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E« » L» r-H -1 E r.^ ,» i.''^ c .. 5SI0 Böhme, große Fleischergaffe Nr. 1, Graßhof, Ulrichsgaffe Nr. 5, niedrigster Preis 8 Pfennige bei den Bäckermeistern Heifinger, Nicolaistraße Nr. 21, Schnurbufch, Glockensiraße Nr. 6, Mäufezahl, Dresdner Straße Nr. 63, und bei den Landbrodbackern ^ 4. Polter, ^ 14. Sander, 62. Schladitz. Leipzig, den 30. November 1858. Der Rath der Stadt Leipzig. Koch. Cerutti. 4 Leipzigs bedrängte Zeiten. VII. Die krypto-calvinistischen Händel (1563—1593). Kaum 40 Jahre nach den Kämpfen de- Lutherthums mit dem Papstthum waren es abermals Religionszwiste, welche die Be völkerung Sachsens und ganz besonders Leipzigs als Universitäts stadt in zwei feindliche Parteien spaltete, von denen die von der Regierung beschützte streng Lutherische die schwächere Melanch- thonische, zum CalviniSmuS hinneigende eben so heftig beschimpfte, verketzerte und verfolgte, als ehedem die Papisten die geheimen und offenen Lutheraner. Ein Theil der protestantischen Theologen hielt die Reformation nach Luthers Tode für abgeschlossen. Sie schloß alle weitere For schung auf dem Gebiete des Glaubens al« ketzerisch undverdamm- lich aus und bannte die neue Lehre an einen an die symbolischen Schriften gebundenen starren Kirchenglauben. Die Leipziger und Wittenberger Universitätstheologen dagegen verstanden unter Pro testantismus den lebendigen Geist, der im Bunde mit der forschen den Wissenschaft sich den fernern Ausbau des von Luther gelegten Grundsteins der reinen Christuslehre zur Aufgabe gestellt hatte. Die Verdrängung der dieser Richtung huldigenden Lehrer um jeden Preis war wieder das Ziel, welches sich die strenglutherischen Dogma tiker gesteckt hatten. Die Lehre vom Abendmahl war neben der Frage über den freien Willen des Menschen in göttlichen und geistlichen Dingen der Hauptstreitpunct. Die sich der Calvinischen Auffassung dieses Sacraments annähernden Theologen, welche zugleich eine Ver einigung mit den Reformirten anstrebten, wurden von den ortho doxen Lutheranern der Täuschung und des Unglaubens beschuldigt, und der Name Kryptocalvinist (geheimer Anhänger der Reformirten) wurde durch die Verwünschungen und Verdammungen von der Kanzel herab bei dem noch sehr in Unwissenheit und Aberglauben befangenen Volke bald gleichbedeutend mit Ketzer und Ungläubiger. Die lutherische Partei gewann durch den Schutz des streng gläubigen Kurfürsten August gar bald die Oberhand und in Wittenberg kam zuerst der Streit durch den eifrigen und fanatischen Dr. Flacius zum Ausbruch; von da aus ward auch bald die Schwesteruniversität Leipzig ergriffen und der erste offene feind selige Act gegen die Kryptocalvinisten war die Entlassung des 1563 von Jena berufenen Professors der Theologie Magister Striegel, welche 1566 auf Befehl des Kurfürsten erfolgte. Die Calvinisch- Gesinnten waren freilich nicht von dem Vorwurf freizusprechen, daß sie ihre Farbe nicht offen zu bekennen wagten und sich selbst durch Jnlrigue und Täuschung am Hofe des Kurfürsten einzuführen suchten. 1574 erschien in Leipzig eine anonyme Schrift unter dem Titel „Lxexesis", welche Calvin's Ansichten vertheidigte und großes Aufsehen in der theologischen Welt erregte. Der Kurfürst war darüber ganz außer sich, „daß in seinem Lande, unter seinen Unterthanen und in seiner Universität solche Frevel verübt werden könnten". Dem Kurfürsten waren zwar schon früher geheime An zeigen über die calvinistischen Umtriebe auf der Universität und in seiner Umgebung zugekommen und er hatte schon 1570 auf dem Land tage zu Dresden und 1571 auf einem solchen zu Torgau von seinm Theologen das lutherische Glaubensbekenntniß disputiren und unter schreiben lassen; doch wurde in Folge jener Flugschrift und der Enthüllungen des ebenso intriguanten als ehr- und eifersüchtigen Leipziger Bürgermeisters Hieronymus Rauscher 1574 abermals in Kirchenangelegenheiten rin Landtag nach Torgau ausgeschrieben, auf welchem 21 Artikel besprochen und festgesetzt wurden, welche von allen Theologen, welche sich von dem Verdacht deS Krypto- calviniSmuS reinigen wollten, unterschrieben werden mußten. Fünf Renitenten, welche die Artikel bestritten und nicht unterschrieben, wurden als Opfer ihrer UeberzeugunaStreue für lange Jahre auf der Pleißenburg eingesperrt oder des Lande- verwiesen. Auf diese Weise hoffte der Kurfürst die Universität und den Hof von dm gefährlichen Neuerern zu reinigen. Besonders hart wurde der durch die Anklagen Rauscher'- ge stürzte Geheimrath Georg Krakov und der Leibarzt des Kurfürsten Peucer getroffen. Ersterer starb nach fast einjähriger Haft auf der Pleißenburg in einem der übelsten Gefängnisse in Ketten, nach Einigen in Folge der Foltermartern, nach Andern den freiwilligen Hungertod. Peucer saß 10 Jahre lang im Leipziger Schlöffe, während welcher Zeit er weder Bart noch Haare scheeren durfte. Zur Visitation der Universität wurde 1576 eine eigene Com mission niedergesetzt, um alle calvinistischen Elemente zu entfernen, wa« auch schon vorher mit den Predigern geschehen war. Unter den neu eingesetzten Geistlichen zeichnete sich der Superintendent Nicolaus Salnekker als lutherischer Eiferer besonder- aus. 1577 wurde die schon im Jahr vorher auf Befehl de- Kur fürsten verfaßte Concordienformel (symbolische Bekenntnißschrift) nach nochmaliger Revision von sächsischen, brandenburgischen, meklenburgischen, braunschweigischen und württembergischen Theo logen, im Fürstencollegium öffentlich verkündet und den Pfarrern und Geistlichen zur Unterschrift zugeschickt. Die Lutherischen warm in vollem Siegen und jede calvinistische Regung wurde sofort im Keime erstickt. Weitere Reinigungen der Universität, Verbannung der Züricher calvinischen Bibel, und eine neue strenge Kirchenord nung für die Pfarrer, Kirchendiener, Schulmeister, Küster und Eingepfarrten sollten allem ketzerischen Eindringen einen sicheren Damm entgegensetzen. Trotz dieser strengen Maßregeln war da- Volk wenn auch nicht ungläubig im jetzigen Sinne, doch auch nicht gläubig — es war abergläubisch, wofür un- folgende Stelle auS Heidenreichs Chronik einen sichern Beleg giebt: „Den 28. Oct. (1582) wurden zwei Todtengräber zu Großzschocher, welche durch Zauberei ein große- Sterben angerichtet und viele Menschen durch ein zugerichtetes Pulver von Kröten, Schlangen und Molchen vergeben, mit glühenden Zangen zerrissen, gerädert und aus- Rad geflochten; ihre zauberischen Weiber aber und Schwäger, so mancherlei und erschreckliche Wetter gemacht, auch mit dem Teufel gebuhlet, wurdm auf den Scheiterhaufen gesetzt und zu Pulver verbrannt." Trotz der Vernichtung dieser Zauber- und Hexenfamilie währte da- Sterben dennoch fort und wiederholten sich die bösen Wetter. Der Kampf beider Parteien war jedoch nicht rein religiöser Natur. Gar Manchem war es um Herrschaft und Gewalt in Stadt und Staat zu thun. Die Glaubensrichtung war nur der Deckmantel, unter welchem die Jntrigue gesponnen wurde, um mächtige Nebenbuhler zu stürzen. So lange der Kurfürst August lebte, waren die Calvinischen zurückgedrängt, unterdrückt, aber nicht zerdrückt und entmuthigt. Nach deS Kurfürsten Tode, 1568, war sein Sohn Christian I. nicht der Mann, der den ernsten Willen seines Vaters mit eisemer Hand hätte durchführen können. Sein Kanzler Pfeiffer aus Leipzig hatte HaS Regiment, und dieser, obwohl er es im Sinne Augusts fortführte, vermochte sich gegen die Machinationen des vr. NicolauS Crell (ebenfalls eines Leipziger-) nicht lange zu halten und mußte diesem in der sächsischen Ge schichte so bekannten Namen bald die Kanzlerstelle einräumen. Der Herrschaft der Lutherischen ihr Stündlein hatte geschlagen. Die Verpflichtung auf die Concordienformel wurde aufgehoben, calvi nistische Schriften verbreitet, da- Schmähen und Schimpfen von der Kanzel herab gegen die Reformirten auf's Strengste verboten und Zu widerhandlungen dagegen mit AmtSentsetzung, Verbannung, Gefä'ng- niß und Folter bestraft. Der ExorciSmuS (da-Austreiben des Teufels bei der Taufe) wurde beseitigt. Letztere Maßregel, so wie manche Ge- waltthätigkeiten und Willkürlichkeiten in Verwaltung und Gesetz gebung machten ihn bei dem an Althergebrachte- gewöhnten und in Vorurtheilen befangenen Volke auf's Tiefste verhaßt. Die erbitterte lutherische Geistlichkeit, obwohl da- Volk auf ihrer Seite, mußte ihre Plane im Geheimen schmieden. Der baldige Tod deS Kur-