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„Der Herr arbeitet zu viel! Der Herr verdickt sich das Blut. Ich habe es dem Herrn oft genug gesagt, auch Herr Moncilain hat es gethan. Aber was helfen Arzt und Haushälterin? Der Herr hörte weder auf den Einen noch auf die Andere. Ich werde alfo dem jungen Mann sagen, daß er ein anderes Mal wiederkommen soll." „Geh!" Sie ging bis an die Thür und kehrte wieder zurück: „Es ist bereits zum zweiten Male, daß der arme junge Mann wiederkommt. Ich habe ihm gesagt, sein Sie so gut und kommen Sie um 4 Uhr wieder, dann finden sie ihn ganz gewiß, denn um diese Zeit kommt er an allen Tagen, wenn nicht gespielt wird aus dem Theater, und heute wird nicht gespielt. Es schadet indeß nicht, er kann Sie morgen sehen." „Hm, Laforest! Du interesfirst dich für den jungen Mann, wie es scheint?" „Nun ja, Sie haben recht; der junge Mann ist so hübsch gekleidet, und dabei so sanft, so traurig. Ist Herr liupuelin üeülu- liere zu Haufe? Kann ich die Ehre haben ihn zu sehn? Würden Sie wohl die Güte haben, Madame, und ihn fragen, ob er mei nen Besuch annehmen will? Und das sagt er mit einer so einschmeichelnden Stimme, und er richtete mit seinen großen Augen so bittende Blicke auf mich; ich halte mich überzeugt, daß er bei den ersten Worten Ihr Herz gewinnen würde." „Nun, Laforest! so führe deinen Schütz ling ein." Frau Laforest war eine gute Menschen kennerin; der junge Mann nährte sich Moliere mit solcher Bescheidenheit, solchem Erröthen, solcher Verlegenheit und Grazie, daß der Kranke in seinem Empfange mehr Wohlwollen und Diensteifer legte, als man sonst wohl bei einer unbekannten Person zu thun pflegt. „Mein Herr!" stotterte der junge Mann, „ich heiße Racine; ich wollte Sie bitten, mich Ihres Rathes zu würdigen; ich bin der Ver fasser eines heroischen Schauspiels." „Das ist eine sehr gefährliche Laufbahn, die sie da beginnen, junger Mann, seufzte Moliere, und wenn Sie nicht von einem ge bieterischen Rufe, dem man, wie ich weiß, nicht wiederstehen kann, fortgerissen werden, stehen Sie davon ab und ergreifen eine andere Beschäftigung." Entmuthigt durch diesen strengen Eingang, beobachtete Racine ein Schweigen, das mehrere Minuten dauerte. Moliere war wieder in sein finsteres Nachgrü beln versunken. „Ich bitte Sie um Verzeihung, mein Herr! sagte Moliere endlich; aber ich empfinde stets einen tiefen Schmerz, wenn ich einen jungen Mann voll Lebenshoffnung und Phantasie sehe, der die Freuden seines Jünglingsalters seiner Heiterkeit, sein sorgloses Lächeln, sein Familienleben, für die Sorgen, Widerwärtig keiten und steten Zweifel, welche die drama tische Laufbahn ihm darbietct, eintauschen will, dieser Kelch des Ruhmes ist ein bitterer Kelch. Er ist bis zum Tode mit Bitterkeit und Trauer erfüllt, wie der an der Schädel stätte. Ein glücklicher Erfolg ist nicht hinrei chend, das Herz mit Freude zu erfüllen; ein mißlungener aber erfüllt es mit Verzweiflung. Auch sie werden mehr als einmal diesen grau samen Zweifel empfinden: sie werden erfahren, was sie durch ihn leiden müssen, nicht zu ge denken der Verlaumdung, der Verfolgung, des eifersüchtigen Hasses und vieN-'-ve t,-- Armuth, denen sie blosgestellt sino.-- Er bedeckte seine Stirn mit der Hand und die Thränen liefen ihm von der Wange herab. „Aber, Verzeihung mein Herr! Verzeihung! Ich lasse mich zu sehr von schmerzlichen Ge fühlen und Erinnerungen hinreißcn.... Wel ches ist der Titel Ihres Stückes?" „lüeaFene et (Larielee, mein Herr. Hier ist es. Und jetzt werde ich ihnen einige Verse daraus vorlesen, wenn sie es mir er lauben."