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2VS0» ^ ^7 Da da- Kind einen Namen haden muß, llsstl ich Sie, die hier waltete, Tricotine und Ihn, der hier eintrat, LouiS benamsen. (Den Teufel auch! Es wäre eine schöne Geschichte, wenn ich das Kind beim rechten Namen nennm und also ein wahrheits liebender Mensch sein wollte! Mit Wahrheit ist anständiger Weise und unter anständigen Leuten gar keine Unterhaltung zu führen, und der Wohlanstand gebietet entweder ewigliches Schweigen oder Unwahrheit. Unwahrheit, sage ich, merken Sie wohl auf, geliebter Leser, ich sage nicht Lüge, denn daS wäre ja eben eine unanständige Wahrheit.) Louis trat ein und überschaute mit mehr als einem düstern Blicke all den Comfort, den seine Zärt lichkeit für die holde Tricotine im Laufe eines halben Jahres hierhergezaubert hatte. Moccadüfte zogen noch über ihn hin und Alles athmrte hier eine liebenswürdige Liederlichkeit, denn überall verriethen noch die deutlichsten Spuren daS heitere Frühstück, daS Louis und Tricotine ihren Freunden und Freundinnen gestern gegeben hatten. Da standen noch Reste jener Gänseleberpastete äs Dvipsie, die allen Oorp, äv ballet der Erde den Magen zu verderben pflegt, von der aber die niedliche Tricotine nichtsdesto weniger heute wieder gefrühstückt hatte und morgen auch noch frühstücken wollte, vielleicht auch übermorgen. Dabei standen Champagnerflaschen, die mit Vergnügen für daS Oorps ihren Geist aufgegeben hatten und die das zärtliche äkerlchen, der LouiS, unter dem Garibaldi-Mantel der christlichen Liebe selbst herauf geschleppt hatte. Dort auf dem Fauteuil, dessen sich keine Gräfin, viel weniger eine Choreogräphin geschämt hätte, lagen leicht und lose einige unaussprechliche Toilettengegenstände, die gleichviel ob mit oder ohne Recht vom Professor Bock als für beide Ge schlechter gefährlich steckbrieflich verfolgt werden. Dort auf dem Marmortischchen lagen ihre süßen Haarwickel, die ihrem süßen Haar immer wieder natürliche Locken und Wellen gabm, und am Fenster wiegte sich ein Papagei, der die Worte: „Du bist wie eine Blume!" vortrefflich plappern konnte, aber jedesmal da bei herzlich lachte. In dem Cabinet, daS eine blaue Gardine vom Wohnzimmer trennte, sah es noch liebenswürdiger und liederlicher aus, und ich lasse deshalb den rothen Vorhang fallen. „So ständ' ich denn im letzten Glüh'n des Lebens!" monologte Louis und warf sich in den Fauteuil und auf die un aussprechlichen Gegenstände, die Tricotine ohne Naht liebte. Die zweite Zeile des Monologs, die Nacht und Tod in Aussicht stellt, ließ Louis weg und zog den Reim vor: „Es muß sein, und Alles ist vergebens!" Meine holden Leser werden jetzt einsehen, daß wir uns auf dem Schauplatze eines unzarten Verhältnisses befinden, und hier muß ich mir eine größere Parenthese gestatten. Es ist eine bemerkenswerte Erscheinung unseres Jahrhunderts, daß das verehrungswürdige Theaterpublicurn unter den mimischen Darstellern und Darstellerinnen immer gewisse Lieblinge hat, denen es auch außer der Bühne seine lebendigste Tbeilnahme entgegenträgt oder auch bis nach Hause nachträgt. Die edelsten Frauen schwärmen trotz ihrer hohen und höchsten Seelenreinheil vielleicht gerade jetzt für den ersten Liebhaber, der auf der Bühne zum Entzücken und außer der Bühne so unendlich liebenswürdig ist. Seine schöne volle Stimme, sein schlanker Wuchs und ach! die Gewalt seiner treuen herzigen Augen nehmen manches Herz seiner Liebhaberinnen gefangen, aber da dieses Herz eigentlich schon einem Andern gehört und ewig schweigen muß, so bleibt nichts übrig als — Liebhabertheaterliebhaberin zu werden. Einer Andern Sinn hat — vielleicht auch gerade jetzt — die Richtung nach dem Heldensänger, dessen Gesang und Spiel in der gestrigen Oper so hinreißend und verführerisch war, daß die edle seelenreine Frau fühlt, daß dieser Sängerheld doch gefährlicher ist als Reibe- danz, ihr Gatte. Aber Reibedanz, der nebenbei weder edel noch seelenrein ist, murmelte dieselben Worte vorgestern im Lustspiel der ersten Liebhaberin gegenüber, die ihm bei Weitem gefährlicher dünkt als Adelheidchen, seine Gattin. Und nun kommt die große Armee der Freunde, Verehrer, Anbeter und Liebhaber der himm lischen Pagen! „Sie Glücklicher", sagte eine junge Frau zu Jemand, „ich beneide Sie! Sie sind mir 3c. — 3k. ist hier eine bekannte Größe — befreundet, können mit ihm umgehen und den Zauber, den er als Künstler auSübt, auch im Menschen kennen lernen. Ein schönes Vorrecht!" seufzte die Schwärmerin traurig. „Ach, beste Freundin!" seufzte der Jemand, „daS kann keine Jungfrau, keine Frau für den Ritter fühlen, was wir für sei nen Pagen empfinden! Sie können die Tiefe unserer Gefühle nicht ermessen, wenn dieser Götterpaqe im Hamlet dem König Claudius folgend sich zur Rechten der Thür, daS Köpfchen auf die Seite geneigt, anfstellt, dieser Götterpage, der nächstens erste Liebhaberin und Louise, Gretchen, Ophelia sein wird! Ach, wann's da so schaukeln tbut, o das thut gut! Aber ich werde meinen Freund 3k. mit der Entdeckung beglücken, daß unter den Herzen, die für ihn schlagen, ein besonders zart besaitetes ist ... „Ja," rief die junge Frau erregt, „sagen Sie ihm, wie innig ich ihn verehre, sagen Sie ihm, daß ich nach der Vorstellung „DsS Hanfes Ehre* nöch dS» hatte Nacht um ihn geweint habe und » « „Und wa- noch, gefühlvolle Freundin?" „Und lassen Sie diese kleine Stickerei bei Jhkem nächsten Besuche auf seinem Sopha zurück!" flüsterte sie erröthend und schob dem Jemand ein riesige- Packet unter den Arm. Es war ein sehr hübscher Faullenzer mit seinem NamenSzuge. „Sie als Mann können kaum an demselben Eindrücke Theil haben, dm der Heldensänger auf uns macht!" sagte eine andere junge Frau. .„Er ist hinreißend verführerisch." „WaS finden Sie verführerisch?" „Die Grundgewalt seiner Donnerstimme und ..." „Und was noch, gefühlvolle Freundin?" „Und seine breite mächtige Brust! Das ist eitle Zuflucht für ein Weib! Wenn ich Ihn sehe, denke ich immer an die deutsche Eiche und fühle mich ganz Epheu, der sich treu und innig an ihr emporschlingt. Morgen ist Ihr Dürer ämriunt, bitte, lieber Freund, setzen Sie mich ..." „Versteht sich, liebe Freundin, neben die deutsche Eiche! Dann schlängeln Sie sich ..." „Pst! Mein Mann kommt!" „Sie haben Recht," sagte der Gatte der jungen Frau am Abende zu demselben Jemand, „daS ist wirklich ein Hauptpage! Er wird die Ophelia mit allem Zauber zur Gestaltung bringen und e- wird, wie der Theaterreferent sagt, eine ganz anständige Leistung sein. Wissen Sie, mich erfüllt schon lange eine recht nette Idee, die bei unsern Geschäftsfreunden vielen Anklang fin den wird, — ein Pagendiner l Nicht übel, he? „Sind Sie von Sinnen? Wenn das Ihre Frau ..." ^Den Teufel! An die habe ich nicht gedacht! Sie Glück licher, ich beneide Sie! Sie können den Zauber, den diese Pagen als Künstler auSüben, auch im ... im Privatleben kennen lernen ! Ein schöne« Vorrecht!" seufzte der Schwärmer traurig. Doch plötzlich erhob er sein schwermüthigeS Antlitz und die Sonne einer neuen netten Idee bestrahlte eS. „Mich durchblitzt ein rettender Gedanke," rief er,— „meine Frau geht nach Elster!" — Mit diesem compacten Gedankenstrich kann ich meine unver meidliche Parenthese hier schließen und zu meiner Tricotine und ihrem LouiS zurückkehren, der immer noch auf den Unaussprech lichen dumpf brütete. Er durchlebte in einer halben Stunde die schöne Zeit der jungen Liebe von sechs Monaten noch einmal, öffnete tiefsinnig zerstreut TricotinchenS Nähtischchen und fand da einen schmeichelhaften Mesalliance-Antrag, den Tricotine von einem noch ganz jungen Leipziger Lion erhalten hatte. „Den sendet mir ein Gott!" sagte LouiS groß und IaS: „TheureS Fräulein!" — Alle Wetter! Da hat er Recht! „Von meiner Ausbildung in Paris retournirt und mit meinem Vater zusammengetreten, verfehle ich nicht mit Vergnügen Ihnen, theures Mädchen, davon Kunde zu geben, daß ich Sie mit Grazie auf der Bühne erblickt und in Ihnen alle die seltenen Eigenschaften sowohl der Tanzkunst als der Mimik wiedergefunden habe, die ich in Paris gefunden habe. Es wird Ihnen deshalb kein Zweifel beikommen, daß es mein sehnlichstes Verlangen ist, Sie, theures Mädchen, näher kennen zu lernen, und ich muß Sie sprechen! Wo, wann und wie? bestimmen gefälligst Sie »ub X. X. po»1e restants! Vielleicht bei Ihrer Tante??" „Wahrscheinlich bei ihrer Tante!" lachte Louis ingrimmig. „Aber diese schaurige Verrätherei sendet mir ein Gott!" Da kam Tricotine, das theure Mädchen hereingeflattert. „Mein Louis!" schrie sie und wollte mit einem reizenden Hop- sas» ihm an den HalS, aber LouiS machte einen Entrechat zurück, denn er war eben hierher gekommen, um die ihm lieb gewordene Verbindung durch freundschaftliche« Uebereinkommen' aufzulösen. Es waren nur Aktiva vorhanden. „WaS ist Dir, wa- hast Du, LouiS?" rief der ahnungsvolle Engel. „Tricotine, Du hast mich verrathen! Aber ich verzeihe Ihnen! Wir wollen uns ruhig trennen. Leben Sie wohl, mein Fräulein!" „Heirathen Sie glücklich, Herr Louis!" sagte Tricotine heiter, die den. faulen Schwindel kannte. „Siewerden mir immer eine theure Erinnerung sein, Tricotine!" „Nur nicht anzüglich beim Abschiede, Herr LouiS!" „Alle-, was ich Ihnen gab, behalten Sie, nur um meine Photographie bitte ich! Sie könnte verwechselt werden." „Ihre Photographie ist billig, Herr LouiS! Hier haben Sie." „Und nun leben Sie wohl und trösten Sie sich, vielleicht bei Ihrer Tante " „Beim Onkel, Herr LouiS!" DaS zärtliche Paar lächelte, verneigte sich, LouiS verschwand und Tricotine setzte sich lustig hin und schrieb einige unleserliche Zeilen »ub X. X. po»ts rv»t»ut«.