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Ist 748 Wir fuhren weiter; da begann ein Soldat, der au- Italien kam, im Wagen mit lauter Stimme ein Lied, da- allgemeine Theilnahme fand, auch die meinige. ES begann mit den ersten zwei Strophen de- alten, aber ewig schönen Liede-: „Wir sitzen so fröhlich beisammen Und haben einander so lieb," u. s. w. Dann aber ging es merkwürdig variirend weiter: „Die Deutschen die stehn wie die Mauern, Die haben gar lustigen Sinn; O Franzosen ihr seid zu bedauern, Wir legen die Waffen nicht hin. Wir legen die Waffen nicht nieder, Bis Italien giebt einen Ruh, Bi- die Lumpen Franzostlein laufen Mit Schimpf, ohne Strümps, ohne Schuh " „So singen wir jetzt in Italien!" sagte er dann; laute- Bravo erscholl, und ec mußte da- Lied wiederholen. Vor Prag füllte sich der Wagen mit Kerlen, die mit den Ellenbogen sich dermaßen Platz machten, daß ich darüber im Stillen ethnographische Bemerkungen machte, die ich unterdrückte. Ich bewundere diesen GesichtSausdruck von brutaler Selbstsucht, kolossaler Rücksichtslosigkeit und Energie und diesen völligen Mangel an Anmuth, den man da herum antrifft. Andererseits liegt in diesen Individuen eine Komik, die unwiderstehlich ist. Sie liegt in dem Wahne, der ihnen eigen ist, indem sie glauben, Alle- zu verstehen, daher sich in Alle- mischen und Alle- doch nur mißverstehen, was sie freilich nicht ahnen! Es imponirt ihnen nichts, aber nicht wegen eigner Bedeutsamkeit, sondern aus Unverstand. In Bodenbach wurde es lieblicher. Wie wohl mir die humane Form des Umgangs that, die man hier schon bei den Sachsen durchaus findet, kann ich nicht beschreiben. Diese heitere Freund lichkeit, diese Seelengüte, die in dem singenden Ton der Sprache liegt — thut Einem unendlich wohl. Sachsen hat seit fünfzehn Jahren Riesenfortschritte gemacht. Halle (wo Verfasser ebenfalls studirt chatte) ist gar nicht mehr zu erkennen. Leipzig hat sich namentlich ganz außerordentlich vergrößert... Wie die Industrie, der Landbau, die Bildung gediehen in dieser Zwischenzeit, das ist außerordentlich. Man muß die Dorfjugend einmal auf dem Turn plätze oder beim Männergesangverein sehen, ob man sie nicht in Haltung, Anstand, Sprache für Studenten halten könnte! Wenn man Deutschland jetzt sieht und noch nicht an die große Zukunft dieses Volkes glaubt, so ist man eben blind. Und nun rede man mit dem Volke, diese klare politische Einsicht, das erweckte Selbst gefühl, das sich bis zum Nationalstolz erhebt, diese allgemeine Lust, dreinzuschlagen, im Falle wir angegriffen würden — eS ist eine Freude! — In Leipzig konnte ich mir'- nicht versagen, einen berühmten Buchhändler, den Verleger und Mitarbeiter des deutschen Wörter buchs der Gebrüder Grimm, zu besuchen. Ja, aber das ist nicht Alles, man lerne ihn als Goethekenner kennen, als Mann von Geschmack und Urtheil und frage dann, ob andere Völker auch solche Buchhändler haben?! Man sage nicht, (er) sei eine Aus nähme; er ist nur ein besonder- schöne- Exemplar (— um mich buchhändlerisch auszudrücken —) von einem deutschen Buch händler im besten Sinne; Feinheit des Geistes, Gelehrsamkeit, Geschmack wird bei diesem Stande immer allgemeiner. Ich bin überzeugt, daß mit dem Zunehmen dieser Eigenschaften auch dieser ganze Geschäftszweig sich veredeln wird: das geistige Eigenthum des Schriftstellers wird der gebildete Buchhändler respectiren und seinen Vortheil darin sehen, daß er der aufrichtige Freund desselben wird..." So weit der Leipziger Brief. In einem Briefe aus Weimar vom 10. September heißt eS noch u. A.: „...Daß Sie nicht sagen, daß ich nur Vorzüge Deutschlands notire, seien hier einige Dinge angemerkt, in denen z. B. Sachsen hinter Oesterreich zurücksteht. Erstens wurde mir in Sachsen zweimal in zwei Tagen die Paßkarte abgenommen. Zweitens ist der Kaffee schlecht. DrittmS sind alle Arten Handschuhe schlechter und theurer als bei unS. Viertens kennt man hier nur die ab scheulichsten Schwefelzündhölzchen! Fünften- sind die Männer- kleiderschnitte abominabel!" Leipziger Photographien. XI. „Lieber Mann, wir haben Anfang Februar, e- ist also die höchste Zeit!" sagte Frau Theezett zu ihrem Gatten und zwar zum dritten Mal in dieser Woche, so daß ihm der Rede Ginn nicht dunkel sein konnte. „Haft ja kaum Deinen Thee gegeben!" sagte Jeremias und nahm den Kalender. „Ein Thee ist kein Diner!" „Und hier steht ja auch schon Dein Kaffee für nächste Woche anberaumt." „Gott, das ist ja seit dreißig Jahren immer geschehen. Aber da« Diner, das Diner! Du weißt, es ist unwiderruflich! Der gute Jeremias war ein vortrefflicher Lebensgefährte, imrtter fügsam, schmiegsam und biegsam, aber kein Freund von solchen häuslichen Revolutionen, wie sie unwiderrufliche Diner- mit sich bringen. Wenn seine Dorinka — sie war sehr weit her, übrigens eine vortreffliche Lebensgefährtin, immer elastisch, phantastisch und drastisch — ihren Kaffee oder Thee gab, verschwand Jeremia- so fort nach seinem Morgenkaffee, um erst des Abends späte zurück zukehren. Schon die Vorbereitungen zu einer solchen Kaffee- oder Thee - Unterhaltung, das Entkleiden der Mobilien von ihren grau leinenen und Florhüllen, das Poliren, Frottiren und Schimpfiren in der guten Stube, die sanften Reprimanden in der Küche — die Köchin ließ sich nicht viel sagen, sie war immer in vornehmm Häusern gewesen und sie wußte selbst, was sie zu thun hatte — und endlich da- an solchen schweren Tagen gewöhnlich mißrathende Mittagsmahl war Jeremiä ein Greuel. Unter dem vollkommenen Einverständnisse der Festgeberin verschwand er dann und that, als wenn er Hagestolz oder Strohwitwer wäre. ES war ihm an sol chen Kaffee- und Lheetagen gar nicht so übel, denn dieser ephe mere Witwerstand brachte doch eine kleine Variation in das eheliche Tiktakleben, das nur ganz alten Ehegesponsen behagen kann, und Jeremias war zwar ein angehender alter aber noch kräftiger Knabe. Junge Ehemänner haben hier gar nicht mit zu reden; die wissen den Teufel von einer Variation außerhalb ihrer vier Pfähle, und wenn ja einmal ein Ehemännchen leichten Sinnes eine Variation aufspielen will — denn Ausnahmen giebt es in allen fünf Welt- theilen — so giebt e-, Gott sei Dank, noch Schwiegerältern, die hier allerdings mit zu reden haben. Und ich frage Sie, was sollte auch Jeremias zu Hause, wenn an die vierzig Damen da Kaffee trinken und sich ohne ihn vortrefflich unterhalten? WaS sollte er denn, da er überhaupt nur eine Tasse schwarzen trank, und was sollte er denn reden, da er doch nicht zu Worte gekommen wäre? Eine gerechte Frau erbarmt sich überhaupt ihres Mannes und sagt dann: „Geh, Vater, aber um zehn spätestens sei wieder da!" Frau Theezett machte allerdings hierin eine Ausnahme, wenn sie Vapeurs hatte, was nicht seltey der Fall war; sie sagte sie hätte Nerven, und wollte sagen, sie wäre nervös, und deshalb hätte sie es oft gern gesehen, wmn Theezett die Kaffee-Honneur- gemacht hätte. Aber gerade hierin machte der fügsame Lebensgefährte eine Ausnahme von der Fügsamkeit und sagte dann immer: „LiebeS Dorinkachen, nicht zehn Pferde halten mich heute hier!" Und so mußte Frau Theezett mit ihren Nerven immer selber die Honneurs machen. Jeremias schlenkerte dann gegen neun Uhr in- Rosenthal, das ihm immer neu war, weil er nur auS Verzweiflung hierher ging; er las die zerlesenen Zeitungen, erbarmte sich eines abgelebten Pfannkuchens und schlenderte wieder in die Stadt und zu ihren Sehenswürdigkeiten, die er an Markttagen besonder- zahlreich fand. Dann genoß er zwei Nürnberger in Pologne, ein dito bei Bar mann und aus Verzweiflung noch ein Schnittchen bei Reise, nur ein Schnittchen aber, denn nun war die Zeit gekommen, wo der Mensch frühstücken muß. Das Frühstück bahnte dann in sanfter Weise den Uebergang zum Mittagessen an, bei dem er still vor sich hin lächelte, weil Dorinkachen heute nur Saucischen hatte. Des Nachmittags rettete er sich in da- Cafe Gößwein und nach einem Besuche der Charcuterie, wo er einen ääLüon äu Aor6, von schöner Hand gereicht, zu sich nahm, begannen wieder die Ganzen und die Schnittchen und Schöppchen, bis er um zehn Uhr selig ausrufen konnte: „Willkommen, o seliger Abend!" Aber heute hatte die Gattin von dem unwiderruflichen Diner gesprochen, und die Lage war bedeutend ernster. Hier war an kein Entrinnen zu denken und er mußte selbst mit Hand an die Vor bereitungen legen; er hatte zwar weder Sitz noch Stimme darüber, wer einzuladen und wie die Reihefolge der Gerichte zu wählen sei, aber er mußte hinab in dm Keller und hinauf auf den Bodm, mußte die BilletS ausfüllen und drei-, vier-, fünfmal zur Madame Lex, zu Nümberg und zu Seifen laufen, und da- waren ja nur die Vorbereitungen, da- eigentliche Schreckliche kam ja erst noch! „Also ich dächte nächsten Montag!" „Ja wohl, Dorinkachen, nächsten Montag!" war der Schluß der ehelichen Debatte, und Jede- ging an sein Werk. Dorinka machte der Madame Lex einen vorläufigen Besuch, denn Ma dame Lex war ihr in Sachen Diner Gesetz, und Jeremia- setzte sich leben-müde an den Schreibtisch und begann die Einladungen mit den Namen auszufüllen, deren Liste seine Gattin mit kühnen Zügen entworfen hatte. „Wer um Mose- Willen mag das Diner erfunden haben!" murmelte Jeremia-, der gern gut, gern viel und gern allein aß. „WaS geht wohl über ein gute- Essen unter vier Augm, oder auch solo! Wie himmlisch ißt e- sich im Hau-rocke, ohne Stiefel und Halsbinde, ohne Complimentir - Redensarten und lederne Toaste! Na, auch dieser Kelch wird an mir vorübergehen! „Herr und Frau Immerda werden"... halt! die haben drei Töchter... nebst Fräulein Töchtern ... Söhne sind leider nicht vorhanden, 'S wäre gleich eine Parthie zusammen gewesen! — „Herr und Frau Wasserfeind" ... den? Da-ist merkwürdig, da kommt mir Dorinka curio- vor ... Der wirft nur Rothwein, nie Weiß wein um ... na, mich geht da- am Ende gar nicht- an! —