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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.01.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980114023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898011402
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898011402
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-01
- Tag 1898-01-14
-
Monat
1898-01
-
Jahr
1898
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Grober« Schrift«» laut unserem Preis« tzerzttchnch. Tabellarrscher und nach höherem Tarif. Srtra»Beilagen (gesalzt), nur mit de» Ptorgen - Ausgabe, ohne Posibesörderun^ 60.—, m»t Postbesörderung 70.—. Aunahmeschluß für Jiazeizen: Nbeod-Au-gab«: Bormittags 10 Uhr. Biorge»«Ausgabe: Nachmittags 4 Uhu Bei de» Filiale» uud Annahmestelle» je ein» halbe Stund« früher. Anreise» smd stets an die Expedition zu richte». Druck uud Verlag von E. Polz iu Leipzig, Freitag dm 14. Januar 1898. 82. Zahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. Januar. Der Reichstag war gestern wieder einmal nicht brschluß- sähig; immerhin waren von den 365 Mitgliedern, die ihm jetzt »»gehören, 120 anwesend, für seine Verhältnisse also eine recht stattliche Zahl. Freilich stand ein „sehr inter- essanter" Initiativantrag zur Berathung, der Gelegenheit bot, viel über Sittlichkeit und noch mehr über Unsittlichkeit zu reden und zu hören: der vom Centrum eingebrachte Antrag, der durch Verschärfung der bezüglichen Straf paragraphen der Kuppelei und dem Zuhälterunwesen ent- gegenireten und den Mißbrauch des Arbeitsverhälthisses zu unsittlichen Zwecken, die Herstellung und Verbreitung un züchtiger Darstellungen, die durch grobe Unanständigkeit das Scham- und Sittlichkeitsgcfübl verletzen, sowie die öffentlichen Aufführungen und Schaustücke solcher Art strenger bestrafen will. Es unterliegt ja leider keinem Zweifel, daß zur Besse rung der öffentlichen sittlichen Zustände schärfere Straf bestimmungen wünschenswerth wären, uud darüber herrschte denn auch bei allen Parteien Uebereinstimmuug. Sogar der Abg. Bebel, der Verfechter des Ideals der „freien Liebe", gab nach einer eingehenden Schilderung der herrschenden Zustände zu, daß die Gesetzgebung einzugreiscn habe. Andererseits aber gehen über bas „Wie" und „Wie weit" die Meinungen weit auseinander, wie sich das bereits vor einigen Jahren gezeigt hat, als die Regierung in Folge der bei einem sensationellen Mordprocesse gemachten Enthüllungen mit einem ähnlichen Gesetzentwürfe an den Reichstag herantrat, gegen den von verschiedenen Seiten der Vorwurf gemacht wurde, daß er Strafverschärfungen gerade da einsühren wolle, wo die Be strafung an sich bisher gar nichts genützt hat, baß er der Denunciation gefährlichen Spielraum gewähre und in Sachen der Beurtheilung künstlerischer Erzeugnisse der Strafrechtspflege und der Polizei zu weit gehende Befugnisse einräume. DaS wurde natürlich auck gestern wieder zur Sprache gebracht, und dabei mußte sich dem ganzen Hause die Ueberzeuguug aufbräugeu, daß eingehende Erörterungen über die thatsächlichen Zustände, wie über die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßregeln weniger für die öffentlichen Plenarsitzungen als für die vertraulichen Commissivns- beratbungen sich eignen. Aber das Haus war nun eben nicht beschlußfähig und konnte also eine Verweisung an eine Commission nicht beschließen. So muß denn zur Hebung der deutschen Sittlichkeit die deutsche Unsittlichkeit nochmals im Plenum ausgemalt werden. Die Kundgebung für die Flottenvorlage, die gestern im Kaiserhose in Berlin statlgefunven Hal, ist ein glänzen der Beweis dafür, daß die deutsche Reichsregierung sür alle in der Vorlage enthaltenen Forderungen der Zustimmung der berufensten Vertreter des deutschen Gewerbefleißes, ohne Unterschied der Parteien, sicher ist. Denn wenn auch die ein stimmig beschlossene Resolution die Vorlage nicht ausdrücklich dem Reichstage zur unveränderten Annahme empfiehlt, so be weist doch der «Schlußsatz: „Die versammelten Vertreter von Handel rc. erklären es hiernach als ein nationales Bedürfniß, daß die geplanteAusgestaltung der deutschen Seemacht zur Annahme und gesicherten Durch führung gelange", daß die Versammlung einmüthig die Bewilligung alles dessen für nöthig erachtet, was die Vorlage verlangt. Der Eindruck der Kundgebung auf den Reichstag wird daher ei» bedeutender sein, besonders auf die Mitglieder deS aus schlaggebenden Centrums, das nicht länger im Zweifel darüber bleiben kann, daß es bei Neuwahlen, welche die Folge der Verwerfung der Vorlage sein würden, io eine sehr üble Lage geriethe. Selbst Herr» Eugen Richter, dem sonst nichts als er selbst imponirt, wirb die Parteisteuerkraft, die durch die freisinnigen Theilnehmer an der Versammlung repräsentirt wird, in Form eines geplatzten und seinen Inhalt nicht in den Richler'schen Klingelbeutel entleerenden GeldsackeS im Schlafe schrecken. Nur die Socialdemokratie wird die „capitalkräftige" Kundgebung küdl bis ans Herz lassen. Dafür bereitet ihr die Lauheit der „Genossen" bei der Opposition gegen die Vorlage einige Sorge. Muß doch der „Vorwärts berichten: „Für den socialdemokratischen Wahlverein für den vierten Berliner RrichstogS-Wah lkreis war zu Dienstag Abend eine Mitglirder-Versammlung nach „Köaigsbauk", Frauk- surlerStraße, einberufen worden, die jedoch nur schwach besucht war. Nach Verlesung und Genehmigung des Protokolls der letzten Versammlung beschloß man, von dem Referat des Genossen Wagner über „Industrie und Marine" Abstand zu nehmen und sür Dienstag nächster Woche eine weitere Versammlung mit derselben Tagesordnung eiuzuberusen." Und noch lebhaftere Sorge macht ihr die Stellungnahme zum «iaotschau-Bertragc. Wie wir voraussaben, kann sich „der alle Liebknecht- nicht so sehr gegen diesen Vertrag entflammen, wie die „Sächs. Arbeiter-Ztg."; ihre Entdeckung, daß der Vertrag nur den Chinesen zu Liebe und um ibnen deutsche Waarcn schenken zu können, abgeschloffen worden sei, erscheint ihm mindestens sehr fragwürdig, denn sein „Vorwärts" schreibt iu einer Polemik gegen die „Franks. Volksst.mme": „Ob und inwieweit die Pachtung Kiaolschaus gegen die „socialen Interessen des arbeitenden Volkes" verstoße» wird, ist heule noch nicht abzuseheu. Eine Ausdehnung unserer Ausfuhr nach Ostallen würde gegen diese Interessen nicht verstoßen, aus die Gefahr einer Zufuhr von Kulis nach Deutschland ist aber von uns hingewiejen woroen. Ten späteren Consequenzen einer Erschließung Chinas entgeht das europäische und auch daS deutsche Proletariat im speciellen nicht, wenn auch der Pachtvertrag über die K i a o ts ch a u-B u ch t nicht ratifictrt würde. Die sibirische Eisenbahn da» Borrücken der Franzosen von Hinter indien, der Telegraph uud die Eisenbahnen in China und jo manches andere erzwingen die Einbeziehung Chinas in den well- wirthjchastlichen Wettbewerb. Es liegt uns fern, die ostasiatijchen Angelegenheiten sür die Zukunft leicht nchuien zu wollen. Wir haben bereits oft betont. Laß in Oslasien leicht die größten und verhängnißvollsten Complicationen der kapitalistischen Staaten entstehen werden. Wir hatten an der Politik Deutsch, lands in diesen Angeleg nheiten viel zu tadeln und werden sicherlich aus absehbare Zeit derielben durchaus oppositionell gegenüberstehen inüssen. Darum braucht uuS aber die Besetzung von Kiaotschau, nachdem sie ohne gefährliche Zusammenstöße mit anderen Staaten vor sich gegangen ist, nicht eine Angelegenheit zu jein, um derent willen unsere Partei Veranlaiiung hätte, die Alarm- trommel mächtig zu rühren. Diese Besetzung ist ein Unter nehmen der deuljchen Capitalisteuclaise uuo ihrer Regierung, an der die Arbeiterklasse keinen Antheil hat. Aber die Arbeit rctasse faßt diese Besetzung als ein Glied in der nothwendigen Entwickelung des Capitalismus auf. Die Aufgabe unserer Partei kann nur sein, dafür Sorge zu tragen, daß in dieier unabwend baren Entwickelung der Diugr die Interessen dec Arbeiter geschützt und gefördert werden, daß insbeiondere die deutsche Arbeiterclasse durch den Ausbau der grwerkjchasilichen Organisation und die Verbesserung des Ardeilerjchutzes gegen Degeneration und socialen Druck geschützt und durch geeignete Maßregel» gegen die drohenden Gefahren einer Concurrenz der bedürfnißlosen Arbeiter- schaff OstasieaS im eigenen Lande bewahrt lverde. Im Irrt hum ist «üblich die „Volk- stimme", wenn sie meint, baß wir uns mit der Art, die chinesische Frage zu behandeln, isolirt haben. Eine ganze Reihe von Parteiblättern hat sich auf unsere» Stand- punct gestellt." Das erregt natürlich den Zorn der „Leipz. Volksztg", die in der Auslassung des „Vorwärts" nicht eine Knnd- gebuug der socialdemokralischen Parteileitung, sondern nur eine private Ansicht der Redaktion erblickt, gegen „rollen widrige Seitenfprünge" des Centralorganö „energischen Protest" erhebt und ihm vorwirft, es „liefere den Cbiua- politikern, den Stumm, Krupp uud Compagnie, Waffen in die Hände". DaS deutet auf einen liefen Zwiespalt in der sociatdemokratischen Partei, der freilich dem Kiaotsckau- Vertrage ebensowenig zum Bortheile wird, wie der Marine- Vorlage, aber bei den Neuwahlen doch wobl einigen Ein fluß auf die Geschlossenheit des socialdemokratische» Vor gehens auSüben dürfte. In gewissen deutschen Blättern ist eö schon auSgemacht, daß die chinesische Anleihe von England und Deutschland aufgebracht und von beiden Regierungen garanlirt werden wird. Dem ist durchaus nicht so. Unsere gestrige Berliner Mittbeilung, welche aus bestinsormirter Quelle stammt, tritt entschieden der Auffassung entgegen, die deutsche Regierung beabsichtize,sick an der Anleihe-Garantie zu betbeiligen, und stellt fest, daß es sich nur um daS Bestreben einzelner Finanzaruppen handelt, eine internationale Durchführung des Anleihe geschäftes zu erreichen. Das war der deutsche Standpunkt von vornherein und ist es auch heule noch. Wir halten ihn für den allein richtigen, da von ihm aus am ehesten darauf zu rechnen ist, daß der Friede Chinas wegen so bald nicht gestört wird, und begreifen nicht, baß ein Theil der deutschen Presse es als rin wirthschasllich und politisch hccherfreu- licbes Ereigniß preist, daß England die Gewogenheit gezeigt bat, gerade uns cntgegenzukommen und uns einen Brocken des Profits auö dem chinesischen Geschäft abzulafsen. Wir rathen mit den „Hamb. Nachr." den Londoner Meldungen gegenüber zur Vorsicht. Anscheinend fühlt England wieder einmal daS Bedürsniß, Fühlung mit Deutschland zu suchen, um seine ifolirte Position zu verbessern. Es bedarf kaum noch der Hervorhebung, daß jede Begünstigung der englischen Politik nur auf Kosten unserer guten Beziehungen zu Rußland möglich ist und eine Ver minderung der Garantien zur Folge habe» würde, welche für die Sicherheit Deutschlands vor Friedensstörungen bestehen. Daß man es in England nicht aufrichtig meint, geht ja schon aus dem plötzlichen und unvermittelten „Umschwung der öffentlichen Meinung" in England hervor. Die meisten Blätter an ter Themse, selbst solche, die bis gestern noch von leidenschaftlichem Hasse gegen Deutschland erfüllt waren, schlagen beute einen freundlichen, ja freundschaftlichen Ton an und wissen nicht, was sie dem deutschen Volke und rcni deutschen Kaiser sür Schmeicheleien sagen sollen, mit der stillen Hoffnung natürlich, daß wir auf diesen Köber an beißen. Indessen dürfte man sich in London doch gründlich täuschen. Wir ballen eS sür ausgeschlossen, baß die nationale deutsche Presse und die deutsche Regierung darauf hinein- fallen. Was die letztere aulangt, so bietet uns unsere oben cilirte Berliner Meldung genügende Garantie dagegen, daß, waS auch die „Hamb. Nachr." für undenkbar halten, in Berlin englische Einflüsse wieder die Oberhand gewinnen. UebrigenS bestätigt heute auch eine Londoner Information der „Pol. Corr", daß ein formeller Schritt Chinas in London noch gar nicht geschehen ist, und daß bisher nur inofsicielle Besprechungen zwischen der chinesischen Regierung und dem englischen Vertreter in Peking stattgefuuden haben. In der gestrigen Sitzung der französischen Depu- tirtenkammer ist die Affairc Treyfus-Vsterhazy verhandelt worden, und die Regierung ist mit einem von einer sehr großen Majorität getragene» Vertrauensvotum auS der Klemme soweit glücklich herauSgekommen. Dazu bat ihr kein Anderer als Zola mit seinem geharnischten Anklagebrief verhelfen, der sich nicht nur gegen die Negierung, sondern auch gegen die Armee richtet, deren richterliche Organe er öffentlich derscbwersten Justiz verbrechen und der Corruption zeibt. In diesen! Punkte sind die Franzosen bis hinein in die Reiben der Radikalen außer ordentlich empfindlich, und webe dem, der ihnen hier auf die Füße tritt. Krirgsminister Billot sprach allen Franzosen aus dem Herzen, als er mit erhobener Stimme ausführte: „Tas Heer steht hoch über allen Angriffen; seine Ehre ist wie die Sonne, wa» bedeuten einige Flecken? Ihr Glanz strahlt dennoch unvergleichlich! Aber ist es nicht ein jammervolles Schau- spiel, diese Ehre alS Zielscheibe so dreister Angriffe vor dem zusehenden Europa zu sehen? Kann man die Landesvertheidigung, für die wir Alle« geopfert haben, gefährden? Will man, daß das Land, wo jeder Bürger Soldat ist, seinen Führern am Tage der Gefahr nicht folge? Die Regierung ist entschlossen, dieser Lage ein Ende zu machen, die Ehre deS Heeres, die Achtung vor dem Urtheil des Militairgerichts und das Wohl des Vater landes zu venheidigrn." Zola wird denn auch in Anklagezustand versetzt werde», und an eine Revision deS DreyfuS-ProcesseS als einer r«8 sullicnta ist nicht zu denken. Das hat Minister präsident Meline ausgesprochen, und die Kammer bat ihm dabei Beifall geklatscht. Leichten Herzens freilich wird die Regierung sich nicht entschlossen haben, Zola vor ein Schwur gericht zu stellen, denn die Folge davon wird voraussichtlich sein, daß nun endlich einmal die Spionage-Angelegenheit im öffent lichen Strafverfabren erörtert wirk. Jedenfalls ist durch das Verhalten Zola's und der Blätter wie „Aurore", „Lanterne" und anderer radicaler Organe klar, daß die Hoffnung der Regierung, noch rechtzeitig vor den Wahlen die fatale Angelegenheit einzusargen, hinfällig ge worden ist. Deshalb ist der gestrige Kammersieg des CabinetS Meline auch noch kein endgiltiger, aber es konnte nickt wohl anders handeln, da es durch die Nichtvcrfolgung Zola'S den Verdacht auf sich gelenkt haben würde, es fürchte das Licht der Oeffentlicbkeit. Außer dem berühmten Poeten wird aber noch ein Anderer sich dem Richter zu stellen haben. Bekanntlich ist Oberst Picquart, der frühere Chef deS geheimen Nackrichleodureauö beim Kriegsmiuisterium uud Hauptbelastungszeuge gegen Esterhazy, sofort nach der Freisprechung des Letzteren verhaftet worden. Wie der „Eclair" meldet, erfolgte die Festnahme wegen Verdachts der Fälschung. Es bandle sich angeblich um den nicht zur Post beförderten Rohrposlbrief, welcher die Adresse Esterhazy's trug uud aus dem Beziehungen Esterbazy's zu einem fremden Militairattachs bervorgehea sollten. Picguarl habe, um dem Briefe das Merkmal der Echtheit zu ver leiden, vorgeschlagen, einen falschen Poststempel darauf zu setzen. Der Kartenbricf soll aus „gewissen Abfall papieren" stammen, auS welchen auch f. Z. daS Bordereau 02 Kamps und Entsagen. 10j Roman von M. von Eschen. Nachdruck verboten. Gedrückt saß sie in ihrem Zimmer, als Fiffi, die Jungfer, mit Schachteln beladen, im Gefolge, zu ihr hereinstürzte. Fiffi hatte sich längst aus einen kameradschaftlichen Fuß mit Tante Weilar's Schützling gestellt. „Hclja, Sie müssen mir Helsen, Blumen aussuchen für See- feld's Ball. Das ist superb — hm? Ach bitte, probiren Sie mal." Damit stülpte die jüngste Dernburg einen Kranz von Johannisblumen, den sie im Geheimen für Helja bestimmt hatte und welchen auf eine schickliche Art anzubringen die Probe allein bezweckte, auf die rothblonden Locken. „Großartig!" — Fiffi nahm es jetzt im Ton mit jeder Modistin auf. „Einfach großartig! Sehen Sie nur —", damit zog sie Helja flink und geschickt vor den Spiegel. Und Helja stand da wie gebannt; erröthend über sich selbst. Kläglich klang es dabei aus ihrem Munde: „Ach, ich weiß ja doch noch gar nicht, ob wir — ob ich gehe —" ,,^ons6U86. Tante ist auf unserer Seite. Sie amüsirt sich selbst fürs Leben gern", — das war richtig. „Und wenn Wolf, der Edle, erklärt, er möge Niemand, der ihm nahe steht, dort sehen —" „Sagte er das?" stammelte Helja, unbekannt mit den De batten, die in der Familie darüber stattgefunden hatten. „Ja, oder ähnlich doch!" entschied Fiffi schnell weiter. „WaS kommt eS denn auch darauf an — wir sind es nicht, die der große Generalstäbler dahin rechnet. Höchstens Lilian." „Fräulein Lilian?" „Na natürlich. Merken Sie denn noch nicht, wie er ihr die Cur schneidet? Mocht' wissen, ob sie ihn bessr behandeln wird, als ihre Verehrer bisher! Lilian — das kann ich Ihnen sagen — Lilian ist nämlich schauderhaft kühl und von oben herunter gegen alle Herren. Aber heirathen muß sie einmal doch. Keines falls geht sie diesmal mit uns. Na/ wir amüsiren uns um so besser und lassen ihr den edlen großen weisen —lupus in tabula I" schrie plötzlich die energische kleine Dame auf, in Schrecken und Lachen zugleich. Die Jungfer war hinausgegangen und mochte die Thür nicht fest eingcklingt, ein Windstoß aber durch dir Fenster deS gegen überliegenden Zimmers sie getroffen und wieder zurückgeworfen haben — gleich einem Bild L l'unproviste erschien Wolf im Rahmen der Thür. Wolf hatte noch nie einen Blick wieder in das Zimmer gethan, seit Helja es bewohnte. Um sich zu entschuldigen, trat er einen Schritt vor; Helja machte eine Bewegung, die Thür zu schließen. Dicht standen sich plötzlich die Beiden gegenüber. Und die großen Margarethenblumen mit ihrem glitzernden Thau standen traumhaft schön zu den rothen Locken, liehen dem blassen, süßen Gesicht mit seinen schimmernden Saphiraugen einen märchenhaften Reiz. DaS gewöhnliche Wollkleid war unter einem langen Peignoir verschwunden, welchen Fiffi um Hcljas Hals ge legt hatte. Schneeiger Mull, duftige Spitzen vollendeten mit ungewohntem Reiz den feenhaften Zauber der zierlichen Mädchen gestalt. „Helja, wie Sie entzückend sind und lieb!" stammelte der Major, einem Mächtigeren gehorchend, jeder Ton, jedes Wort eine Liebkosung für sie — Und alS könnte eS nicht anders sein, tritt Helja zu ihm hin. Alles Andere ist vergessen, um so lebendiger die eine Empfin dung nur, daß sie Alles thun möchte einzig nach seinem Wort, wie er es ihr einst zum Rath, zum Schutz in der fremden Welt angeboten hat. „Herr von Weilar, Fräulein Fiffi bittet so sehr — wie denken Sie darüber — Werden Sic — soll ich mit zu Seefeld's gehen?" Der Laut ihrer Stimme hat den Bann gebrochen. Der Appell an seine Entscheidung, noch mehr, waS er in den grünlich blauen Augen so deutlich zu lesen fürchtet, rufen ihn zu sich selbst, zu dem, was er ihr und den Verhältnissen schuldig zu sein glaubt, zurück. „Mein gnädiges Fräulein —" er verbeugte sich artig, doch fremd, und kühl klingt es in dem warmen Hauch der Stunde: „Sie sind Ihre eigene Herrin. Ich maße mir keinen Entscheid über Ihr Thun und Lassen an." Noch eine artige Verbeugung und Helja steht gleich einem Steinbild da. Fiffi hat von der ganzen Scene nichts bemerkt. Der Frühling mit seinen Stürmen brauste um daS HauS, in daS Zimmer hinein; ein abermaliger Luftzug hatte dir Garnituren hier verzettelt. Sie war ihnen nachgestürzt. AlS sie die letzten der kleinen Röschen wieder in festen Gewahrsam gebracht hatte, war Wolf von der Bildfläche verschwunden. DaS Steinbild hatte Leben bekommen und sich entschieden. — Nun treibt Helja von Hausen unter den Gästen der Seefeld's im Strom. „Ob ich es nicht gewußt habe", meint Mangern, der sich als Cavalier der Damen aus dem Hause Weilar früher eingefunden hat, als es sonst bei derlei Festen seine Gewohnheit ist, und nicht von des Mädchens Seite weicht, — „ob ich es nicht gewußt habe, wie sie reizend ist!" O ja, sein Auge versteht sich auf Frauen. Und Mangern sagt sich, er hat solch ein entzückendes Geschöpfchen noch niemals gesehen in seinem Leben! Wohl aber hütet er sich, mit banalen Complimenten das Mädchen zu verblüffen und kopfscheu zu machen. Eben aber doch entfährt es ihm, da sein Blick nicht von dem schlanken, blüthenweißen Hals lassen kann: „Ich glaube, meine Gnädige, wenn Sie Rothwein trinken, man sieht es durch, wie man von der schönen Weiferin erzählt!" Helja lacht. „Ich habe stets einen kleinen Schwarm für diese Philippine gehabt." „Und ihren Königssohn doch auch?" „Natürllch!" Ehe aber Mangern die Lippen zu einer neuen Frage wieder öffnen kann, bedeutet ihn Fräulein von Hausen zu schweigen. Der Pianist, der die geistige Fütterung einleiten soll, beginnt. Es ist ein noch junger Mensch von anständigem Aeußern, Einer von den Vielen, die alljährlich von dem Conservatorium auf den musikalischen Markt geworfen werden; Einer von den Wenigen, die zu anständig sind, die Mittel der Reklame zu ge brauchen, die aber dafür mit Eifer jede Gelegenheit ergreifen, wo man sich endlich einmal hören lassen kann. Mit stiller Ergebung und viel konventioneller Lüge lassen sich die meisten Anwesenden einen Beethoven gefallen — Saint Saöns aber spielt er groß! — Man hört die Gebeine klappern, sieht die knöchernen Gerippe seines Todtentanzes. Er macht das brillant! Weiter aber thut es keine Wirkung. Die Fächer der schönen, ost auch nur eleganten Damen Wippen den Tact. Die Blicke von Männlein und Weiblein begegnen sich, angefeucrt durch die Rhythmen des Sensenmannes, in sprühender Lebenslust. Graf Axel Krona, der sich länger schon der Gunst von Frau Julie erfreut, vielleicht Mangern darin abgelöst hat, flüstert ihr etwas zu, was augenscheinlich Jenem und Helja gilt. Frau Julie nickt amüsirt: Leben und leben lassen ist ihre Maxime. Eine junge Dame löst den jungen Mann ab, glücklicherweise, wie ein wirklich musikalischer, aber nicht wirklicher Grheimrath bemerkt, nicht am Clavier. Die junge Dame ist ganz hübsch, sehr elegant und declamirt famoS, Ernste» und Heitere» bunt durcheinander. Allgemeines Händeklatschen thut allgemeine Zufriedenheit kund. Jetzt geht eine Bewegung durch die Reihen, ein leise» Wispern; die Hälse recken und wenden sich; der Stern des Abends geht auf, Nadaszy soll singen. „Ach so ein Lied!" seufzten die Damen. „Nichts geht über den Gesang!" flötet eine eben in den deutschen Adel aufgenommene Baroneß. „Sag' lieber, über einen Tenor mit einem Schnurrbart", meint trocken der ältere Herr hinter ihr, den sicher nicht sein bartloses Gesicht, sondern sein Talent für den Millionenerwerb zu dem Gemahl der gefühlvollen Dame gemacht hat. Und das hohe 0 schmettert der Tenor jetzt heraus, lustig und jauchzend, stolz und triumphirend, wo immer sich eine Cadenz damit anbringen läßt. Er ist noch so jung an Jahren und an Ruhm; er kann es, und er giebt gerne, was er hat, und was ihm so leicht wird. Die Damen, alle Welt ist entzückt, man sollte gar nicht denken, welchen frenetischen Lärm die zartesten Hände zu Stande bringen können! Fiffi befindet sich wie in einem Rausch. Kein Wunder, hat sich doch der Stern des Abends, Feodor Nadaszy, sofort der jungen Dame vorgestellt, die er seit Dresse! unermüdlich in der ganzen Stadt gesucht hat, und der gegenüber er sich dann weiter die verblüffendsten Complimente erlaubt. Das aber ist die kleine Dernburg, die es mit dem Kühnen und Verwegenen hält, nur gut aufzunehmen willens. Und „Wie bist Du meine Königin —" ja, das singt er eben für sie allein, ganz allein. So kündrt der Blick, den er unver froren über alle Welt eben zu ihr hinüberschickt. „Alleweil werden die Löwen gefüttert", sagte Mangern zu Helja. Er bemühte sich durch kleine amüsante Bemerkungen daS junge Mädchen heiter zu stimmen. Zutraulich, unbefangen nimmt Fräulein von Hausen seinen Arm für dm Speisesaal. Nun stürzen sie vor, die jungen Herren in tadellosem Civil, Jeder eine Blume im Knopfloch, die CommerzienrathSsöhne in der Vorhut. Das Vergnügen strahlt aus ihren Gesichtern, wenn sich etwas Besonderes erwischen läßt, etwa eine Baronesse, oder auch eine Dame vom Theater oder sonst etwas Pikantes — etwa eine geschiedene Frau, welche Raritäten sich die Herren vom älteren Jahrgang mit Vorliebe sichern. Die kleinen Tischt in dem großen, noch neuester Mode hell de- corirten Speisesaal werden besetzt, und das Buffet wird mit Er folg gestürmt. Die jüngste Hattenbach hat wirklich «inen Redakteur, den Leiter eines noch wenig gekannten, aber sehr aristokratisch gehal tenen Blattes, erbeutet. Glücklicherweise hat der Mann noch keine
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