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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.01.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980107026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898010702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898010702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-01
- Tag 1898-01-07
-
Monat
1898-01
-
Jahr
1898
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Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr, die Sbeud-AuLgabr Wocheutag« um L Uhr, Ne-actio« und Erpedittou: JohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentag» nnunterbroche» Seöffaet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale«: Dtt» Klemm'« Gortim. <Alsre» Hatzum Uaiversitüt»sttaß« 3 tPanltun«), Lo«i» Lösche, Kntharineustr. 14, part. »ad KünigSpleck 7. lvezugAPrei» «« d« -«uptexveditio« oder de« <m Stadt, beairk «d de» Vororten errichteten «o«. oavrstellen abgeholt: vierteljährlich^l4.S0, bei »weimaliaer täglicher Znftell»»g in« Hau« bckO. Durch die Post bezogen für Deutschlaad und Oesterreich: viertehährltch 6.—. Direcir tägliche Krruzbaudirndung tu» AvSlaud: monatlich 7.Ü0. Abend-Ausgabe. apMcr TazMü Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. A«zeige«'Pre1- tzie S gespaltme Petitzeile SS Pf^ Reklame» »nter dem Redactionsftrich («am spalten) öO^, vor den Familieuuachrtchte» (S gespalten) 40^. Brützere Schriften laut unserem Preis» Vrrzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz «ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), uur mit d« Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderun^ LO.—, mit Postbesürderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabr: Vormittags 10 Uhr. Riorgr u-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Sei den Filialen und Annahmestelle» je eku» halbe Stunde frnher. Anzeige» siud stet« an di« Expedttio» zu richten. Druck und Verla» vo» E. Poiz i» Leipzig 10. Der Liaotschau-Vertrag. —c>. Die Verständigung zwischen Deutschland und Cbina über die Kiaotschau-Bucht wird in der deutschen Presse aus nahmslos als ein Erfolg der deutschen Diplomatie ge würdigt. Selbst der „Vorwärts" cvnstatirt mit Befriedigung, daß die deutsche Operation in Ostasien friedlich aus gelaufen sei. Der friedliche Charakter des deutschen „Sieges", den wir schon ausdrücklich betonten, wird besonders in der „Nordd. Allg. Ztg." hervorgekoben. In dem vom Wolffschen Telegraphenbureau verbreiteren, also wobl die Auffassung der Berliner Regierungskreise wiedergebenden Artikel heißt eS: Der Hauptinhalt dieses Abkommens verbreitet volle Klarheit über die von aller Gewaltthätigkeit freien Ziele der deutschen Politik in Ostasien. Nicht nach der Weise eines Eroberer» sucht Deutschland in da» chinesische Reich einzudringen, sondern als friedlicher Mitarbeiter an der gedeihlichen Ent- Wicklung seiner Zustände wird es von den Befugnissen Gebrauch machen, welche ihm die chinesische Regierung im Geiste eines weisen Entgegenkommen» hat rinräumen wollen. Wie alle überseeischen Unternehmungen de» deutschen Reichs, ordnet sich auch unser ferneres Wirken in Ostasien der Mäßigung unter, deren Wahl spruch „Niemand zu Leide!" lautet. Es handelt sich um die ungestörte Ausübung vertragsmätzigrr Rechte, für welche wir die Achtung fordern, die wir selber fremden Rechten entgegen bringen. Wenn StaatSsecretatr v. Bülow am 6. December vor dem Reichstage die Hoffnung au-sprach, daß die damals bestehenden Schwierigkeiten in freundschaftlichem Einvernehmen mit den chinesischen Staatsmännern gelöst werden würden, so kann diese Erwartung nunmehr als erfüllt betrachtet werden. Ohne Schädigung unseres Verhältnisses zu China, vielmehr mit der Aussicht auf Stärkung und Befestigung der bisherigen guten Beziehungen haben wir den Schutz der christlichen Missionsthätigkeit in der Provinz Schantung auf eine bessere Grundlage gestellt und daneben eine» territoriale» Stütz, puuct gewonnen/ welcher der Pflege unserer Handels- Interessen und der Befriedigung wirthschaftlicher Bedürfnisse zu Gute kommen soll. In dem weiten Arbeitsfelde des asiatischen Ostens ist unS Das gesichert, worauf wir ohne Selbstüberhebung Anspruch machen, ohne Selbstunterschätzung nicht verzichten durften, „ein Platz an der Sonne". Mögen Alle, die berufen werden, in jenen fernen Gebieten zu wirken, sich mit anspruchsloser Pflicht treue in den Dienst einer Culturaufgabe stellen, die in stiller Arbeit zur Ehre des deutschen Namens und auch zum Wohle Chinas gelöst werden soll! Wie in dieser Ausführung angedeutet wird, beruht schon in der bloßen dauernden Anwesenheit deutscher Truppen in Kiaotschau eine, wenn auck nicht asolute, Gewähr dafür, daß Vorkommnisse wie die Ermordung der deutschen Missionare sich in absehbarer Zeit nicht wiederholen. Einer besonderen Erwähnung chinesischer Garantien in dem Vertrage, die ja überhaupt werthlos sind, bedurfte es also nicht, wenn auch selbstverständlich deutscherseits für volle Genugthuung und Entschädigung gesorgt sein wird. Je imponirender wir in unserem neuen ostasiatischen Besitz aufzutreten im Stande sind, desto größer wird der Re- spect sein, den die chinesische Regierung und Bevölkerung den Deutschen im himmlischen Reiche entgegenbringt und Freitag den 7 desto weniger brauchen wir zu befürchten, daß Söhne unseres Volkes in China vogelfrei sind. Um dies aber zu erreichen, müssen wir neue Schiffe an Ort und Stelle zu statio- niren haben, und diese müssen, da wir keinen überschüssigen Kreuzer haben, eben gebaut werden. Damit steigen offenbar die Chancen der Marinevorlage im Reichstag. Beachtung verdient noch der Vorbehalt des Vertrags, nach welchem Deutschland die Kiaotschau-Bucht event. mit einem andern Küstenstrich vertauschen kann, falls es sich Heraus stellen sollte, daß jene den auf sie gesetzten Erwartungen nickt entspricht. DaS dürfte sich in erster Linie auf die Möglichkeit einer weitergreifenden Versandung der Bucht, auf die Professor Rickthofen hingewiesen hat, beziehen. Daß bei dem Vorbehalt schon an den Vorschlag gedacht sei, der, wie aus Rom gemeldet wird, den Mächten gemacht sein soll, dahingehend, für Asien gleich eine Verständigung über die Abgrenzung von Interessensphären zu treffen, wie sie für Afrika besteht, halten wir für ausgeschlossen. Der Vor schlag käme einer Auftbcilung Chinas gleich, an die gegenwärtig, wo das orientalische Problem noch seiner Lösung harrt, die egyptische Frage noch schwebt und am Niger wie am oberen Nil der Concurrenzkampf verschärfte Formen annimmt, unter keinen Umständen zu denken. Eine solche Verständigung würde nur heillose Verwirrung schaffen, die lediglich dem betrübten Lohgerber John Bull zu Gute käme. Von dieser Seite dürfte daher auch der „Vorschlag zur Güte" ausgegangen sein. Anklang wird derselbe bestimmt nicht finden, am wenigsten in Petersburg, wo man sich schwerlich für seine chinesische Propaganda in einem Augenblick Ziel und Grenze stecken lassen wird, wo die sibirische Bahn ihrer Voll endung entgegengeht. In England ist man natürlich sehr wenig erbaut von dem deutsch-chinesischen Vertragsabschluß. „Times", „Daily Telegraph" und „Standard" besprechen denselben abfällig. Der „Standard" hofft, Lord Salisbury werde ohne Zeitverlust in Peking und Berlin erklären lassen, England habe beträchtliches Interesse an dem Abkommen und werde in Kiaotschau handeln, wie es in Port Arthur gebandelt hat Das heißt also, England werde Kriegsschiffe nach Kiaotsckau schicken, wie es solche neben die russischen Kriegsschiffe in Port Arthur gelegt hat. Man wird in Deutschland diese Drohungen nickt tragisch nehmen. Bis zu ihrer Ausführung hat eS gute Wege, zumal da es sich bei Kiaotschau nm ein thatsächlich und formell abgetretenes Gebiet handelt, während Rußland bei Port Arthur wenigstens den Schein gewahrt hat, daß es den Hafen „nur als für den Winter zur Verfügung ge stellt" betrachte. Ein Einlaufen englischer Schiffe in Kiaotschau wäre also eine flagrante Verletzung des Völker rechts, die Lord Salisbury Wohl gegen eine Boerenrepublik für erlaubt halten mag, die Deutschland gegenüber zu wagen, aber zu absurd wäre, als daß man sich versucht fühlen könnte, den Gedanken weiter zu erwägen. Das sind, wie gesagt, nur leere Drohungen, die man seiner „Würde" schuldig zu sein glaubt; thatsächlich giebt man sich in London augenblicklich ganz anderen Hoffnungen hin, und diese sind auf das Zustandekommen der chinesischen Anleihe ge richtet, die England ein Dominium weit vortheilhafterer Art, als ein Landbesitz es bieten könnte, gewähren würde. Die gesammtc Londoner Presse ist einig darin, daß die große Geschäfts- und Finanzwelt den Gedanken der staatlichen ZinSgewähr billige, und befürwortet den Abschluß aus der ganzen Linie, die Opposition mit eingeschlossen. Hier gilt es Januar 1898. für die übrigen betheiligten Mächte, die Augen offen zu halten, wenn nicht England schließlich die Rolle deS tortiu* gaudeiw zufallen soll. Etwas verspätet, aber anscheinend nur formell veraltet, wird jetzt die Proklamation des Bice-AdmiralS von Diederichs bekannt, welche derselbe bei Gelegenheit der Landung der deutschen Truppen am 14. November 1897 an die Bevölkerung des Kiaotschau-Bezirks erlassen hat. Das interessante Aktenstück lautet: „von Diederichs, Chef des kaiserlich deutschen Geschwaders in Ostasien, erläßt hiermit folgende Proklamation: Es wird hiermit zur Kenntniß aller Betheiligten gebracht, daß ich, dem Befehle meines Herrschers, Sr. Majestät des Deutschen Kaisers, Ge horsam leistend, gekommen bin, Allerhöchstwelcher mich beauftragt hat, an der Spitze meiner Truppen in der Kiaotschau-Bucht zu landen und von dieser Bucht, sowie allen Inseln undderenDependenzenBesitzzuergreisen. Nachdem ich diesen Beseht ausgeführt, ist es meine Pflicht, die Grenzen der Gegend frstzustellen, die ich besetzt halte: I) Von einer geraden Linie aus, die man von dem McereSuser nach dem Osthügel zieht, bis zu einem Punkte, der bei Hochwasser 18 Li (gleich l'/s deutsche Meile) von Kiaotschau entfernt ist. 2) Von dort in einer geraden Linie nordwärts nach der Tapoteng Likin-Station; von dort zurück bis zur Vereinigung der Kiaotschau- und Taku-Flüsse. 3) Von dort ostwärts nach dem Meeresufer bis zu einer imaginären Linie, welche die Lauschanbucht in der Mitte durchschneidct. 4) Die öst liche Linie verläuft von einem nördlichen Punkte bis zu einem Punkte Halbwegs der Lauschanbucht, von dort südwärts bis zu den Ufern der Inseln von Kuantimiau, Tsalien u. s. w. b) Die südliche Linie erstreckt sich von der Insel Tsalien bis zum südlichsten Punkte der Insel Tiloschau. 6) Im Norden dehnt sie sich bis nach dem Mecresufer an der Westseite, wo beide Richtungen an einander stoßen, aus. Die oben genannten Plätze und das zwischen ihnen gelegene Areal werden die deutschen Truppen besetzt halten, bis die Angelegen'.,it, beweisend den Mord unserer deutschen Missionare ln Schantung, geschlichtet ist. Mit Bezugnahme auf Obiges erachte ich es denn für nothwendig, Euch alle, d. h. die Bewohner der Insel Tsingtau und deren Dependenzen, zu ermahnen, friedlich Euren verschiedenen Berufen nachzugehen und nicht auf dieWorte schlechter und streitsüchtiger Elemente zu hören, um Störungen hervorzurufen. Thatsache ist, daß Deutschland und China stets Freunde gewesen sind und in Frieden gelebt haben; früher, als China mit Japan Krieg führte, ge- brauchte Deutschland alle seine Kräfte, um China aus seiner schlimmen Lage zu befreien. Hiermit wollen wir unsere Freund schaft als eine Nachbarsmacht beweisen. Wir sind hier nicht als Feinde Chinas, und Ihr braucht uns deshalb nicht mit Verdacht zu begegnen. Es wird überdies die Pflicht der deutschen Osficiere jein, die sich dem Gesetze unter werfenden Bewohner dieses Platzes zu beschützen, um so den Frieden aufrecht zu erhallen. Sollte es aber unzufriedene Individuen geben, die den Versuch machen, Störungen hervorzurufen, so werden sie nach dem chinesischen Gesetze bestraft, das heißt enthauptet werden. Weiter, sollte man deutsche Unterthanen ermorden, so werden die Mörder nach deutschem Krirgsrccht bestraft werden (das heißt erschossen). Ich erachte es demnach für meine Pflicht, Euch 92. Jahrgang. alle zu ermahnen, nicht den Frieden zu brechen oder sich gegen Maß nahmen, welche diedeutschenBchörden inZukunft vorzunehmen beabsich tigen, aufzulehncn. Ziehet die Lage der Sache in Betracht, und Jla werdet finden, daß Ihr zu schwach seid, um zu widerstehe!!. Ihr werdet nicht nur finden, daß Euch daraus kein Borthcil erwachsen kann, sondern eS wird Euch einleuchten, daß Ihr Euch selbst ins Unglück stürzen würdet. Weiter, wisset denn, Laß dort, wo deutsche Truppen im Lager liegen, es chinesischen Beamten doch erlaubt sein wird, ihren gewohnten Pflichten nachzugehen. Sollten die chinesischen Beamten aber in Zukunft von ihren Vorgesetzten Befehle erhalten, die auszuführen nichl in ihrer Macht ist, so sollen sie die Umstände dem deutschen Gouverneur, dem General Tschu oder dem Brigadegeneral Tsai melden. WaS den Ankauf oder Verkauf von Land von jetzt ab anbetrifft, so muß man, damit derselbe gesetzlich sei, zuerst die Erlaubniß des Gouverneurs einholen. Mögen Alle dem Obigen Gehorsam leisten. Eine wichtige Proklamation. 14. Tag des November 1897 (nach deutscher Rechnungsweise). — 21. Tag, 11. Monat, 23. Jahr Kaiser Kuanghsü's (chinesische Rechnungs weise). (I-. 8.) Bei dem Mangel an guten Seekarten der Kiaotschau - bucht hält die „Post" die Möglichkeit nicht für ausgeschlossen, das; das gegenwärtig in Hongkong weilende Vermessungs schiff „Möwe" auf einige Zeit nach der Kiaotschau-Bucht beordert wird, um dort die für die Vermessung der Bucht notbwendige Grundlage sestzulegen und ein aus den Osficieren und Mannschaften der verschiedenen Schiffe zusammenzusetzendes Vermessungspersonal auSzu bilden. ES würde diese Arbeit in einem Zeitraum von 4 bis 6 Wochen erledigt werden können. Die Ausführung der ge jammten VermessungSarbeiten in der Kiaotschau-Bucht durch das Vermessungsschiff „Möwe" selbst dürfte nicht angängig sein, da dieses Schiff in unserem Schutzgebiet in der Südsee vollauf zu tbun hat und ja die Berichtigung der Seekarten jener Gebiete auch unerläßlich ist. ES wäre allerdings Wohl erforderlich, 1—2 Dampfboote speciell für die Vermessung der Kiaotschau-Bucht dorthin zu eutsenden, damit die Arbeiten ihren ungestörten Fortgang nehmen können, ohne daß der Dienst an Bord unserer Schiffe daselbst irgendwie behindert wird. Auch würde sich die Einquartierung des ganzen Vermeffungsdetachements an Land jedenfalls empfehlen. Die genaue Vermessung des Landgebietes wird erst später und dann vielleicht in Gemeinschaft mit dem Generalstab ausgeführt werden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. Januar. Eine norddeutsche Zeitung will einen zu Ungunsten Deutsch lands sprechenden Unterschied gefunden haben zwischen der Erregung, welche die falsche Nachricht vom Ableben des Fürste» Bismarck im Auslande, und dem Eindrücke, den sie in dem durch ihn großgemachtcn Vaterlande LeS Todt- gesagtcn hervorgebracht habe. In Frankreich, England, Italien:c. sei die GemüthSbewegung lebhafter gewesen, weil man dort noch immer mit Bismarck als einem gewaltigen Factor des öffentlichen Lebens in Deutschland rechne, sich nicht, wie vielfach in Deutschland, auf die ausschließlich retrospektive Bewunderung beschränke, sondern in der bloßen Thatsache, daß Fürst Bismarck noch lebe, ein starkes politisches Moment Fenilleton. Lamps und Entsagen. 4f Roman von M. von Esch«». Nachdruck verboten. Auch Wolf hat bereits, was man so Jugend nennt, hinter sich, aber dank seiner Jugend hat er sich zu kraftvoll gesunder Männ lichkeit entwickelt. Die stattliche Figur, seine Haltung voll Ruhe und Energie, die breite Stirn von weichem, dunkelblondem Haar umschattet, die gerade Nase, ein gut geschnittener Mund, darüber ein kunst loser Bart mit goldig schimmernder Locke, große lichtblaue Augen unter kräftigen Brauen, leihen ihm etwas von der germanischen Lieblings-Heldengestalt. Seine Farben, fast noch wie Milch und Blut, welche, ob sie auch den Generalstäbler zuweilen in seiner Würde ärgern, ihm doch ein köstlich Zeugniß geben, lassen ihn auch um vieles jünger erscheinen, als er ist. Ebenso täuscht die schier unverwüstliche Laune über den Ernst seiner Züge, seines Wesens hinweg, das heißt doch nur den, der noch nicht gelernt hat, daß dauernde Heiterkeit nur auf ernstem Grunde ge deiht, mit ernstem Wollen errungen und behauptet werden muß. Mittlerweile hat sich Lilian zur Antwort entschlossen, neigt den feinen Kopf gegen Wolf und sagt etwas, was Niemand ver steht. Lilian spricht immer leise. Es liegt in dem Ton ihrer Stimme etwas Gehaltenes, Verhaltenes, wie in ihrem Wesen. Um so lebhafter, ohne jeden Zwang, jeden Nachgedanken, ganz impulsiv, jedem Einfall hingegeben, ruft Fiffi über den Tisch herüber: „Herr von Mangern, ist es wahr, Sie Verkehren mit dem Theater?" Geschickt und elegant wirft Bodos Hand den Kneifer, den sie eben in der Luft tanzen ließ, auf die Nase, und so schaut er zu dem kleinen Dämchen hin. „Ja wohl, mein gnädiges Fräulein. Ueberall zu Haus, wo Frauen schön und — liebenswürdig sind." „O, ich möchte so schrecklich gern mal einen Schauspieler oder Sänger kennen lernen", platzte Fiffi ehrlich heraus. „Famos, steh« zu Diensten", meint Bod», von dem Eifer und der Aufrichtigkeit amüsirt. „Werde mir erlauben, gnädiges Fräulein bei Seefeld einzuführen — haben allerhand Künstler verkehr dort." ' „Machen Sie keinen Unsinn, Mangern!" Wolf runzelt die Stirn. ,WaH ist. denn?" ruft Fiffi ungeduldig, Wolf hat schon seine Laune wiedergefunden. „Es ist das kein Terrain für solche kleinen" — er verneigt sich verbindlich — „jungen Damen, Cousinchen." „Pah, Vetter Wolf", stößt die jüngste Dernburg mit aller liebst gespielter Entrüstung heraus. „Herr von Mangern — ich gehe mit Ihnen. Künstler, das ist apart! Eure ewigen Lieu tenants wird man auch müde!" Ein allgemeines Gelächter erscholl. Dann entspann sich eine lebhafte Debatte über des Bankiers Seefeld Haus, seine Frau und was sonst zu ihm gehörte; was Alles dort aus- und eingehcn sollte, und was für eine junge Dame heute möglich, oder auch erst recht chic geworden ist. Dann und wann, wie unter einer ärgerlichen Empfindung, nahmen Wolfs Entgegnungen eine schärfere Färbung an, die Hauptmännin wurde immer bedenklicher in der Erwägung, was sie sich am Ende mit diesen deutsch-amerikanischen Nichten aus dem zehnten Gliede für eine Verantwrtung aufgepackt haben möchte. Einer nur blickte mit immer gleichem Entzücken auf Fiffi hin, Heljas schweigsamer Nachbar. Es war ein baumlanger, kräftig ausgewachsener Mensch mit nicht gerade hübschen, doch ungemein ehrlichen Zügen. Sein Haar war hellblond und von der Stirn bis in den Nacken durch einen Scheitel getheilt, der so accurat und militairfromm dahinlief, daß ihm die in all der gleichen sehr empfindlichen Herren der .. .er Kürassiere, bei denen zum Vorwurf machen konnten. Er selbst war unschuldig an dem Scheitel, wie an den beiden Locken, zu denen sein Haar über der Stirn auseinander pomadisirt lag. Seitdem Heribert von Rau bei den Kürassieren eingetreten war, bearbeitete den bisher in gänzlicher Freiheit gelassenen Kopf dieses Erben von einigen Rittergütern allmorgcntlich der Friseur. Heribert gab sich in jeder Weise Müh«, Schritt mit der Schneidigkrit seiner Kameraden zu halten. Leider aber, ob er auch auf dem Exercirplatz seinen Mann stand und in geistiger Befähigung hinter Keinem zurückblieb, hatte er es immer noch nicht fertig gebracht, sich als junger Gott in den Salons zu be haupten. Möglich, daß eine einsame Kindheit auf dem Lande die Schuld daran trug — vielleicht auch war er zu altmodisch von altmodischen Eltern erzogen, die, ansässig auf der Scholle, mit all den an dieser Scholle klebenden Ueberlieferungen verwachsen waren. Dir Welt ist eben doch recht anders draußen. — Und nun, trotz seinem besten Willen, mitzuthun, sich al» „famoser Kerl" zu führen, werden seine Bewegungen linftsch, faßt sich all die Männlichkeit von Heribert Rau zusammen einzig in Schweigen, sobald er die Atmosphäre d«S Salon» um seine Schläfen spielen fühlt, fobald ihm etwa» duftig gart«». Weibliches entgegentritt. Schweigend sieht der große, junge Mann mit dem Kinder herzen auch jetzt immer noch zu Fiffi hinüber. Ja, die Kleine war etwas excentrisch, auch in ihrer Be geisterung für Alles, was modern, das bewies die Toilette, die, nach ihrer jüngsten Laune den Menschen nur als Mittel zum Zweck betrachtend, das zierliche Ding sozusagen in einen Bündel von weißen Falbeln, grün- und gelbseidenen Revers, Kragen und Kräglein, eins über dem andern, eins immer noch gewagter in seinem Schnitt als das andere, verwandelt hatte. Vergeblich, daß selbst ein liebespähendes Auge noch etwas wie die ursprüng liche Linie eines weiblichen Körpers unter jenem Bündel von Tollen und Töllchen, Lappen und Läppchen zu entdecken im Stande gewesen wäre. Der allgemeinen Entstellung entgangen war einzig das Köpfchen, weil sich damit nichts anfangen ließ. Und dieses Köpfchen hatte es Heribert angethan. Immer lebendiger wird Fiffi jetzt in ihrem Uebermuth, immer gewagter auch in ihren Behauptungen. Es scheint, sie hat nicht übel Lust, die Herren allein zu beschäftigen. Mangern amüsirt sich königlich an diesem noch „ungedrillten Temperament". Er meint, wenn es schon ganz annehmbar wäre, den cmvalier 8orvvnte bei einer Dame wie Lilian im Tattersall, im Theater und Concert, auf Bällen und Routs, kleinen Familien soupers, etwa bei Dresiel oder Hiller abzugeben, daß dann dieses kleine Sprühteufelchen eine famose Zugabe dabei sein müsse. Wolf runzelt mehr und mehr die Stirn, dann lacht er doch wieder dazwischen, man konnte ja dem Irrwisch nicht böse sein, oder sie gar ernst nehmen. Nur Heribert nahm sie ernst, sehr ernst. Gleich einem Wunder, einem entzückenden, bestrickenden Wunder erscheinen dem scheuen jungen Menschen die unbefangene sichere Natür lichkeit, mit der das zierliche Geschöpf Alles, was und wie es ihm einfällt, wiedergiebt, im Grunde doch noch ein Kind, trotz seinem Damenkleid und seinem Damenchic. Mehr und mehr vergißt er Alles, auch sich selbst und seine Scheu, und seine Blicke bleiben haften wie gebannt an den strahlenden Augen, dem lachenden Mund. Es durchzuckt ihn vom Wirbel bis zur Zehe bis in die Fingerspitzen, er hätte das kleine Geschöpf halten, fassen mögen mit seinen Händen; noch mehr, er hätte ihr diese seine beiden starken treuen Hände unter die Füße breiten mögen! Offenbar hat Fiffi endlich die Bewunderung ihres baum langen Gegenüber» bemerkt, und sie freut sich daran, wie man sich al« siebzehnjährige Tochter Eva's an dergleichen freut. Diese sehr unschuldige Freude jedoch giebt der kleinen Fiffi den Rest in den Augen des Hauptmanns von Alvenslohe, der zwischen der jüngsten Dernburg und ihrem Verehrer das Tischende be hauptet. Alvenslohe war ein sehr correcter Herr. Er besaß keine einzige Eigenschaft, die ihn etwa vor Anderen nachtheilig aus gezeichnet hätte, keine mißliebige, die man ihm hätte zum Vor wurf machen können. Statur mittel, Züge gewöhnlich, stand auf seinem Paß; dieselben Prädicate paßten für seinen übrigen Menschen auch. Im Avancement kam er mit, als Premier hatte er sich verheirathet, weil er das so in der Ordnung fand. Die Partie war nicht reich, er war zufrieden mit dem Commiß- vermögen und etwas selbstverständlicher Zulage. Er war auch ein correcter Ehemann gewesen mit sanft pa triarchalischem Regiment. Dennoch hatte es seine Frau, die „den Himmel auf Erden gehabt", viel zu früh vorgezogen, für diesen Himmel den jenseitigen einzutauschen. Das war ein harter Schlag für den Hauptmann; aber er hatte sich auch wieder muster haft benommen, sofort hatte er eine geeignete Persönlichkeit zur Pflege des Haushaltes und seiner drei Kinder engagirt. Zwei Jahre waren vorüber. Alvenslohe fand es in der Ordnung, sich wieder-nach einer rechtmäßigen Lebensgefährtin umzuschauen. Diesmal aber sollte, da es immer nothwendiger zum Leben geworden, auch Geld, viel Geld mit dabei sein. Er hatte mit Befriedigung von dem Kommen der zwei Gold fische in dem Weilar'schen Hause gehört, welchen man, da sie aus Amerika stammten, schwereres Gewicht zutrauen durfte, als es bei uns üblich ist. Er hatte sich sofort eine Einladung zu dem Mittagbrod, das immer am Sonntag auf einige Bekannte aus gedehnt wurde, von der Frau vom Hause für heute erwirkt. Im Anfang war der Hauptmann schwankend gewesen, welche der beiden Schwestern er mit seiner Wahl beglücken solle — Fiffi in ihrer noch kindlichen Vergnüglichkeit, ihrer größeren Jugend — der Hauptmann dachte auch in diesem Punct, wie die meisten seinesgleichen — war ihm als die annehmbarste er schienen. Sie bedurfte wohl nur einer leichten Hand, während Lilian ein wenig zu hoch gewachsen, zu kühl und gehalten ausge fallen schien. » Jetzt aber hatte sich Alvenslohe für Lilian entschlossen, und er faßte Posto bei ihr, sobald man den Salon betrat. Weilar's waren an Sonntagabenden für ihre intimen Be kannten zu Haus. Nach und nach füllte sich der Salon, man war vielleicht zu fünfundzwanzig, dennoch nur im engeren Kreise. (Fortsetzung folgt.)
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