Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.06.1878
- Erscheinungsdatum
- 1878-06-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187806163
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18780616
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18780616
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1878
-
Monat
1878-06
- Tag 1878-06-16
-
Monat
1878-06
-
Jahr
1878
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.06.1878
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Erste Kkilage ;»>n Leipstgcr Tageblatt und Aii;cigcr. <«r. Sonntag den 16. Juni 1878. '2. Jahrgang. TV »Pier . Neu ithogr. suchen, enunq He von V. nscn, >and- mn, Landtag. —ed Dresden, 14. Juni. Heute hielten aber' mal- beide Kammern Sitzungen ab. Die der Ersten Kammer begann um 11 Uhr und war sehr kurz. Man blieb zunächst nach Anhörung deS durch v. Criegern erstatteten Referats, betreffend die Beschlüste beider Kammern anlangend, die Ent scheidung über To mpetenz streitig leiten zwi schen Gericht-» und VerwaltungSbehör- den allenthalben bei den früheren Beschlüsten stehen und trat nur bezüglich deS 3. Abschnitt- von tz 16, welcher durch die Zweite Kammer eine andere Fassung erhalten hat, dem Beschlüsse der anderen Kammer bei; daS Zustandekommen de- Gesetze- ist somit höchst zweifelhaft geworden. Weiter genehmigte man die durch Rülke befür worteten Vorschläge der Deputation zu dem Ge setzentwürfe über die Besteuerung de- Ge werbebetriebes im Umherziehen, der in der Fassung genehmigt wurde, wie er au- den Berathungen der Zweiten Kammer hervorgegangen ist. Endlich erledigte man Petitio nen, betr. Chaussee-, Straßen- und Brückenbau, die kein allgemeines Interesse darboten, den Vor schlägen der Deputation gemäß, welche Martini vertrat Nächste Sitzung unbestimmt. Die Sitzung der Zweitens Kammer, welche um 1V Uhr ihren Anfang nahm, war dagegen lang und bewegt. Derselben wohnten einige Zeit lang sämmtliche Minister, außer dem Präsidenten des Ministeriums und ein ganze- volles Dutzend Re- aierungScommistare bei. Den Gegenstand der vier stündigen Diskussion bildete der Bericht der zweiten Deputation, betr. den Rechenschaftsbericht auf die Jahre 1874/75 und über die An träge der Abga. Stauß und Roth auf kaufmännische Bilancirung der Einnahmepo sitionen deS Staatsbudget-. Vor Eintritt in die Tagesordnung gelangte zunächst ein Schrei ben durch Secr. Körner zur Verlesung, durch welche- der Kammer Mittheilunq davon gemacht wurde, daß die durch daS Justizministerium in Sachen der Zwickau-Lengefeld-Falkensteiner Eisen- bahn-Actien-Gesellschast veranstalteten Erhebungen die völlige Schuldlosigkeit der in Frage kommenden Beamten (die StaatSanwälte Gubasch in Zwickau und Häntzschel in Leipzig, sowie GerichtSrath Wolf in Zwickau) ergeben haben. Die Beamten haben nur ihre Pflicht gethan; die entgegenstehenden Be hauptungen de- Abg. Barth-Stenn feien somit schwere Beleidigungen gewesen. Präs. Haber korn bemerkte, daß eS bei dieser Mittheilunq und der den gedachten Drei damit gewährten <satis- faction fern Bewenden habe. Barth-Stenn aber behielt sich Weiteres vor und meinte, daß die srEch sehr schlau angelegten Unterfchleife schon noch an den Tag kommen würden; übrigens sei eS bester, Unrecht leiden als Unrecht thun. Nunmehr begann die Berathung über den Rechenschaftsbericht, über den Grähl referirte Die Debatte er öffnete Walter, der sein höch- lichsteS Erstaunen darüber aussprach, daß so hohe ^Überschreitungen vorgekommen und von der Depu tation entschieden zu höflich und mild beurtbeilt worden sind, er wünscht unbedingt eine Ober- rechnungskammer. Roth hätte angesichts der «roßen, von der Deputation der Regierung gegen über an den Tag gelegten Milde gleiches Maß auch für die von Stauß und ihm eingebrachten Anträge erwarten zu dürfen geglaubt. ES sei un bedingt nöthig, in gewisse Zweige der Staats- industrie völlige Klarheit zu bringen und um die se- Ziel zu erreichen, dürfe man weder Arbeit »och Kosten scheuen. Freilich müßte man zur Realisirung der fraglichen Anträge auch wirkliche Kaufleute heranziehen; daS sei aber gerade in La asten nicht schwer. Allerdings wisse er nur zu gut, daß d-r Kaufmannsstand, dem er augehöre, sehr oit über die Achsel an- aesehen werde (vielfaches Oho!), daß man kmen Angehörigen nicht da- volle Ver» ständniß für öffentliche Dinge zutraue, ihnen, die doch wie fast kein anderer Stand im öffentlichen Verkehr, im praktischen Leben stehen. Referent Trahl führt an, daß e- schlechterdings unmöglich sei, für alle Positionen de- Staatsbudget- kauf» »ännische Aufstellungen zu verlangen. Wem von dm Abgeordneten so sehr viel an regelrechter kauf- »ännischer Bilanz liege, der könne sich dieselbe lacht für die Staats»Etablissements au- dem Akchenschaft-bericht herau r ziehen, vr. Stephani üantragt, die Anträge der Abgg. Stauß und Roth irr Regierung zur Erwägung zu überweisen. lArdner findet, daß die seitherige Aufstellung de- VudgetS keinen Ueberblick über die Finanzlage ge- »ähre und dem ständischen Bewilligungsrecht nicht spreche. Man brauche ein Gesetz, in dem die indsätze niedergelegt seien, nach denen bei Auf ing deS Budget- zu verfahren sei; eine der tändeversammlung verantwortliche Oberrech- MgSkammer genüge allein noch nicht, um lieber- ^ itungen zu verhüten. UebrigenS erkennt er daß seit Uebernahme de- Finanzministeriums ch Freiherrn von Könneritz schon Man- bester geworden sei. Günther meint, Ausgabe der Deputation sei nicht gewesen, S Gebiet der Höflichkeit zu verlosten. Die An- Hge auf eine Perbesterung der Budgetausstellung >m leicht einzubringen gewesen, enthielten aber ne positiven Vorschläge. Stepham'S Wunsch cd Grundsätzen, welche bei Ausstellung de- udget« maßgebend sein sollen, sei überflüssig; er Maare Martige Grundsätze ergeben sich von selbst, die rachuariie Drage aber, ob da- Budget nach kaufmännischen ter u„4 oüILx«, k»8!iL. »irnitz. l. Leim, braß« ZS. »g. -7 Ubr. Fayon, liefe l von «lener l S Paar rren «,t derschub« aschine»- Grundsätzen aufzustellen sei, sei eine rein formale, nicht aber materielle. Einrichtung einer neuen OberrechnungSkammer fei nicht opportun, da erst vor Kurzem eine neue OberrechnungSkammer ge bildet worden sei. vr. Minckwitz betont die Wichtigkeit und Nothwendigkeit einer Ober- rechnung-kammer, welche, wen» sie bisher be standen, ganz entschieden solche großartige Ueber schreitungen, wie sie vorgekommen, unmöglich gemacht haben würde. Minister v. Nostltz- Wallwitz weist darauf hin, daß auch eine OberrechnungSkammer nicht jede Ueberschreitung verhindern könne, für die übrigen- jeder bez. Minister vom Landtag zur Verantwortung gezogen werden könne, dafern er verfastung-widng und unconstitutionell gehandelt habe. vr. Schafsralh giebt zu, daß die Regierung den Ständen daS Budgetrecht noch nie geschmälert habe, eine OberrechnungSkammer, die er übrigen- lebhaft wünscht, auch nicht jede Ueberschreitung verhindern könne. Zugleich beklagte er aber tief und ernst die vorgekommenen enormen und abnormen Ueber- schreitungen, denen gegenüber daS Bewilligungs recht der Stände geradezu illusorisch werde. Letztere säßen 5 und 6 Monate beisammen und plagten sich mit Feststellung de« Budgets, doch kehre man sich schließlich nicht daran, sondern wirthschaste lustig darauf los. Da empfehle eS sich doch sehr, die Budgetberathung ganz gehörig abzu kürzen und sich hinterher auf eingehendste Prü fung de- Rechenschaftsberichts zu beschränken. Minister v. Könneritz weist darauf hin, daß be reits vor seinem Eintritt in das Ministerium Anordnungen gegen Etatüberschrcitungen getroffen worden sind. Die Kammer dürfe nicht vergessen, daß gerade 1874/75 die Jahre waren, wo eine totale Verschiebung aller Verhältnisse stattfand und nahezu alle Voranschläge hinfällig wurden. Die Regierung sei unausgesetzt bestrebt, alle AuS» und Ueberschreitungen fern zu halten; sie ganz und schlechterdings z« verhüten sec aber ein Ding der Unmöglichkeit. Bei industriellen Etablissement- sei eS gar nicht durchführbar, gewisse plötzliche Herstel lungen rc. nur deshalb nicht ausführen zu lassen, weil sie nicht im Budget pränumerirt wurden. Soweit möglich, verfahre man bereits bei der Finanz« Verwaltung nach kaufmännischen Grundsätzen. Man habe zwar nicht die kaufmännischen Abschreibungen auf staatliche Etablissement- übertragen, aber man gehe tatsächlich noch weiter, indem man die Her stellung-- und Meliorationskosten von Anfang an abschreibe. Nirgends würden übrigens seine- Wissens seitens der Regierung so eingehende Mit theilungen jedem Abgeordneten innerhalb der De putationen gegeben, wie gerade in Sachsen. Der Minister warnt vor Vergrößerung des Rechnungs wesens, auf dessen Vereinfachung man vielmehr sein Augenmerk richten müsse. Minister v. Gerber motivirt, daß die bei der Landesuniversität vor gekommenen Ueberschreitungen bedingt waren durch den großartigen Aufschwung der Hochschule. Redner erklärt Übrigens, sich in der angenehmen Lage zu befinden, heute erklären zu können, daß sein Depar tement im nächsten Rechenschaftsbericht keine Ueber schreitungen aufweisen werde. Pen zig meint, es sei ein mederdrückendeS Gefühl, 5 Monate lang an der Budgetausstellung mit zu arbeiten und hinterher zu erfahren, daß die Beschlüsse der Stände nicht respectirt wurden. Eine OberrechnungSkammer sei nöthig, weil diese von den Ständen zur Rechtfertigung herangezogew werden könne, vr. Minckwitz be merkt, daß dieselbe wenigstens entschieden verhin dere, gemachte StaatshauShaltersparnissc nach Be lieben zu verwenden. Stauß sucht die Ausführ barkeit der Anträge nachzuweisen, die er und Roth eingebracht, vr. Stephani'S Antrag, dieselben der' Regierung zur Erwägung zu überweisen, wird mit 39 gegen 17 Stimmen abgelehnt, ebenso hierauf die Anträge selbst. In der darauf folgenden Spccialdebatte beklagte vr. Schaffrath, daß in der kurzen Zeit vom 1. Juli 1873 biS Ende December 1875 nicht we niger als 2 OberappellationsgerichtSvicepräsidenten und 2 OberappellationSräthe in Pension getreten sind, anstatt ihre ersprießlichen Dienste dem Staate noch fernerweit ru widmen. Da der Justizminister nicht mehr anwesend war, so verhallte Schaffrath'S Klageruf, ohne am Ministertisch ein Echo zu wecken Schließlich wird die Regierung um Aushebung von S bisher bestandenen FondS ersucht und derselben zur Erwägung anheimgegeben, inwieweit bei Aufwänden für Veränderungen und Neubauten an vollendeten Bahnlinien, durch welche die Werthe vorhandener Objecte vernichtet werden oder auSfallen^ um eine Ueberwerthung der Bahn zu vermeiden, »m Budget eine andere Anstellung als seither üblich, thunnch sei. Die Hauptabstimmung Uber die Decharge- ertheilvng kann erst morgen stattfinden, da bei der Abstimmung über einen von vr. Schaffratl» ge stellten Antrag die Stimmen standen (30 gegen 30), die Abstimmung daher wiederholt werden muß. Nächste Sitzung morgen früh 10 Uhr. Die Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung beabsichtigt in den Tagen vom 28., 29 und 30. Juni d. I. in Crefeld ihre achte ordentliche Gene ralversammlung abzuhallen unv versendet für diese Versammlung soeben einen ausführlichen JahrcS bericht über das VereinSjahr 1877. Die Leitung der Gesellschaft liegt dem Centralausschuß ob, welcher au- seiner Mitte den Vorstand wählt, der die lausende« Geschäfte führt nnd die Ausführuns der gefaßten Beschlüsse besorgt. Derselbe besteht gegenwärtig au- vr. Schulze-Delitzsch al- Vor- ltzendem, Vr. Loewe und Justizrath Makower in Berlin als Beisitzenden, vr. Hammacher alS Schatz meister und Realschuldirector a. D. JuliuS Lippert alS Generalsecretair. Die Gesellschaft zählte am JahreSfchluß 1877: 5132 Mitglieder, wovon 4360 persönliche und 772 körperschaftliche Mitglieder md; sie gliedert sich bereit- in 9 Provinzialbezirk-- verbände und zählt 19 Zweigvercine, worunter im Sinne des Gesellschaftsstatuts nicht alle über haupt zur Gesellschaft gehörigen Vereine, sondern vielmehr nur diejenigen verstanden werden, von denen jede- einzelne Mitglied, sei eS nun eine Person oder selbst wieder ein Verein. Mitglied der Gesellschaft geworden ist. Die Gesellschaft betbätigt ihre belehrende und anregende Wirksamkeit durch öffentliche Vorträge, durch ein Wander- und VolkS- museum, durch Einrichtung von Vereins- und Volksbibliotheken, durch Förderung deS Fortbil« dungsschulwesenS und endlich durch Herausgabe geeigneter Publicationen, unter denen die Wochen- chrfft „Der Bildung-Verein" besondere Erwähnung verdient. Der von der Gesellschaft herauSqe- zebene „Neue Deutsche Reichskalender", welcher nn Jahre 1876 eine Austage von 23,000 Exem plaren gehabt hatte, erreichte 1877 eine solche von 65,000. Auf dem Boden der Gesellschaft stehen alS Unternehmungen privater Art die zahlreichen volkStbümlichen Publicationen deS Nordwestdrut- chen VolkSschristenverlagS in Bremen und die im Verlag von W. Köbner in BrcSlau erscheinenden „Gemeinsaßlichen Vorträge" zum Vorlesen in Ver einen und die deutschen VolkSschriften. Weiter be merkt der Jahresbericht, daß in gewisser Ver bindung mit diesen Unternehmungen auch die „Social-Correspondenz", Organ deS Centralver eins für daS Wohl der arbeitenden Classen, her- vorruheben sei, welche sich der besonderen Aufgabe volkSwirthschastlicher Belehrung gewidmet habe. Anlangend die finanzielle Lage der Gesellschaft im Jahre 1877, so betrug die Einnahme 165,705 Mark 59 Pf. und die Ausgabe 81,095 Mark 70 Pf., so daß sich der Vermögensbestand am I. Januar 1878 auf 84,609 Mark 89 Pf. bezifferte. Den Hauptposten der Einnahme bildete ein Vermögensbestand am 1. Januar 1877 von 71,040» Mark 86 Pf., ferner Mitgliederbeiträge in Höhe von 46,594 Mark 68 Pf., Bücherverkauf mit 20,939 Mark 27 Pf., Gabe eineS Privatmannes (Herr v. Hoffman» in Streatham bei London) in Höhe von 12,000 Mark. Den Hauptposten der Ausgabe bildeten die für locale BildungSzwecke verwendeten 27,037 Mark 99 Pf. und die ÄuSgabe für Bücherankauf, Wandervorträge, für daS Volks museum und die allgemeinen Unkosten. Ueberscbaut man die bisherige Wirksamkeit der Gesellschaft, so wird ihr Niemand daS Zeugniß verweigern können, daß sie sich mit Ernst und Eifer der hohen Aufgabe der Verbreitung von Bildung und Gesittung cm deutschen Volke gewidmet hat. Nicht minder rechnen wir eS der Gesellschaft zum Ruhme an, daß sie in neuester Zeit bemüht war, auch durch die Pflege edler Vergnügungen einen sittlichen Einfluß aus daS Volk auszuüben. AlS ein Zeugniß deS Geistes, in welchem die Ge sellschaft zu wirken sucht, führen wir einige Bemer kungen des Generalsccretairs JuliuS Lippert an, welche derselbe jüngst über den Werth wirklichen Wissen« auS Anlaß der jüngsten Frevelthat auf den Kaiser in seinem „Bildung-Verein" Wröffent- lichte. Lippert unterscheidet mit Recht daS positive Wissen von dem bloßen Speculiren und erblickt einen Krebsschaden unserer isogenannten deutschen und namentlich volkSwirthschaftlichen Gelehrsamkeit darin, daß wir »u viel speculiren und deduciren und luftige Gesellschaftsgebilde bauen, anstatt unS mit den harten Thatsacyen deS Lebens zu beschäf, tigen und sie verstehen zu lernen. rlrues Theater. Leipzig, 15. Juni. Ein ziemlich bunteS Ge misch dramatischer Blüthen und Blätter (darunter ein verwelkte-) wurde unS gestern zum Strauß zusammengebunden und präsentirt. Zunächst wurde eine Holberg'sche Spießbürger-Komödie: „Der geschwätzige Barbier" — eine nordische Mumie von lediglich antiquarischem Interesse, welche Eduard Devrcent offenbar auS Caprice oder auS nicht recht erklärlicher Pietät aus galva nisch-dramaturgischem Wege wieder in- Leben zu rückgerufen, reft>. für die moderne Bühne zn einem Einacter zurechtgestutzt hat, vorgefübrt. Man gab sich alle mögliche Mühe, da- für unseren modernen Geschmack unmögliche Stück genießbar zu machen, aber selbst die virtuoseste Zungendrescherei deS Barbier- konnte nicht Uber die bodenlose Nichtig keit der Handlung hinwegsetzen. Man kann sich beim besten Willen an dergleichen pointelosen Späßen deS Dialogs nicht erbauen, welche vielleicht manchen unserer Urvorfahren ganz ausnehmend ergötzt haben mögen. Der Inhalt deS burlesken Stückes dreht sich immer nur um daS selbstver schuldete Malheur deS schaumschlagenden Schwätzers, welcher eine nette ApothekerStochter heirathen will, aber bei dieser stet- absällt, weil er zu der vor schriftsmäßigen Liebeserklärung niemals gelangen kann und statt dieser stets entweder auf politische Belehrungen oder immer wieder auf die wörtlich wiederholte unerträgliche Erzählung seiner Reife von HaderSleben nach Kiel verfällt, biS ihm daS Mädchen vor der Nase weggeschnappt wird, und zwar mit Fug und Recht. — Damit diese Affairc nicht zu trocken und einförmig bleibt, hat der Dichter dafür gesorgt, daß durch auSgetheilte uud gedrohte Ohrfeigen schlagkräftige Effecte in die Handlung koinmen. Freilich bekommt dabei auch der bessere Geschmack deS Auditoriums manche Ohrfeige, uud man ist schließlich froh, die geduld- mordende Reise von HaderSleben nach Kiel nicht noch häufiger al- 7—8 mal erzählt zu hören. — Herr Sontag als Barbier Westphaler stattete seine keineswegs brillante Rolle mit dem nöthigea altfränkische« Humor auS und leistete daS Mög- lichste in Zungengeläusigkeit. Wenn er in dieser Rolle weniger Beifall errang, als in anderen, so lag daS nur an der Unverdaulichkeit de- Stücke- und dessen Naivetäten, die wohl nirgends mehr goutirt werden. Neben ihm gaben die Herren Tietz (Apotheker), Schubert (Gotthard) und Mauthner (Procurator) dem Barbier an flotter sunae und quecksilberigem Spiel wenig nach. Fra» leih mann (Mutter Gunild) wußte ihre« Straf predigten an den querköpfigen und querzünaige» Sohn mehr Nachdruck zu geben, als ihren Ohr feigen, die entschieden zu wenig Resonanz hatten. AuS den wenig redenden und auch nichtssagenden Damen, der ApothekerStochter Leonora und deren Magd Dortchen, war beim besten Willen nicht- zu macyen, also versuchten eS Frl. Reichenbach und Frl. Räder ohne Erfolg, ebenso wenig Grund hatte Herr Stöckel, sich mit seiner fast stummen Liebhaberrolle deS Destillirers Leonard besonder- anzustrengen. Die Herren Broda (Schenkwirth), Katzorke undSchwendt (Bürger) dursten we nigsten- redlich grob werden und daS thaten sie zur Genüge. Durch die folgenden hinreichend bekannten und meist recht wirksamen Lustspiele: „Wenn Frauen weinen" von A. v. Winterfeld, und „Ein Knopf" von I. Rosen wurde die barbieriscb > Langeweile wieder abgestreist und für den Thea N r abend auch eine ganz erwünschte Steigerung er zielt. Im elfteren Stücke erweckte besonder- da- exquisite Zusammenspiel deS Herrn Sontag (Hr. v. Stein) und der Frau Gei st in ger (seine Frau Bertha) Applaus. Der Gast beutete die amüsan testen Momente deS Stückes, welches durch seine Situationskomik immer wieder gefällt, künstlerisch, aber ohne Künstelei auS, namentlich weinte und jammerte er so komisch herzbrechend, daß herz liches Lachen nicht ausbleiben konnte. Ebenso fingirte Frau Geistinger das spekulative Weinen sehr naturwahr und hob überhaupt durch elegante- Auftreten, anmuthigeS Spiel und musterhafte Diction ihre an sich nicht gerade bedeutende Rolle bestens hervor. Die gelehrige Schülerin der Eva-Künste, Clotilde von Roden, hatte in Frl. Tulling er eine ganz angemessene Vertretung gesunden, ,leben welcher auch Herr Stöckel alS überlisteter Ehegatte Albert v. Roden seiner Ausgabe vollkommen gerecht wurde. Der weichberzige und flitterwochenneidische Kellner Jean ist als eine treffliche Leistung des Herrn Tietz schon von früher bekannt. Wenn man daS auf recht unwahrscheinlichen Mißverständnissen basirte Lustspiel von Rosen öfter gesehen hat, verliert eS eigentlich an Reiz, aber der unvergleichliche, wirklich typische Professor Bingen deS Herrn Sontag verleiht demselben immer wieder neuen Reiz. Für solchen ergötzlichen Knopshumor verdiente der Künstler schon allein etwas Neues ins Knopfloch, obwohl daran bereit« Ueberfluß vorhanden ist. Von den Mitwirkenden nahm sich dieSmal wieder Frl. Western ihrer kleinen Rolle alS Gabriele mit löblichem Eifer an und auch Herr Johannes (Professor Blatt) und Frl. Tultingcr (Bertha Walter) verfehlten ihre Ausgaben nicht, nur daß der erstere den ver liebten Freier zu wenig markirte und letztere etwas koketter hätte spielen sollen. Der Schluß deS Stückchen« wurde einigermaßen überhastet. B. Seuberlich. vermischtes. * Da- Telegramm auS Kiel, welche« vor einer Woche die Runde durch alle Zeitungen machte und welches meldete, da- daß daS projectirte Musik- fest m Kiel der Zeitereignisse halber nicht abge halten werden solle, hat sich alS durchaus unrichtig erwiesen. DaS Musiksest wird unter Vetheiligung von über 500 Mitwirkenden in Thor und Orchester am 23. und 24. Juni gefeiert werden Fest- Dirigent ist Herr Capellmeister Reiuicke, Solisten sind: SopranFrauPeschka-Leutner, Alt Frau Joachim. Tenor Herr von Witt, Baß Herr Gura, Violine Herr Joachim. Am ersten Tage kommt der „Juda-MaccabäuS" von Händel zur Aufführung, am zweiten Festtage bildet die neunte Symphonie von Beethoven den Schwerpunkt veS AbendS, während außerdem die Solo- Vorträge der genannten Solisten und eine »eue Fest-Ouverture von Rein ecke den Abend vervoll ständigen werden. Auf besonderen Wunsch deS Fest-Dirigenten sind die Herren Gumbert (Horn), Hinke (Oboe) und Weißenborn (Fagott) von Leipzig zur Mitwirkung im Orchester eiugeladen worden. Lunstverein. Sonntag, 16 Juni. Ne« ausgestellt: eine Land schaft von Eduard Schleich („Jsargegend"), eine Landschaft vo« A. Li er („Abend am See"), ein Genrebild von Carl Hertel („Jungdeutsch land") und ein von H Efsenberger im Auf trag de- hiesigen KünstlervereinS auSgesührteS EhrenmitgliedS-Diplom für Professor C. F Lesstng.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)