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2310 den. Vor hundert Jahren hatte« wir da- große Haus gekauft, in welchem ich jetzt als Miethsmann wohnen muß. Wir wohnten zur ebnen Erde — da- Uebrige war vermielhet — und unser Haus halt war reichlich und gut bestellt. Weil wir unser Handwerk an dern Fundamente verstanden, gehörige Lehrzeit auSgestanden und un- in der Fremde vervollkommnet hatten, immer auf guten Schnitt und Sitz nach neuester Mode hielten, Zwirn, Seide und Drehseide haltbar und die Nähte probehaltig sein mußten, unsere Preise dabei billig waren, so hatten wir ein recht gediegene- Geschäft und Kun den in Menge. Die Aufhebung der Zünfte machte uns zwar zuerst große Sorgen und Nöthe, aber alS sie geschehen war, schien es mit der Gewerdefreiheit anfangs beinah noch besser zu gehen, als früher. Denn nun konnte man sich selbst einen kleinen Vorrath von Tuchen und Zeugen anlegen, und die alten Kunden fanden eS bequemer, gleich beim Schneider da- Zeug auszuwählen, als eS erst vom Kaufladen hintragen zu lassen. Ader sehen Sie, lieber Herr, mein Schneiderhandwerk verstand ich, aber den Handel nicht, und da- Ding muß man genau kennen, sonst hat man Schaden dabei. Den hatte ich nun auch. Dazu starben allmälig unsre alten Kunden weg, und da so viele neue Schneider sich auf Patent be setzt hatten und einander an Niedrigkeit der Preise überboten, so wollten mir neue Kunden nicht mehr kommen. Alle- lief natürlich zu dem Mindestfordernden; kein Mensch fragte mehr nach der Güte der Arbeit, noch nach der Rechtlichkeit und Solidität de- Meister-, worauf in alten Zeiten von Zunftwegen geachtet wurde. Den meisten Schaden that mir ein junger Schneidermeister in meiner Nachbarschaft, der noch bei mir gelernt hatte. Er war wirklich sehr geschickt, aber ein Windbeutel und wollte immer hoch hinaus. So richtete er denn gleich eine große Werkstätte ein, ließ mit ellen langen Anzeigen seiner wohlfeilen Preise alle Straßenecken bekleben und alle JeitungSblätter füllen, hatte auch bald unglaublichen Zu lauf; und wie war - den Leuten zu verdenken? denn ich überzeugte mich mit eignen Augen, daß er einen Rock für 12 Thlr. lieferte, den ich bei der gewissenhaftesten Berechnung nicht unter 15 bis 16 Thalern herzustellen wußte. Dabei wurde er immer vomehmer, da- Geld stob ihm von der Hand. Ich sagte gleich, daß da- nicht mit rechten Dingen zugehe, und so fand eS sich nachher auch. Er hatte bei Fabrikanten und Kaufleuten Schulden gemacht, von der unterm Preis verkauften Waare anfangs große Summen gelöst und dabei hin und her kleinere Schulden bezahlt, um sogleich an derswo wieder größere zu machen. Der scheinbare Flor seine- Geschäfts hatte ihm Credit verschafft. Endlich verlief er'S, ließ eine Frau und zwei Kinder in größter Armuth zurück, und kam nicht wieder. Aber die Kunden, die er und andre seine- Gleichen mir entzogen hatten, kamen auch nicht wieder zu mir, denn wenn Jemand einmal von einem Handwerker abgeganqen ist, so schämt und scheuet er sich nachher, wieder zu ihm zurücfzukehren. Meine Preise hatte ich so tief herabgesetzt, als mir nur irgend möglich war, aber ein rechtlicher Mann wollte ich bleiben, und den Schwind lern konnte ich'- nicht gleich thun. So kam ich denn immer mehr zurück, und mußte einem Gesellen nach dem andern aufsagen. Allerlei Krankheiten und häusliches Unglück, ach in den alten Zeiten hätte ich e- leicht übertragen, zwangen mich, mein Hau- mit Schulden zu belasten und in den Hinteren Theil desselben zu ziehen. Da kam aber der schlimmste Stoß. Die großen Kleidermagazine thaten sich auf, und die großen marodanäs tailleurs, wie sie sich nennen, brachten unS ganz unter die Füße. Meinem Hause gerade gegenüber wurde ein solche- Magazin errichtet. Der Mann, dem eS gehört, ist wohlhabend und zwar unternehmend, aber ganz und gar kein Schwindler. Von dem Schneiderhandwerk selbst versteht er zwar nicht mehr, als Jeder, der seinen Rock anziehen, dessen Tuch befühlen und im Spiegel zusehen kann, ob er auch am Unrechten Orte Falten schlägt. Aber ein paar geschickte Gesellen thun da- Zuschneider, für ihn, und unter dem Commando von ein paar Anderen, die sich auf das Steiffüttern, auf die Nähte und da- AuSbügeln und auf Alle- verstehen, wa- ein zugeschnitteneS Stück Zeug zu einem fertigen Kleidungsstücke macht, arbeitet ein ganze- Heer von Menschen, Männern und Burschen, Weibern und Mädchen. Weil von diesen ein Jeder immer nur Eine Arbeit thut, ganz wie in den Fabriken, und z. B. Einer nur Knopflöcher au-näht, der Andere nur Knöpfe einsetzt, der Dritte nur Kragen unternäht u. s. w., so kann Jeder seine besondere Arbeit in ein paar Tagen lernen, wenn er nur die Radel zu bewegen weiß, braucht dazu weiter gar keine sonstige Kenntniß oder Geschicklichkeit, und der maredanä tuMeur hat daher Ueberlauf an Arbeitern, die mit einem Spottgelde zufrieden sein müssen; denn fie verstehen meist weiter nichts, lernen auch niemals ein ganzes Stück machen, und müssen daher Gott danken, wenn sie nur eine Kleinigkeit auf diese Weise verdienen können. Alle Stoffe und Zuthaten, Tuche, Zeuge, Zwirn, Seide, Knöpfe und dergleichen bezieht der Besitzer de- Geschäft- direct au- erster Hand und in großen Massen, weshalb er sie natürlich zu den billigsten Preisen hat. Da kann er denn freilich seine fertigen Kleidungsstücke ebenfalls zu den geringsten Preisen ausbieten, mit denen kein einfacher Schneider concurriren kann, und hat doch noch seinen ganz achtbaren Vortheil dabei. Natürlich ist eS auch Jedem, der ein Stück Kleidung kaufen will, angenehmer, wenn er es so gleich fertig anprobiren und mitnehmen kann, als wenn er erst da- Zeug auSnehmen, eS zum Schneider bringen und dann auf die Arbeit warten muß, mit deren Lieferung man nicht einmal immer Wort halten kann. Kurz, verehrter Herr, Sie sehen, daß solche Kleiderfabriken die bloßen Handwerksleute nothwendig zu Grunde richten und zu Flickschneidern, d. h. zu Bettlem machen müssen. Es ist mir nicht besser ergangen. Ich freue mich nur, daß meine gute Frau die ganz dösen Tage nicht mehr erlebt hat. Denn sie war schon zu dem Herrn gegangen, alS ich da- über schuldete Haus verkaufen mußte. Verlassen mochte ich da- Dach meiner Väter nicht, und ich wohne nun auch recht dicht unter ihm, nämlich in einem DachkLmmerchen alS MiethSmann. Meine Kinder waren allmälig von mir gegangen, um sich selbst durch die Welt zu helfen. Nur eine Tochter war bei mir geblieben. Sie und mein letzter Geselle machten nun noch meinen ganzen Haus stand auS. Da nahm sie der Herr auch zu sich, und endlich, wie gesagt, heute vor'm Jahre, mußte ich auch dem letzten Gesellen aufsagen, und ich gestehe, daß eS mir da- Herz durchschnitten hat, alS ek so kalt und gleichgültig davonging, wie ein Thier von der leergefressenen Krippe. (Schluß folgt.) Wie Passage mit mir oder gegen mich auf den Trottoir- und vorzugsweise auf der PeterSbrücke hat kürz lich einige Federn in Thätigkeit gesetzt, denen ich mir erlaube, mit einer anderen Ansicht entgegenzutreten. Vorausschicken muß ich — um der Wahrheit die Ehre zu geben — daß, als die gebohlten Wege auf der Petersbrücke ein gerichtet wurden, ich selbst von dem Wunsche lebhaft beseelt war, daß auch eine Ordnung wie auf der Dresdner Brücke ringeführt werden möchte. Ich freute mich sehr, als die Behörde durch An schlag auf Eingang und Ausgang aufmerksam machte, ja daß selbst diensteifrige Polizeidiener anfangs manche Gelegenheit wahrnahmm, dem Publicum dm richtigen Weg zu weisen. Ich selbst, der ich sehr oft diesen Weg zu gehen habe, würde mir eS nicht verziehm haben, von dieser erwünschten Ordnung abzuweichen, obgleich ich sehr bald durch Erfahrung der Sache eine ganz andere Ansicht ab- gewinnen mußte. Die erwähnte Ordnung kann nur erst dann praktisch sein und werden, wenn die Trottoir- oder die Fußwege überhaupt im Ver- hältniß der Anzahl der darauf Passireuden sehr breit angelegt sind, was aber leider weder auf der Petersbrücke, noch in den Straßen der Fall sein kann. Da nun wohl schwerlich die Passirenden dazu zu bringen sein werden, daß dieselben alle in einem und demselben Tempo einher schreiten — so muß eS bei starker Frequenz, wie z. B. um 12 und um 7 Uhr, immerwährend Vorkommen, daß durch langsam und gemächlich Gehende die mehr Eile Habenden, diesm Nachfol genden, die nicht den Schneckenmarsch mit antretm können, von dem Fußwege herunterhüpfen müssen, und zwar so oft, als sie solche in ruhiger Muße dahin Passtrende ereilt haben. Wohl möchte Mancher in solchen Fällen in Versuchung kommen, dm Leuten auf die Schulter zu klopfen, und sie um die Vorbeipassage zu bitten. Ganz ander- verhält e- sich mit den Entgegenkommenden. Mit diesen ist man aeschwind au-einanderz es liegt mit seltener Ausnahme in jedem Menschen die Neigung, um etwa- dem An deren auszuweichen, und ineommodirt eS mich nicht, in welchem Tempo der mir Entgegenkommende wandert; dabei ist man weit eher im Stande, sich auf den Trottoir- zu behaupten.