Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951107026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895110702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895110702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1895
-
Monat
1895-11
- Tag 1895-11-07
-
Monat
1895-11
-
Jahr
1895
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-Prei- E» der Hau-trrpeditton oder den im Stadt bezirk >md den Borortrn errichteten Aus- flabestellen abgeholt: vierteljährlichst4.50. bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Vau- >l b.SO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel>ährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandlendung in» Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaktion und Expedition: Johanneszafie 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: cito Nlemm's Lortim. «Alfred Hahn), Universitätsstrage 1, LontS Lösche, Katharinenstr. 14. Part, und König-vlatz 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Nnzeigen.PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 2() Pfg. Reclamen unter dein Redactionsstrich (4 ge- spalten) vor den Aainiliennqchrichten (ü gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzrtchnitz. Tabellarischer und Ziffernsah nach höherem Tarif. ssrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrfürderung ^l 60—, mit Postbesördrrung ^l 70.—. Ännahmetchluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormiltags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Für dir Montag-Morgen-AuSgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an di« tkxpeditio» zu richten. —— Druck und Verlag von S. Polz in Leipzig. 541. Donnerstag den 7. November 1895. Der nächstjährige Marineetat. 2 Die „Freisinnige Zeitung" nimmt Mittl-eilungen. welche der „Saalezeitung" über den nächstjährigen Marineetat zugegangen sind, zum Anlaß, um Stimmung gegen etwaige Schritte zur Verstärkung der maritimen Wehrkraft Deutsch lands zu machen. So lange nicht festgestellt ist, daß die An aben in ihren Einzelheiten unanfechtbar sind, muß dieses lorgchen der „Freisinnigen Zeitung" ans jeden Fall als vor eilig bezeichnet werden. Aber selbst unter der Annahme, daß die künftige Gestaltung des Marineetats, speciell ui Bezug auf den Ersatz vorhandener und den Bau neuer Schiffe richtig gekennzeichnet ist, fordern die Ausführungen des volkspartei lichen Organs dei» Widerspruch heraus. Außer einem Ersatzbau für das Panzerschiff „Friedrich der Große" werden nämlich nach der „Saalezcitung" an Neu bauten verlangt 2 Kre»»zer I. Elasse, 1 Kre»zer IV. Classe, l Torpedodivisionsboot und 8 Torpedoboote. Selbstverständlich handelt es sich für den nächsten Etat immer nur um erste Raten für diese Bauten, und der Gesammt betrag dieser Raten beziffert sich aus 7 07.1000 .<?, das ist circa >/r Million mehr als im laufenden Etat für Schiffsneubauten bewilligt worden ist. Die „Frei sinnige Zeitung" regt sich nun zunächst darüber auf, daß der Ersatz für das Panzerschiff „Friedrich der Große" schon jetzt gefordert wird, obwohl der Referent der Budget commission zum Marineetat, der Abgeordnete Lieber, auf Grund „amtlicher verantwortlicher Erklärungen" im Reichs tag sestgcstellt habe, daß die Regierung sich dahin gebunden habe, nicht den vollen Ersatzbau für die Panzer „Friedrich der Große" und „König Wilhelm" zu Lasten der Ausgaben dieses Jahrhunderts kommen zu lassen, sondern nur den An fang dieser beiden Ersatzleuten. Der Abgeordnete Richter dürfte marinctechnisch ausreichend unterrichtet sein, um zu wissen, daß die ersten Raten für Schiffs- neubauten regelmäßig nur den Vorbereitungen des Baues gelten, daß also der Bau des Ersatzschiffes für „Friedrich der Große", auch wenn er im nächsten Frühjahr vom Reichstag bewilligt wird, frühestens im Jahre 1897 in Angriff genommen werden kann. Würde also hier schon mindestens die Hälfte der notbwendigen Ratenforderungen auf das nächste Jahrhundert entfallen, so wird das noch in höherem Maße bei dem Ersatzbau für den „König Wilhelm" der Fall sein. Es muß der „Freisinnigen Zeitung" überlassen bleiben, wie sie aus diesen Tbalsachen einen „Widerspruch zu dem im vorigen Jahre abgegebenen Erklärungen" der Negierung constrniren will. Immerhin dürfte bei der Entscheidung der Frage des Baues neuer Panzerschiffe die Finanzlage des Reiches eine noch be deutendere Rolle spielen, als bei dem übrigen auf Schiffsneubauten bezüglichen Theite des Marinectats. Hier handelt es sich um neue Kreuzer. Wer sich der letzten Etatsberatbungen über die Forderungen der Marineverwaltung für Kreuzerneubaute» entsinnt und sich den Eindruck ver gegenwärtigt, den die Erklärungen nicht nur deS Marine- rcssorls, sondern auch des Auswärtigen Amtes auf die Mehrheit des Reichstages von der äußersten Rechten bis zu Herrn Rickert kervorgebracht batten, wird schwerlich von der „lleberstürznng überrascht" worden sein, die nach der „Freisinnigen Zeitung" sich in der Forderung von zwei Kreuzern II. Classe und einer» Kreuzer IV. Clafse kund geben soll. Das Blatt selbst muß zugeben, daß von der in der Denkschrift von 1888 geforderten Kreuzerflolte bis jjetzt erst ein Schiff gebaut ist. Wenn jetzt die Marineverwaltung. nachdem im vorigen Jahre ein Kreuzer I. und drei Kreuzer II. Classe bewilligt worden sind, zwei weitere Kreuzer II. Classe (der Kreuzer IV. Classe kommt nur für die Küstcn- vertbeidigung in Betracht) fordert, so gebt sie damit nicht über den Rahmen jener Denkschrift hinaus. Bezüglich des Tempos, in welchem der Ausbau der Kreuzerslotte vor sich gehen soll, bat sich die Marineverwaltung die Entjchließnng durchaus Vorbehalten, so daß hier nickt einmal die „Freisinnige Zeitung" einen Anhalt für Bemängelungen findet. Wir haben selbstverständlich keinen Anlaß, ohne Kenntniß aller Gründe, welche die Marineverwaltung für eine möglichst schnelle Vervollständigung unserer Krcuzerflotte ins Feld zu führen bat, und ohne einen genauen Einblick in die zutünstige Entwickelung der ReichSfinanzen uns auf die Bewilligung aller Forderungen des neuen Marineetats festznlegen, aber das läßt sich doch sagen, daß mannichfache Umstände es entschieden als wünschenswerth erscheinen lassen, so bald als möglich eine Vermehrung unseres Bestandes a» Kreuzern zu bewerkstellige». Die Vertretung der deutschen Interessen im Ausland darf keine Beeinträchtigung erleiden durch Lücken in unserer Marine; die Lehren, welche sich anläßlich des chilenischen Bürger krieges in dieser Richtung ergaben, sollten für lange Zeit wirksam sein. Wenn das bei der freisinnigen Volkspartei weniger der Fall ist, als bei den Welsen, die für die im laufenden Etat geforderten Raten für die neuen Kreuzer ge stimmt haben, so ist das freilich bedauerlich. Die Nothwendig- keit eines möglichst ausgiebigen Schutzes unserer Handelsflotte und die Sickerung der überseeischen Getreideznfuhr nach Deutsch land im Falle eines Krieges sind Puncte, die schon zu oft erörtert sind, als daß wir sie noch besonders hervorheben müßten. Sie leiten von selbst über zu einer Vergleichung der für diese Zwecke Deutschland zur Verfügung stehenden Flotte mit den gleicher Bestimmung dienenden Flotten anderer Staaten. Daß diese Vergleichung trotz aller Verstärkung, welche die deutsche Flotte in den letzten Jahren erfahren hat, noch immer sehr zu Ungunsten Deutschlands ansfällt, ist notorisch. Wenn trotz alledem die „Freisinnige Zeitung" immer noch versucht, das Schreckbild einer „deutschen Schlachtflotte ersten Ranges" dem Steuerzahler vorzuführen, so ist das ein rein aussichtsloses Unterfangen. Wir besitzen jetzt vier geschützte Kreuzer. Frankreich allein verfügt zur Zeit über 29 geschützte und 12 Panzerkreuzer; schon 1896 treten 2 geschützte und 1 Panzerkreuzer dazu. Das genügt, um die Haltlosigkeit der Reden der „Freis. Ztg." darzuthnn. Dieselbe berechnet die Gesammtkosten der vier neuen Schiffe auf 40 Millionen Mark. Erwägen wir, daß in Frankreich der Marineminister für die nächsten 10 Jahre je 80 Mill. Francs lediglich für Neubauten verlangt und ohne Zweifel auch bewilligt erhält, so ist es klar, daß auch die Bewilligung aller von der „Freis. Ztg." ins Auge gefaßten Forderungen des neuen Etats uns nicht in den Stand setzen würde, mit der Entwickelung der maritimen Wehrkraft Frankreichs gleichen Schritt zu halten. Was endlich die Forderungen für die neuen Torpedoboote und ein Torpedodivisionsboot anlangt, welche bekanntlich im vorigen Jahre ab gelehnt wurden, so werden sie den Gegenstand ernster Prüfung bilden müssen. Auch ans diesem Gebiete ist ein Rückstand Deutschlands tbunlickst zu ver meiden. Bis jetzt hat sich noch immer ein Ausgleich zwischen der Wehrkraft und der Finanzkraft des deutschen Reiches gefunden; das Gleiche wird hoffentlich auch in Zukunft der Fall sein. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. November. Wer etwa geglaubt hat, um die „Sieger" vom 21. März hätte sich nur das mehr äußerliche Band des BiSmarckhasseS ge schlungen, eine innere Gemeinschaft habe sie jedoch nickt zu- sammcngcfiihrt, der wird, wenn er überhaupt heilbar ist, von diesem Watme nunmehr gründlich cnrirt sein. Der Ultra montanismus hat beider Tortinundcr Wahl bewiesen, daß er eine Stärkung der Soci ald cmokra tie als eine Förderung seiner eigenen Politik ansieht. Dies ist nicht das erste Mat ge schehen, aber niemals so klar, so unzweideutig und so brutal wie am 5. November. So eifrig wie in Dortmund hat das Centrum noch niemals für die Wahl deS socialdemokralischen Gegners eines bürgerlichen Candikaken gewirkt, und eine gleich große Anzabt Stimmen bat es einem Vertreter des Umsturzes noch bei keiner Stichwahl zugcsührt. Aber das ist nicht das Einzige, was bas Dortmunder Wahlergebnis; von allen früheren unterscheidet. So lange Ultramontane und Nationalliberale einander befehden, war, bei Parlaments- Wahlen wcnigstcns, die Neigung der Wähler der einen Partei, in der Stichwahl für den Candidaten der andern Partei cinzutretei», niemals so groß wie diesmal in dem west fälischen Wahlkreise. Die Bedingungen einer hochentwickelten Industrie und die namentlich bei dem zweiten Gruben streik gemachten Erfahrungen hatten längst den gewerblichen Kreisen, darunter vielen Tausenden von Arbeitern, die un mittelbaren Consequenzen einer socialdemokralischen Vertretung im Reichstage deutlicher gezeigt, als es vieler Orten der Fall ist. Bei dieser Nachwahl standen aber die nicht- socialistischen Wähler noch unter dem besonderen Eindrücke der an den patriotischen Gedenktagen bekundeten social demokratischen Niedertracht und des Verdammungsnrtheils, das der Kaiser über sie gefällt. Man war entschlossen, den Socialdemokraten nicht siegen zu lassen, bis alsbald nach der ersten Wahl die CentrumSpresse immer deutlicher ihre Partei genossen darauf hinwies, daß sie im Grunde ihre Pflicht gegen die Partei und die Religion nicht erfüllten, wenn sie, von der Stimmabgabe für den bürgerlichen Candidaten ganz zu schweigen, sich mit Stimmenthaltung begnügten. Die völlige Gleichstellung der nationaltiberalen mit der social demokratischen Partei wurde so nachdrücklich und in einer gegen die erstere Partei so aufreizenden Weise betrieben, daß es in letzter Stunde ein Leichtes war, allerdings einen Unterschied zwischen den beiden Parteien zu behaupten, aber einen solchen zu Ungunsten der bürgerlichen Partei. Die Partcileirung that jedoch ein UebrigeS, indem sie die Parole „Wahlenthaltung" in eine Begründung einwickette, in der jeder Buchstabe „Wählt den Socialdemokralen!" förmlich zu schreien schien. Ihre ganze Anhängerschaft hat sie dennoch nicht für Lüttgenail aufzubringen vermocht; ein Theil hielt sich zurück, ein anderer, freilich lehr kleiner, wählte Möller, aber die katholischen Arbeitervereine, auf die am Abend vor der Wahl in einer durch Anschläge einberusenen und als „wichtig" bezeichneten Versammlung ein besonderer Druck ausgeübl wurde, gaben den Aus schlag für die Socialdemokratie. Die Centrumsleitung bat also auf den Ruf zum Kampfe für Religion, Sitte und Ordnnng ihre deutliche Antwort gegeben. Sie ist dafür mit mehr als Worten nicht zu haben, wohl aber für das Gegcntheil. Der Grund liegt auf der Hand: je unsicherer und gefahrvoller die innere Lage Deutschlands ist, desto mehr glaubt der Ultramontanismus für sich herausschlagen zu können. Und dies nach seinen bisherigen Erfahrungen mit Recht. Je mehr das Centrum in den letzten fünf Jahren die politische Ent wickelung gehemmt, ja, je mehr eS direct störend eingegriffen, desto mehr Einfluß hat es gewonnen. Dank einer Regierung, die nicht sah oder nicht sehen wollte, daß sie eine Liebe kaufen wollte, die für einen deutschen Nationalstaat zu hegen und zu gewähre», dem UttramontallismuS von seiner Natur versagt ist. Jetzt freilich, nack Dortmund, ist eine Täuschung nicht mehr möglich. Das Eentrum hat die kaiserliche Auf forderung mit einer Thal des Hohnes beantwortet; wer es künftig noch hätschelt, der handelt entweder aus bösem Willen oder aus einer Schwäche, die in Weiberröcken eine au gemessenere Umhüllung fände, als in Hosen. Dieser Garde- robenwechsel würde wenigstens die Lage ans der einen Seile ebenso für Jedermann tlären, wie sie durch die Dortmunder Wahl auf der anderen geklärt worden ist. Ucbcrraschend kommt die Nachricht von der Richtbestätigung Luegers als Bürgermeister von Wien durch den Kaiser. Wie uns ci» Privattelegramm aus Wien meldet, wirkte nach den antisemilischen Siegesfesten der letzten Tage und nach dem die Bestätigung Lueger's zum Bürgermeister aller orls als zweifellos angesehen worden war, die kaiserliche Entschließung auf die antisemitischen Kreise conster- nirenv; die schon geplante Illumination wurde selbstverständlich schleunigst abgesagt. Aber auch sonst machte die unerwartete Kunde in der Stadt das größte Aufsehen, Extrablätter wurden ausgerufeu und fanden reißenden Absatz, überall wurde das „Ereigniß" lebhaft und erregt diSeutirt, und mit großer Spannung erwartet man die Weiterentwickelnng der Angelegenheit, die, obwohl nur localer Natur, sich zu einer politischen Frage aus gewachsen hat. Demgegenüber möchten wir - dock davor warnen, der Sache eine allzugroße Bedeutung beizulegen. Allerdings enthält das amtliche Actenstück, welches die Be stätigung Lueger's ablehnt, keinerlei Begründung des kaiser lichen Entschlusses, allein in Regierungskreisen wird glaub hast versichert, die Nichtanerkennung sec weder eine politische, noch eine Parteisrage, sondern eine rein persönliche, da nach den Antecedentien Lueger's, der stets einer der wüstesten und rücksichtslosesten Agitatoren, im Parlament wie in den Versammlungen ein Brandredner und Hetzer sonder gleichen war und dem man in erster Linie den Niederganz des österreichischen Parlamentarismus zu danken hat, eine unparteiische Führung der Geschäfte eines großen Gemein wesens nicht erwartet werden konnte. So wird denn auch über die Ministerrathösitzungen, welche sich mit Lueger's Wahl beschäftigten, gemeldet: Gras Baden» war von Anfang an gegen die Bestätigung, doch schwankte infolge sehr starker Einflüsse die Entscheidung längere Zeit. Graf Badent inachte weniger principielle als persönliche Motive geltend, indem er erklärte, er könne einen Mann, der in solcher Weise wie De. Lueger gegen die geltenden Gesetze ausgetreten sei, dem Kaiser nicht als Bürgermeister Vorschlägen. Diesen Stand- punct oerirat Graf Baden, so entschieden, daß schlietzlich der ganze Minisierraih zugeslimmt hat. Der Kaiser aber sanctionirte Len Borschlag Badeni's, ohne länger zu zögern. Nach unserem Dafürhalten wäre auch eine Nichtbestätigunz Lueger's als Führers deS Wiener Antisemitismus, also auS rein politischen Rücksichten, ein Fehler sondergleichen gewesen; auch das durfte nicht ausschlaggebend sein, daß Lueger wegen seiner giftigen Acußernngen gegen Ungarn dort der best gehaßte Mann ist. In die Wiener Bürgermeisterwahl hat kein Magyar hineinznreden, und den Antisemitismus in Wien rottet auch die Nichlbestätigung des Kaiser- nicht auS. Es können eben nur rein persönliche Motive maßgebend gewesen sein, und daß der Kaiser diese den Ausschlag geben ließ, ist nur zu billigen; denn weder konnte Franz Joseph mit einem Lueger verkehren, noch konnte er auswärtigen Souveränen zumutheii, einen Lueger als Repräsentanten der Reichs Feuilleton» Der Kampf ums Dasein. 8j Roman von A. von Gersdorsf. Nachdruck verboten. «Fortsetzung.) „Es wäre vielleicht doch schön, Helmuth", meinte Jakoba stockend, während sie das fertige Packet von sich schob und sich gegen die Hobe Lehne ihres Stuhles zurücklegte, „ich meine — ich möchte eigentlich gerne Deine Familie kennen lernen. Bis Tu Hauptmann wirst, dauert cs doch wohl noch zwei Jahre?" „Nächstens! Ich glaube bestimmt, wir können schon viel eher heirathen." Sie sah ihn ein paar Cecunden mit leicht um- wölktem Blick an. „Mich wundert überhaupt", fuhr sie fort, „daß Dir diese heimliche Verlobung nichi unsympathisch ist." „Weiß Gott, daß sie mir das ist!" seufzte er auf und hob eine abgckiiickte Rose vom Boden, auf welche er eben achtlos den Fuß gesetzt batte. „Meinst Du denn wirklich, daß eine selbst lange, aber offene Brautzeit nicht am Ende doch noch besser ist als diese heimliche, die eigentlich, ich gestehe es, nicht gerade schmeichel haft für mich ist!" Er nahm ihre Hand, zog sie an seine Lippen und sah darüber hinweg nachdenklich zu Boden. Ja, es war sein Wunsch und Bitten gewesen, bis zur kurz bevorstehenden Berkeirathung seine Verlobung mit der schönen Schriftstellerin geheim zu halten. Niemand sollte sich mit ihm oder seinem privaten Thun beschäftigen dürfen — t.ier vielleicht billigend, dort achselzuckend, lächelnd oder Nase rümpfend! Seine Verlobung mit Jakoba Rovalla, über die er auch in seine» Kreisen recht verschiedene Urtheile gehört hatte, würde natürlich sofort einen Sturm von Gerede aller Art entfesseln und auch auf seinen Vater und seine Schwester Blicke und Worte und verschiedene Arten von Urtheilen lenken. Jakoba's Lebensweise, ihr Verkehr wären dann schon jetzt eine Unmöglichkeit geworden, und er bebte davor zurück, sie vor eine Wahl zu stelle», die vielleicht nicht zu seinen Gunsten auSfallen würde. Er liebte sie wahrhaft und war entschlossen, wenn ihm das Aufrücken zum Hauptmann die Heirath ermöglichte, die geliebte Garde, das alte, theure Regiment, auf daS er so stolz war, zu verlassen, daS heißt, wenn seine Versetzung nicht zugleich erfolgte, dieselbe zu erbitten und in ein Linien-Regi- ment zu treten, wo er eben seiner Gemahlin schon Stellung geben würde. Als er sich mit Jakoba verlobte, batte er ihr dies Alles mit einigen nothwendigen Auslassungen gesagt und bereit williges Eingehen gesunden. Sic liebte ihn über Alles und wäre auf viel härtere, auf jede Bedingung vielleicht anfänglich eingegangen, nur um dereinst die Seine werden zu können. Bescheidenheit und Empfindlichkeit hatten sie jede Berührung des wunden PuncteS meiden kaffen — freilich sie auch i» gewissem Auslehnen Anschluß an eine Aristokratie deS Geistes allein suchen lassen, und in der vielleicht zu offenen Er klärung ihrer eigenen Unabhängigkeit von Vorurthcilen und leeren Formen eine kleine Racke finden lassen. Jetzt sah Helmuth auf in das liebe, sanfte Gesicht. „Ich glaube zwar nicht» daß Du und meine Schwester besonders gut zusammen passen würdet, und wenn Du meine erklärte Braut bist, müßtet Ihr Euch öfter, recht oft sehen, aber ich kann mich irren. Mein Vater ist der beste Mensch unter der Sonne. Er würde sich unter allen Umständen freuen. Ich will morgen mit meinem Vater sprechen!" schloß er und nahm daS schone Geschöpf in seine Arme. „Ich will Dir einen Vorschlag machen. Helmuth", sagte, sie, ihr goldiges Haupt gegen seine braune, schmale Wange drückend, „Du brauchst ja gar keine Vcrlobungs- an zeigen herumzuschicken, es braucht es ja kein Mensch zu wissen, außer den Deinen. Und das läßt sich ganz still und einfach machen. Ich verkehre bei Euch als die Freundin Deiner Schwester." „Ja, »nein Lieb, bas ließe sich machen!" sagte er ohne Be geisterung. „Nur fürchte ich, daß ich dann nieine liebe Braut nie allein sehen, nie meine armen Gedanken mit ihrem reichen Geist auStauschcn, hier in Deiner lieben, kleinen Wohnung so himmlische weltentrückte Stunden verleben könnte — denn sieb, geheim halten ließen sich meine Besuche dann kaum. Meine Schwester aber und auch »nein Vater würden abendliche ein same Gänge zu Dir für entsetzlich unpassend erklären und auch Dich vielleicht ganz absichtslos in Deinen Ansichten ver letzen. Darum dachte ich mir, daß es besser wäre, wenn diese Vorzeit mit den Meinen möglichst abgekürzt wäre!" „Kurz", sagte sie heiter, „sprechen wir nicht mehr davon! Du hast recht. Jetzt halte mir doch einmal das Packet da, ich kann mit dem steifen Packpapier nicht zurecht kommen." Helmuth erhob sich und half ihr. Er erzählte ihr dabei von seines Vaters Eigenheiten und von seiner armen kleinen Schwester krampfhaften Versuchen, Arbeit zu finden, und seinem Entsetzen über die ungeschickte Art." Jakoba sab ihn ernst an. „Wie kannst Du nur meinen, wir würden nicht gut zu sammen passen?" fragte sie. „Ich kann Dir sagen, ich passe mit jedem Menschen zusammen, der arbeiten möchte und an der Arbeit eine Freude findet." „Aber diese Idee mit der Ladenarbcit, die ist doch geradezu compromittirend für mich!" „Ich meine, daß jede Arbeit adelt und daß man Den, der auf seine, nicht auf unsere Weise danach sucht, nicht zornig anlassen muß, wenn es ungeschickt gemacht wird, dann kann man vielleicht etwas finden, weißt Du, was besser paßt. Aber helfen, sieb, Liebling, helfen sollte jeder brave Mann einem Weibe, das Arbeit sucht, entweder um zu leben, oder nur um zu arbeiten, wie Deine liebe Schwester, aber nicht ihr Steine in den Weg legen!" Helmuth lachte neckend: „Siche Paragraph drei: „Gleiches Recht". Zur Fraucnfrage von I. Rovalla. Na, Ihr würdet ja erfreuliche Resultate erringen, Du und Maria Marga rethe, und Du würdest am Ende besser noch zu ihr paffen als zu mir!" „Wer weiß!" gab sie mit seltsanier Betonung zurück. „So, nun will ich rasch die Adresse schreiben und dann muß ich wirklich geben." Sie setzte sich wieder an den Schreibtisch. „Wann kannst Du denn von der Redactivn Antwort auf die Einsendung haben?" fragte er. „Nicht vor vier Wochen." „Und was denkst Du denn in der langen Zeit zu thun, »nein fleißiges Lieb?" „Wieder zu arbeiten. Kleine Sachen, Artikel — Beiträge zur Frauenfragc —, Skizzen, Novelletten. Ich verdiene mir ui diesen vier Wochen sicherlich mit meinen kleinen Arbeiten jeden Tag, den ich lebe." „Und wenn du nun meine Frau bist, wirst Du dann auch tagaus, tagein am Schreibtisch arbeiten und Gatten, HauS und Wirihschaft nur Deine schöne Rückseite zeigen?" „Meinst Du? Du sollst mir daS noch abbitten! Sieht es denn hier bei mir so auS, als wenn ich nicht Behaglichkeit um mich zu verbreiten verstände? O nein, mein Herr — die Zeiten sind auch vorbei, wo die geistig arbeitende Frau der Typus einer unsauberen, nachlässigen Hausfrau war! O ja (nicht doch, Helmuth, Du zerdrückst ja meine Rosen ganz und gar), die Zeiten sind so sicher vorbei wie jene, wo Schriftstellerinnen mindestens vierzig Jahre und immer sehr häßlich waren. Heutzutage schadet es gar nichts, wenn man hübsch, sogar sehr hübsch (aber Hetmuth! ich muß j» mein ganzes Haar noch ein Mal machen!), jung und elegant ist! Glaubst Du'S?" „Ja, Herz, ja! Alles, was Du willst. Und morgen mache ich der Welt eine Ucberraschnng, ja, morgen. Still! Kein Wort, sonst küss' ich Dich tobt! Morgen soll alle Welt, ja. alle Welt wissen, daß Helmuth Andvr der glücklichste Mann ist, der Bräutigam der allerschönsten Schriftstellerin und allerklügsten Vertheidigerin ihrer Rechte!" Er fühlte die schöne Gestalt in seinen Armen erzittern, sie hob Len blonden Kopf und sah ihn an. „Helmuth, ich danke Dir!" hauchte sie. „Ich will Dich immer lieben, Dir immer gehorchen. Du bist mir das Höchste in der Welt. Die Sache aber denke ich, an sich, bleibt doch am besten so, »vie Du sie zuerst beschlossen hast." „Nein, nein! Sorge Dich nicht, meine Jakoba. Du sollst gleich zu Deinem Rechte kommen. Verlass' Dich nur ganz auf mich." „Bedingungslos." Ein Strahl derselben Liebe, desselben Geistes, voll Ver stehen, Vertrauen, Willen nnd Kraft ging von Auge zu Auge, von Herz zu Herz! O Menschenherzen, gute, schwache, starke, verzagte Menschenherzen, laßt diesen Augenblick bleiben, was er ist, Eure wahre Hochzeitsfeier! Nehmt auS ihm einen Funken seines Lichtes, einen Hauch seines Weihrauchs hinüber in jeden Tag, jede Stunde, jede Lust, jede Qual, und Ihr werdet zu den Wenigen gehören, die in solch einen» Augenblick Gott zusanimengefügt hat, bis der Tod sie scheidet. — „Nun aber, Geliebter, will ich »nick rasch zurcchtmache» " „Ich fürchte, Du wirst schon recht spät kommen", meinte Helmuth und »varf einen Blick auf seine Uhr. „CS schlägt ja eben erst halb neun Uhr." Er lächelte. „Auf Deinen Uhren, mein Glück, ist die Zeit eine wunderlich launenhafte Person. Bald jagt sie dahin und ihre silbernen Glöckchen bimmeln fröhlich 9 Uhr, wenn aus diesem rechtschaffenen, militairischen Zeitmesser höchstens halb Neun ist — bald bummelt sie sorglos durch diese holden vier
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite