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so oft sie auch einen allgemeinen Reichstag von ritterlichsten Gründen und edelsten Ideen zusammenruft; der Provinzialland- tag des Hintcrkopfes steift sich auf historisches Recht und alte- Herkommen und Bier- und Tabaksteuer rc. bleiben fest und un geschmälert stehen, ja erfreuen sich im Gegentheil eine- gelegent lichen folgenreichen Zuschlag-. Doch kennen wir auch arme musterhafte Jünglinge, die wegen Unterstützung bedürftiger Ver wandten bei kärglichem Verdienste in der That auch die kleinste vermeidliche Ausgabe scheuen müssen. Wendet sich jedoch ein solcher mit bescheidener Bitte an dm Turnverein-vorstand, so zweifiln wir nicht, daß auch ihm ohne Beschämung wird geholfen werden können. — Sollte man denn übrigens nicht auch hoffen dürfen, daß über kurz oder lang ein edler Freund des Turnen- und der Menschen sich in unserem Kreise dadurch ein dankbare- Andenken sichern werde, daß er ein kleine- Vermächtniß hinterläßt, aus dessen Zinsen Freikarten zumTurn- verein in zweckmäßiger Weise zu vergeben wären? Wir hoffen eS zu Leipzig- Ehre noch zu erleben! — 4) Langeweile und Mißbehagen aus Mangel an gewählterer Gesellschaft und feineren Umgangsfor men auf dem Turnplätze. Hiermit sind wir allerdings einem höchst bemerkenswerthen Einwurfe begegnet. Es hat die Betrach tung desselben uns schon oft beschäftigt und wir könnten wohl, auch ohne die Gedanken Anderer zusammenzustoppeln, ein ganze- Buch darüber schreiben, wenigsten- anonym einen kleinen „Mahn ruf", wenn wir nämlich auch da- dringende Bedürfniß fühlten „registrirt" zu werden und uns in aller Eile einen — kleinm Namen zu machen. — Doch Scherz und Anspielung bei Seite! ES M in obigem Vorwurfe gegen die liebe Turnerei unstreitig sehr viel Schein und vielleicht auch wirklich ein Körnchen von Wahrheit enthalten, und wir müßten sie wenig lieben, wenn wir nicht auch ihre wund erscheinende Stelle untersuchten; wer uns aber darum hassen wollte, würde sie noch weniger lieben, so sehr er auch mit dem Scheine des Gegentheil- prahlen könnte. Zunächst liegt es in der Natur der Sache, daß da- Turnen durch Erhöhung der körperlichen Kraft auch Selbftbewußtsein und Selbstvertrauen auf einen merklich höheren Grad erhebt. Dre ist jedoch weit eher eine wohlthuende alS eine widerwärtige Er scheinung. Kommt nun hierzu noch, daß besonders kräftige junge Männer, die in ihrer bescheidenen bürgerlichen Stellung auf treuen stillen Fleiß in engem Kreise hingewiesen sind, wo selten oder nie Gelegenheit zu Auszeichnung sich bietet, ja oft genug ungerechte Zurücksetzung zu ertragen ist, geschieht eS, sagen wir, daß solche junge Männer unter den Turngenossen hervorragen, so ist e- nicht zu verwundern, daß sie auf dem Turnplätze, wo sie ein un gleich höheres Ansehen genießen als anderswo, sich auch besonders wohl fühlen, ein ungezwungeneres Verhalten annehmen und all mählich den Schwerpunkt ihres liebsten und segensreichsten Wir kens suchen und finden lernen. Wissen nun solche Turnerhelden ihren Turnerruhm mit Würde und ohne Eitelkeit und Anmaßung zu tragen (denn auch der Ruhm ist eine Last und verlangt einen gar vorsichtigen Lastträger); vermögen sie ihre Person stets der Sache unterzuordnen und dieser zu Liebe ihre Autorität unter Um ständen selbst geschickt zu verbergen: so erscheinen sie dem wis senden und urtheilsfähigen Turngenossen in einer Gestalt, die ihn mit innerstem Wohlgefallen erfüllt und di- reinste Hoch achtung abnöthigt. Und solche wahrhaft ausgezeichnete Mitglieder besitzt auch unser Turnverein, und ohne sie und ibre aufopfernde Thätigkeit wäre er nicht das geworden, was er ist. Ein natür liches und unter Umständen kräftiges Auftreten aber von Seiten solcher Persönlichkeiten wird kein Verständiger unfein nennen. In einem allgemeinen Turnvereine jedoch, zu dem die Mit glieder, wie es füglich nicht anders sein kann, nicht nach Maß gabe feinerer Sitten gewählt und zugelassen werden, sondern ledig lich unter der allgemeinen Anforderung und Voraussetzung mora lischer Unbescholtenheit freiwillig sich zusammenfinden, wird eS auch schwerlich an solchen gänzlich mangeln, denen man eS anmerkt, daß es ihnen Mühe macht ihr Benehmen durchgängig auf der Stufe der Mittelmäßigkeit zu erhalten. Zeichnen sich nun auch von solcher Art Einzelne durch größere Turnfertigkeit und Kraft au-, so mag es sich wohl leicht zutragen, daß sie in eigenthümlich widersprechender Weise Anspruch erheben auf einen höheren Grad allgemeiner Achtung, die doch nur moralischen Vorzügen ge zollt werden kann, daß sie sich auf ihre bloße physische Stärke etwas zu Gute thun und, in einem ungeheuren Trugschlüsse be fangen, meinen, dadurch selbst Gebildeten gegenüber ihrem inne ren Wesen Geltung und Anerkennung verschaffen zu können. Unter Annahme solcher Elemente, und nur so läßt e- sich erklären, wenn außerhalb des Turnplatzes und des Vereins und näher der Bierbank als dem Reck dann und wann ein Vorgang sich er eignet, der allerdings allgemein mit dem Namen der Roheit bezeichnet wird. Doch das sind immer nur vereinzelte Ausnahmen. Für den Unkundigen, Vorurtheilsvollen und Lauen vermögen sie freilich leicht auf die gesammte Turnerei einen Schatten »u werfen; diesen Schatten aber als wesentliches Merkmal und Folge des Turnens hinzustellen ist entweder böser Wille oder Unkenntniß; er ist eben nichts weiter als eine Offenbarung der besonderen Be schaffenheit einzelner Personen- die zufällig auch am Lumm nach ihrer Art Gefallen finden. Trotz ihrer anerkennen-werthen Kraft und Geschicklichkeit schaden solche Turner der Sache aber natür lich weit mehr als sie ihr nützen; sie gebrauchen dieselbe nur zu Befriedigung verwerflicher Eitelkeit und erschweren im Volke durch unturnrrischeS Gebühren die Bildung eine- richtigen Unheils. Leute, die da- „Frisch, Frei, Fromm, Fröhlich" wohl auf Westenknöpfen, auf Hosenträgern und auf der Junge haben, die aber nicht frisch sind, wenn ihr Bier nicht frisch ist, die nicht frei sind, weil sie Sklaven ihrer Sinnlichkeit und Eitelkeit sind, die nicht fromm sein können, weil sie gegen Fremde weder Gerechtig keit noch Rücksicht, geschweige Liebe üben, die endlich nicht fröhlich sein können, ohne arrogant und roh zu sein: solche können wir nicht als die rechten uno wahren Turner anerkennen, noch weniger kann Deutschland von sollen ein „gut Heil" erwarten. Zum Glück aber bilden sie, wo sie überhaupt vorhanden sind, immer nur einen kleinen Brucktheil vom Ganzen. Auf dem Turnplätze selbst aser, also im Bereiche de- Vereins, wird schwerlich ein Verstoß gegen den allgemeinen Anstand je zu bemerken gewesen sein; das bessere Element ist hier viel zu sehr im Uebergewicht und außerdem auch die Aufsicht des Verein- über da- Ganze verbreitet. Daß sich freilich unter den vielen hier und da auch ein arrogantes Bürschchen voller Dünkel und Selbstge fälligkeit spreizt und reckt und Erfahreneren und Aelteren gegen über gern wie ein Aeltester sich benimmt, da- liegt an den viel ermahnten Erziehungsfactoren der Zeit, nicht im Turnen. Sind wir nur selbst gebildete Menschen, so macht uns da- Tumen wohl natürlicher, weil eS gesünder macht, aber nun und nimmermehr macht es uns roh. Wen aber durchaus nach einer gewählteren Gesellschaft verlangt, der besuche die Separatclasse von 6—7 Uhr, welche Zeit einer Anzahl von Männern besser zusagt als die von 7—9. Uebrigens aber hat es auch sein Gutes, wenn, wie in den allgemeinen Vereinsübungen geschieht, die verschiedenen Stände sich mit einander mischen; es nährt dies 'm kleinen Kreise ganz vorzüglich die besonders unter den Deutschen noch so „zarte Pflanze" Gemeingeist, ohne deren Gedeihen aber auch bei uns von großem Heile nie wird die Rede sein können. Da- schönste Verhältniß gestaltet sich freilich erst dann, wenn eine Anzahl be reit-Bekannter zu einer sogenannten „festen Riege" sich zusammen schließt; in diesem Falle bilden die Turnstunden die heitersten und unterhaltendsten Erholungsstunden und an Langeweile ist dabei nicht zu denken. Gegen die Langeweile auf dem Turnplätze kennen wir aber neben den heiteren Gesprächen mit Bekannten und Unbekannten und etwa anzustellenden psychologischen Studien nur noch ein Mittel, eS besteht darin, daß man sich vorher nur tüchtig geistig anstrenge; dann wird man auch schweigend dem bunten, frischen Treiben stundenlang ohne die geringste Langeweile zuschauen kön nen, so weit die eigenen Uebungen es zum Juschauen kommen lassen. — So haben wir denn in möglichster Kürze die gewöhnlichsten Einwände betrachtet, die gegenüber der Aufforderung zum Turnen vorgebracht werden. Wir müssen dabei bleiben, daß es meistens (und also nicht ohne Ausnahmen) bloS klägliche Vorwände sind. Man äußert sie in diesem Falle in der Regel im Tone der Entschuldigung; denn man fühlt wohl, daß das Turnen dem im gewöhnlichen Sinne gesunden Jünglinge und jungen Manne, der eine Beschäftigung ohne körperliche Anstrengung treibt, nachgerade eine Pflicht ist. Das Bischen gefunden Verstand, da- zu dieser Einsicht gehört, will man doch nicht gerade verläugnen; aber anstatt eS offen und ehrlich zu gestehen, daß man zu faul zum Turnen sei und möglichst träge Genüsse allen solchen vorziehe, deren Lust auf Thätigkeit oder gar Anstrengung beruht, behilft man sich auf unehrenhafte Weise mit allerlei lügenhaften und spitzfindigen Ausflüchten. Doch, wir wollen un- nicht ereifern über die Unverbesserlichen; wir haben für die Besseren, für die moralisch Gebildeteren ge schrieben, bei denen eine kleine Erinnerung, ein kleimr Anstoß zu eigner weiterer Erwägung zuweilen allerdings nicht ganz überflüssig ist, bei denen die- aber auch nie ganz ohne Frucht bleibt. Wir thaten es au- Liebe zur Sache und au- Liebe zu unserem Leipzig. Denn sollte eS der Himmel geben, daß nach zwei Jahren da- dritte deutsche Turnerfest in unserer Stadt gefeiert würde, so erfordert eS auch Leipzigs Ruhm, recht viele tüchtige und brave Turner aufweisen zu können. Mancher, der vielleicht mit Scham und Reue dem Feste zusehen wird, könnte bei einigem Eifer bis dahin zu einem recht tüchtigen Turner sich ausbilden und die hohe uyd reine Freude eine- solchen Feste- in einem Grade genießen, wovon ein bloßer gewöhnlicher Zuschauer gar keine Vorstellung haben kann; mit erhöhter Kraft und vollerem Lebensgefühl würde er in die Welt und seine Zukunft schauen; ja auch an die Zukunft de- deutschen Volke- würde er umsomehr glauben lernen, je mehr er sich selbst fähig fühlte, für seinen Theil auch für sie zu bürgen. So möge denn jeder der Getroffenen die Frage sich vorlegen' »Warum turne ich nicht?" und möge Jeder sie so beantworte«/