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Leipziger Photographie«. m. Für un- alte Herren — lch bin nämlich ein ältliche- Herrchen — ist ein Ball immer noch eine prächtige Sache, ein Bild längst vergangener glücklicher Stunden, in denen man die Welt und die Menschen durch dunte- Gla< beschaute. Da lehnt man an der Wand und träumt von der Vergangenheit, die hier lebendig wie der vor die Augen tritt. Dort, wo da- schöne Mädchen im gelbm Kleide sitzt und schon zum zehnten Male lachend bedauert, nicht einm einzigen Tanz mehr frei zu haben, dort saß einst auch ein Mädchen, das noch unendlich schöner war. , Sie lachte nicht, als ich zu spät kam und keinen Tanz erhielt, aber sie lächelte so sanft und hold, als ich dann gar nicht tanzte Und ein andere- Mal saß sie dort, wo eben die graue Mutter der krapprothen Tochter versichert, daß sie wieder die Schönste im ganzen Saale sei. Diesmal war ich zur rechten Stunde da, und dasselbe sanfte Lächeln, dasselbe Erröthen begrüßte mich und ich bekam zwei Tänze. Zu Hause im Pulte link- liegen noch die vergilbten Blätter, die verdorrten Blumen und verblaßten Bänder, die sie mir gab, die sie und mich überdauern. Zwei Tänze und dabei tausend Worte der Liebe! Die beiden Pärchen, die vor und hinter uns gingen, hörten nicht auf unser Flüstern; sie flüsterten gewiß dieselben Worte. Ja, sie war die Schönste und Beste von Allen, viel sanfter als Du, gelbe, und viel schöner als Du, krapprothe Jungfrau! Vorbei, vorbei! — Ich will nicht in die Fußtapfen Storchbein- treten, der dort auf der Erhöhung die künftigen Tobten zählt, die Kosten der prachtvollen Dekorationen und Ga-flambeau- von dem Ertrage der Tafel abzieht und sich dann zu den liebenswürdigen Wirthen mit dm Motten wendet, daß er alle Ursache habe, auf Grund feiner Calculation ihnen Glück zu wünschen, worauf Beide sich die Hände reiben, der Eine diplomatisch lächelt, der Andere aber lacht und Beide sich verbindlich verneigen. Nein, ich gehe in metnm alten Tagen noch auf dm Ball, auch um froh zu sein, nicht allein um schwer- müthig zu träumen. Mögen seine wechselnden Bilder schlum mernde Erinnerungen an Wohl und Wehe wach rufen, die herabschmetternde Trompete übettönt endlich doch die seufzenden Ach! und Einst! Die schönen strahlenden Mädchen fesseln endlich doch da- trübe Auge, und eine edle Flasche Lethe muß ewiges, muß für heute Vergessen bringen. Finchen und der junge Commerzimrath schwammen aus einem Wonnemeer m da- andere. Sie tanzte gottvoll, er tanzte gott voll. In der Polka machte er die üblichen Capriolm und Variationen und ihre Füßchen gingen mit tiefem Verständniß auf seine Intentionen ein. Ihre Meisterschaft gipfelte sich im Rheinländer, den sie so naiv und er so ultragraziös tanzte, daß ihre Tanzlehrerin eine gerührte Thräne im Auge bei Zeiten zer drückt haben würde. Da- Pärchen machte ringsum im Kreise Furore, und die nächste Folge war, daß der angenehme Mensch für nächsten Sonntag zu einem „Nierenstückchen* eingeladen wurde, worüber Finchen erröthend die langen Wimpern senkte. Eine andere Folge war, daß Finchen- Tänze reißend abgingen und daß da- blaue HahnemannS Mariechen au- Eifersucht grün wurde. Selbst HahnemannS, dir sonst zu Nadelsteins in den freundlichsten Beziehungen standen, tadelten eS mit herben, bittem und salzigen Bemerkungen, daß NadelsteinS „ da- Kind so con- tinuirlich tanzen ließen *, und es schien sich in den freundlichen Beziehungen eine bedenkliche Kühle zu entwickeln, die in Kälte auszuarten drohte, als Mariechen- stiller Anbeter, auch Kauf mann, eine Schwenkung nach Finchen machte, die aber noch rechtzeitig durch Madam Hahnemann vereitelt wurde. Ein Ball ist ein Stück vom Markte de- Lebens. Man geht nicht allein des Vergnügen- wegen dahin, gewisse Zwecke, gewisse Interessen laufen immer nebenher. Storchbein ist überall und nirgend-; bald sitzt er hinter einer Mama, bald hinter dm Töchtern, jetzt hat er einem Pärchen gegenüber Posto gefaßt, von dem er weiß, „daß sie sich nicht kriegen sollen*, und die tiefen Seufzer, die er hier hört, lassen ihn weiter wandeln, den« er fühlt wie Du den Schmerz. Dort sitzen die lieben Neuvermählten, denkt er, dahin, Alter, laß un- ziehn. Aber er traut seinen Ohren und Augm nicht, was er hier hören und sehen muß, und er bedauert e- tief und innig, daß sie sich gekriegt haben. So hört er entsetzlich viele entsetzliche Dinge und hat entsetzlich viel zu denken. „ Er kommt nicht!" sagt traurig ein bleiche- hübsche- Mäd chen in einfacher Toilette zu ihrer Begleiterin. Ihre Augen irren schon seit einer Stunde in der Menge der Bauherren um her und suchen ihn, denn „ihr Busm drängt sich zu ihm hin!* Seine Freunde sind da, aber wo ist er? Sie glaubte ihn schon einige Male entdeckt zu haben, aber die uniforme Kleidung der Herren täuschte sie. Ueberall der schwarze Frack, die weiße Weste und weiße Binde, hier und da Einer mit einem schmalen AtlaS- streifchm um den steifleinenen Hal-kragm, dm die Mbde um den HülS würgt, daß der arme Mensch dm Anblick eine- halb Er drosselten barbieret. Er kommt nicht! sagt sie und möchte einm seiner Freunde fragen, warum. — Nein, arme- Herz, er komme 15S nicht. Ja, er war immer hier, weil Du hier warst, er hat oft mit Dir getanzt und geflüstert, hat Dir oft gesagt, daß Du schön bist, aber jetzt hat er eine Schwenkung nach einer Andern ge macht, mit der ein ewiger Bund ihm räthlicher erscheint als mit Dir, und weil Du heute hier bist, ist er nicht hier. Seine Freunde kennm da- neue Verhältniß und könnten Dir AlleS sagrn, aber die habm Bessere- zu thun. „Weiß Gott, Heidchen (kommt her von Adelheid, wie Jdchen von Adelaide), weiß Gott, ich kann Hinsehen, wohin ich will. Du bist doch die Schönste!" sagt eine andere Mama, eben al- unser Frmnd vorüberspaziert, und eS ist ihm, al- ob er die Hände auf da- Haupt der Mutter legen sollt', betend, daß Gott sie er halte so — so — na, so munter und so hold. „Tanz' doch, liebe- Kind!* sagt ein ältliche- Herrchen ganz harmlos und ganz herzlich zu seiner jungen Frau, die allerdings auch ganz herzlich gern tanzm möchte. Aber die brave junge Frau kennt diese Aufforderung zum Tanz ganz genau, denn in gute- Deutsch übersetzt würde sie ungefähr lauten: „Höre 'mal, ich würde mich abscheulich ärgern, wmn Du mich mißverstehen und tanzen würdest, denn ich alter Schwede kann unmöglich meine Freude daran haben, meine junge hübsche Frau in den Armen eine- jungen Schweden schwärmerisch polken zu sehm. Und viel leicht gar linkSum, gradauS und recht-um und dann wieder linkS- um. Geht ja nicht! Wir trinken dann ein Fläschchen, mein Kind; Kühl hat dlkwobo!" „Ja, er ist kühl! Aber von seinem Standpunkte betrachtet, hat der alte Schwede recht, denn der Tanz ist eine sehr gefähr liche Sache!* sagte Storchbein, der dabei stand, und ging tief sinnig weiter. Zur Erwiederung. Wir wissen nicht, ob die Hausbesitzer rechtlich die Verbind lichkeit haben, die Trottoir- vor ihren Häusern vom Schnee zu reinigen und mit Sand zu bestreuen. Die Trottoirs sind so gut wie die Fahrstraße „öffentlicher Weg" und dienen dem gesammten Publicum; schwerlich können mit Grund Rechten- Einzelne zu dem angehalten werden, was nach der Natur der Sache und nach bekannten Rechtsgrundsätzen der Commun als solcher obliegt. Ist es daher, wenn es zur rechtlichen Entscheidung käme, wohl sehr die Frage, ob diese zu Unqunsten der Hausbesitzer auSfallen dürfte, so hat doch unsere- Wissens bis jetzt kein Hausbesitzer hierüber Streit angeregt. Sobald Seiten des löblichen StadtratheS die Aufforderung erlassen wurde, und meistens schon vorher, haben die Hausbesitzer gethan waS gewünscht wurde. Auch in diesen Tagen ist wohl nicht ein Hausbesitzer gewesen, der. da- Sand streuen u. s. w. gänzlich unterlassen hätte. Aber eben weil dies ein Dienst ist, den der Einzelne dem Ganzen leistet, und weil cs mindesten- zweifelyaft ist, ob eine Awangspflicht hierzu bestebt (wie denn auch in den meisten andern Städten davon keine Rede ist), eben deshalb sollte sowohl das Publicum als auch die Be hörde ihre Ansprüche billiger Weise auf da- Nöthiaste beschränken. Aus dem Publicum sind aber in letzter Zeit keine Klagen öffentlich laut geworden, und jeder Billigdenkende wird sich, selbst sagen, daß eS bei den Witterung-Verhältnissen der letzten Tage eben ein Ding der Unmöglichkeit ist, jede Glätte und jeden Hörpel zu tilgen. Auch der Einsender in Nr. 8 bezieht sich nicht auf eigene An schauung oder gar auf eingetretene UnglückSfälle, sondern nur darauf, daß über 900 Hausbesitzer denuncirt seien, und ist empört über diese Renitenz und diesen sogenannten Mangel an Gemeln- sinn. Ungewiß darüber, wa- für ihn Kriterium des Gemeinsinne sein mag, bemerken wir nur, daß die Denuncianten Rathsdiener sind. Wir wissen Nicht wie deren Instruction lautet, aber sie haben eben Instruction. Wenn aber, wie gesagt wird, der löbliche Stadtrath in Folge dessen an mehr al- 900 Hausbesitzer Straf auflagen erlassen haben sollte, so könnte Mancher glauben, die Hausbesitzer sollten auch die Kosten des Schneewegfahren- au- den Straßen mit übertragen, wäre nicht die bekannte Gerechtigkeits liebe de- geehrten Stadtraths außer allem Zweifel. Wir meinen, daß es besser gethan wäbe, wenn derselbe seine Diener anwiese, da, wo eS noch einer Nachhülfe bedarf, den Betreffenden zu sofortiger Abstellung in seinem, de- Dieners Beisein, in humaner Weise anzuhalten, al- durch Annahme und Verfolgung von 900 Denunciationen sich und Anderen unverhältnißmäßigen Aufwand an Zeit, Schreiberei und Kosten zu verursachen, und die- um so mehr, da auch vor den Häusern der Stadt zu kehren ist. 2. ^ Zur Tageschronik. Leipzig, den 9. Januar. Gestern Abend gegen 8 Uhr er schien in der Polizeiwache in höchst aufgeregtem Zustande, ein Doppelterzerol in der Hand haltend, der Hutmacher Hecht und beschuldigte sich selbst, daß er auf den Hutmachermeister Köst, bei welchem er in Arbeit stehe, geschossen habe. Die von Seiten de- PolizeiamteS sofort angestellten Erörterungen ergaben die Wahr heit der von H. ausgesprochenen Selbstanklagr. Derselbe hatte in