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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.10.1889
- Erscheinungsdatum
- 1889-10-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188910091
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18891009
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18891009
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1889
-
Monat
1889-10
- Tag 1889-10-09
-
Monat
1889-10
-
Jahr
1889
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.10.1889
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Erste Geilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger. Zi« 282. Mittwoch den 9. Oktober 1889. 83. JahMNg. Der Lüchelzauber. eia« elssssische Geschichte vo» Jenny Rorder-Ney. ^ kiichdrrxk «rdotrn. Frau B a r b a r a K o r n e m a n n, dieWirthinzum.Blauen Dauern" in Ratzenbausen, galt sür da» böseste Weib. da» im ganzen Scklettstabter Kreise zu finden war. Kein Armer nahte sich ihrer Thür. Ihre Hand ihat sich nicht einmal zur FasinacbtSzeil milde aus. trotzdem die Laudessitle eine allgemeine .Küchel"vertheilung verschreibt. Die Zunge der »übrigen Frau schnitt jede Bitte, noch ebe sie ausgesprochen war, ab. Verirrte sich einmal ein sremder Bettler in den Hof, so konnte er von Glück sagen, wen» er mit bloßen Schimpsreden davon kam und nicht ein Eimer Wasser oder ein Strobwisch die Bcaleitung übernahm. Man nannte de schlagfertige Gasthausbesitzerin daher nie ander» wie die „barbarische". Und sie war stolz aus diesen Beinamen. Denn keine Zweite verstand im Orte solch „barbarisch gute Küchel" zu backen oder die Fische in so verschiedenen, gleich wohlschmeckenden Saucen anzurichten. Ihre Kunstfertigkeit war durch eine lange Lebenserfahrung in vieler Herren Lander erworben. Frau Barbara war als „da- drüne Bärbel" ihrem Baker, einem Müller au» Gcrtweiler, vor einem Vierlcljahrhundert fortgelausen. Der im Dorfe gerade thtitige Werbemeister erzählte ihr soviel vom bunte» Krieg»» getümmcl und vom Leben in der großen Welt, daß sie nicht länger daheim am Spinnrad sitze» mochte. Sie ließ sich al» Marketenderin anwerben und zog mit den Straßburger Dragonern unter dem Oberst, nacbkerigen Marsckall Leboeus, nach Sebastopol. Der italienische Feldzug fand sie im Lande der Orangen und de» Parmesankäse». Sie war dem Kamps gewühl bei Magenta so nabe, daß etliche Kugeln unter die eben gebratenen Kartoffeln fielen. Unerschrocken setzte Barbara ihre Beschäftigung fort, ballte nur die Faust nach der feind lichen Seite und ries in ihrem elsässischen Dialekt: .Ähr Kerle, nicdige Ähr, verpfeffere Ähr mine .Krumm- bäre" net!" Der Marschall Mac Mahon heftete der kühnen Marketenderin die Verdienstmedaille dafür eigen händig an. Die Dragoner zogen nach Algier und Bärbele wacker mit. Auch China hatte den wuchtigen Schritt der elsässischen Maid gesuhlt, und sie wäre noch weiter gezogen, wenn sich nicht ein besonderer GlückSsall ereignet hätte. Einer der Adjutanten Palikao's batte sich beim Brande de» königliche» Sommerpalaste» in Peking außerordentlich bereichert, doch gleichzeitig eine schwere Verwundung zugezogen. Barbara pflegte ihn während der Krankheit in so rührender Weise, daß er ihr au» Dankbarkeit sein gesammtc» Vermögen verschrieb. Mit einem schönen Stück Geldes und vielen Kisten mit Seidenstoffen und Kostbarkeiten kehrte die Marketenderin nach ihrer Heimalh zurück. Die Familie empfing sic mit offenen Armen. Der Vater bedauerte nur, nicht eine zweite Tochter zu haben, welche die gleiche Laufbahn hätte einschlagen können. — „Ich wollt' schon bicde Uege zudrllcke und ihr »och in'» Cabriolet nach de Stadt führe laste! Denn hält' ick, wie de Gevattern lamentirt ha'n, us's Bärbele 'ne bessere Obackt g'ben, e« wär' »immer de rieche Mamsell g'worde, die sie heut isch. Se künnl' alleweil de fi nste Pariser Madamekulte trag'», wenn 's wollt', aber se isch zü modeste. ..." Bescheiden war die Barbara gerade nickt. E» gefiel ihr darum auch nicht sonderlich in der elterlichen Mühle. Nie mand machte Anstallen, sie sortzuholen. Gerlweiler ist voller Vorurtheile. Ein rechter Bauernsohn freit auch Keine, die nicht ererbtes Ansehen besitzt. Äede „Sippe" und „Friend- schasl" hätte sick geweigert, die „Aventürebärbel" al» nächste Verwandte i» de» Hof zu nehmen, ungeachtet sie noch jung und sehr hübsch war. Sie zog deshalb fort. Ähr Notar hatte ihr ein niedliches Anwesen in Ratzenbausen ausgekundschastet Es lag dem .Blaue» Bauern" gegenüber. Sie stand nun dort den ganzen Tag Uber an den klar geputzten Fenster» mit den bunte» ckinesiscken Seidcngardinen, in sckwere, farbenprächtige Stoffe gekleidet und reich mit Schmuck behängen. Ähre einzige Be schäftigung war da» Policen ihrer zahlreichen Ringe, wobei sie unaufhörlich »ach dem Wirlhshausc schielte und die Gäste musterte. Keiner derselben erregte so ihre Ausmerksauikeit wie der Wirth AloiS Kor ne mann selbst, der seit andert halb Äabrcn sich seine» WittwcrstandeS erfreute. Der Wunsch erwachte täglich lebhafter in ihr, dem lärmenden Treiben und geschäftigen Lebe» al» Wirtlim vorstehe» zu dürfen. Sic mußte recht viel zu befehlen, ordnen und einzurickten haben, auch dabei einen erquickliche» Zank führen können. Letzteres besouderS schien ihr des Dasein» höchste Freude. Sie konnte sich dieselbe jetzt nie gönnen. E>n großer Garten hielt nach jeder Seite die Nachbarn in angemessener Entfernung. Die taube Magd, der Hofhund, die Hauskatzc und die Hübner antworteten selbst aus die schärfsten Vorwürfe nicht! Die sehnsüchtigen Blicke nach dem „Blauen Bauern" wurden immer häufiger. Aloi» bemerkte sie schließlich, und da er kein Herz vo» Stein, aber ein Auge für Weiberschöuheit hatte, so machte er seinen Besuch. Die Leute in Gerlweiler erfuhren nach drei Monaten zu ihrer nicht geringen Verwunderung, daß die Bärbele ver- heirathet sei und als ehrsame Ehefrau und Gebieten» im ersten Gasthause von Ratzenbausen walle. Der arme AlmS hatte sich aber bitter getäuscht. Der erboffte Liebe-traum und daS sorglose Wohlleben erfüllten sich nicht. Der Braulcngel schien durch den Pr estersegen i» einen Ha»S- teusel verwandelt. Frau Barbara verwahrte nickt nur ihre eigenen Capitalien, sondern auch die ihre» Mannes. Sie sah wohl daraus, wo der tägliche Verdienst blieb. Die auS- gezeichneten Bissen waren zudem sür die Gäste, welche schwere« Geld dafür zahlten. Ähr Eheherr erhielt nur, was übrig blieb. Jedes Schöppchen Wein wurde ihm vorgerechnet. Er versuchte erst durch gute Worte, dann durch schärfere Reden und endlich durch handgreifliche Mittel sein We b zu bekehren. Doch Barbara blieb selbst in körperlicher Stärke und Ring» fertigtest die Siegerin. Ihre Streitsucht milderte nicht ein mal die Hoffnung, bald ein Pfänvlein ihre» ehelichen Glück» in den Armen zu wiegen. Sie ward im Eegentheil noch heftiger und tobsüchtiger. Kein Gesinde konnte mehr bei ihr aushalten. Neue Gesichter waren fast täglich unter den Dienst boten zu schaueu. Nur AloiS mußte bleiben. Der Gedanke an diese traurige Nothwenbigkeit peinigte ihn derartig, daß er eine» Tage» ganz tiefsinnig da» Hau» verließ. Er hatte die Kücbenschürze um und die Zipselkappe aus dem Kopse. Sein Weg führte ihn durch die Reden aus die Straße »ach Mullerhol), welche erst beim Rhein mündet. .Wohin so in der Früh', Monsieur Korneman» ?" fragte ein seldarbeitender Bauer. .Go Sc spazere?" „No. net ganz! Ich will Ünsire Herrgott ussuche," ant wortete er. „Ter isch weigher narrecht Word'» über sie» Zankiesen von Mied!" rief der Nachbar ihm nach, ließ Hacke und Rechen stehen und lief nach dem Dorse, diese Kunde weiter zu erzählen. Aloi- war indessen immer vorwärts gelaufen. Ein lieb liche» Maronenwäldcken nahm ihn bald auf. Einzelne sumpfige Stellen zwischen den Bäumen zeigten die Nähe de» großen Wasser» an. Ec warf »och einen Blick nach rückwärts. Die Vogesen breiteten sich in ihrer ganzen malerischen Gebirgs- pracht vor ibm a»S, wie eine riesige Kette vielfarbigen Edel metall». Die schneebedeckten Firnen de» Oberlandes grüßten freundlich hervor. Die Krckthürme von Scblettstadt über ragten einen Kranz vo» Garten, Weinbergen, Feldern und kleineren Ortschaften. Eine herrliche, mildeSonne beleuchtete da» reiche Landschastsbild. von dem sich Kornemann nur schwer trennen konnte. Er wandte sich endlich fort. Da wurde hinter ihm sein Name gerufen. Eine kleine, starke Frau kam athemlo» die Landstraße angekeucht. Sie fuchtelte eifrig mit beiden Armen. „Monsieur Kornemann! He! Gevatter Aloi»! Arretirt Euch doch! Ich bin'« jo. de Äostin! Ich lüg' mer schier die Gückeln üs nach Euch! Ähr werd' daheim g'brücbt. Ähr müßt Euch depeschire, daß Ähr zürecht kommt! Macht flug»! '» pressirt g'waltig!" Sie hatte ihn eingeholt und griff an seinen Blusenärmrl. „WaS habt Ihr denn, G'vatterin? Laßt mich miene Strotz' zieh'n. 's isch bös Beicht' for mi!" „So! WaS seit Ähr sür Vater? Denn in dieser selbigen Stund' wird Euch e Kindl g'bore, dö» die Fried von Eurem Leben werden soll — und Ihr seid hier? Oder glaubt Ähr denn, daß dö» Wörmel nit zü Euch g'höre thäl? . . . ." „Wer kann wisse? . . . meinte er, um doch etwa» zu sagen. „Und selbst wenn'» wär' . . . AloiS, könnt Ähr Euch jeglicher Schuld ü» Eurem früheren Leben sriesprech'n?.. ." Habt Ähr al» ÄÜngg'sell und Wckmann nickt manchem Madel vorgepappelt von Liab' und Treu, und sie dann sitzen la'a» us der St. Andreasbank? Habt Ihr »it m>t g'hierathete Wieder g'liebelt und charmirt? Ich wesch am besten wie'sch war mit der Müllerin üs'm Kestenholzer Grund, mit der Kronenwirtbin ü» Scherwiller, der rolden Tberes'l vom Zell- willer ForschthüS und de bicde Schiffersrü'n us Rheinau? Schaut, jetzt kommt de Strafen. Dös müscht bedenke und ruhig uSharre! Lk ben, trödelt nit laug und kommt heim." Der Wirth vom .Blauen Bauern" wagte der .weisen Frau" nicht zu widersprechen und begab sich in größter Hast nach Hause. Er sah eS ein, er hatte noch eine Lebensfreude zu erhoffen. Sein Kind sollte ihm daS Glück gewähren, daß er bei der Frau nicht fand: ei» ruhiges, behagliche« Zuhause und eine innige Zuneigung. Er flog förmlich die Dorsstraße entlang, schwenkte vergnügt seine Kappe und lackte vor sich hin. Die Leute, denen er begegnete, glaubten wirklich, er sei wahnsinnig geworden. Da« WirthShauS war voller Gäste. Ein wilder Lärm drang AloiS entgegen Alle schrien und fange» durcheinander und verlangten stürmisch nach dem Wirth. Sie waren ge kommen. sich zu überzeugen, ob er tbatsächlick übergcschnappt sei. Viele Flaschen Wein und Kannen Bier wurden bei dieser Gelegenheit geleert, weShalb da» sonst für Kornemann schmähliche Gerücht gar nicht zu seinem Schade» au»siel. „Mceschter AloiS, Mceschter Alois!" schallte eS aus allen Ecken. Er achtete aber nickt aus die tobenden Zecher, sondern eilte die Treppe biiiaus in da» Hinterstübchen. Frau Barbara lag in einem große» Himmelbett. Sie war sehr ermattet und in diesem Zustande möglichst sanft. Die Wärterin rief ihm und der ihm folgenden Wehmutter schon an der Tbür ent gegen: „Ihr kommt halt zu spat, Madame Äosti», döS Macl' ifch do!" Sie hielt dabei zwischen den Händen zierlich in Windeln gepackt em allerliebstes kleine» Menschenkind. ES stieß ei» leises Wimmern au», al» eS der Vater in seine Arme »ahm nnv am Fenster betrachtete. Eine Thräue trat in sein Auge. Er drückte das zarte Wesen innig an seine Brust und be deckte da» feine Antlitz mit Küsten. Daun tanzt« cr freudetrunken im Zimmer umher und rief wie unsinnig: „Heißa! Ich bin Vater und Hab'a Tvchterle, c charmante» süßes Sckätzl!" Er trieb e» so laut und toll, daß ihm Frau Jost daS Kind wegnabm, indem sie ihn erinnerte, wie sehr Barbara der Rübe bedürfe. AloiS, noch immer die Blicke aus fein Töcklerche» gerichtet, trat an» Bett und stammellc einige ver wirrte NedcnSarten von Dankbarkeit, Batcrglück und guter Besserung, die er in Bälde erhoffe. Die Taufe solle recht großartig gefeiert werden. Es dürfe an nicht« fehlen. — „Ei was !" erwiderte Barbara, nicht so heftig wie sonst, aber dock mit dem Au»druck der Herrschsucht. „Phrasier' nit so viel! Ich werd' schon sür Alle» nachher allein sorge. Sei Dü nür hiel kein Schlafhauben und schier Dich hinab in de Schenkstüb'! Dort isch Dien Platz. S'isck merkwürdig viel Aibiet h,et'. Und gib güt Acht, daß de Mägd' und Knecht' nix verzetttle und verschlampe! . . . Wa» stebsckt do wie e Simpel und verdrucksckt mer de Worin? Pack Dich und laß mie tranquillemer.t scklose. Hörscht, och nit zü viel Ge- poltersch ünten!" Die Wärterin gab AloiS einen Wink. Er nickte nur stumm ergeben mit dem Kopfe und verließ seelen- vergnügt da» Zimmer. Kornemann legte schnell sein beste» Sonntag-gcwand an an und erschien in der Gaststube. Er hatte selten die Gäste so freundlich und regsam bedient wie heute. Einem Jeden wurde sein Vaterglück besonder« gemeldet, wofür er die Segeu-wUnsche schmunzelnd annahm. Die Leute machten sich ein Vergnügen darau», ihn mit allerlei Fragen zu behellige», um zu erfahren, wa» die Grütze in seinem Kopse werih sei. AloiS war aber immer mit verständige» und witzige» Reden», arten bei der Hand. Alle kamen darin überein, daß sie mit der Nachricht von seinem Wahnsinn zum Besten gehalten wären. Der Wirth im »Blauen Bauern" sei nie so gescheit gewesen, wie am heutigen Tage. Die neugierigen Horcher verloren sich allmälig. wenig zufrieden mit dem Mißlinge» ihre« „guten Spaße»". AIS e» ganz still im Geböfte war, schlich Kornemann im Wonnegefühl seiner Väterlichkeit nochmals zur Wockcn- stube. Er legte da« Obr an die Thür, um die Odem- züg« seine» TöchterchenS zu belauschen. DaS wüste Schnarchen der beiden Weiber ließ sich nur vernehmen, nicht» vom Kinde. Er sah durch» Schlüsselloch. Der Schein der Nachtlampe erhellte die Wiege. Die rosa Kattunvorhänge waren zurückgeschlagen. Die kleinen rothen Fäustchen rubte» aus der Decke. Einzelne dunkle Löckchen fielen ans die Stirn. Ein Lächeln schien um den winzigen Mund zu schweben. Da» zarte, holde Geschvpschen glich einem richtigen Cbristengel. Der glückliche Vater preßte die Hand aus die Brust, stam melte ein leise- Gebet und ging ebenso unhvrbar, wie er ge kommen. hinab. Sein Herz war so voll, seine Seele wollte überfiießen vor Freude und Lust! Er hätte sich gern einem Freunde mitgetheilt, aber er besaß Niemanden. »Ich müß ihre Gebürt-log setire'", sagte er zu sich selbst beim Eintreten in die menschenleere Gaststube. „Es inocht nix. wenn ick allein bien, Festin bin; '»isch Um so bester g'meint Und wird dem Würmle güt anschlage!" AloiS ging in die VorrathSkammer. holte sich ein gutes Stück Braten und Eselswurst, machte sich einen feinen Salat „recht, wie cr ihn feil seiner Hochzeit nicht genossen, und üllte einen Teller mit allerlei Dessert. Dann bolte er sich eine Maßkunne seine» ältesten WemeS und zwei Flaschen Champagner. Er sprach dem Esten und Trinken ans da« Wohl seine» Töchlerchen» so fleißig zu, daß er schließlich mH dem Kopse aus dem Tische einschlies. Die Mag» hatte alle Mühe, ikn am andern Morgen au» seinem festen Schlummer zu erwecken, al« sie ibm den schwarzen Kaffee brachte. „Wa» mocht'S Madelr?" lallte er, indem er sich mühsam erhob und die Frühgästc noch traumbesangen anstierte. „S'isch wohl alerte lind Madame isch ganz normal." „Ich will'« seh'n, aber vite, döS süß' Tröpfele." Er holperte seelenvergnügt die steile Treppe hinaus. II. Siebzehn Jahre sind vergangen. D r Krieg hatte Ratzeu- hausen nicht berührt und die deutsche Verwaltung auch keine merklichen Aenderuugen eingesührt. Frau Barbara übte noch immer fleißig ihre Zunge. Cie war nur sehr abgemagert. Tie Nachbarn nannten sie deshalb „döS lang' G'spensckt", „dös HaruitgSseil" und „de Glicderdockru", ohne die früheren „Ehrentitel" zurückzunchme» Fremde eilten von weit und breit herbei, kieS Wunder eine» unermüdlichen HansbracheuS keifen zn hören. Ter Wein war nebenbei unverfälscht und alt. Fiichc und Küchel machte» dem langbewäbrten Ruf de» Wirthschast alle Ehre. Da» Gebäude war von außen »nd innen frisch vorgerichlct, so daß e« auSsab, als stünde e« schon etliche Hundert Jahre. Sprüche sinnigen Inhalt« deckte» die Wände, gleich: »Küchel, Fisch lind güter Wien soll'» hier Unser Labsal sien", oder »Gehscht de Kric; Und getischt de Ouer. solch' Köck'» gicbt» halt nit mehr." Ter Schrank, in dem da« altmodische .Gediegc" lag, zeigte unter unförm liche» Schnitzereien die JahreSzabl „lk>08", während der Geschirrschragcn um zehn Jahre später dalirte. Eine mäch tige Truhe au« der .,Schwede,izeil" diente alS Fensterbank. Sie trug die bedeutsame Inschrift: „We dit w l horcn vorlulesen, De schal sich seiwer« Io winken ghewen." Den» sie barg wahre Schätze von alten Büchern und Handschriften. Diese halten schon manchen Gelehrten zu niouatelangem Aufenthalte in den .Blauen Bauern" gelockt Tie kluge Wir!bin hütete sich, eS zu verrathe». sondern kaufte immermehr alten Kram aus, wo sie ihn herbekommen konnte. Die Wandbretter füllten sich dabei mit allerhand merkivürdigcn Dingen, zum Thcil noch au» China. Jedermann fand etwa» zur Unterhaltung, wofür ein gute» Stück Geld m Frau Barbara'» Caste zurllckblicb. Einen AnziehungSpunct mehr bildete noch die Schönheit der Wirlh-tochter. Dieselbe hatte in der heiligen Tansc den Namen Ulrike erhalten, wurde aber schlechtweg „Nieckele" genannt. AloiS pflegte da» Kind vom ersten Tage an mit unermüd lichem Fleiß und treuester Sorgfalt. Er wachte die Nächte über am Bette der Kleine», al« sie zn zabnen ansing, lehrte ihr gehen und sprechen, trug sie herum und fahr ne spaziere». Er konnte wirklich ollen KinkSmägden zuni Muster dienen. Die Nieckele blühte unter de« BaterS Angen herrlich heran. War die Mutter Streit und Widerspruch, so war die Tochter Milde und Ergebung. Sie ding mit der größte» Liebe a» dem Vater und erheiterte »hm den trüben Himmel seines Eheleben» durch manchen heimlich zugesteckten Bisten und durch öfter», auf gleiche Weise verabreichten Trank. Diese Sonne kindlicher Zuneigung wirkte auch so gedeihlich auf AloiS, daß er seist und stark wurde zum Acrger seiner zärt lichen Gattin. Ähre Tochter war groß und schlank mit blauen Augen, au» denen engclgleiche Sanstmuth sprach. DaS Gesicht halte eine» seinen Schnitt, zarten Teint, frische Lippen und pracht voll gewölbte Augenbrauen. Pechschwarze» Haar rahmte eS mit einem welligen Scheitel ein und siel in zwei langen, dicken Zöpfen über den Rücken hinab. Die Herzensgüte und Freundlichkeit R>eckele's standen »lit ihrem lieblichen Aeußern iin Einklang. Jeder Gast konnte nicht umhin, ihr clwa» AngenehmeS darüber zu sagen. Doch Keiner durste sich der geringsten Beachtung rühme». Nur der Henri Ammon war ihr nicht gleickgiltig. Sie waren al» NachbarSkinder mit einander ausgewachsen und hatten sich so rasch lieben gelernt — obgleich diese Liebe eigentlich auSsichlSlo» war. Den Uebergang zu einer längeren Trennung bildete die An stellung Harr/» bei der Bahn in Schlettstadt. Er konnte nun kaum an Sonn- und Festtagen nach Notzenhausen komme» und mußte schon wenige Stunden später zurück Nieckele besuchte dafür regelmäßig den Schlettstadter Markt, wobei sie sich sprachen AloiS wurde auch von Frau Barbara häu figer zur Kreisstadt geschickt. Frucht und Heu zum Verkauf fahren oder Curiositäken aufznstöbern. Der „Zufall" fügte e» dann stet», daß der Alte den Nachbar schon traf. Nu» hörte da» auf Harri mußte Soldat werden. Er war sür da» Eisenbahnbataillon in Berlin bestimmt. Nieckele weinte schon viele Tage und Nächte vor dem schweren Abschied. Sie klagte über Kopfschmerzen und schloß sich in ihrer Kammer ein. Denn Frau Barbara wäre nickt wenig zornig gewesen, wenn sie den wahren Sachverhalt geahnt hätte. Da» LiebeSverhältniß war ihren Späherblicken biSber glücklich entgangen. Sie hatte wohl öfter- Harri mit ihrer Tochter im Zwiegespräch in der dunkele» Hausflur ge troffen. e» aber sür eitel Kinderei gehalten und nur der Nickel« bedeutet, „kienc Gaffer-Andl" zu sein, sondern im Haushalt zu schaffen oder die Gäste zu bedienen. Am Abend vor dem Scheiden trafen sich die Beiden in der dichten GaiSblattlaube, welche nahe dem ihre elterlichen Gärten trennenden Zaune stand. Nieckele schluchzte bitterlich, während sie Harri mit allerlei lieblichen Bildern der Zukuusl zu tröste» suchte: Der Muth ging ihm jedoch bald ans. Sie saßen eine Weile stumm da, Vicht aneinander gedrückt, die Hände zärtlich verschlungen und die Augen voll Thräneu. Harri faßte sich zuerst. „Laß güt sien, Lieb-Rieckele'. Dien Hiein stößt mir'» Herz ab S'macht dös Nebel ock nur ärger. Mer sin» jo schon länger al» drie Äohr' einander güt, gell? Ich Hab' Dich wenigsten» lieb g'habt, so lang' ich denke kann .... Schau und so werb'n de drie Äobr' bie de Soldate' ock Verzieh'». Ich kiinii dann z'rnck. der Herr Chesdegare bat mer verspreche' sür 'ne Situation an der Bahn zu sorge. Und Hab' ich erscbt 'ne respektable Position, denn holt, ich glieck üm niien süße« Schätzt an. De Madame Barbara soll sich wohl clonnire, waS ich noch sür 'ne Partie sien werd' .... Jetzt bin ich srielich nit viel, aber attention! An mer soll's nit liege, daß ich nit n'e güte G'balt krieg . . . Ich nehm' dann mien' AnstellungSbries und prefsir mich g'waltig ihn diener Mütter vorznlesen und zu sag'n: „Sehn'S Blüe-Büre-Wirtin. kö« isch mien Metier und »ü' geb' eS mer döS herzig' Madl do!" .Bin ich denn a Waar' die Dü inchangirst? Ich nebm' Dick, bie Gott, wen» Dü ock nür e siniplw Arbieker bischt, der alle Samstag sie»« Lob» kriegt und nach'iier Wuche» g'scheuckt werde kan». Ich Hab' kien Ambition." „Aber Die» Mütter, mien Sckätzl. Di« persüadirt Dick am E»d, Enen re» de sürnebm' Messieurs zü acccptire, die Dir de Cour schuiede. Sr' würd' kirnen Tochtermann ogreir-, der niet e Titel oder e paar lüsig Lire» biem Notar hätt!" „O. Harri, ich nebm' kirnen Andern! Ich blieb Dien treue» Nieckele. so lang mich der Herrgott aus der Welt läßt." Sie barg, wie Hilfe suchend, den Kopf an des Geliebten Schulter. Harri küßte ihr die Thräneu vo» den Augen und reichte ihr ei» kleines, siiberneS Medaillon. ES stellte ein Herz bar, in da- bie Worte gravirt waren: „Dien g'kör' ick ewiglich, „Nimmersch' verlaß' ick Dich!" Dien geireuer Henri Animo»." „Ratzenbausen, am 16 b. Heumonat« 1880." „Std. Liebschl'. dös trag himlich zü», Souvenir an Diene Harri, wenn cr Dir kien' and're Nouvelle schicke därs, als siene Gedanke. Denn mit dem Schriewc wird'» sien' Sach' sind. Ich Hab' nit viel der Z et und dien Mütter . ..." Die Slimme erstickte ihr vor Rührung und Schmerz. Nieckele brach einen Zweig deS dusligen Giisblatte« ab u»d reichte e» Harri. „Ick kann Dir leider nix geb'», mien süßer Bü, denn ich Hab' nix weiter. Aber linsere lieb' Scbützbcil'ge, Sanct Ulrika, wird mir g'nädig sien. Sie werd' üus suremenl helfen. Hat se dock erstens, als Allen« überschwemmt war, ihre Kült ün-gebriet, und e treues Liebespaar isck türck de Flirt de» Verfolgern trockenen FUßes entkommen. Sie hat Sterbende g'nesen g'macbt, große Krieg' durch ihre Züsprüch' verhindert und de rn der Schlacht G'sallenen »sg'wcck!. Se hat mit EiSzapse e warm'S Fier in de Kami» aiig'zuiid' und de Stein in Brod changirt. Solch sürnehmen Hiesige wrrc'S nür e ganze Bagatelle sie», der Mutter Idee ü»S züzüwende.... Siehst dös isch mien Hoffnung — und se werd ml irompirt werd'»." (Fortsetzung folgt.) (iarittnen Hvet»» r»««I »kisepic-et?»tr ^l 3.S0 — ^l »0. vom 8Wctc Lltr. 4ü — 2S0 Vltraxen w «llleu erirtireockeo Sreiteu. Lltr. tb — 180 4. k«lixi'<'888liM Oaräiusudreils llltr. SO — 230 aj. Vitrasenbreit« iltr. SO—120 »j. 8MI MeilM kür litzjM- H kklWWlI Mm vle klrnia verkauft «Ile su8Muelit d«8ten kadrlkst«; Lstosa-unil vLom voU-VLLrsi» xii iili?eMImttk1i bllllMn preken nnil lilete! anerkannt erv88e Varttielle kür tamlllen. üotel8.8viv1e vrautan^tenern.
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