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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.06.1889
- Erscheinungsdatum
- 1889-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188906180
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18890618
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18890618
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1889
-
Monat
1889-06
- Tag 1889-06-18
-
Monat
1889-06
-
Jahr
1889
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.06.1889
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Erste Mage zum LrWgrr Tageblatt and Anzeiger. 1K9. DleuStag de» 18. Juni 1889. 83. Jahrgang. Der Müller und der Zar. Historische Novelle von Moritz Lilie. ««ch»r»a «WUe». Die Angehörigen dc» jungen N?anne» beugten sich zu ihm herüber, um da« verletzte Auge zu prüfen; kein Zweifel, daß eS den Dienst versagte, matt und glanzto» starrt« e» in« Leere. .Entsetzlich!" seufzte die Multer und ihre Blicke ruhten voll inniger Theilnahme aus dem Sohn. Ter Müller aber nickke bei den letzten Korten des Soldaten zustimmend, at» wollte er sagen: ich hätte eS ebenso gemacht!" „WaS geschah Wetter sagte Stelzendergrr, Sergei zur Fortsetzung seiner Erzählung ermunternd. „Tae Sonne neigte sich zum Untergänge und ring-um lag Alle» in tiefem Schlafe, al» ich Pertschew den Säber i» den Leib rannte", fuhr der junge Mann fort. „Einen Augenblick stand ich bestinzt, erschreckt, al- ich den Mann blutüberströmt zusammenbrechcn sah, aber ich empfand kein« Spur von Reue, nn Grgentheil schwellte mir da» Gefühl der Erleichterung, da» Bewußtsein, ein Sch'usal unschädlich gemacht zu haben, die Brust. Trotz de» betäubenden Schmerze» im Auge ver mochte ich klar zu denke», und der erste Rath, de» ich mir selber gab, war der: schleunigste Flucht. Ich wars da» Säbel koppel ab, schnallte de» Tornister, der meine wenigen Habsrlig- keilen barg, ans den Rücken und eilte davon." .Tiefe Ruhe herrschte, nur von den Schildwachen, die aus Bolpostcn standen, unterbrochen", fuhr Sergei fort. .Wohin, Kamerad?" ries mir einer der Posten zu, besten Ansmerlsamleil meine etwa» seltsame Ausrüstung, mit Mütze, Tornister, aber ohne Seitengewehr, in der Hand den Feld kessel, erregt hatte. „Aus der Suche nach frischem Master!" versetzte ich, den Fcltkessel schwingend. Da» Master in unseren Lederschläuchen ist unerlräglich matt, hoffentlich findet sich eine Quelle in der Nähe." „Da, nimm auch meinen Blechtops mit, Kamerad", bat die Echltkwache, „ich lechze nach einem frische» Trunk wie «in angefchoffciier Bär." Um mich nicht zu verrathen, mußte ich das Gesäß a» mich nehme», naiürlich nur, um e» in» nächste Gebüsch zu Wersen. Ich hatte Eile; denn ich wußte, baß man sofort nach Entdeckung der Thal die Mannschaften anlrete» lasten und den Fehlenden auSsindig machen würde. Um die Spur nicht zu vkiralhcn, schlug ich sofort eine andere Richtung ein, al» der Posten vermuthen konnte, und zwar sncktte ich die schwierigsten und gefährlichsten FelSparlien auf. Bon Weg oder Psav war natürlich in diesem wilde» Gebirge keine Rede; ich mußte aus» Geradewohl daraus lcSkleltern und wandern, ebne die geringste Ahnung zu haben, wohin mich der Weg führen würde. Ost glaubte ick. keinen AuSweg mehr zu haben; hin ter »iir ein steiniger Abhang, den zu erklimmen eine Unmög lichkeit war. zur Seite eine schwarze gähnende Kluft, au» welcher da» dumpfe Rauschen eine» GebirgSstrome» bi» zu mir herausdrang, und dicht vor mir eine steil emporstrebende Felswand; da»» mußte ich mir mit LebenSgcsahr einen Aus weg suchen und mich oft mit einem Halt für die Füße begnügen, so schmal und unsicher, daß nicht Gemse und Eleinbock gewagt hätten, ihn z» benutzen. Tie Nacht war inzwischen angebrochen, eine stille, sternen helle Nacht. Ich war wohl i» Sicherheit, wenigsten» halte ich von meine» Verfolgern nicht» bemerkt. Wer hättee» auch wagen sollen, mir in diese Wildniß zu folgen, wo e» kein andere» lebendes Wesen zu geben schien, als Adler und Murmelthiere, deren W irnungspsiss bei »icinem Nahc» mich oft genug erschreckt hatte. Au einer geeigneten Stelle machte ich mir ein Lager zurecht, um einige Stunde,, zu ruhen und dann »och vor Tages anbruch in der Richtung nach Norden weiter zu eilen. Ich mußte vor Allem meine Uniform, die mich verrathen konnte, gegen Civilkleidiing vertauschen; denn in de» feindlichen Dörfern de» Kaukasus wurde inan mich ohne Zweifel für einen russischen Spion gehalten und mich niedergemachl haben. Nach mehrstündiger Rast brach ich wieder aus. und al» die Sonne hinter de» Bergen kiiiporslieg, hatte ich bereit» eine bedeutende Strecke zurückgelegt. Plötzlich vernahm ich au» der gerne Gesang, erst einzelne undeutliche Töne» dann klarer und bestimmter. Jedenfalls ein Tscherkestendors in der Nabe, wo ich hoffentlich Schuh und Pflege für mein verletzte» Auge finden konnte, La» mich unerträglich schmerzte. Ich beflügelte meine Schritte, deut licher und deutlicher vernahm ich da» Singen, nur noch ein gewaltiger Felsenvorsprung konnte mich von dem ersehnte» Torse trennen jetzt war da» letzte Hinderniß um gangen und vor mir lag da» russische Bivonac, da» ich gestern al» Flüchtling verlosten! Der Gesang aber rührte von einer dichten Gruppe von Soldaten her, die ein ofsenel Grab umstanden, in welche» man soeben den von mir erstochenen Unlerossicier bettele. Ich stand einen Moment erstarrt, unfähig, die Füße zu bewegen. Deshalb also hatte ich den furchtbaren Weg zu- rückgclegt, war mit knapper Noth mehr al» zehnmal dem Tode entronnen, um schließlich im Kreise zu lausen und meinen Verfolger,i direct in die Hände zu fallen! Hier gab e» kein langes Besinnen; ich sah, daß die Leute sich zum Abmarsch rüsteten, und beschloß, mich so lange zu verbergen, bi» ich wußte, welche Richtung sie Zuschlägen würden. Dan» machte ich mich »ach der entgegengesetzten Seite aber mals aus den Wog. die Straße, die wir gekommen waren, sorgfältig vermeidend; denn sie war von Nachzüglern, Proviaiitcolonnen und so weiter belebt und daher sür mich gefährlich. Nach lange», Wandern fand ich im Thale die Hütte eines tartarischen Viebhirtcn, der mir Nachtquartier gewährte und sür einige Rubel diesen Pelz und sonstige Kleidungsstücke überließ. Ich wandte mich nun nordwärt», erhandelte von donischen Kosaken ein Pferd und hatte »u» mit weniger Schwierigkeiten zu kämpfen. Nur einmal während de» Rittet durch die Stepp« waren wir beide, ich und da» Pferd, nahe daran zu verdursten; mein Pferd brach zusammen und ich selbst vermochte mich nicht mehr aufrecht zu erhalten. Da. in der höchsten Noth, kam «in« Karawane Armenier mit Dromedaren, die unt au» ihren Wasserschläuchca so viel mittheilten, wie wir bedurften und »iiS dadurch da» Leben retteten. Welche Entbebrnngen und Strapazen ich ferner ertragen niiißte, erzähle ich Euch ein andere» Mal; glücklicherweise schöpfte man keinerlei Verdacht gegen mich, und so kam ich unaiigesochteii hier an, nachdem ich mein Pferd wenige Werst von hier an einen Bauer verlaust hatte. Al» ich den Kaukasus verließ, brannte die Sonne mit aller Macht aus die Eroe herab unv die Sommergluth schien alle» Leben e<- tövtet zu babe»; liier im Norden ist bereit» völliger Winter eingezogen unv die Natur liegt unter Ei» und Schnee er starrt. Sech» schwere Wochen brauchte ich. um endlich wieder bei Euch. Ihr Lieben, sein zu können j stoßt mich, den Desrrleur, nicht von Euchl" Die Mutter umschlang ihren unglücklichen Sohn mit b-ioen Armen und preßte ihn an sich. Bor dem Fenster aber knisterte ,» wiederum leise nud i« Schatten der Nackt eilte der Horcher davon, dem Dorfe zu; er schien genug gehört zu haben. „Hier ist d,e äußerste Vorsicht »öthia. Du hast Dich schwer vergangen gegen den Buchstaben de» Gesetze«, und da» wird und darf nicht ungestraft bleiben", sagte Stelzenberger nach längerer Pause, wilhread welch« « überlegt z« habe» Atzt»». „Bor allen Dingen müssen wir ein sichere» Bersieck au-findig machen; denn wenn man erführe, daß Du hier weilst, wäre r» um Dich geschehen." „Wird man nicht Hau»suchuug bei un» halten, Later?" ragte Olga angstvoll. „Wohl möglich!" versetzt« dieser, „und deshalb wüsten wir einen Ort wählen, der nicht so leicht entdeckt wird. Da» kleine Gartenhäu-chen draußen, da» un» im Sommer al» Ausbewahrung-ort sür Geräthe dient, eignet sich viel leicht. nur müsien wir daraus bedacht sein, daß keine Spuren im Schnee sichtbar sind. Ein kleine« eiserne» Oesche» ist bequem darin aufzusiellcn unv Proviant aus mehrere Tage bringst Du auch unter. Freilich darfst Du während der Tage-zeit so wenig wie möglich Heizen, tamil Dich der Rauch nicht verräth. Nun, sür beute ist nicht» zu fürchten, ruhe Dich au«, Du wirst de» Schlafe» bedürfen." Die Eltern begaben sich zur Ruhe, während Sergei mit feiner Schwester noch zurUckdlieb. „Wie geht e» Natalie? fragte der junge Man» mit leiser Stimme. .Da« »rmeMädchen ist zu beklagen", erwiderte Olga ebenso, „sie hat ein schwere» Loo». Ihr Vater, der alte Kräplin, ist nur in den ersten Morgenstunden nüchtern, die übrige Zeit verbringt er im Rausch. Natalie pflegt den alten Säufer und sucht ihn von seinem Laster zu heilen, bi» jetzt freilich vergeben». Aber sie ist brav geblieben und fragt stet» nach Dir, so oft sie mir begegnete. „Sorge dafür, daß ich Schreibmaterial in mein Gesäugniß bekomme, Olga", dett Sergei. „sie muß erfahren, daß ich hier bin." „Sei nicht unvorsichtig, Sergei", warnte die Schwester, wie leicht kann der Brief zum Verräther werden! Ich will Natalie alle» mündlich miltheilen, wa» ich weiß, wir haben ja nicht zu fürchten, baß sie plaudert." „Gut, aber sage ihr auch, daß ich einäugig bin, und wenn sie mich trotzdem »och liebt, soll sie nur Gelegenheit geben, sie aus einige Augenblicke zu sehen n»d zu sprechen." „Da» geht nicht, bedenk« doch die Fußspuren! Und wenn der Vater erfährt, daß Du noch immer an der Tochter seine» erbitterten Feinde» hängst, wird er sehr bö» werte». Er will nun einmal mit Niemandem, der den Name» Kräptin führt, etwa» zu thun haben, und im Grunde muß man ihm beipsl chte»; der alte Trinker versäumt keine Gelegenheit, un« Neble» nachzuredcn und die Bewohner de» Torfe» gegen un» zu verhetzen." „WaS kann die Tochter dafür, daß der Vater ein Lump ist?" rief Sergei lauter, al» e» in seiner Absicht lag. „Wenn Natalie will, wird sie mein Weib und auch der Vater wird endlich nachgeben, wenn er sieht, wie fleißig und unverdrossen da» Mädchen ist. wie sie sich trotz Le» schrecklichen Beispiel», welche» sie täglich vor Augen hat, unverdorben erhält unv wie sie bemüht ist, da» Elend und die Schanke, die aus ihrem Vater lasten, zu mildern. Aber" — unterbrach er sich selbst — „was rede ich da! Ich spreche vom Heirathen und von Liebe und bedenke nicht, daß ich verstümmelt und dem Henker ver- sallcn bin!" Die letzten Worte sprach er so leise, daß Olga sie nicht verstand. Dann reichte er der Schwester die Hand und ver ließ schnell die Stube, um fein Schlasgemach auszusuchen. V. Am entgegengesetzten Ende de» Dorse» in der Richtung nach Gatschina zu, lag eine Hütte au» Balkenwerk und Lehm zusainmeiigcsüat. E» war ein alte», baufällige» Gebäude, besten einer Giebel gestützt worden war. um den Einsturz zu verhüten. Da» Dach war mit Stroh gedeckt, jetzt aber von einer dichten Schneeschjcht überzogen; die HauStbür entbehrte de» Schlöffe» und zeigte klaffende Lücken, und überall machte sich die äußerste Dürftigkeit geltend. Desto seltsamer nähme» sich die blanken Scheiben au», welche die kleinen niedrige» Fenstrr bildeten und hinter denen e» grünte und blühte, wie iiiitlen im Frühling. Dichte Reihen von Primeln. Geranium und Veilchen schauten neugierig mit ihre» bunten Blumen- äugen hinan» in die winterliche Landschaft und schienen die Sträucher und Büsche zu bemitleiden, die. ihre» BlätterkleideS beraubt, vor Kälte zitterten. So armselig wie da» Aeußere der Hütte sah e» auch im Innern an», und nur die ausfallende Sauberkeit, welche überall zu bemerken war, ließ die Dürftigkeit nicht in dem Maße zur Geltung kommen, wie e» sonst der Fall gewesen wäre. Da» Mobiliar bestand au» einem alten wackelige» Tisch, der einst braun gestrichen sein mochte, jetzt aber nur noch kärgliche Spuren von Farbe zeigte, drei Holzstühlen und «in paar Truhe», welche die wenigen Halbseligkeiten der Bewohner bargen. Aber die alten, vbgesplittrrten Dielen waren ebenso wie Tisch und Stühle blank gescheuert, auf den Kacheln de« gewaltigen Ofen» lagerte kein Stäubchen und der kleine Spiegel, hinter welchem sich zwei Pfauenfedern hervorspreizte» blitzte wie flüssige» Kryflall. Der einzige Schmuck der niedrigen Stube außer den Zimmerpflanzen bestand in zwei Bildern »iit kunstlosen gelben Rahmen, von denen da» eine Peter de» Großen unter den Strelitzen, da» andere die Heilige Mutter Gotte» von Kasan darstellte. Nn dem Tische saß ein alter Mann mit schneeweißem, mäch tigem Bart und langem, gleichfarbigem Haar, fo daß von dem Gesicht wenig mehr al» Nase und Augen Vichtbar waren. Sein Blick war matt und blöde, der alte Schafpelz, welche» er trug, de ect und unsauber. Ihm gegenüber hatte ei» junger Mann Platz genommen; e« war Nikla», der Müllerbursche, welcher sich sür wenige Kopeken die Woche bei dem alten Kräplin eingemiethet hatte und jetzt mit letzterem gemei»- sLastlich da» au» Brod und Käse bestehende Frühstück ein- nahn«. Eine Schnapsflasche stand aus dem Tisch. aus welcher der Alte von Zeit zu Zeit einen Schluck nahm, während Nikla« e» verschmähte, diesem Beispiele zu folge». Desto öfter wendeten sich seine Augen dem Fenster zu, a» welchem Natalie. Kräplin'» Tochter, saß und nähte, »iib i» der That war der Anblick de» jungen Mädchen» auch ganz geeignet, zu fesseln und zu interessircn. E» war keine Schönheit, diese» Mädchen, keine bestrickende, blendende Erscheinung, vielleicht würden Kenner Natalie nicht einmal hübsch gefunden haben; aber e» lag eine unbcichreibliche Anmuth und Milde über ihrem Wesen anSgebreitet. Namentlich da» braune Auge blickte lo sanft und seelenvoll, daß inan sühlte, diese» Mädchen müsse Gemüth haben. E>» leiser Zug von Schwermuth, der auf ihren: Antlitz lag. wachte dasselbe noch interessanter und die bleiche Gesichtsfarbe bezeugte, daß ihr trotz ihrer Jugend Sorgen und Entbehrungen nicht fremd geblieben seien. Emsig flog die Nadel in ihrer Hand aus unv nieder und sie war so n»t sich selbst beschäftigt, daß sie aus da» Gespräch d« Männer gor nicktt zu achten schien „Du warst gestern Abend in Gatschina?" fragte der Alle mit einer Stimme, die der Branntwein unsicher und zitternd gemacht hatte. „Ich war nicht dort", versetzte jener. Kräpli» schaute ihn überrascht an. „Wo sonst?" N kla» ruckte die Achseln >ad rin seltsame» Lächeln glitt über feine Lippen. „Interessirt Dick da« s» sehr?" „Nun. ich brauche e» auch nicht zu wissen, bebalte Deine Geheimnisse sür Dich", erwiderte der alte Mann, und sein trüber matter Blick weudet« sich von dem Müller burschen ob, ker Schnapsflasche zu, di« «» auch alsbald erfaßte und zum Munde sübrte. „Na. nur nicht gleich fo grimmig, alter Eitbär, fo dös« war e» nicht gemeint; Du sollst Alle» erfahren, Dinge, die Dich ohne Zweifel sehr ioleressiren". beruhigte Nikla». Kräplin schaute theilnahmlo» vor sich hin, at» hätten die Worte de» jungen Manne» ihm gar nicht gegolten. „Wenn Du mich nicht anhören willst, kann ich ja auch chweigrn", fuhr der Müller fort, indem er sich abwandte und mit den Finger» aus den Tisch trommelte. „Zu»> Teufel, so rede doch, aber laß die Umschweife sein!" uhr ver Alle ihn an. indem er da» Messer, welche» er in der Hand hielt, mit solcher Heftigkeit aus den Tisch schleuderte, daß e» in weitem Bogen aus den Fußboden flog. .Unser Freund läßt Dich grüßen!" sagte NiNa» mit höhnischem Lächeln. „Wer?" „Der Müller Stelzenbergerl" Ueber da» Gesicht de» Greise« zuckte es, al« habe ihn ein giftige» Insect gestochen, und da» blöde, thränrnd« Auge be- kam plötzlich Feuer. „Wie kommst Du zu dem", fragte er, „nachdem Ihr doch keineSweg» in Frieden und Freundschaft auseinander gegangen seid?" Seine Stimme klung eigenlhümlich rauh und barsch, als hob« er ein Recht, dem jungen Mann darüber Vorwürfe zn machen. „Da» geschah durch eine» glücklichen Zufall", erzählte der Müllergeseüe, „aber ich bin nickt iiu Hause Stelzen- berger« gewesen, habe Niemand von seinen Angehörigen ge- sprechen, sondern habe mich begnügt, vor da» Hau» mich zu possiren unv zu sehen, wa» drinnen im Zimmer vorging." „Gehorcht?" „Meinetwegen nenne e» so, im Grunde war e» ja uuck nicht» andere», und ich habe dabei ganz verteufelt an den Füße» gefroren. Aber für das, was ick dabei erfuhr, hätte ich gern ein paar erfrorene Zehen gegeben." „Weiler, weiter?" ries der Alle ungeduldig. „Der Sohn de» Müller» ist zurück " „WaS — der Sergei, der Soldat?" unterbrach Kräplin, „dem seine Dienstzeit ist doch noch lange nicht vorbei!" „Da» ist'S ja eben, WaS die Sache »ileressant macht!" versetzte Nikla» mit kurzem, häwisckei» Lacken. „Jetzt wirst Tu mir wohl zugebe», daß e» sich der Mühe verlohnte, eine Stunde im Schnee zu siebe»." Natalie war aus da» Gespräck aufmerksam geworden, al» sie den Namen de» heimlich Geliebten nennen hörte. Die Näherei entsank ihrer Hand unv rnit fieberhafter Spannung folgte sie den Worten der beiden Männer. „Ist Sergei vor der Zeit entlasten?" forschte der Alle. „Wo denkst Du bin, da» kommt gar nickt vor. Davon- gelaust» ist er, bei Nackt und Nebel descrtirt, nachdem er seinen eigenen Unterosficier niedergestochcn hat." Ein leiser Schrei au« dem Munde de» jungen Mädchens lenkte die Blicke der Männer zu ihr hin. „ES ist nichts", sagte Natalie mit leise zitternder Stimme, ich habe mich nur eia wenig mit der Nadel verletzt." „Woher weißt Du da» Alle»?" fragte der Alte de» MÜller- burscben. „Ick war gestern Abend bei dem Dorskrämer gewesen, um mir Tabak und andere Kleinigkeiten für den Bedarf zu kaufen, und wollte mich eben nach Hause verfügen, al» ich trotz der Finsterniß eine Gestalt benielkte. die in der Richtung nach der Mültte bahincilte. Da» fiel mir aus; denn ich weiß ja, daß Stelzenberger wenig Umgang mit Dorfbewohnern hat unv daß ihn um diese Zeit Niemand besucht, am wenigste,, ohne Laternen und Waffen; denn die Wölfe komme» ja nicht selten bi» in» Dorf herein. Durch da» Fenster eine» der letzten Häuser unsere» Orte» drang ein Lich'streisen. der aus den Fremden siel, und bei dieser Gelegenheit bemerkte ick, daß der Man» ziemlich keruntergrkommen aussah", fuhr Nikta» in seiner Erzählung fort. „Vielleicht ein armer Teufel, der sich bei dem wohlhabenden Müller einen. Zehrpfeunig holen will — dachte ich — möglicherweise erst, wenn dort alle« zur Nube ist und auf Umwegen, etwa durch» Fenster. Wer weiß, ob D» dem früheren Meister nicht einen Dienst erweisen, ihn Dir zu Dank verpflichten kannst, wenn Du den Ein brecher im reckten Augeiidlicke packst und sesthättst, sagte ich zu mir selbst; wenn da« gelingt, wenn Du vielleicht gar verhinderst, daß der Kerl den rothen Hab» auf das Dach der Mühle setzt, dann wird der alte Stelzeuberger gewiß ein Einsehen habe» und Dich nicht wieder so schroff abweise», wenn Tu noch einmal bei ihm anktopfen solltest. Ich be schloß also, dem Manne unbemerkt zu folgen, um nöthigen- fallS bei der Hand zu sein." „Da» ging bei der Dunkelheit und dem Schnee, der die Schritte dämpfte, recht gut an", wars Kräpli,, ein. Der andere nickte zustimmend, dann fuhr er fort: „In der Mühle war noch Licht, aber zu meiner Ueber- rasckung wartete der Fremde nickt, bi» die Bewohner schlafe» gegangen waren, sondern klopfte sofort so herzhaft an die HanSthür, daß der Hund zu bellen begann. Bald bemerkte ick auch, wie der Meister die Flinte von der Wand nahm und da» Tbor öffnete, aber mein Erstaunen erreichte den böchsten Grad, al» ich in dein Ankömmling Sergei er kannte. Natürlich war ich begierig, zu erfahren, wa» de» Soldaten zu so außergewöhnlicher Zeit in die Heimath zurück- sührte: ich lauschte an, Fenster und erfuhr nun die große Neuigkeit." „DaS ist Master aus meine Müble!" rief der alte Mann sprühenden Auge», indem er mit der Faust aus den T>sck schlug, daß die SckiiapSslasche in tanzende Bewegung gericlh; die „Ge schichte wird angezeigl und e» soll mir eine Freude sei», wen» eS beißt, der Sohn de» reichen Stelzeuberger, der den arme» Kräplin von Hau» und Hos verjagt hat, erhielt ein Frei quartier zwischen Himmel und Erde, und dazu hat man ihm e>ne bänsene Eravatte um den Hat» gelegt." „DaS Anzeigen wirst Du bleiben lasten. Kräplin. verstehst Du mich?" ries Nikla» mit drohender Stiiume jenem zu, „da» ist meine Sacke, und wenn ick da» für nvlhig hatte, werde ich e» schon selbst besorgen. Für jetzt wirst Tu über die ganze Geschichte reinen Muuv halte», sonst " Er machte eine nicht mißzuverstehende Handbewequnq und au» seinen, Auge schoß wiederum jener tückische Blick, der seinem Gesichte den Ausvruck unbeschreiblicher Wildheit verlieh. »DaS willst Du?" schrie der Grei». dem der Fusel bereit» i» den Kops zu steige» begann; „ick habe lange genug gestrebt, meine Rache an dem Müller zu kühlen, und jetzt, wo sich die Gelegenheit dazu bietet, willst D» mir da» untersagen, mir, der ich vierzig Iabre älter bi» al» Du?" „Und wen» Du hundert Jahre älter wärest. Kräplin. ick würde da» doch nicht dulden, versetzte der junge Mann mit Nachdruck, al» gäbe r» gegen seine Worte keinen Widerspruch. ..Mein Gebciniiiiß ist ei» vortreffliche» Mittel, den allen Müller und seine Tochter mürbe zu machen, er hat nunmehr di« Wahl, nur Olga al» Frau zu gebe» oder seinen Sohn al» Deserteur und Mörder am Galgen zu sehen." Der Alte erhob sich mühsam, indem er beide Hände aus den Tisch stützte. Sein Gesicht war von Schnap» und Aus legung gerötlret, sei» Auge flammte »»beimlich u»o vle grauen, buschige» Braue» zogen sich dicht über der Nase zusammen. Er beugte sich gegen den Genosten vor, al- wolle er diesem durch seine Erscheinung imponiren. „Du willst mir Vorschriften macken?" preßte er mühsini hervor; denn seine Zunge versagte den regelrechten Dienst ..Noch heute, gleich jetzt, geh« ich zu dem Gendarm and theile ihm die Sach« mit. die Freude soll mir Niemand verderben." Nikla» packte den Mann an beiden Schultern uud drückte ihn so unsanft nieder, daß er aus den Boden stürzte. Kreidebleichen Antlitze» sprang Natalie hinzu; da» Ge spräch de« beiden Männer hatte sie einer Odninacht nahe gebracht w»d nur mit äußerster Anstrengung bezwang sie kiese Anwandlung von Schwäche, um kein Wort von der sie o nabe b-rührenden Unterredung zu verlieren. In diesem Augenblicke aber bedurft« der Vater ihrer Hilfe. „Sie Unverschämter!" >les sie dem Müller zu, dann beugte sie sich zu chrem Vater herab und hats diesem »ieder aus die Füße. Nikla» aber wars die Pelzmütze aus veo Kops und ent fernte sich, da» Mädchen mit dem Betrunkenen sich selbst überlastend. E' war rührend zu sehen, wie Natalie den erregten alten Mann durch freundliche Zureden zu besänftigen suchte, wio ie ihn streichelte und zärtlich an ihn schmiegte, so daß er ruhiger und ruhiger ward. Willig ließ er sich in da» Nebengemach aus fein Lager führe», die Tochter bettete du so bequem wie möglich, deckle ihn sorgfältig zu und wer'-te, b>» er eingeschlasen war. Dann hüllte sie sich in eine Kastaweika, schlang eine» Baschlik um tcn Kops und eilte davon in der Richtung nach der Mühle zu. Olga hatte sie kommen sedeu und empfing sie am Thor; in kurzen Worten theilte Natalie ihr die Getabr mit, welch« dem Geli-bten drohte. Die Tochter de« Müller» zog da» Mädckeo in» Zimmer hinein, damit die Ellern au» ihrem Munde e>fahre» sollten, daß da» Geheimniß de» Hause» ver- ralhen sei. Stelzenberger machte ein sehr unfreundliche» Gesicht, al» er «aS Kind seine» Totfeivd S erblickte, aber er bezwang sich, tlnd al» Natalie geendet, sagte er: ,.W>r sind Dir sür Deine Mittheilungen Dank schuldig, und wen» Du Hilfe bedarfst, kannst Du Dich an mich weuden. Für jetzt nimm da»!" Er langte au» dem Wandschränkchen drei blauke Silber rubel »»d drückte sie dem Mädchen in die Hand. „DaS ist sür Dick, nicht sür Deinen Vater, der e» doch nur durch die Kehle lausen läßt", fuhr er fort. „Du wirst irgend ei» warme» Kleidungsstück oder etwas sür die Wirth- schast brauche», dazu vciwcnde da- Geld — nicht zu Brannt wein !" Da flammte c» auf den sonst so bleichen Wangen de» Mädchen» aus wie glühende Lava; Thränen entstürzten ihre» Augen und weithin aus dem Fußboden rollten die harten Silberstücke. Slumi» preßte sie vie Hand Olga«, dann stürzte sic fort, hinaus über den hartgefrorenen Schnee, und keur Rusen der AlkerSgeuossin vermochte sie zurückzuhalte». „Bettclstolz!" murmelte der Müller, indem er daS Geld au» den Händen seiner Tochter, die dasselbe aufgehoben hatte, wieder in Empfang nahm. „Du bist hart. Vater, da» batte Natalie nickt verdient", sagte Olga in vorwurfsvollem Tone, und di« Mutter pflich tete ihr bei. „Ich mag diesen Dünkel nickt leiden", ries Stelzeuberger säst heftig auS; „wer bedürftig ist, brauckt daraus kein Hehl zu macke»; denn da» ist keine Schande, und noch »veniger hat er Ursache, eine Gabe, die kein Almosen ist, beleidigt zuruckzuwciscn. Aber wa» kümmert uu» da»", fuhr er diesen Gegenstand ver lassend fort,„wir habe» jetzt Wichtigere» zu besprechen. Wenn e» wahr ist, wa» da» Mädchen sagte, und ick habe keinen Grund daran zu zweisei», so ist keine Zeit zu vertiere»; dem RiklaS ist alle» zuzutrauen und sür ilm gieltt c« keine Rücksicht, wenn er siebt, daß wir in seiner Gewalt sind." .WaS gedenkst Du zu thu», Karl?" fragte seine Gattin angstvoll. „Serge, muß sort an» dem Hause", versetzte dieser rasch, „und zwar so schnell wie möglich". „Zu meincni Bruder »ach Petersburg!" siel die Frau bastig ein, „in der große» Stadt wird man ihn nicht so leicht finden". „Daran dachte auch ich bereits, ich glaube, e» ist für den Augenblick wenigsten» der sicherste Zufluchtsort", stimmte der Müller bei. „Olga, sage dem Knecht, er solle aiispaniien, ich will selbst fahren und so viel Stroh unv Heu mit in den Schlitten nehmen, daß sich isergci bequem darin verbergen kann. Sobald wir weit genug vom Dorse entsernt sind, kann er au kn» Tageslicht kommen, dann kennt ihn Niemand mehr." Eine halbe Stunde später fuhr der mit zwei flinken Braunen bespannte Schlitte» de» Müller» aus der Stiaßc: nach Galschina und Pctertburg dahin. Außer dem Besitzer, welcher selbst die Roste lenkte, war Niemand in dem Gefährt zu seben; die bedeutende Menge Stroh aber, welche darin ausgchäiifl war. stet Niemande», aus, gilt doch Stroh von altersher sür rin vortreffliches Wärnicmiltel! (Fortsetzung folgt.) vermischteL — Potsdam, lt>. Juni. Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin wohnten beute Vormittag der Gedächt- nißseier de» TovcStageS weiland Kaiser Friedrich'» in der Hos- und Garnilonlircbe bei. Die Predigt hielt Hcs- prediger I>. Regie über die Worte derSoniitagsepisiel: „Wie unbegreiflich sind Seine Gerichte und unerforschlich Seine Wege". ---- Baden-Baden, 16. Juni. Ihre Majestät die Kaiserin Augusta ließ gestern durch den Ober-Gewand- Käiiiinercr, Grase» Perponcker, einen Kranz am Sarge de» Hochsetige» Kaiser Friedrich» »iedcrlegen und wohnte heute nur dem Großberzog »uv der Großherzogi» von Baden, so wie den Umgebungen enirni Gcdächtiiißgottcsvienste in der Eapelle de» Badener Schlosse» bei. ---- Kassel, «6. Juni. Der Schah von Persien ist heute früh um 8 Uhr mittrtst SonderzugeS abgereist. Am Bahn- Hose waren der Obcipräsitcnt Gras zu Entenburg, Geiieral vo» Pastow und andere distinguirte Persönlichkeiten erschienen. ---- Lemberg, 15. Juni. Der Marktflecken Sicwiawa im Bezirk IaroSlau ist durch eine FeuerSbruust zerstört worden, 200 Familien sind obdachlos. ----Metz, 1», Juni. In Folge in Frankreich nieder- gegangener Wolkeubrüche ist vie Mosel stark angesckwollen und noch im Steige» begriffe». Große Mengen de» dies jährigen FuttererlrageS treiben den Strom hinab. Literatur. Internationale Revue »der die aesaminte» Armeen und Flotten. Verlag von Max Babenzien in Rathenow Inbalt vcs 7. Hebe- ?lp ii >88»- Aiiherdeuische Feldtelegraphen-Orgoui. s.ition von Lieittcnaitt F llmer Deutschland: Beuriheiiung schwerer Pancerkanoiien Die Uslorijche Bedeutung d,r pleubenenniiugen von 1r> pp mH« len de- preuinichen Heere- von .1. Rogalla von B ei-erfiem. Oesterreich: -IrinnronqS >5 am „nb Ißon, Schnellfeuer-Kanonen von Marnie-Artilierie-Ov ring n eur Schwa z. Der taktische Antrieb orec da» Dichliglelie.Vri.Siinin >n> Kample von Major Ritler Z-tac». tewSki de ijareba. Di« »st-rrcchsche W stenfabelt zu Slevr und Letten von Hauptmann Zern u. Italien: Italienische Eorrrspondevz vo« Ri,. .. n Belgien: Instruction m »rells nur lo norric« <I« I» luralorjs belgo eu c»mp»<xiie. Portugal: Neuerungei» n» Heer wesen Per »ga'S von Rd...n. — Receniioneu: Diel, ich -laeSecker: Mtt ch Nriivp »nb die Eatwick lung ter Auhstahlsabrik. O-tar Mediag: Ein«! dneui>jig Jahre in Glaube, Kamps »ns Sieg, und dt« Er.
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