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sein zweijähriges Geburtsfest feiern wird, so ist dessen ungeachtet dieser Saal noch kein volles Jahr alt und keineswegs erst nach der Eröffnung der übrigen Lokalitäten gebaut, nein — er hatte das Unglück gleich nach seiner ersten Vollendung alsbald wieder Ruine zu werden, um einem Phönix gleich desto glänzender in diesem Jahre seiner Asche aufs Neue zu entsteigen. Wäre der Einsturz seiner Decke vierundzwanzig Stunden später erfolgt, so würde man sich von ihm eine Mahr erzählen können, die Allen die Haare zu Berge sträuben machen würde. — Glücklicherweise war dem nicht so und wir freuen uns herzlich darüber, sowohl wegen der Mitglieder der Gesellschaft „Glocke", als auch wegen des Herrn Schatz und der betreffenden BaugewerkSmeister; wir nehmen an, daß die gütige Vorsehung ihnen allen zu Liebe ein grenzenloses Unglück abgewendet hat. In welchen Jammertönen würde die Glocke erklungen sein, wäre dieses Ereigniß mit dem Verluste vieler Menschenleben verknüpft gewesen, da schon sonstige Gerede über den Verlauf des Dacheinsturzes kein Ende nehmen wollten. — Doch genug hiervon; tritt jetzt in daS Dunkel des Gartens, aber erschrick nicht vor den Stammahnen aller Leipziger Linden, sie sind die wahren Repräsentanten deS wirklichen Ge schlechtes derer von Linden. Alter, reiner Vollblutadel! Schöne Jungen! knorrig, echt deutsch, allen Stürmen getrotzt habend und noch trotzend, wahre Prachtexemplare von Olims Zeiten her, würdig den alten unter ihnen stehenden Opferstein, den Zeugen ihrer Jugend, mit ihren riesigen Zweigen zu beschatten. Doch ist's kein Opser- ftein an dem heidnische Priester ihre Opfer schlachteten, nun — so ist's ein anderer und wir wollen es nicht herausklügeln, was für einer. Diese altehrwürdigen Bäume umgrenzt von zwei Seiten ein Glassalon, geräumig und sauber, nur schade, daß er einen rechten Winkel bildet und nicht in gerader Linie ausläuft, damit jeder in ihm Sitzende einen Totalüberblick gewönne und die eine Hälfte desselben nicht jene großen Bäume von dem Hauptplatze abschlösse, an deren letztem Baum, einer Rüster, sich ein Auswuchs zeigt, der, namentlich etwas von fern gesehen, ein Gesicht bildet, in dem eine mehr als fruchtbare Phantasie einen LudwigSkopf erkennen will, während unsere prosaischen Augen in ihm nur ein plumpes, pustliches Alltagsgesicht erblicken. —>. Der eigentliche Garten, der sich hinter dem großen Saale, dem schattigen Lindenplatz und dem Glassalon noch weithin erstreckt und in einem kleinen Park endigt, ist recht nett angelegt und enthalt einen unüberbauten Tanzplatz. Die Räumlichkeiten des ganzen Etablissements sollen ungefähr — schon wieder das herrliche Wort — dritthalbtausend Menschen zu fassen vermögen. So viel steht fest, Herr Schatz hat sich um die Gründung dieses Etablissements ein Verdienst erworben. Und dieses Geständniß sei als Dankadresse ihm dafür dargebracht. Kaum haben wir unsere Apologie über die Kuhthurmlinden geschlossen, so muß schon wieder eine über Linden-Au beginnen. Lindenau, das schönste Dorf um Leipzig, hat zwar nicht solche regelmäßige Straßen wie der neue Theil von Reudnitz oder das Dorf Neu schönefeld, zeigt aber dafür ein ländliches Gepräge, welches wohl- thut, einen Eharakter, der uns anzieht und anheimelt. — Gleich über der häßlichen Brücke, links am Eingänge des Dorfes, liegt die hübsche Mühle. Der Besitzer derselben, Herr Keßler, soll, einem VN äit zufolge, noch im Besitze eines Stuhles sein, auf dem Napoleon, erschöpft von den unmenschlichen Anstrengungen der Schlacht, eine kurze Zeit der Ruhe gepflegt habe. Rechts von der Brücke zeigt sich der Gasthof des Ortes, ein schönes Grund stück mit einem äußerst geräumigen, reinlichen Hofe, aus dem in bunter Farbenpracht stets ein Dutzend stolzer Pfaue herumspazieren: bunte, weiße und Bastarde von beiden Arten, ein unübertrefflicher, äußerst angenehm überraschender Anblick. Herrn Jahns Vorliebe fürs Federvieh ist weit und breit bekannt und es darf daher nicht wundern, auf dem Gehöfte des Gasthofs außer den Pfauen die schönsten Perlhühner, Kalikuthühner, türkische und gewöhnliche Enten, so wie Tauben in großer Anzahl und mannichfacher Lands mannschaft anzutreffen. Man wird stets bei schönem Wetter auf dem Oekonomiehofe einer Anzahl Leipziger begegnen, die entweder ihre Aufmerksamkeit dem Geflügel, oder auch den Nachkommen des gehörnten Siegfried widmen, und eS ist die große Frage, ob die Urenkel hinsichtlich der Hörner am Kopfe nicht dm Urgroßpapa übertreffen; sie sind in der That wahre Prachtexemplare und die Leipziger Messen habm oft schon viel weniger SehenswertheS ge bracht. Der Gasthof, „Au den drei Linden" gmannt, ist gar ein anmuthiger Aufenthaltsort, nicht todtzumachen wie die Leipziger sagen. Seine Lage, seine Räumlichkeiten, seine Gose sind die Banden, die keine Concurrenz zu sprengen vermag, und Herr und Madame Jahn thun wohl daran, daß sie lächeln, wenn Aengstliche in der Nähe des Kuhthurmes noch ein dräuen des Gespenst zu erblicken vermeinen. Geradeüber dem Gasthofe und auch dem Chauffeehause ist Herrn Dorn's Restauration, von ihm Befreundeten scherzweise die kleine Central Halle genannt. Niemand wird an diesem Namen etwas auszusetzen finden und ihre vornehme Schwester in Leipzig hat sich ihrer wahrlich nicht zu schämen, wenn sie es gleich noch nicht bis zum Tanz-, wollte sagen Ballvergnügen gebracht hat. Das Gastzimmer der kleinen Centtalhalle durchweht eine Atmosphäre der Gemüthlichkeit, wie kaum anderswo, und nicht wenig trägt Herr Dorn selbst dazu bei, der in keines Menschen Augen ein Dorn, wohl aber an der Brust seiner Gäste ein Vergiß meinnicht ist. Nicht weit davon, ebenfalls an der Lützener Straße, liegt der Witwe Hercher Wirthschaft, ein von den Leipzigern ebenfalls besuchter Platz, der seine AtttactionSkraft gewissen an be stimmten Tagen zu bekommenden Lieblingsspeisen und seinen Räumlichkeiten verdankt, und der wir, schon um des Wortes Witwe willen, stete Zunahme wünschen. Durchs Goldhahn- gäßchen — wir legen diesem Gäßchen, welches schrägüber von HercherS Restauration beginnt und am Ausgang der sogeyannten Herrengasse auSmündet, diesen Namen darum bei, weil es un gefähr ebenso schmal und lang wie sein Namensvetter in Leipzig ist — gelangt man nach wenigen Schritten an den Lindmauer Teich. Am Ende desselben, links, befindet sich die eigentliche Dorfschenke, jetzt zum großen Theile neu gebaut, mit einem mit Bäumen bepflanzten Hofe und einem Colonnadenbau mit Wandgemälden — wie sie Genelli schwerlich machen kann. Wel chen Rang sich diese älteste aller Lindenauer Wirthschaften im neuen Gewände erringen wird, ist erst abzuwarten. Die Volks stimme spricht bereits zu ihren Gunsten. Der Besitzer ist Herr Richter. Rechts vom Teiche liegt die grüne Eiche, ein urge- müthliches Kneipchen mit einem unermüdlichen Wirth. Hast Du, treuer Begleiter, einmal einen Eisbären in seinem Käfig ruhig stehen sehen? Nein! Ich auch nicht. Ich habe aber auch Herrn Wolf niemals in seiner Cavete ruhig stehen sehen — dies will viel mehr sagen. Man muß Herrn Wolf wirthschaften sehen, um begreifen zu lernen, was es heißt, Wirth zu sein. — Die grüne Eiche ist nicht nur ein Taubenschlag, die grüne Eiche ist auch ein wahrer Ameisenhaufen: es kommt und geht, nur mit dem Unterschiede, daß die Ameisen mit vollem Munde in ihre Wohnung ein-, Herrn Wolfs Gäste dagegen mit vollem Mund und Magen auS der grünen Eiche aus ziehen. Vollauf und wohlfeil ist die Devise zur grünen Eiche! Unmittelbar an Lindenau grenzen die ersten Häuser des Dorfes Plagwitz und der Felsenkeller bei Lindenau gehört eben falls zu Plagwitz. Er ist ein schönes, hochgelegenes, in hübschem Style aufgeführtes Gebäude mit zwei großen, gut ausmeublirten Gastzimmern und einem umfangreichen Garten, der sich in den ersten Jahren seine- Vorhandenseins dadurch auszeichnete, daß er auf dem freien Platze vor dem Gebäude keine Bäume hatte, und sie daselbst erst nach Verlauf mehrerer Jahre erhielt, während weiter nach hinten Akazien angepflanzt waren, unter denen fest genagelte Tische und Bänke standen, deren letztere mehr auf Leder- als auf Tuchhosen berechnet gewesen zu sein schienen. Jetzt ist Allem und Allen Genüge gethan, die erwähnten hintern Akazien sind groß und geben Schatten und haben noch ein schützendes Colonnadengebäude zum Nachbar erhalten; die auf dem Platze vor dem Hause angepflanzten Linden geben bereits auch schon einigen Schatten, und zwischen ihnen steht ein anständiges, gleich mäßiges, transportable- — wie jetzt überall — Meublement, da- allen Ansprüchen genügt. DaS Lagerbier, frisch aus dem Keller verzapft, ist außerordentlich wohlschmeckend und kräftia, wie sich dies auch blos erwarten läßt, da der Besitzer dieser Berg schenke (!) einer der geachtetsten und renommlrtesten Brauherren Leipzigs ist. Und welche Aussicht auf noch frischeres Bier steht dm Bierfeinschmeckern noch bevor, da Herr Naumann jetzt einen wirklichen Felsenkeller. in Plagwitz besitzt. Resumö: Küche und Keller vorzüglich, Bedienung prompt und lobenswerth. Außer diesem Felsenkeller hat genannte- Dorf noch die Restauration und Bäckerei des Herrn Düngefeld, eine Wirthschaft noch nach altem Schrot und Korn — aber auch so solid, und das ist wohl das kürzeste aber auch größte Lob, was sich von ihr sagen läßt. Ständen mir die Zauberkünste Philadelphias, oder Bosco's des Vaters, Wiljalba Krickel-, oder Bosco's des Sohnes, natür lich des echten, nicht de- Pseudo - Bosco, des Berliners, berüch-