Volltext Seite (XML)
S78 Alleinherrschaft eines Chors das künstlerische Streben leicht stillstehen oder doch vernachlässigt werden würde, eben solche Nachlässigkeit oder Gleichgiltigkeit würde der Kunst und den künstlerischen Genüssen des Publikums drohen, wenn dieselbe dem direkten Gegensätze, d. i. einer schrankenlosen Concurrenz ausgesetzt werden würde. Schon aber will dieser Schlendrian hier einreißen. Neben den Chören, deren Glieder sich nur die Ausübung der Musik als Lebenszweck gestellt haben, sind in neuester Zeit einige Winkelchöre aufgetaucht, die in die Kunst nur hineinpfuschen, gebildet von solchen Leuten, die in der Woche ein Handwerk treiben und Sonntags unter einem beliebigen Direktor ein sogenanntes Concert abhalten. Daß von Solchen, die es mit der Musik als Flickhandwerk halten, der Geschmack des Publikums und die Ehre dieses Geschmacks nicht gefördert wird, ist natürlich; aber sie erregen auch noch einen schädlichen Einfluß auf die Kunstübung und den Erwerb der eigentlichen Musiker. Noch mehr. Wie auf den öffentlichen Geschmack und den bürgerlichen Erwerb, haben diese Winkelchöre auch auf die öffentliche Moralität eine wenig-, stens zweifelhafte Wirkung. Um die Kunst handelt es sich bei ihnen nicht, nur um den Verdienst; wie sie diesen erwerben, ist ganz gleichgiltig. So lausen ihnen denn Diejenigen zu, die von den bessern oder vielmehr eigentlichen Chören wegen Unmoralität oder Trägheit ausgeschlossen werden; ja es kommt wohl vor, daß sich fremde Subjekte bei ihnen als Mitwirkende einschreiben lassen, die sich auf keine andre Weise die Erlaubniß des Aufenthalts in Leipzig zu verschaffen wissen. Um nun dies zügellose, der Gemeinde lästige Zuströmen von untauglichen fremden Subjekten zu verhüten und durch eine geregelte Concurrenz das künstlerische Streben zu för dern, haben sich die genannten drei Chöre zusammen unter gewissen Statuten vereinigt, welche ihre betreffenden Ver hältnisse ordnen, nur nützliche und moralisch nicht übel beru fene Mitglieder als solche anerkennen und zugleich durch einen Gesellschaftsfonds für die Kranken und Schwachen aus ihrer Mitte sorgen, damit der Stadt keine Belästigung zufalle. Das besagte Gesuch bezweckt und wünscht nu» von dem Stadtrathe zu Leipzig eine rechtskräftige Bestätigung dieser Vereinigung und der ihr zu Grunde liegenden Statuten, dergestalt, daß außer den fünf Chören der Herren Barth, Fölck, Hauschild, Lopitzsch und Wenck (so lange sie genügen) kein neues Musikchor erstehen darf, daß allen fünf Chören die freie Ausübung der öffentlichen Musik bei Festlichkeiten, Bällen, Concerten u. s. w- frei gegeben werde, und daß das Privilegium des Stadtmusikus auf die Uebertragung der von dem Rath und der Stadt spcciell ausgehenden Musik be schränkt werde. Jedenfalls entstand nur aus diesem Bedürfniß für städtische Feierlichkeiten in alten Zeiten das Privilegium, keinesfalls aber mit dem Gedanken, die Ausbildung der Kunst selbst zu beschränken, und es wird also der Sinn des Pri vilegiums vollständig gerettet und erfüllt, wenn die städtische Musik nur Einem Chore zur Ausübung überwiesen wird. Allerdings reichte auch jetzt noch ein Chor für das Leipziger Publicum aus, aber nur wenn es viermal soviel Mit glieder zählte, d. h. wenn es die vier andern Chöre in sich aufnähme und die Direktoren derselben zu Unterdirectoren des Stadtmusikus machte. Dann aber würde es ganz beim Alten bleiben, nur mit dem Unterschiede, daß dann diese vier Unterdirectoren immer noch die alte Arbeit hätten, der Stadt musikus aber den Gewinn einstriche. Warum aber, wenn man dies einrichtete, hat mar^dann diese vier Direktoren so lange wirken und ihre ganze Thätigkeit aufopfern lassen, um sie zuletzt nach bester Erfüllung ihrer amtlichen und staats bürgerlichen Pflichten auf halben Sold herabzusetzen? Will man den Gewinn nicht lieber mehren Bürgern zuwenden, als Einen bereichern? Und wie nun? Wir heben alle Bann rechte, heben den Bierzwang auf und lassen Jeden sein Seidel trinken, woher er will, und die edeln Genüsse, die Geist und Herz befriedigen, wollten wir beschränken? Nein, es wäre eben so ungerecht, als unzeitgemäß und unkünstlerisch. Gerade jetzt aber könnte diese Neuerung um so leichter eingeführt werden, als sie wenig oder gar nicht in Collision mit einem wirklichen Gebrauche des Rechts kommt. Herr Barth ist gewissermassen schon aus dem aktiven Dienste getreten und eine wohlverdiente ehrenvolle Schonung seines Wirkungs kreises dürfte leicht in Einklang zu bringen sein mit der neuen Gestaltung. Aber da kommt nun der liebe Brvdneid und allerhand kleinliche Jntriguen und Machinationen (wir be merken ausdrücklich, daß wir Hrn. Barths Person damit nicht berühren). Als die drei vereinigten Chöre nach dem Brande des Hotel de Pologne für die Verunglückten ein Concert veranstalteten, wurde diese Handlung der Wohlthä- tigkeit von Gegnern dieser Vereinigung mit den hämischen Worten: „Pfui, es raucht noch, und schon Concert!" als eine frivole Verletzung des Anstandes und der Pietät ver leumdet. Eine an den Stadtrath ergangene Petition des Stadtmusikchors um Wegweisung oder doch Abschließung der fremden Musiker dürste eine Zersprengung der andern Chöre zur Folge haben, also wohl auch bezwecken, damit dann den Zersprengten keine andere Zuflucht übrig bliebe, als sich in das Stadtmusikchor ausnehmen zu lassen; die jetzigen Be dürfnisse des Publikums verlangen aber die Anwesenheit der Fremden. Es dürfte wohl hier am Orte sein, noch auf einen Uebel- stand aufmerksam zu machen, der immer mehr einreißt. Man wird den Leipziger Wirthen gewiß nicht nachsagen können, daß sie schlechte Geschäfte machen. Es liegt auch auf der Hand, daß sie guter Musik bedürfen, um das «Publicum in ihre Lokalitäten zu locken, und daß, wenn das Publicum zu ihnen strömt, sie dies dem bei ihnen thätigen Musikchor mit zu verdanken haben. Statt daß sie nun gegen dieselben dankbar sein sollten, verlangen sie noch' von denselben eine Pachtsumme dafür, daß sie durch die Musik das Publicum zu ihnen locken. Der Gewinn der Wirthe ist an solchen Tagen gewiß größer und nicht mit so viel Anstrengung ver knüpft, als der geringere der Musiker. Bei einer strengen Consequenz der vereinigten Chöre dürfte diese Ungerechtigkeit, die zur Unsitte zu werden droht, wohl beseitigt werden, was in gewerblicher Beziehung zu Gunsten der Musiker zu wün schen wäre." Soweit der im November vorigen Jahres geschriebene Aufsatz des Dresdner Tageblattes. Seitdem haben wir er fahren, daß diese Angelegenheit nach mehren Wendungen noch schwebt, einer günstigen Entscheidung aber entgegensieht, da man sich nicht nur von dem Nutzen dieser Concurrenz im Allgemeinen für Kunst und Publicum überzeugt, sondern auch besonders bei den vereinigten Chören ein ernstes Stre ben und glücklichen Aufschwung bemerkt hat. H. S. Ueber Eisenbahn-Oberbau und Gewölbebau. Der Zeugschmied und Aiegeleibesitzer Böhme in Jena hat der letzten Ständeversammlung eine Schrift überreicht, welche über die beiden oben angeführten Gegenstände sich verbreitet. Es ist dieselbe von den Kammern der Regierung zur Erwägung über geben worden. Der Oberbau der Eisenbahnen soll nach seiner Idee nicht mehr durch Holzunterlagen, worauf die Schienen ruhen und befestigt werden, hergestellt, sondern durch Steinbau nach einer eigenthüm, lichen Construction ersetzt, und Schienen entweder von Guß eisen oder von einem von ihm erfundenen Material, da- eben so fest als dieses sein soll, verwendet werden. Er sagt: daß man gußeiserne Schienen oder von dem Ma terial, da- da- Gußeisen ersetzen soll, de- Zerbrechen- wegen verwerfe, beruhe auf einem Jrrthum, Haß, wie zeither der Ober bau auSgeführt worden sei, man biegsame oder nachgebende ge walzte Eisenschitnen haben müsse. Diese- nun soll durch seine Erfindung beseitigt werden, nämlich der Schiene eine so feste