlichen Großstadt- lebenS. Wie mit einem Zanberschlage schwand die ihm selbst ganz unbegreifliche Beklommenheit auS seiner Seele, und ein Ge fühl vollen Glücks bob rauschend die Flügel, nm ihn hinweg zutragen über unmännlicke, kleinliche Zweifel. In vierundzwanzig Stunden lag ja Alles hinter ihm, was ihn noch hinderte, sich ganz dem Zauber der Geliebten hinzugeben. Morgen früh wollte er zum Commandeur — nachdem er natürlich zuvor den Segen seine- Vater» ein geholt hatte. An diesem zweifelte er nicht I Und dann die Ueberraschung, wenn Iakoba, diese schöne, vornehme Erscheinung, die interessante Schriftstellerin (er fühlte schon einen ganz angenehmen Kitzel bei letzterer Vor stellung) in das kleine Stübchen seines DaterS trat, an gestaunt und bald angcschwärmt — wie Mädchen nun ein mal doch sind — von seiner kleinen, sich langweilenden Schwester, an dem alten runden Theetisch mit ihnen sitzend — ah — entzückend! Und ein wirklich strahlende» Lächeln huschte über seine Züge, während er sich nach Bekannten umsah. Sein Blick fiel auf einen in einer Fensternische stehenden Tisch, an welchem soeben einige Herren Platz genommen hatten. Einer stand noch und studirte die Weinkarte. Helmuth erkannte ihn sofort. ES war Hochleben in Eivil, und da war auch Raffski und noch zwei andere Herren von einem anderen Regiment. Alle in Civil. NasfSki, der mit allen Menschen, auch mit denen, die sich nichts auS ihm machten, ans dem vertrautesten Fuße stand, winkte Helmuth höchst cordial, heran- zukomme». Helmuth zögerte fast unmerklich, von einem peinlichen Gefühl befangen, daS ihn gerade diese beide Herren, die vor kurzer Zeit erst aus dem Regiment hatten verschwinden muffen, gern hätte meiden lassen. Aber ein officieller Grund lag in keiner Weise dazu vor. Beide waren actio geblieben und batten ihre Streiche bezahlt mit der Versetzung in Linien regimenter. „Damit war die Sache ausgestanden", wie der leicht sinnige RaffSki, der ein kleiner, forscher Kerl war, lachend bemerkte. „Ans Urlaub?" fragte Helmuth nach der allgemeinen Begrüßung und nahm RaffSki gegenüber Platz. „Ja, auf ewigen. Ich bin nur auf einige Tage hier", erklärte Hochleben, „RaffSki hat den Abschied eingereicht, der allergnädigst bewilligt wurde." „So, so! Und wissen Sie nun schon, WaS weiter?" fragte Helmuth überrascht. „Gewiß", nickt: der Kleine und betrachtete seine hübschen weißen Hände. „DaS Bummeln hört jetzt auf. Jetzt wird gearbeitet." „WaS denn?" fragte man sehr erheitert. „Zunächst werde ick also meine landwirthschaftlichen Kennt nisse erweitern und eine Hochschule beziehen. DaS Praktische habe ich übrigen» schon so ziemlich weg. Bin ja auf dem Lande ausgewachsen." „Na ja. Hast alle Jahr ein paar Gäule von Deinem lieben Bater lahm geritten und seiner Mamsell Cur ge macht. Da- Praktische hast Du weg." (Fortsetzung folgt.)
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