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2868 U ^ Leipziger Photographien. xvm. Gute Laune ist, wie vemokritos sagt, erzeugt vom jungen Bacchus mit der lächelnden Venus, oder wie Milton missen will, von einem Zephyr, der am ersten Mai auf einem Bette von Rosen und Veilchen mit Aurora spielte. Ich schließe mich der ersteren Anschauung an, weil mir der spielende Zephyr am ersten Mai bei dieser Kälte etwas bedenklich Unwahrscheinliches hat. Dagegen hat Rembrandt van Ryn die erstere AnsVht hurch sein berühmtes Gemälde verbildlicht, das ihn mit seiner GatM, Cham pagnerwein trinkend darstellt. Hier sehen wir den jungen Bacchus mit der lächelnden Venus, und die gute Laune blitzt und sprüht aus Beider Augen. . - Sie nußtbpn. üßei irttzN, nrrrin Die glaubte», daß Venus und Bacchus die einzigen Erzeuger der guten Laune seien. DaS kön nen z. B. auch die vier Berliner sein, die in die Rheinische Weinstube eintraten und einen Schoppen Rothwein und vier Glaser forderten; das können auch die zwei Berliner sein, die bei Dähne zu ihrer Bratwurst vier Kümmelbrode ir l Gilbergroschen mit einem Viertelchen hinunterspülten; ja, daS kann auch der junge Berliner sein, der sich i« Lheatm vg» seinem ungesperote» Sitze dreimal auf den gesperrten hinüberschwindelte und von dem wachsamen Logenschließer-Veteranen dreimal zurückdirigirt wurde; und wer außer Berlin und seinen possirlichen Berlinern kann das Alles noch sein, der mich mit guter Laune versorgt! Ich sitze, vielleicht gerade recht schwermüthig, im Theater und suche vergeblich ein holdes Engelsangesicht, das mich erheitern könnte, ^.ber in der ungeheuren Oede gewahre ich nur ein paar Pos'.unenengel aus dem Altenburgischen, die lange schwankend endlich neben mir Platz nehmen, und die bauSbäckigen crinolinen- losen Wesen — erheitern mich, weil ich sehe, daß ihnen mein unvergeßlicher C. ein Altenburgisches Lächeln abgewinnt. (Das war einer Ihrer schönsten Erfolge an diesem Abende, theurer Freund eines jungen Amerikaners, daß Sie diese versteinerten Züge, diese kolossale Apathie, dieses verstockte Schweigen dieser Annemarien in ein Altenburgisches Lächeln zusammenschmolzen.) Ein anderes Mal suche ich, vielleicht wieder schwermüthig, wieder ein holdes Engelsangesicht und finde weder das noch ein paar Posaunenengel in Nationaltracht; aber da sehe ich unter den Bauermädchen beim Sternschießen im Freischütz eine heitere Balletwilwe, die die Prosceniumsloge mit Blicken von einem Ca- liber bombardirt, wie es nur bei gezogenen Kanonen zum Bresche schießen gewählt wird, und dieses Ealiber erheitert mich wieder und ich wundere mich nur, wie es der Witwer in der Loge aus- halten kann. 8»ers wills tonvsrrs! vous koi» mes eom- p1iment8, Ltonsreur! — (Es waltet der eigene Unstern über der Choreographie, daß so 'ne Balletwilwe immer wieder Witwe wird. Kaum hat sie, zurückgekehrt von dem Grade ihrer Hoff nungen, den Witwenschleier abgenommen, muß sie ihn wieder aufnehmen und es wird immer zurückgekehrt von den Gräbern und Abends wird getanzt. Es ist also doch auch möglich, daß man „mit Wehmuth" oder „mir namenlosem Schmerz" Milirairpolka, Radetzkymarsch und Feuerwehrgalopp tanzen kann.) Ein anderes Mal sitze ich einsam und trauere über das Ende aller Dinge, über das LooS des Schönen auf der Erde, denn Liebe, Mai und Morgenrot!) — sie dauern nimmermehr! Da tragen die Wellen eines kühlenden Schneclüftchens die Töne jener unvermeidlichen Orpheus-Quadrille an mein Ohr, und da es heute nur zum sechsten Male ist, erheitere ich mich, denn es giebt ein Ende aller Dinge, und draußen auf dem Dorsaal tanzt die Jungemagd mit dem Wichfier Polka, und das ist doch auch sehr heiter. Aber eS schneit und regnet, die Witterung ist für eine Photographie sehr ungünstig und ich bin wieder verdrießlich. Da bläst eine andere Schwefelbande die Orpheus-Quadrille zum siebenten Male, und nun hört wirklich Alles auf. Demokritos- sagt: „Mit einem Seufzer umfaßt der Humorist die Welt, und^ mit einem Lächeln verwischt er eigenes Unglück und fremdes." Das kann ich heute nicht und ich muß Lethe trinken. Wenn es auch nirgends Ruhe giebt, eS gAN doch noch Geisenheim« Rothenberg, und so trete ich finster und sehr verdrießlich in die Rheinische Weinstube. Da ist er schon, der ewig lächelnde Hal lore! Dieses ewig blühende, in ewiger Heiterkeit strahlende Antlitz, daS sich mit gewinnendem Lächeln zu mir herabneigt, ist hier eine periodische Erscheinung, in der That, es ist, wenn nicht eine Meß-Sehenswürdigkeit, doch eine Meß-Merkwürdigkeit, und noch ehe der Geisenheimer Rothenberg entpfropft ist, erheitert mich dieses beneidenswerthe Schmunzeln des ewig lächelnden Halloren. Er erkundigt sich, während er mein Glas füllt, nach meine«, Befinden. „Sehr verdrießlich, lieber Hallore!" „Um so besser ist der Geffenhelvn Hachenberg!" flüstert er auf mich herab, rückt mir das Glas zürecht und schmunzelt mich an. „Verdrießliche Witterung, lieber Hallore?" »A ich dächte nicht!" «eint er und lächelt hinan- in das Schn«- und Regenwetter. „<Me kann »ohl nicht- auf der Welt verdrießlich machen, lieber Hallore?" „V nein!" schmunzelt er. Das könnte mich nun schon wieder verdrießlich machen, aber dieser kostbare Hallore schenkt mir wieder ein und dieser kostbare Geisenheimer Rothenberg ist wirklich Lethe. „Haben Sie Kinder, lieber Hallore?" „Nein, ich bin eine kinderlose Waise!" sagt er und lächelt wieder äußerst vergnügt. Ein äußerst seltener Mensch! denke ich und präge mir seine Physiognomie für ewige Zeiten ein. - Jetzt bin ich aber wieder heiter. Mir gegenüber sitzt ein munterer Greks, und Ich habe gerade eine besondere Vorliebe für muntere Greise. Und der hier ist erstens ein Silbergreis und zweiten- eine bedeutende Mosel zunge, der man manche- sachverständige Urtheil tzblaußchen kann. Aber heute trinkt der muntere Greis meine Sötte, und unsere Gläser, zierlich und dünn wie ein Blatt, klingen zusammen und klingen in zitternden Schwingungen wie silberne Glöckchen. Und wir läuten den 1 Mai ein. „Auf den Frühling, auf die Jugend des JahreS!" rufe ich. „Auf die Jugend, auf den Frühling de- Leben-!" ruft der GilbergreiS. Und der Hallore lächelt herüber. Die italienische Oper. Seit längerer Zeit ist auf dem Leipziger Theater keine italienische Oper in der Ursprache gegeben worden, wie überhaupt während des letztvergangenen Jahrzehnt- nur sehr selten einmal Opern- gefellfchaften aus Italien nach Deutschland kamen, und diese wenigen (die Italiener abgerechnet, die bis vor kurzem alljährlich nach Wien kamen) auch nichts von wirklicher Bedeutung zu geben vermochten. Nachdem jedoch die italienische Saison bei dem k. k. Hofoyorqhheater st» Wien aufgehoben, wendeten sich die italienischen Zugvögel zunächst nach Berlin, wo sie die freundlichste und sogar eine begeisterte Aufnahme fanden, da sie in ihrer Mitte Gesangs künstler ersten Ranges hatten. ES war somit auch für Leipzig die Möglichkeit gegeben, einmal wieder italienische Opern von italienischen Sängern zu hören, und unser thätlger Bühnenvorstand ließ diese Gelegenheit, dem Publicum einen derartigen Genuß zu bereiten, nicht vorübergehen. Die Gesellschaft des Impresario Merelli, welche in den nächsten Tagen ihre Vorstellungen hier beginnen wird, besteht aus sehr tüchtigen Kräften, unter denen sich selbst einige Gesangs künstler von europäischem Ruf befinden. Vor allen sind als Sterne erster Größe die beiden Sängerinnen: Fräul. Zelia Trebelli und Frau Lorini-Moriani Hu nennen. Es haben dieselben den dreimonatlichen Urlaub, den sie nach Schluß der italienischen Vorstellungen in Berlin bis zum Beginn der Aufführungen in Leipzig erhielten, zu Gastspielen bei der italienischen Oper in Paris benutzt. Auch dort, wo man in diesem Genre das Beste zu sehen gewöhnt ist, haben Beide die größten Erfolge erzielt, wie nach folgende Recension in der Oo-ette ä« koris beweist: „DaS italienische Theater", schreibt genanntes Blatt, „giebt jetzt allabendlich Vorstellungen und erzielt damit gute neben weniger guten Einnahmen, je nachdem mehr oder weniger Interessantes geboten wird. Nach dem Debüt des Fräulein Trebelli im „Barbier von Sevilla" trat Frau Lorini-Moriani in „Her- nani" und „Semiramis" auf. Die Mittel dieser Sängerin sind so bedeutend, daß man sie mit pollem Recht eine Königin der Bühne nennen kann. Ihre hohe, edle Gestalt hat etwas Maje stätisch«-. Ihre sehr umfangreiche Sopranstimme ist äußerst bieg sam und, von prachtvollem Wohlklange. Da die Sängerin auch eine treffliche musikalische Bildung hat, kann sie mit derselben Leichtigkeit die Musik „Berdi'S", wie die „Rossini'-" singen. In „Hernani" wie in „SemiramiS" ward Frau Lorini-Moriani eine glänzende Aufnahme. Fräul. Trebekki errang in der Partie das Ursacas in „Semiramis" -tuen noch bedeutenderen Erfolg als im „Barbier von Sevilla." Das männliche Costüm fleht ihr allerliebst und ihre schöne Stimme kam in dem getragenen Gesang der größten tragischen Oper Rossim's noch mehr zur Geltung als bei den reichen Fiorituren und den pikanten Motiven der komischen Oper dieses Meisters. Sie hat einen vollständigen Sieg erfochten und sich damit in eine Reihe mit den in Paris am «eisten ge- feiertea italienischen Sängern gestellt " Aber auch ftkbst solche deutsche kritische Stimmen, die sonst lNicht sehe für da- italienische Genre eingenommen find, sprechen sich mir höchster Aner-mmmg über die Sänger« Trebelli aus. So sagt z. B. Brendels „Neue Aaitschr. f. Musik" in einer Correspondenz aus Berlin.» „Im königl. Opernhause aafllrt bekanntlich die Gesellschaft des Herrn Merelli, im Victoria-Theater die des Herrn Lorini. Beide suchen einander durch Heranziehung der hervorragendsten Kräfte