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stände Angehörende sich nicht mehr durch die schlichte bürgerliche Einfachheit der Lebensweise und gewissenhafte Eintheilung der Be dürfnisse nach Maß des Erwerbs so auSzeichnen wie sonst» daß bei Vielen mehr unverhältnißmäßiger Aufwand als Mangel an Verdienst, mehr Unkunde an vernünftiger Verwaltung von Geschäft und Wirthschaft, als Zeitverhältniffe zu ihrem Verfalle beitrugen. Es wird dies bei näherer Prüfung der Verhältnisse nicht so sehr auffallen, wenn man erwägt, daß fast nirgendwo, weder in größeren noch in kleineren Städten Deutschlands dem Handwerks gesellen ein Asyl gegeben ist, wo der bessere Theil derselben auch eine höhere Bildungsstufe zu ersteigen Gelegenheit hat. Nur Wenigen bietet sich dieses Glück im Hause des Meisters, oder in anständigen Familienkreisen. Der größte Theil ist für die Er holung zum Wirthshaus und zu geistlosem Herbergsleben verur- theilt. Er bleibt bei solcher Lebensweise einer höhern geistigen Bildung und Lebensweise fremd, wenn er auch nicht, was leider nur zu häufig der Fall ist, der sittlichen mit verlustig geht, und nimmt nur zu oft die Gewohnheit von Bedürfnissen und Auf wand mit in die Selbstständigkeit hinüber, die seinem Empor kommen von vorn herein den größten Eintrag thut. Im Gefühle aller dieser Nachtheile hatten zu verschiedenen Zeiten strebsame Gesellen unter sich größere Vereinigungen zu eigener Weiterbildung zu errichten gesucht, sowie auch öfter wohl wollende selbstständige Gewerbsleute diesem Mangel abzuhelfen sich angelegen sein ließen, doch konnten solche Bestrebungen auf Grund älterer Verordnungen, nach denen Gesellenverbindungen verboten waren, keinen festen Halt gewinnen, so wenig auch in Wirklich keit jene Gesetze auf Bildungsvereine nach ihrer ursprünglichen Bestimmung Bezug und Anwendung leiden können. Wenn nun im bürgerlichen Leben nicht alle nothwendigen Ver besserungen von Fürst und Regierung zu erwarten sind, wenn es als heilige Pflicht des Bürgers erscheint mehr an der Erweiterung derjenigen Kenntnisse und an der Verbreitung der Tugenden zu arbeiten, welche zuletzt Staat und Verfassung verbessern müssen, als sich unmittelbar mit praktischer Politik zu befassen, wenn man nicht dazu berufen ist, so ist es gewiß nicht minder Pflicht der Regierungen, den auf Gutes abzielenden Thätigkeitsäußerungen nicht hinderlich zu sein, schon 5us Menschenpflicht, selbst wenn es nicht in ihrer ursprünglichen Bestimmung läge, für die höhere Bildung Derer Sorge zu tragen, die unter ihre Obhut gestellt sind. Freilich wohl ist eS in neuerer Zeit Gesellschaften selbstständiger Bürger gelungen, unter ihrem Schutze dem Gesellenstande lang entbehrte Bildungsmittel darzubieten. Allein diese Bildungsver eine stehen noch zu vereinzelt da. Sie werden zu wenig befördert von den Gewerbsgenossen, Zünften und Innungen, selbst zu wenig gewürdigt in ihrem wahren Wesen von der Gesellschaft im Allge meinen und den Behörden. Daher wird es wohl noch lange dauern, bis diese wenigen hier und da zerstreuten Pflanzstätten besserer Bildung sichtbare Blütken treiben können, bis man erkennt, daß wenn die Lebens und Handlungsweise von Ständen und Völkern gebessert werden soll, ihre Denkart vorher gebessert und geläutert werden muß, und daß dieses weniger durch Strafbefehle als wahre Aufklärung zu erreichen ist. Stadttheater. Eines der hervorragendsten Werke jener von C. M. v. Weber geschaffenen Schule der echten deutschen, urkräftigen und waldes- duftigen Romantik — das übrigens auch deshalb für Leipzig stets von hohem Interesse sein muß, weil es hier geschaffen und von unserer Bühne aus den Weg über alle großen und größeren Theater Deutschlands gemacht hat — ist Heinrich Marschners Oper „der Templer und die Jüdin". Bei dieser Oper ist nur Eines zu beklagen: daß der Componist allein es war, der vermöge außerordentlicher Begabung und hoher künstlerischer Intelligenz die ganze Bedeutung des herrlichen Stoffs und der gewaltigen Poesie Walther Scotts erfaßt und in seiner Kunst wiedergegeben hat, während der Dichter seiner großen Aufgabe zu wenig gewachsen war und nicht einmal den unerläßlichsten Anforderungen bezüglich des ganz gewöhnlichen formellen Bühnengeschicks entsprechen konnte. Man muß sich daher hier mehr als bei irgend einem anderen mu sikalisch-dramatischen Werke an die Schöpfung des Componisten halten, und diese ist mit ihrem ungewöhnlichen Reichthum an schönen und glänzenden Melodien, mis ihrer Charakteristik, ihrer tief gehenden glühenden Leidenschaft im dramatischen Ausdruck, ihrem prachtvollen Colorit wohl geeignet, nicht allein vollständig Ersatz zu leisten für die Mängel des Libretto, sondern auch hiq- zureißen und Jedem, der Walther Scotts berühmten Roman kennt, die Charaktere und Situationen aus demselben, die interessante Epoche der englischen Geschichte, welche im „Jvanhoe" geschildert wird, in schöner und ergreifender musikalischer Illustration zu ver gegenwärtigen. So unendlich oft wir auch diese Musik gehört haben, so bleibt ihr doch stets der Reiz unvergänglicher Jugend und jene Gewalt des Ausdrucks, die tief erschüttert und unwider stehlich mit sich hinreißc. Besonders ist das der Fall, wenn — wie bei der Vorstellung am 5. September — die Repräsentanten der beiden fast allein in dem Vordergrund stehenden Personen ihre Aufgaben verstehen und geistige Befähigung und materielle Mittel genug haben, um das, was sie wollen, auch ausführen zu können. Herr Bertram gab in seinem Bois Guilbert ein durchaus schönes, den Intentionen des großen englischen Dichters wie denen des deutschen Componisten entsprechendes Bild des stolzen, ritterlichen und von wilden Leidenschaften bewegten Charakters. Müssen wir der von schönen Stimmmitteln gehobenen musikalischen Leistung des Herrn Bertram volle Anerkennung zollen und als beson deren Vorzug derselben das Verständniß des geistigen Inhalts der Musik hervorheben, so war es namentlich auch die vorzügliche Auseinandersetzung und höchst wirkungsvolle Steigerung im Spiel des Sängers, was der Gestaltung einen großen Werth verlieh. Eben so wie in der Gesangsleistung des Herrn Bertram die großen und bedeutenden Nummern der Partie, und vorzugsweise die den ganzen Charakter des Templers entwickelnde Arie und das Duett mit Rebecca im dritten Act, als Höhepunkte hervortraten, so hatte derselbe in den Finale s der beiden letzten Acte als Dar steller, unbeschadet der Einheit des Ganzen, höchst bedeutende Mo mente, die weit über den Maßstab hinausgingen, den man in der Regel an die Darstellungskunst der Sänger zu legen pflegt. Wir können Herrn Bertram zu dieser wahrhaft schönen Ge staltung nur Glück wünschen, die wir unter Allem, was wir bis jetzt von ihm gesehen, für die vollendetste halten. — Mit Durch führung der nicht minder große Voraussetzungen machenden Partie der Rebecca bewährte Fräulein Marie Mayer von Neuem ihr schönes Talent für Wiedergabe großer dramatischer Partien. Auch in dieser Leistung zeigte sich im Gesänge wie im Spiel richtiges Verständniß, wie jene wahre natürliche Empfindung und die zün dende Macht der Leidenschaft, welche Eigenschaften allen derartigen künstlerischen Gestaltungen der reich begabten und nach dem Höchsten strebenden jungen Sängerin einen so großen Reiz verleihen. — Von den übrigen Gesangspartien der Oper waren neu besetzt: der Großmeister durch Herrn Rafalsky, Maurice de Bracy durch Herrn Jäger und der Einsiedler durch Herrn Lück. Der Lei stung des Letzteren gedenken wir in besonders anerkennender Weise: im Gesänge tüchtig und das humoristische Element äußerst wirk sam hervorhebend gab Herr Lück im Spiel den lustigen Barfüßler mit feinem, die Grenze des Erlaubten stets respectirenden Tact und höchst ergötzlicher Komik wieder. — Herr Kreuzer sang die schwere, musikalisch wohl dankbare, aber doch gegen die des Templers sehr zurücktretende Partie des Jvanhoe. Was dieser verständige und tüchtige Sänger in derselben leistet, ist bereits gebührend ge würdigt worden und wir können daher diesmal aus das früher Gesagte verweisen. — Recht brav trug Herr Krön die beiden Lieder des Narren vor, wie er auch im Spiel dieser seinem Wir kungskreise ferner liegenden Rolle gerecht zu werden suchte. — Die edele ritterliche Gestalt des Königs Richard Löwenherz fand in Herrn Stürmer einm würdigen Vertreter, wie man das von diesem Darsteller nur erwarten durfte. — Die kleine Rolle des Locksly sang und spielte Herr Cillis wie schon früher recht brav. — Einen schönen Eindruck machten die prachtvollen Chöre, die von den vielen frischen und wohlklingenden Stimmen unseres Chorpersonals mit großer Sicherheit vorgetragen wurden. Auch diese Vorstellung ward durch die vortreffliche Durchführung des besonders schweren orchestralen Theils der Oper belebt und we sentlich gehoben. F. Gleich. Leipziger Sparverein. III. Jahr 1857 von April—Nov. 149 Sparer m.»§ 622 Einlagen. IV. - 1858 - April-Juni 988 - - - 2047 - Juli—Aug. 25 -- - 1635 bis Ende August 1913Sparern,.»§3682 Einlagen.