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Leipziger Tageblatt und Anzeiger. ^ 102. Montag, dm 12. April. 1847. Die Lage der Leipziger Musiker. lieber dieselbe brachte Nr. 94 des Leipziger Tageblattes einen Aussatz, der ohne Zweifel mit Berücksichtigung eines früheren im Dresdner Tageblatt (Nr. 131. 1846) erschienen Artikels über denselben Gegenstand geschrieben war. Da der letztere grade das entgegengesetzte Resultat erstrebt, so möge er hier mit einiger Abkürzung der Einleitung seinen Platz finden, um das Publicum mit der Sachlage völlig vertraut zu machen. Nachdem erklärt war, wie am wenigsten die Musik, eine freie Kunst von erfreuendem veredelndem Einflüsse, einem drückenden Zunftzwange oder dem noch drückender» Zwange eines Monopols erliegen dürfe, wie ferner grade in Leipzig dem schönen Aufschwünge der musikalischen Bildung der ausführenden Künstler sowohl als des Publicums eine gefährliche Reaction drohe, wie endlich nur die unverkümmerte Concurrenz dieser drohenden Gefahr steuern könne, fuhr der Aufsatz des Dresdner Tageblatts also fort: „In Leipzig bestand früher, wie sonst überall, nur Ein ^ Mufikchor unter der Direction des privilegirten Stadtmusikus. Das mochte ««-reichen, als Man statt im Hotel de Pologne Bälle, Feste, Hochzeiten u. s. w. im durch Zachariä'S „Re nommist" in der deutschen Literatur wohlbekannten Schell- haferschen Hause (jetzt Hotel de Saxe) abhielt, in jenen guten alten Zeiten, wo die Leipziger noch „um's Thor gingen" und wo die Stadt an der goldnen Gans und dem alten Grimmaischen Thor wirklich ein Ende hatte. Aber das ist seitdem anders geworden. Mit der Zahl der Einwohner und der zunehmenden Blüthe der Stadt wuchsen auch die An sprüche der Leipziger Feste unverhältnißmäßig. Nun reichte rin Musikchor für die mit der Einwohnerzahl vermehrten Bälle und Festlichkeiten und die in den neuentstandenen Gartenanlagen veranstalteten musikalischen Genüsse nicht mehr aus. So bildeten sich, gefordert durch gesellige wie künst lerische Bedürfnisse des Publicums, außer dem unter Direction des Stadtmusikus Bartb stehenden, von seinem activen, nunmehr verstorbenen Director Queißer sogenannten Queißerschen Musik chore (das Queißersche Chor war am vorzüglichsten vor seiner Vereinigung mit dem Barthschen Stadtchore. A. d. R. d. Dr. T.'s), die Musikchöre der Herren Hauschild, Fölck, Wenck und Lopitzsch. Daß es einzig und allein die gesteigerten musikalischen Bedürfnisse Leipzigs find, die diese neuen Ehöre hervorgerusen haben, daß also die Existenz der letztem nicht nur völlig gerechtfertigt, sondern auch nothwendig geworden ist, dafür bürgt die allgemeine günstige Anerkennung dieser Ehöre von Seiten des Publicums und die durch lange Jahre gewonnene Erfahrung, die sich dieselben gar nicht von dem Leipziger Gesellschaftsleben getrennt denken kann. Wer auf die renommirte große Funkenburg geht, erwartet dort von dem Hauschildschen Chore jeden Freitag seine Unter haltung; das Fölcksche Chor ist verjährt im Rosenthale und der ungewöhnliche Besuch der Insel Buen Retiro bei den Concerten des Herm Lopitzsch beweist, daß es nicht die an genehme Lage allein ist, die die Besucher anlockt. Der Letztere besonders zeichnet sich durch ein unermüdetes edles Streben " Verstandniß der Tonkunst im größeren Publicum zu fordern und höhere Bedürfnisse in demselben zu erregen, as sonst gewöhnlich zu geschehen pflegt; vorzüglich sind hier seine im Winter 1845 — 46 gehaltenen öffentlichen Quartett- unterhaltungen ruhmlichst zu erwähnen. nr ^ *"e Existenz dieser Chöre von den lebendigen Bedürfnissen der Gegenwart gefordert und gerechtfertigt ist, so steht doch diese Existenz in offenem Widerspruche mit dem aus der todten Vergangenheit herrührenden und auch nur für diese paffenden Privilegium des Stadtmusikus. Der Herr Stadtmusikus Barth aber, dessen früheren tüchtigen Verdiensten wir indessen hier unsere ungeheuchelte lebhafte Anerkennung aussprechen, ist ein hochbejahrter Mann, und wenn einst sein Taktirftock in jüngere Hände übergeht, dürste die Existenz genannter Chöre durch eine thatsächliche Erneuerung mono- polisirter Ausübung jenes Vorrechts sehr gefährdet sein. Diese Gefahr aber trifft nicht blos die einzelnen Glieder derselben; das ganz« Kunst- und Genußliebende Leipziger Publicum wird empfindlich dadurch berührt, und der Berichterstatter macht alle dabei Betheiligten ausdrücklich daraus aufmerksam, wie dieses Monopol einerseits den ganzen Aufschwung der freien Kunst lähmt, die gerade zu ihrer Ausbildung der freien Concurrenz bedarf und die nur in früher» ungebildeten Zeiten, wo sie eben nicht als „Kunst" gewürdigt wurde, monopolisirt werden konnte; andrerseits wie dasselbe in ge werblicher Hinsicht unserer freiem fortgeschrittenen Zeit, die unter alle Staatsbürger eine möglichst freie Verkeilung der Arbeit und des Erwerbs in Anspruch nimmt, schnurstracks zuwiderläuft. Wahrhaftig, wenn die öffentliche Musik der Concurrenz entzogen würde, das Publicum würde bald die Erschlaffung des künstlerischen Strebens und eine allmalig immer despotischere Trägheit in der Befriedigung seiner Be dürfnisse übel vermerken. Und wollte man durch das starre Festhalten an einem alten, aber veralteten Vorrechte ein Ver fahren rechtfertigen, das so viele Männer und Familienväter zwar nicht brodlos machen, aber doch in ihrer Existenz be deutend verkümmern würde, da sie doch durch langjährige Erfüllung ihrer Pflichten gegen Staat und Publicum einen gerechten Anspruch auf Sicherung dieser ihre Existenz zu machen haben? Alles dies Angedeutete steht aber in Aussicht, sobald das Privilegium des Stadtmusikus gegen die bisher noch un angefochtene, aber rechtlich doch nur geduldete Existenz der übrigen Musikchöre auftritt. Diesem zu begegnen, aber in gesetzlichem Sinne das einmal bestehende Recht des Stadt musikus soviel als möglich schonend, haben sich nun die drei Direktoren der verschiedenen Musikchöre, die Herren Hauschild, Wenck und Lopitzsch, mit einem Gesuche an den Leipziger Stadtrath gewendet, nicht das Privilegium des Stadtmusikus zu vernichten, wohl aber eS zu beschränken und die streitenden Interessen beider Lheile zu versöhnen. Ehe wir dieses Gesuch nennen und erörtern, wollen wir noch Folgendes vorausschicken. Sowie bei der privilegirten