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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.01.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960104022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896010402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896010402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-01
- Tag 1896-01-04
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Monat
1896-01
-
Jahr
1896
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8S ganze» Laude durch Flugblätter verbreitet haben, gegen die Kammermrhrhrit uud vir Regierung zu wenden. Die Regierung hat erklärt, daß sie ihrerseits der BeiprrLung der schwebenden Frage in Volkevrrsammlungrn nicht- in den Weg legen wolle, vorausgesetzt, daß sich die Erörterungen in angemessenem Rahmen und aus gesetzlicher Grundlage bewegen. Dir Art der Wühlerei jedoch, wie sie gegenwärtig durch dir Socialdemokratte betrieben wird, läßt «5 von vornherein sehr zweifelhaft er- scheinen, ob dieser Voraussetzung entsprochen werden wird. Nach der socialdemokratischrn Darstellung bereitet sich in Lachsen Un geheuerliches, noch nicht DagrwrsrneS vor. Die Wahrheit ist, daß in Sachsen Etwas ringrsührt werden soll, waö in allen anderen deutschen Ländern besteht, und daß man aushören will, allein eine Ausnahme zu machen: Sachsen ist dos einzige deutsche Land, das nach Einsührung de» allgemeinen direkten Wahlrechts für da- norddeutsche Parlament von der damaligen Strömung sich zu einer Nachahmung desselben durch Einführung direkter Wahlen für die Zweite Kammer mit ganz geringem Eensu- (3 staatliche Steuern) bewegen ließ. Sein andere- deutsche- Land ist diesem Beispiele gefolgt, sondern man hat für den Landtag entweder sie indirekte Wahl durch Wahlmänner beibehalten oder eine direkte Wahl nur für »inen Thril der Abgeordneten zugrlassen, die übrigen aber bestimmten Stäuben oder Elassra Vorbehalten." Der Corrrspondent hätte noch hinzufügen sollen, dag gerade der den Socialdemokraten da- Verlangen nach gleichem Einfluß Aller auf die staatlichen Angelegenheiten ein komische- ist. Fällt e» ihnen denn ein, in ihrem Staate im Staate edem Mitglied« gleichen Einfluß eiazuräumen? In der ocialdemokratischen Partei herrschen die Parteiführer unum- chränkt und wer sich ihnen nicht fügt, fliegt hinaus, mag er auch noch so viel an direkten und indirekten Parteisteuern berahlea. Auf den Parteitagen fallen die unbequemen An träge rumeist unter den Tisch und wer sich erbreisten wollte, den Machthabern in dir Verwaltung und Verwendung de- Parteivermögen- hineinzuredrn, würde der großen Exkommu nikation verfallen. Aber der „Racker Staat" soll e- sich gefallen lassen, daß über feine Angelegenheiten der, welcher zu den Staatseinnahmen nicht einen Heller beiträgt, ja der notorische Faulleuzrr und Bummler, mit demselben Stimm gewichte mit entscheidet, wie der Betriebsame, der kahrtich Tausende zur Erhaltung de- Staate- beisteuert. Während die Führer der Socialdemokratie mit eiserner Hand dafür sorgen, daß ihnen vom „Proletariat- die Zügel und die Schlüssel zur Casse nicht entwunden werdeu, soll der „dumme" Bourgeois mit eigener Hand die Diktatur über sich diesem Proletariat au-liefern. Aber so dumm ist der Bourgeois denu doch nicht, daß er au sich vollzöge, waS die Führer der Socialdemokratie von sich selbst mit aller Ent schiedeuheit abwenden. Die württembrrgische Demokratie ist seit ihrem Siege bei den Kammrrwahlen in der LandrSpolitik staatS- mäuaisch geworden und hat infolge dessen Mühe, sich der Reklamationen ihrer Anhänger zu erwehren, dir durch opulente Versprechungen und eine von dem Radikalismus vor jenem Siege an dem Bestehenden geübte „vernichtende" Antik eia Recht erlangt haben, ein Mehr an Volks beglückung zu erwarten, al- die zu Einfluß gelangte Volks Partei zu gewähren gewillt uud im Stande ist. Vermuthlich um die unbequemen Mahner durch eine „Diversion nach außeo", d. h. auf da- Gebiet der Reichspolitik, adzu- leakea, wo sie sich noch in dem paradiesischen Zustande voller Uoverantwortlichkrit fühlt, behandelt die bürgerliche Demokratie gemeinsame deutsche Angelegenheiten mit einer demagogischen Gewissenlosigkeit, welche die Social demokratie, die den Gewinn daraus zieht, mit Dank erfüllen muß. Es liegt uns eine Probe vvlkSparteilicher Agrtatiou in einem Schreiben vor, da- angeblich von einem .Mdlichrn Kaufmann" herrührt und vom Stuttgarter „Beobachter" ohne ein Wort der Einschränkung, vielmehr mit einer die Zustimmung verrathenden Bemerkung ver deutlicht wird. Es wird darin über die Novelle zu« Srwertz»- und MrthfchastSgenoffenschostSgefetz gesagt: „Daß eine GesetzrSvorlage wie dir gegen dir Eonsumvereine die Kausleute in ländliche uud städtische thetlt und sie ver schieden behandelt, wird wohl in anderen Ländern nicht zu finden sein. Znm Schutze der städtischen Kausleute soll den Eousumverrinrn in Städten der Verkauf an Richtmitglirder verboten, den ländlichen oder landwinhschaftlichtn Vereinen dir- aber gestattet werden. Die Kauf» tentr ans dem Lande existirrn, scheint'-, für die Gesetzgebung nicht und werden auf dem Altar« de» agrarischen BaterlandrS wohl ge opfert. Mit dieser Ausnahmebestimmung erhalten die landwind- schaftlichrn Eonsumverrlnr indirekt dir Aufforderung, da- Geschäft auf Kosten der Kausleute gehörig in die Hand zu nehmen und ans- zndehnen." Zum Schluffe heißt e», e- scheine nicht beachtet zu werdeu, daß die ländlichen Kausleute ruinirt würden, „vielmehr sollen wohl die Worte de- bekannten Agrarier- in der Mainzer Versammlung saactiouirt werden: „Mag Handel und In dustrie aus dem Boden liegen und daS Gewerbe ruinirt sein — da- kann uns gleich sein, wenn nur wir'S baden", indem er auf seine Hosentasche klopfte. So ist eSl DaS ist Hohenlohe'- Politik!" Die- die Sprache, die in dem leiten den Blatt einer über agrarische Aussetzung klagenden Partei geführt wird. ES braucht nicht in Erinnerung ge bracht zu werden, daß die „EonsumvereinS-Vorlage städtische uud ländliche Kaufteute nicht verschieden behandelt, sondern nur bestimmten Genossenschaften gestattet, gewisse Maaren, welche aber nicht Verbrauch-gegenstände im Sinne der Con- umvereine, sondern Bedarfsartikel de- landwirthschaftlichen Betriebes sind, an Nicdtmitglieder abzngeben, und auch die- nur, wenn die betreffenden Genossenschaften keinen offenen Laden galten. Aus derZuschrist an den „Beobachter" geht übrigen« gar nicht hervor, was der Verfasser will; ob die Beibehaltung des bisherigen Zustande», der die Waareuabgabe an Nicht- mitglirder auSnahmloö ermöglicht, oder den Verzicht aus eine Beschränkung des Verbot« dieser Abgabe, wie sie die Regierungsvorlage iu Aussicht nimmt; die Verhetzung ist anscheinend der einzige Zweck des Artikels. Die landwirth- chaftlichea — nicht die ländlichen Genossenschasten; Vereine, wie sie die Vorlage im Auge hat» befinden sich auch in Städten — sind bekanntlich zum großen Theile von der ihnen zugedachten Bevorrechtigung gar nicht erbaut. Sie bestreiten, Eonsumvereine zu sein, und wollen, unsere- Er achtens mit Recht, als Robstoffvereine angesehen werden, als welche sie nicht daS mindeste Interesse an der Waareuabgabe an Nichtmitglieder haben. Die belgische« Großindustriellen enthüllen nun, nach dem ihr Ansturm gegen den Arbeitsminister NyssenS und eine Erlaffe auch im Senate abgeschlagen worden ist, offen ihre Fahne und ihre Ziele. Sie lehnen jede Einmischung de- Staate- rundweg ab und erklären der Regierung den Krieg. Den Anlaß bietet da- von dem ArbritSminister in der Kammer ringrbrachte und sehr beifällig aufgenommene Gesetz, da- die Grundlagen aller Fabrikord- nungen feststellt, sie der Staatsaufsicht unterstellt, die Pflichten und Rechte der Arbeitgeber und Arbeiter regelt und die ernste Ueberwachung aller gesetzlichen Bestimmungen den staatlichen Inspektoren überträgt. Diese« in Belgien doppelt nothwendige Gesetz wird den berechtigten Beschwerden der arbeitenden Classen einZiel setzen. Thatsäcklich ist das Gesetz unter schonendster Be rücksichtigung der Rechte der Arbeitgeber abgefaßt, so daß die Socialisten durchaus nicht mit ihm zufrieden sind, weil sie die Rechte der Arbeitgeber viel weiter eingeschränkt sehen wollen. Aber die Großindustriellen wollen überhaupt keinerlei staatliche Ein mischung. Der Centralausschuß der „industriellen Arbeit", einer Vereinigung, der alle großen Werke, Fabriken, Zechen, Metallwerke, Glaswerke, Eonstructionswerkstättrn deS Landes angebörrn, hat der „Voss. Ztg." zufolge, sämmtlicke Industriellen Belgien- auf Mitte Januar zu einem Congreffe nach Brüssel einbrrufen. um gegen die Einmischungstendenzen der Regierung Einspruch zu erheben. „Die unentbehrliche wirth- schaftliche Freiheit, die Grundlage des Gedeihens der ganzen nationalen Industrie, ist in Gefahr!" heißt e« in dem Auf rufe. Aber alle Mühe wird umsonst fein. Die Regierung kann nicht zurückweichrn; die Volksvertretung muß da« Gesetz annehmen, und zwar au- zwei Gründen: dir jetzt in den Fabriken vorhandenen Uebelstände müssen endlich beseitigt werden, andernfalls wird daS klerikale Regiment, daS durch seine reactionairen Gesetze so böses Blut in den breiten Volksschichten hervorgerufen hat, Gefahr laufen, bei den bevorstehenden Kammerwahlen sortgefegt zu werden. Die Klerikalen müssen einige sociale Reformen durchsükren, um mit Anstand bei den Wahlen austreten und den socialistischen Ansturm abschlagen zu können. Vor Zeit«« sind die türkischen Feindseligkeiten ein gestellt, aber der Grund hierfür ist nicht in den Unterhand lungen der Pfortemit den Consuln über die Uebergabebedingungen zu suchen, obwohl solche stattfinden, sondern wie wir heute Morgen meldeten, in dem viel näher liegenden und viel wahr scheinlicheren Grunde, daß die türkischen Truppenaufgebote bei Weitem nicht genügen, um der Bewegung, die noch immer nicht zur Ruhe kommen will, ja sich auch heute noch auSbreitet, irgendwie Herr zu werden. Offenbar sind die Vorgänge in Orsa, wo in den letzten Tagen des verflossenen Jahres blutige Auftritte stattgrfunden haben, der Pforte sehr ungelegen gekommen, denn die Lage in Orsa scheint derart kritisch zu sein, daß von dem Zeituner BelagerungS - Contingeat Hilfstruppen dorthin beordert werden mußten. Noch viel bedenklicher aber ist der Umstand, daß an verschiedenen Orten die Truppen mit den Aufrührern zu fraternisiren beginnen. Nach Allem muffen wir auch heute noch die Lage als ernst bezeichnen. — Ein grelles Licht auf jene Stelle in Stambul, von welcher auS allein den furchtbaren Wirren ein Ende gemacht werden könnte, ohne daß bisher ein Versuch auf dem richtigen Wege, nämlich dem der Reformen, gemacht worden wäre, auf den Dildiz KioSk, wirft ein in der „Pall. Mall. Gaz." veröffent lichter, Aufsehen erregender Artikel deS auS Konstantinopel bekanntlich nach Pari- geflüchteten ehemaligen EommissarS der Ottomanischen Staatsschulden Mur ad Bey. „Ich selbst", schreibt Murad Bey, „habe dem Großvezier Dievad Pascha die Nolhweudigkrit durchgreifender, politischer und ökono mischer Reformen dargelegt; er erwiderte, daß die Zeit hierfür noch nicht gekommen. Ich machte einen letzten Lersuch und überreichte dem Sultan ein Memorandum". Das Memorandum ist dem Artikel beigefügt; es ist mit solcher Offenheit geschrieben, daß kaum je ein Herrscher so auf richtige Sprache vernommen haben maq. Unter Anderm heißt es darin, daß die Krongüter auf Kosten der Aermsten vermehrt werden und daß das Gerücht gehe, die Dynastie beabsichtige, um ihre materielle Zukunft für alle Fälle sichrrzuftellen. große Glücksgüter anzuhäufen. Weiter heißt e- in diesem Mkmorandum. daß die GrrecktigkritSpslege zur wahren Geißel geworden, daß Stellen und Aemtrr verschachert werben. DaS musrlmanischr Element, welches am schwersten getroffen wurde, habe Alles still ertragen; die Armenier griffen zu den Waffen, appelltrten an Europa und wurden gehört. Die Fortschritte Bulgariens und Bosniens werden der RegierungSsorm in jenen Ländern zugeschriebrn; dem gemäß verlangen auch die Muselmanen, wenn auch nicht eine Deputirtenkainmer, so doch inindesten« eine „berathendr Ver sammlung". Das Schriftstück schließt in folgender Weise: „Ew. Majestät selbst haben all Ihre Ruhe verloren: der niedrigste Tagarbeiter leidet weniger als Ew. Majestät und Loch hängt Ihr Glück und Ihre Wohlfahrt nur von Wenigem ab. Bilden Sie ein Eabinet redlicher, gewissenhafter Männer, die eine Meinung haben; entfernen Sie die rücksichtslosen Höflinge aus Ihrer Umgebung »nd gewinnen Sie die Herzen Ihrer Böller, dann werden Sie erkennen, wie schön das Regieren ijt." Merkwürdiger weise wurde Murad Bey trotz dieser Eingabe vom Sultan empsangeu und, wir er rmählt, hatte er zwei Stunden Gelegenheit, dem Sultan seine Ideen vorzn- tragen, und als er den Palast verließ, that er es mit dem Aufträge, den Entwurf einer Berfa s s u n g abzusassrn, die gemäßigt, dabei aber liberal sein sollte. Murad Bey war glücklich. Aber das Glück war von kurzer Dauer. Großvezir Kiamil Pascha wurde entlassen, Lord Salisbury hielt seine feind selige Rede in der Guildhall; der Sultan änderte seinen Sinn, und als Murad Bey sich wiederum zur Audienz meldete, wurde er nicht mehr vorgelassen. Bon diesem Augenblicke an verlor Murad Bey alle Hoff nung, und von da an war er mit fünf anderen Personen, welche dir erlesenen Geister der jnngtürkischen Partei bilden und mit ihm am Bosporus zusammenkamen, der Ueder- zeugung, daß daS große Hinderniß der Sultan sei. Bei einer Berathung dieser Fünf wurde der Gedanke, eine Revolution anzuftisten. ebenso zurückgewiesen, wie der Gedanke eines Anschlages gegen die Person de- Sultan-; eS wurde entschieden, daß zunächst der Versuch zu machen sei, Europa über die wahre Lage der Diage aufzuklärra, »nd darum ergriff Murad Bey die Flucht. Deutsche- Reich. * Berlin, 3. Januar. Dem „Popolo Romano" zufolge hat der italienische Justizminister der General - Staats anwaltschaft in Trani bebufS Beschlußfassung die Akten stücke, delr. -aS Ersuchen Deutschlands um Auslieferung drö Freiherrn von Hammer st ein, bereit- übermittelt. — Ueber den Aufenthalt des Freiherrn von Hammerstein in Athen entnimmt ein Berichterstatter der Zeitung „EphemeriS" folgende Miltheilungen: „Frhr. von Hammerstein hat noch mehrere Tage vor seiner unfreiwilligen Abreise von Athen den Ministerpräsidenten Delyanncs um ein Interview gebeten. Der Ministerpräsident enljprach dem Ersuchen und äußerte sich in dem Interview ein gehend über den ganzen wirthjchastlichrn Mechanismus Griechen lands und über dir Finanzfrage. Auch sonst bewies der Minister- Präsident dem angeblichen I)r. Herbert großes Entgegenkommen. Frhr. von Hammcrstein Halle sich mit der Bemerkung ringesührt, daß es sein Wnnich sei, die politische Organisation in allen Einzelheiten kennen zu lerne». In der letzten Zeit seines Aufenthalts in Athen halte er sich bemüht, die griechische Sprache kennen zu lernen, und zu diesem Behuse einen Lehrer angenommen. Auch mit dem Personal des Hotels, in dem er wohnte, versuchte er griechisch zu sprechen. In dem letzten Hotel hotte er sich nur 9 Tage aufgehalten; vorher bewohnte er ein möblirtrs Zimmer im Staditheil NeopoliS. Dort lenkte er allgemeine Aufmerksamkeit durch seine gewählte Kleidung und den abrasirten Schnurrbart aus sich. Das glatte Gesicht gab ihm das Aussehen eines Mannes von kaum 40 Jahren." Sonstige MiNheilungen einiger Blätter über daS, was Freiherr von Hammerslein im Gefangniß ißt und trinkt, was er angeblich sagt und angeblich nicht sagt, lohnen den Abdruck nicht. * Berlin, 3. Januar. Seit einigen Tagen weilt Herr Poultney Bigelow in Berlin, um im Interesse derjenigen amerikanischen Versicherungs-Gesellschaften zu wirken, welche ihren Geschäftsbetrieb in Preußen nicht fort- setztrn, weil sie, angeblich ihrer ganzen Organisation nach, nicht in der Lage sind, den für alle in Preußen zugelassenen Versicherungsgesellschaften ausgestellten Vorschriften nach zukommen. Ein hiesiges Blatt versichert, wie eS sagt, auf die Autorität des Herrn Bigelow hm, „daß derselbe in officieller Mission seitens der Regierung der Ber einigten Staaten — und nicht in Vertretung privater Interessen — in unserer Stadt weile; sein Besuch gelte der Angelegenheit der amerikanischen Versicherungsgesellschaften. Diese Angabe ist durchaus unzutreffend. Von autori tativer Seite wird nämlich der „Nat.-Z." auf Anfrage Folgendes mitgetheilt. Die drei betroffenen Gesellschaften, die „Newyork - Life - Insurance", die „Mutual" und die „Equiiable", domiciliren sämmtlich in der Stadl New-Aork. Sie gehören zum Versicherungsbureau deS Staates New-Aork. Dieses letztere Burean hat mit Empfeh lungen des Gouverneurs deS Staates, Levi P. Morton, Herrn Bigelow nach Berlin geschickt. Gleichzeitig bat der Gouverneur den hiesigen Botschafter der Union, Herrn Runyon, gebeten, Herrn Bigelow so weit als angängig zu unterstützen. Letzteres beschränkt sich naturgemäß auf etwaige Einführungen. Es handelt sich also bei der Mission de- Herrn Bigelow weder um einen Auftrag der Bundes regierung, noch um die „amerikanischen" Versicherungsgesell schaften, sondern uni einen Auftrag de» BersicherungS- departrmentS de» Staates New-Uork und um die in diesen, Staate domicilirten Gesellschaften. — Herr Bigelow hat zunächst den vergeblichen Versuch gemacht, mit dem Aus wärtigen Amte zu verhandeln. Gestern hatte er eine Audienz beim Minister Freiherr» von der Recke. DaS Er- gebniß dieser Audienz war nach der „Post", daß der Minister, der mit den bisherigen Schritten in dieser Angelegenheit noch nickt vertraut sein konnte, sich bereit erklärte, eine Nach prüfung der Sache vornehmen zu lassen. Bei der Sorgfalt, mit welcher diese Angelegenheit bisher im Ministerium deS Innern behandelt worden ist, läßt sich indeß kaum ein anderes Ergebniß erwarten. Mehrere Blätter wissen zu melden, daß Herr Bigelow mit „BergeltungSmaßreaelo" gegen über den deutschen Feuer- und Tran-port-Gesellschasten im Staate New-Hork gedroht hätte; davon ist an maßgebender Stelle nicht« bekannt. — Bei Len bevorstehenden Gedächtnißfeirrlichkeiten wird der Kaiser auch eine Abordnung der Studenten schaft empfangen. Der Tag für diesen Empfang ist noch nicht festgesetzt. Die Ansprache wird der canck für. Kuno Pieran von der hiesigen „Germania" halten. — Als Nachfolger de- UnterstaatSsecretairS im ReichSamt de- Innern von Rottenburg bezeichnet man in Beamten kreisen nach den „B. N. N." den jetzigen Direktor im Reichs- amt de- Innern Rothe und als dessen Nachfolger im Direktorat den Geheimen Obe^RrgierungSrath v. Wordtke. — Wie die „Voss. Ztg." hört, wird di, Kreuzer- di Vision auch im neuen Jahre in Ostasien stationirt bleiben. — Im „Vorwärts" hat der bisherige verantwortliche Redakteur Fritz Kunert, welcher nach der Verhaftung des Redakteur- Dierl, genannt Roland, seit September zeichnete, nachdem er in dieser Eigenschaft wegen verschiedener Preß vergehen zu Grfängniß- und Geldstrafen verurtheilt worden ist, da» „Amt eine» Verantwortlichen" niedergelegt. An seiner Stelle zeichnet der frühere Töpfer und bisherige Redakteur de» ringegangenen „Socialdemokrat", der nrugewähltr Stadt verordnete Auaust Iacobey. — Die Zahl der Studenten der Theologie in Preußen belief sich im Wintersemester 1893/94 auf 1277, im Sommersemester 1894 auf 1313 und im Wintersemester 1894/95 auf 1223. Es setzt sich also der seit 1888 beobachtete Rückgang fort, und zwar hat sich die Zahl der Theologen in den letzten 7 Jahren um circa zwei Fünftel vermindert (von 2088 auf 1223). Geprüft wurden pro llcentiL 499 Eandidaten, von denen 397 bestanden; pro minister:o 511, von denen 455 da- WahlfähigkeitSzeugniß erhielten. Die Ordination empfingen 284 PredigtamtScandidaten. — Ueber die Ausgestaltung des Unterrichts in den länd lichen Fortbildungsschulen haben der CultuSminister vr. Bosse und der LandwirtbschaftSminister Freiherr v. Hammerstein ein Circular an sämmtliche Regierungs präsidenten erlaffen. — Prinz Friedrich Leopold von Preußen bat nach dem „Bert. T." seit dem Unfall seiner Gemahlin Schloß Glienicke nicht verlassen, auch dem Neujahrsempfang bei Hofe ist er fern geblieben. * VrcSlau, 3. Januar. Der wegen Aufreizung ange- klagte Redacteur der socialtemvkratischen „BolkSwacht" wurde freigesprochen. * Marburg, 2. Januar. DaS Okerlandesgericht in Cassel hat die Ansprüche der hiesigen katholischen Ge meinde auf die Elisabethkirche, die jetzt von der evangelischen Gemeinde benutzt wird, als unbegründet zurück gewiesen. Die katholische Gemeinde will, der „K. B.-Z." zu folge, den Rechtsstreit vor das Reichsgericht bringen. * Voble»;, 3. Januar. Der Kaiser sandte an da§ Infanterie-Regiment von Soeben (2. Rheinisches) Nr. 28 folgendes Telegramm: „Im Norden Frankreichs bei Sapignies sowie bei Bcipaume wanden sich vor 25 Jahren die braven 28er reichen Lorbeer um ihre Fahnen. Ich erinnere Mich heute dessen dankbar an diesem 2b jäh rigen Gedenktage." * Würzburg, 3. Januar. Der Magistrat beschloß, am 18. Januar eine allgemeine bürgerliche Feier neben der geplanten studentischen Feier zu veranstalten. * Metz, 2. Januar. In den Wahlaufrufen der beiten socialdemokratischen ReichStagScanvidaten für Metz und Diebenhofen sind nach einem Elsässer Blatt drei „Grundgedanken" enthalten: Protest gegen den „Militari« muS". Protest gegen die Annexion von Elsaß-Lotbringen und die damit verbundenen Ausnahmegesetze und Protest gegen die ungerechte Last der indirecten Steuern. Steht wirklich nichts Anderes in den Programmen, dann sehen wir auch hier, daß die Socialdemokraten ihr Zukunftsprogramm in den feuerfesten Schrank einschließen, bevor sie aus Wahl agitation auSaeben; sie agitiren nicht als Socialdemokraten, sondern als Oppositionelle. ES ist deshalb falsch, ihnen alle die Wähler zuzuschreiben, die für sie einen Stimmzettel in die Urne legen. Leer die ganze Welt, leer ihr Herz. ES war ein schauder hafte- Gefühl. Freiwillig hatte sie da« thun wollen, wozu sie ohnebin gesetz lich verpflichtet werden konnte. In den schlaflosen Stunden der Nächte rang sie sich durch bi- zu diesem Entschlüsse. Leicht war er ihr nicht geworden. Eme so große Summe! Fast dir Hälfte deffen, waS sie noch besaß. Aber sie hatte sich da- Opfer zu erleichtern gedacht durch die Erfüllung von allerlei Plänen, die sie daran geknüpft. Und nun hatte dieser Elende, dieser tückische alte Mann, der böse Genius Alexander'« uud ihrer Ehe, jetzt hatte er mit frechem Lächeln ihre Pläne bei Seite geschoben und ihr da« uurrbörte Opfer eiufach zu einer Pflicht gemacht! Gewiß, sie sah e« ja eiu: hatte Alexander von Platow ihre« Stiefsohn« Erbe verspielen können, so war ihr die Schuld beizumeffeu, sie mußte Ersatz leisten. Aber nun war von dem Allen gar nicht die Rede. Man raubt« ihr abrrmal« ihr halbe« Vermögen, ohne eioe Miene zu verziehen. Wie oft hatte sie schon Summen über Summen hergeben müssen. Eiue tiefe Aufregung bemächtigte sich ihrer nach der Abspannung und Erschlaffung der letzten Tage. Ihr kam erst jetzt zum Bewußtsein, daß sie nicht zurück konnte, nicht mehr Herrin ihre- freien Willen« war. Unruhig, geängstet begann sie, im Zimmer auf und ab u, gehe». Ihr Geiste-leben war nach jener Scene im Lterbezimmer ihre« Gatte» wie gelähmt gewesen; heute aber, gegenüber der positiven Thatsache, daß sie sick bereit erklärt hatte, Alfred Glogow«ky'« Vermögen herauszugeben, war ihr plötzlich zu Mulhe, wie einem geängsteten Vogel. Wie warsie »ur dazu gekommen, die» „Ja" auszusprechen? Sie hatte e- sich so gut ausgedacht! Warum auch nicht? Heirathete man denn in ihren Kreiser» uicht fast immer auf vorherige Vereinbarung der Vermögen-Verhältnisse? Uud sie hatte überrascht, betäubt von der schnellen Initiative de« Staat«ra»h«, sich nun benommen wie eine Unzurechnungsfähige? Wa« war'« doch für ein Eitat, welche« ihr dabei durch den Ginn blitzte? Sie kouate sich durchaus nicht darauf besinnen. Ihr war überhaupt so verworren; da« machte die Angst, das Geld hergebeo zu wüsten. So viel GeldI Eine ihr unvergeßliche, abscheuliche Sceue tauchte vor ihrem Geiste auf. Si« sah vi» sterbende, -utt alt» Frau, ihre Großmutter, wie sie mit verständnißlosen Mienen sich die Feder in die Hand drücken ließ und die wenigen Worte, welche sie ihr vorbuchstabirte, so unendlich mühsam niederschrieb. Welche Aufregung, welche grauenhafte Angst und Qual hatten die kurzen Minuten sie selbst gekostet. Und daun sah die alte Frau sie mit sich vergrößernden Augen unruhig an, eia matter Strahl de» Verständnisses blitzte momentan darin auf, sie stammelte: „Warum?" und lallte dann unarticulirte Laute, deren Klang ihr noch so oft wieder im Ohr tönte! „Aber wenn ich in jener Stunde nicht den Muth gehabt hätte, so wäre ich heute eine Bettlerin!" sagte sich Adele Iwanowna laut uud warf den Kopf energisch auf. Kaller Angstschweiß trat ihr heute auf die Stirn bei dem Gedanken an den Moment, wo sie morgen sich von ihrem Gelbe trennen sollte; es mit einem Feder zug hergeben für eines Spieler- Leichtsinn, für den Mann, der sie Jahre lang belogen und betrogen hatte, weil, weil sie betrogen sein wollte. .Habaha!" Sie mußte wieder lachen und jetzt wußte sie auf einmal auch, warum. Ueber ihre eigene bodenlose Dummheit. Wie hatte sie ihm trauen köunen? Sie saß und rechnete. Zahl auf Zahl schrieb sie nieder auS ihren Rechnungsbüchern. Dann sprang sie wieder empor und lies auf und ab. „Ich könnte eS ertragen, wenn ich eS Annalist als Mit gift gäbe! Wir würden zusammen weiter leben, ich würde die Verwaltung der Gelder führen wie bisber, man hätte dazu nur den Unterhalt Alsred'S zu bestreiten, man könnte sich einschränken; ein vernünftiger Haushaltsplan. Ich würde ihn schon zu schützen wissen vor einem Leben, wie Alexander e- führte." In diese Idee vertiefte sie sich. Sie liebte ihre Pflegetochter, wie sie überhaupt zu lieben verstand, batte sich längst klar gemacht, daß sie Annalist ge richtlich an KindeSstatt annehmen und ihr so die Erbschaft ihre« Vermögens sichern wollte. * Inzwischen kebrte daS jugendliche Paar von seinem Spaziergange zurück. Die Sonne war unterzegangen, im Hotel brannten die Lampen schon. Die Kälte zwischen ihnen war verschwunden, wie sie entstanden war, und die einstige geschwisterliche Un befangenheit hatte sich wieder gefunden, ohne daß sie Beide wußten, wie und wodurch. Sie hatten sich vortrefflich unter halten und gar nickt gemerkt, wie rasch die Zeit verflog. Alfred Glogowsky fand Annalist jede Minute reizende. Er hatte ihr vorgelogen, er habe eine Liebe und sei so aut wie verlobt. Ganz ernsthaft sprach er von einer ge wissen Clarissa, die eS nirgends gab, nicht einmal in seiner Phantasie. Don der Minute an war sie zutraulich geworden, batte sich bei ihm sicher gefühlt und harmlos geplaudert wie zu einem Bruder. DaS war gerade nicht schmeichelhaft für ihn und seine Eitelkeit; aber wenn ihn ihre Art und Weise auch verdroß, fand er doch mehr Vergnügen daran. Dazwischen hinein klang dann wieder ein ernsterer Ge- sprächSton. Sie erzählte ihm, wie einsam sie neben der Pflegemutter gelebt habe. Die Mama sei immer sehr gut gegen sie, sehr, sehr gut, aber sie theile natürlich nickt die Interessen der Jugend. Und eS sei so schwer, Niemand zu haben, dem man von seinem inner» Leben reden könne, wie inhaltlos es auch sei. „Und ich möchte so gern jung sein! Ich habe zuweilen in den Hotels passende Gesellschaft gefunden, junge Damen und junge Herren, und wir bildeten einen sehr vergnügten Kreis. Aber für wie lange! Kaum für Wochen, oft nur für Tage, und dann reisten wir oder sie weiter, und ich war wieder allein. Ick sebne mich so sehr nach einem Heim! Wir batten es in St. Petersburg; aber seitdem der Baron von Platow, nihilistischer Verbindungen verdächtig, deS Landes verwiesen wurde, sind wir niemals nnd nirgend zu HauS gewesen, nie bei unS selbst, immer in den großen Hotels. Ein elende- Leben, olme Heimath!" Arme Annalise! Das waren so echt deutsche Empfindungen und Gedanken! Sie gefiel ihm mehr und mehr; gerade da» deutsche Gemüth, daS Frauengemüth batte seine Sympathie, denn seine Mutter entstammte einer deutschen AkelSsamilie. Der junge Weltmann fand plötzlich tausend Anknüpfungen, er sprach von „ihren Interessen", stellte geschickte Fragen, welche sie veranlaßten, ihm von ihren Erlebnissen zu erzählen und als sie dann lebhaft nnd nicht ebne Geist sich mittheilte, machte ihm ihr Geplauder immer größere» Vergnügen. ES ergab sich auch, daß sie gemeinsame Bekannte batten. Sie tauschte ihre Meinungen darüber aus, entdeckten aber, daß sie allemal ganz entgegengesetzter Ansichten waren, und als sich dies wiederholte, gab eS ihnen Stoff zu beitrrem Lachen und zu allerlei Neckereien. Annalise erschrak dann mitten in einem solchen lustigen Wortgeplänkel, da ihr einfiel, daß sie noch so neue Trauerkleider trug und daß Baron von Platow doch von ihr die rücksichtsvollste, äußere Innehaltung der Trauer hätte fordern können. „WaS werden Sie von mir denken, Gras ? In mir ist eine so ungestüme Sehnsucht nach Leben nnd Freude, und ich habe den Baron so wenig gekannt. Er war fast niemals bei uns. „Wir? Ich dachte, er sei der zärtlichste, ergebenste Gatte gewesen?" fragte er. Sie zuckte die Achseln. „Wenn ich einmal heiralhe, wünsche ich mir meinen Mann jedenfalls ander-." „Und wie müßte er sein?" fragte er neckend. Sie fühlte sich unbefangen, da er ja so gut wie verlobt war, warum sollte sie nickt den Spaß noch ein wenig fort- setzen? So schilderte sie also ihr Ideal, und er sagte, bei jeder glänzenden Eigenschaft, die sie aufzählte: „Also genau wie ich", oder „ganz mein Fall, Annalise." Es war in ihren Scherzen weder besonderer Witz, nock ein origineller Geist, aber eS entzückte Beide, sie lachten wie Kinder. Und so kebrte Annalise denn mit leuchtenden Augen nnd rotben Wangen, er mit frischen heiteren Mienen heim Als sie ihm dann im bell erleuchteten Besteblll „Gute Nacht" sagte, sah sie in der That bildhübsch au-, und ihm schoß aus einmal der Gedanke durch den Kopf: „Sie wird Adele Iwanowna'S Erbin, sie ist reizend, sie wäre die rechte Frau für Dich!" Welche Idee! Si« regte ihn vollend- auf. so sehr sie ihn selbst überraschte. Er gehörte zu jener Elafse von Männern, welche am Club- und WirthShauSlebeu keinen großen Reiz finden. Eine vornehme, elegante Häuslichkeit mit allem Comfort, den sich rin reicher Mann schaffen kann, und in dieser Häus lichkeit eine schöne elegante Frau, seine Frau, da» war plötz lich sein ZukunftSideal. Fortsetznng folgt.)
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