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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.12.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-12-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951205024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895120502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895120502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1895
-
Monat
1895-12
- Tag 1895-12-05
-
Monat
1895-12
-
Jahr
1895
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Tabellarischer und Zissernsap nach höherem Tarif. Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.- Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittog« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Für dir Montag-Morgeu-Au-gabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je «ine halb« Stunde früher. Anzeige» sind stets an dir Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 5. December 1895. 89. Jahrgang. Politische Lagesschau. * Leipzig, 5. December. Wie vorauszusehen war, bat der Reichstag gestern sein klerikal-freisinnig-klericaleS Präsidium wiebergewählt. Der Berlaus der Wahl war jedoch insofern nicht ganz der des 23. Marz, ai« die Conservativen für den Freiherrn v. Buol als ersten Präsidenten stimmten, während sie bei der durch den Rücktritt der Herren v. Levctzow und Or. Bürklin nothwendig gewordenen Wahl bei allen drei Wablacten weiße Zettel abgegeben batten. Die conservative Partei wollte wohl durch diesen Schritt ihre Neigung zu einem engeren Perhältniß mit den Ultramontanen bekunden. Doch ver mochte sie sich noch nicht zu entschließen, die zweite Stelle im Präsidium einzunehmen. Der Verzicht auf die erste aber konnte dem Centrum von einer Partei, die ihm ihr Ent gegenkommen bezeigen wollte, nicht angesonnen werden. Die Nationalliberalen und dieFreiconservativen erachte ten die Lage seit dem 23. März nicht so weit geändert, daß sie sich veranlaßt sehen konnten, von dem damals beobachteten Verhalten abzugeben. Sie gaben in allen drei Wahlacten weiße Zettel ab. Das Gleiche tbaten die Conservativen wieder bei der Wahl deS ersten Vicepräsidenteu, natürlich ohne daß dadurch die schwere Besorgniß, die die frei sinnige Bolk-partei wegen ihrer Position im Präsidium verratben hatte, gerechtfertigt worden wäre. .Herr Schmidt-Bingen wurde mit 169 Stimmen wicdergrwahlt, während für Herrn Bnol 229 Stimmen abgegeben worden waren. Die Zahl der weißen Zettel stieg von bei der Wahl de» Präsidenten auf 107 bei der dcs ersten Vice- präsidenten. Das Centrumsmitglied Spahn wurde bei der Abgabe von 96 Weißen Zetteln mit 170 Stimmen zum zweiten Vicepräsideuten gewäblt. Nach der Wahl wurden Anträge auf Einstellung deS Strafverfahrens gegen die wegen Beleidigung verfolgten Abgeordneten Stadthagen (S.-D.) und Werner (Antisemit) ohne Debatte angenommen. Von den Urlaubsgesuchen erregte einige Heiterkeit dasj-nige, worin der Abgeordnete Ahlward t „wegen einer unaufschiebbaren Reife" einen Urlaub von sieben Wochen erbat. DaS Haus fand keine Veranlassung, von seiner Gewohnheit, derartige Gesuche anstandslos zu bewilligen, Herr» Ahlwardt gegenüber abzu- gehen. Während die zeitraubende Procedur der Präsidenten wahl sich abspielte, wurde im Saale und in den Wandel gängen lebhafte Unterhaltung gepflogen, deren Gegenstand, wie erklärlich, der Rücktritt deS Herrn v. Koller bildete, über dessen Nachfolger noch völlige Ungewißheit herrschte. Die stärkste Erregung verriethen die Gruppen der Conserva- liven, deren Führer mit Ausnahme deS Grafen Kanitz voll zählig auf dem Platze waren. Eifrige Verhandlungen dieser Herren mit deni Abgeordneten Grafen Herbert Bismarck und dem im Foyer erschienenen Oberpräsidenten Grafen Wilhelm Bismarck blieben nicht unbemerkt. Ein Nachfolger für Herrn p. Koller scheint auch heute noch nicht gefunden zu sein; nicht einmal über die Annahme seine« Abschiedsbesuches liegt eine amtlicke Meldung vor. Nichtsdestoweniger steht die Thatsache deS Rücktritt» unum stößlich fest. Den im gestrigen Abendblatt« mitgrtheilten Auslassungen unseres Herrn 42-Correspondenten über die Gründe des Wechsels haben wir nicht» Wesentliches binzu- zufügen. Das Ereigniß hat, wie die meisten, mehr al« eine Ursache. Die Hauptursache: Herr v. Köller hatte sich als Minister ansgelebt und als solcher das Vertrauen nicht nur bei seinen Amtsgenossen verloren. Immerhin dürfte er sich noch etwas länger auf seinem Posten gehalten haben, wenn die von ihm heraufbeschworenen Diffe renzen mit dem Kriegsminister in der Angelegenheit der Militairstraf proceßordnung nicht vorhanden »wesen wären. Wir haben über diese MeinungSverschieden- eiten, die sich auch persönlich zugespitzt haben mögen, wie denn überhaupt auch das außerpolikifche Verhältniß des AuS- geschiedenen zu den College» in der ietztenZeit nickt daS Beste ge wesen zu sein scheint, s. Z. nach dem „Hann. Cond." berichtet, dessen damalige Mittheilungen sonst in der Presse nicht die verdiente Beachtung gefüllten haben. Jetzt wird sogar berichtet, die Art, wie Herr v. Köller der Mililairstrafprvceßordnnng Widerstand geleistet, habe den Kriegsminister zu einer Be schwerdeschrift veranlaßt. Ob Herr v. Bronsart sich schriftlich beklagt hat, bleibe dahingestellt, aber beschwert hat er sich nach unseren Informationen allerdings, und nickt nur über Herrn v. Köller, sondern auch über andere, nicht ministerielle Persönlichkeiten. ES ist ihm auch volle Genug» thuung gegeben worden. Daß die Auflösung der social- demokratischen Vereine der letzte Tropfen gewesen sei, der das Maß des Herrn v. Köller überlaufen ließ, wird ebenso entschieden behauptet wie bestritten. Es scheint aber in der Tbat zurreffend zu sein, daß der Ministerpräsident Fürst Hohenlohe von der Maßregel erst aus den Zeitungen Kennlniß erlangt hatte. In Berlin wußte man, wie man uns von dort schreibt, am Sonnabend früh auch in wohlunterrichteten Kreisen nichts von den Auslösungen; die Nachricht kam dahin zuerst durch da« „Leipziger Tageblatt" und erregte in den Kaffeehäusern und Redactionen nicht geringe Sensation. Wenn Herr v. Köller die hochpolitische Maßregel wirklich ohne Vorwisseu des Slaatsministeriums ergriffen haben sollte, so würde er mit einer Handlung, wie sie dem hastig zu- fahrenden Manne allerdings zuzutrauen wäre, endlich seine politische Laufbahn völlig abgeschlossen haben. Daß sein Rücktritt von dem Ministerium einen solchen Abschluß be deute, vermuthet sogar, wenig freundschaftlich und dankbar, die „Kreuzzeitung." Der Präsident der Bereinigten Ltaatcn, Cleveland, hat es für allgezeigt gehalten, sich amtlich in einem sehr ungewöhnliche» Tone über Maßregeln zu äußer», die die deutsche und die preußische Regierung kraft ihres Rechts beschlossen Haben. Man wünscht selbstverständlich nirgends in Deutschland, daß die Sprache des Präsidenten der Union Folgen haben möge, die ihr angemessen sein würden. Aber jenseits des großen Wassers mag man sich gesagt sein lassen, daß Einschüchternngsversuche auf Deutschland keine oder wenigstens nicht die gewünschte Wirkung haben werden. Zunächst mag in aller Ruhe gesagt werden, daß nicht Deutsch land Nordamerika differentiell zu behandeln begonnen bat, sondern Nordamerika, indem eS die deutsche Zuckereinfuhr gegenüber der anderer Staaten benachtheiligt, Deutschland. Wir behandeln die Vereinigten Staaten überhaupt nicht differentiell, wir sind nur nicht thöricht genug, krankes Vieh und krankes Fleisch, bloS deswegen, weil eS in Amerika erzeugt worden ist, ins Land zu lassen, und behandeln dabei dieses Land ebenso wie beispielsweise das eng verbündete Oesterreich - Ungarn. Wenn Herr Cleveland versickert, kein europäischer Staat überwache die Nahrungsmittel- auSsuhr so sorgfältig, wie die Vereinigten Staaten, so sei dem schon aus internationaler Höflichkeit, die immer ein empsehlenS- wertbcS Ding bleibt, nicht entgegengetreten. Aber der Staat ist ein Ding, da- selbst kein« Augen hat, er sieht nur durch die Augen seiner Beamten, und daß diesem Amerika viel fach an mehr oder minder hochgradiger Schwäche leiden, wenn großkapitalistische Unternehmer ihre Scharfäugigkeiten nicht wünschen, ist eine alte Kunde, die nur — aus Amerika ge kommen ist und täglich von dort au» aufs Neue behauptet wird. Was die Versicherungsgesellschaften anlangt, so werden diese in Prenßen — nur diese» kommt hier in Be tracht — nicht durch „Schwierigkeiten bedrängt", sondern unter liegen nur Bestimmungen, welche der Regierung im Interesse der Versicherten geboten erscheinen. Keiner amerikanischen Gesellschaft, welche sich diesen Vorschriften nnterworfen hat, ist die Thätigkeit in Preußen untersagt, uud wir mögen deshalb vorläufig auch noch nicht an die Meldung glauben, einer deutschen FeuerversickerungSgesellschaft sei von der Behörde deS Staates Missouri angekündigt worden, ihre am 1. Februar ablaufende Concession würde nicht mehr erneuert werden. Wirtschaftliche Feindseligkeiten Amerikas, das leugnet natürlich Niemand, wären für Deutschland un angenehm; aber deutsche Abwehrmaßregel» wären es für Amerika nicht minder. Diese beiden Wahrheiten, so hoffen wir, werde» der Ausrechthaltung von wirthschaftlichen Be ziehungen dienen, die den beiderseitigen Interessen besser ent sprechen als die Ausdrücke des Herrn Cleveland. — Wa« Samoa betrifft, so hat der Unionspräsident recht, wenn er von einem unerquicklichen und unnatürlichen Verhältniß spricht. Ein solche- ist in der That, wie von deutscher Seile wiederholt ausgesprochen wurde, das Conde- minium Englands, Nordamerikas und Deutschlands auf dem fernen Eiland, ein solches Compromiß birgt zahlreiche Keime von Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten. Nur sollte Herr Cleveland nicht der einzig richtigen Lösung im Wege stehen, die darin besteht, daß die Oberhoheit überSamoa Deutsch land, dem sie gebührt, zugesprochen wird. England hat voriges Jahr schon seine Bereitwilligkeit, mit seinen Ansprüchen zurückzutrcten, erklärt, wenn eS darum angegangen werde. Herr Cleveland braucht nur dem Beispiel Englands zu folgen und für Amerika verlieren die Verhältnisse aus Samoa sofort alles Unerquickliche und Unnatürliche. Unter den Gründen, welche von der türkische» Regie rung gegen die Zulassung zweiter SkationSschiffe geltend gemacht worden sind, steht in erster Linie der Hinweis auf die unter den Muhamedanern noch immer bestehende Erregung, die leicht zu einem erneuten Emporlodern des Fanatismus gegen die Armenier, wie gegen die Fremden angesacht werben könnte, wenn der Forderung der Mächte entsprochen würde. Die Unstichhaltigkeit dieses Vorwaudes beleuchtet eine der „Pot. Corr." aus den Kreisen der Bot schafter in Konstantinopel zugehende Mittheilung, in der eS heißt: Es ist eine offenkundige nnd unbestreitbare Thatsache, daß die mvhomedanische Bevölkerung sich gegenwärtig von keinem solchen Fanatismus erfüllt zeigt, daß die Gefahr eines elementaren Ausbruchs dersetben gegen alle Christen drohen würde. ES ist durch vieleBeweise erhärtet, daß die bedauernswerthen Bor fälle in den Provinzen gegen die Armenier einestheils zwar durch die armenische Demonstration vom 30. September in Kon- stantinopel und durch einzelne armenische Provocationen im Innern des Reiches, hauptsächlich aber durch die zweifellos von türkischer Seite verbreiteten übertriebenen Nachrichten über die armenischen Aspirationen und durch auf regende Schlagwörter und directe Aufreizungen seitens türkischer Geistlicher und angesehener bürgerlicher Personen, hervorgerufen wurden. Jedenfalls stammt diese Mittheilung aus zuverlässigerer Quelle als die von dem ottomanischen Preßbureau ver breiteten Meldungen, welche alle Schuld an der Fortdauer und dem Umsichgreifen der Unruhen auf die Provocationen der Armenier schieben, eine Fälschung, der wir schon des Oefteren entgegengetreten sind. Auch bei den ersten Un ruhen in Konstantinopel lag nach gleichfalls aus Botschafter kreisen stammenden Mittbeilungen die Sache so, daß durch aufreizende, auf Veranlassung von RegieruogSbeamten verfaßte und verbreitete Plakate die armenische Demon stratio» vor der Pforte in einer Weise aufgebauscht und fructificirt wlwde, daß die von dem Pöbel Konstantinoprlö angerickteten Schlächtereien nur zu begreiflich erscheinen. — Mittlerweile scheint die Pacificirung der aufständischen Ge biete einige weitere Fortschritte zu machen, nur daß am 3. No vember in Cäsarea durch das falsche Gerücht, di« Armenier Planken einen neuen Angriff, wieder ein blutiger Zusammen stoß verursacht wurde und in Zeitun die Verhandlungen mit den dort eine feste Position einnehmenden Armeniern gescheitert sind, da diese in dem Entgegenkommen der türkischen Regierung nur eine Falle sehen und daher nicht gewillt sind, die Waffen nieberzulegen. Der Vor schlag gütlicher Verständigung mit den Aufständischen wurde übrigens dem Sultan mit Unterstützung mehrerer anderer Mächte, um daS Aeußerste zu vermeiden, von deutscher Seite gemacht, ein neuer Beweis, wir ernst es unserer Reichsregierung mit dem Bestreben ist, eine Verschärfung der Lage nach Möglichkeit zu verhindern und weiteren die armenische Bevölkerung aufreizenden Zwischenfällen zuvor zukommen. Leider scheiterte der Versuch an dem nicht un berechtigten Zweifel der Armenier an dir Aufrichtigkeit türkischer Versprechungen. Der Ausbruch von Unruhen auf Madagaskar, welchen eine englische Missionarfamilie zum Opfer gefallen ist, läßt die dortigen Zustände in einem für die internatio nalen Interessen wenig erfreulichen Lickte erscheinen, zumal da die Befürchtung gehegt wird, daß ähnliche Frevel noch folgen werden. Der Umstand, daß der Angriff von einer nach Tausenden zählenden Eingeborrnenschaar ausgesührt wurde, macht das Vorgefallene noch peinlicher. Englische Missio nare auf Madagaskar sind den Franzosen aus doppel tem Anlaß verdächtig, einmal aus religiösem, dann aber und wohl hauptsächlich aus politischem. So lange Frankreich nach Etablirung seiner Herrschaft auf Madagaskar trachtete, waren ihm die protestantischen englischen Missionare ein Dorn im Auge; es sah in jedem derselben einen grbeimen Agenten der englischen Politik und beargwöhnte sie, daß sie die Hovas gegen Frankreich ausstachelten und überhaupt Alles thäten, um den französischen Interessen entgegen zu arbeiten. Es liegt daher angesichts der erwähnten Vorkommnisse die Muthmaßunz nahe, daß übereifrige Eingeborene, um sich bei de» neuen Gebietern lieb Kind zu macken, auf eigene Faust den Kriegspsad gegen die englischen Missionare be treten habe», und man wird in Paris wohl daran lhun, durch ungesäumte Ergreifung von Maßregeln zur Bestrafung der Mörder und Verhinderung weiterer Grenelthaten den Verdacht zu entkräften, daß die Verfolgungen der Missionare am Ende gar unter Connivenz französischer Behörden auf Madagaskar vor sich gehen möchten. Ein anderes Aussehen gewinnt die Sache freilich, wenn die coloniale Nebenbubler- lchaft zwischen den Westmächten zum Worte kommt. Pariser- Blätter, welche Beziehungen zum Quai d'Orsay pflegen, möchten am liebsten den Bericht über den AuSbruch von Unruhen aus Madagaskar in das Gebiet der Fabel verweisen oder ihm höchstens die Bedeutung eines nicht ernst zu nehmenden Zwischenfalles zuerkennen. Da diese cavaliere Behandlung des Geschehenen den Engländern mißfällt und die Presse jenseits des Canals zu tadelnden Bemerkungen wegen der Frivolität der Colonialpolitik Frankreichs veranlaßt, so wird von den Pariser Blättern darauf in erregtem Tone duplicirt. Eie beschuldigen England der mala Üä68, erklären geradezu, die englischen Missionare auf Madagaskar steckten mit den Der Kamps ums Dasein. 3lj Roman von A. von Gersdorff Nachdruck vntotru. (Fortsetzuna.) Auch der Vater und Maria-Margaretbe hatten ja ihren besonder», Antheil an dem Glücksschifflein, da» in diesen Tagen bei ihnen eingelaufen war. Letztere wohl den herrlichsten und seligsten. Ihr Besuch bei dem kranken Kind« Doctor Bergmann'« war so befriedigend, so glücklich verlaufen, wie Maria- Margaretbe es in ihren stolzesten Träumen nicht für möglich gehalten batte. Die Kleine hatte unbedingt sogleich Zu neigung für die feine, blasse Erscheinung mit der weichen Stimme und den liebevollen Augen gefaßt, und es war rührend, wie Bergmann zusah und nur schwer im Stande schien, der Kleinen zu befehlen, sie solle endlich die Hand der fremden Dame loSlassen, die gewiß wiederkommen wolle, wenn Doris recht arttg sei. Es wiederholten sich die schönen Stunden, da die Schwägerinnen am Bette deS kranken Kinde- saßen. Berg mann war immer da und sein reicher Geist, sein schönes Herz, sein liebenswürdiges Wesen sprachen immer offener und wärmer n» dem blonden Mädchen mit den mütterlichen Augen, die daS Köpfchen seines Kindes so geduldig im Arm hielt und ihn selbst dann fast bei Seite schob. lieber Nacht war e« Herbst geworden. Die braunen nnd gelben Blätter sielen schaarenwrise vor dem heulenden Herbststurm und die Straßenreiniger hatten Morgen« immer vollauf zu thun, die Zeichen de» Vergehen« und Sterben« zu entfernen. „Mir ist so angst um meinen Mann! Ich kann die« Schweigen gar nicht begreifen. Seit der erste» Depesche: „Gesund angekommen!" keine Silbe, und er weiß doch, wie sehr wir aus Nachricht warten!" sagte Iakoba am Abend de- fünften Tage« nach Helmuth'S Abreise sorgenvoll zu ihrem Schwiegervater, der zur Dämmerzeit im Wohnzimmer auf und ab ging. „Hm — auffallend ist eS ja, aber etwa» AengstlicheS ist absolut nicht dabei, Mein Kind. Die Angelegenheit dort entzirbt sich ja jeder Vermuthung. Wer weiß, wie beschäftigt er ,st!" „Ja", sagte Maria-Margarethe, die seit einiger Zeit nicht mehr in der stillen Dämmerstunde mit den Stricknadeln rasselte, weil Klein-DoriS daS Stricken und Häkeln der Taute mit den „langen spitzen Spießen" gar nicht gern hatte, „ja, die Sacke hat ja etwas Sonderbares, aber der Grund de« Schweigen« kann reckt wohl der sein, daß Helmuth erst etwas Bestimmtes melden will, oder daß er am Ende Deinen Brief gar nicht erhielt und nicht mehr in Franzens burg war." „Wo soll er denn aber sonst sein, Liebste?" Und wenn er selbst meinen Brief nicht erbielt, so mußte er doch gerade etwa- von sich hören lassen. Eventuell sollte ich doch gleich Nachkommen. Nein, das kann ich nicht glauben, daß Jemand in Tagen keine Viertelstunde Zeit findet, drei Worte zu schreiben, und nun gar unser rücksichtsvoller Helmuth, der doch —" Sie verstummte, auch der Oberst hielt in seinem Spazier gang inne. Ein leiser, bekannter Ton ließ ihre Herzen in diesem Augenblick fast still stehen. Draußen war der Schnepper in die Flurthür geschoben worden. Nur Helmuth batte einen solchen zu der Wohnung. Aber Helmuth war doch mehr als hundert Meilen weit entfernt. Nein doch, nein — da stand er in der Tbür. Mit einem Schrei der Freud« und Erlösung sprang Iakoba auf. „Gott Lob, Du bist da!" Auch der Oberst trat rasch auf seinen Sohn zu und sah ihm nah und forschend ins Gesicht. „Du bist ja — furcht bar bleich und — und elend oder niedergeschlagen!" sagte er abgebrochen. „Ich erzähle Euch sogleich Alle». Will nur meinen Mantel abthun." Iakoba wollte ihm folgen, aber er schob sie sanft zurück. „Bleib nur, Schatz. Ich bin sofort wieder da." Iakoba sab angstvoll den Vater an. „WaS ist nur ge schehen?" bauchte sie. „Nicht» Schlimmere», als daß die Geschichte gescheitert ist. Armer Junge! Seid beiter, Kinder — Iakoba!" „Sei versichert, lieber Vater." Helmuth trat ein. Maria-Margarethe in ihrer Praktischen Art fand diesmal den rechten Urbergang. „Vor allen Dingen, lieber Helmutb, mußt Du etwas ge nießen. Ich hole Dir Alle» — oder nein, vielleicht erlaubt der Vater, daß wir heute Alle ein Stündchen früher essen. Es ist ja gleich Sieben!" „Gern, mein Kind!" „Ja, Schwesterchen, ich bin ganz verhungert und verdurstet, bin Tag und Nacht gereist, nur um von dem schrecklichen Ort möglichst weit fort zu kommen!" „Ach! erzähle, Helmutb — also ein schrecklicher Ort war cs?" „Ein Paradies auf Erden — ein — ein Bild aus einem Märchenparadiese —" „Helmutb!" „Einen Augenblick nur", bat die Schwester, „ich bin sofort wieder hier." Helmuth saß still in der Sophaecke neben dem Vater. Die Hand des alten Manne» umfaßte leise die des Sokncs mit festem Druck, der fest erwidert wurde. Iakoba's Haupt ruhte an seiner Schulter. Keiner sprach ein Wort. Es war ein dumpfes Schweigen, wie neben emer Leiche. Ach ja, neben der Leiche der schönsten Hoffnung! Nach wenigen Minuten war der Tisch gedeckt und Helmuth aß mit Hast. Er schien wirklich ganz verschmachtet. Der Vater aber holte eine lange, lange gesparte Flasche alten Madeira auS seinem „Erbschrank", wo sie lange neben den minder wertbvollen Dorräthen von altem Eisen, leeren Schachteln und Medicinflasckrn gelagert hatte. Der große Freudentaa dafür schien nimmer kommen zu wollen, so mochte der edle Tropfen denn beute dem Ermatteten Kraft uud Frische geben. Um jeder bescheidenen Ablehnung vorzubeugen, hatte er die Flasche gleich in aller Heimlichkeit in seinem Zimmer geöffnet, kam nun ruhig und beiter wieder herein und stellte den goldig funkelnden edlen Trank vor Helmuth hin. Und Helmutb beugte sich gerührt über die geliebte Vaterhand. Dann füllte der Oberst di« Gläser für Alle. „Also nun sage un«, mein Sohn, warum daS Paradies auf Erden ein schrecklicher Ort ist." „Weil ich dort dem alten Cur», Pflicht und Ehre, batte untreu werden müssen, weil eS ein ehrloser Handel war." „Und dazu einen preußischen Officier?" „Jawohl. Weil sie einen hauptsächlich ehrlichen und zuverlässigen Manu brauchten, und weil sie in dem preußischen Osficiere diese und noch andere brauchbare Eigenschaften am ersten zu finden glaubten, außerdem ihm aber auch noch eine zu viel zutrauten» nämlich: Alle» für Geld zu thun! An dern Dienst entlassen, mittellos, in einem Alter, wo er nicht wohl mehr die Studien für einen anderen Beruf machen kann, ohne Thätigkeit, angewiesen auf den Zufall, uni ^zn Erwerb zu kommen, verwöknt und verheiratbet sollte er sein, das heißt in der Sorge für Andere noch leichter zu fassen. Jung, von gutem Namen und vornehmer Erscheinung, um reprasentiren zu können in einer Gesellschaft vornehmer Namen und gentlemanliker Erscheinungen, um Vertrauen einzuflößen und das Etablissement im vornehm großen Stil zu leiten." „Aber das ist ja —" „Sag' doch nur, was war es? Um WaS handelte eS sich?" „Um ein Hotel und Restaurant im raffinirtesten fran zösische» Genre ofsiciell, und um eine Spielhölle in Wahr heit. Dreimal schon waren Casfirer oder Croupier» flüchtig geworden mit großen Summen. Zu lockend war die Ver luchiing, zu selten Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Kurz der rechte Mann war nicht zu finden. Da kam ein Berliner Agent und CommissionSrath, der schon einige ähnliche Ver Mittelungen mit einem Italiener Giuseppa ,n Gemeinschaft betrieb, auf die Idee, e« einmal mit diesem Inserat zu ver suchen. Er hat einst hier al« bestrafter Wucherer den mittel losen Officier a. D. in unglücklichsten Lagen kennen gelernt, ganz konnte da» der Mensch allerdings nicht, für Manches fehlten ihm eben Begriff und Verständniß. So glaubte er, seinen Mann gefunden zu habe». Der Zufall wollte, daß unser Name ihn« bekannt war; zur Zeit, al» mich jenes Unglück traf, hielt er sich in Berlin aus und erfuhr von der Sache." „Nun begreift sich allerdings, daß sie mit dem Kern der Sache in ihrem Briefe an Dich hinter dem Berge hielten", meinte der Vater. „Ja wohl. Sie verließen sich auf da» Blendende, Ver führerische de» unmittelbaren Eindruck-, dem vielleicht manch ehrliche« Herz schon nickt stark genug war zu widerstehen. Die Rechnung war eben schief. Sie wollten einen absolut ehrlichen, zuverlässigen Menschen haben d. h. nur für sich, denn wenn er es unbedingt war, ließ er sich doch nicht auf die Geschichte ein." „Wer war denn eigentlich der Besitzer dieses interessanten Etablissement«?" fragte Iakoba. ,,E« waren oder sollen Mehrere gewesen sein. Genau habe ich darüber nicht- erfahren» denn sobald sie merkten, daß ich nicht der rechte Mann war, zogen sie andere Saiten
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