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Leipziger Tageblatt und Anzeiger. ^ 107. Dienstag dm 17. April. 1855. V«« Zirmen - Loncert im Gewandhausc.- (Vrrspöltet.) (Ttugesendet.) Me schon von dem musikalischen Referenten d. Bl. in Nr. 90 belläpfig envähnt worden ist, ist daS diesjährige Armen - Concert sehr spärlich nur besucht Lewesen und weiß Einsender Dieses sich allerdings nicht zu erinnern, den Concertsaal je so leer gesehen zu haden, als in diesem Concert. Leider ist dies aber keine verein tere Erscheinung; eS ist Thatsache, daß seit einigen Jahren schon d« Besuch des Armen - ConcertS ein geringer war, ganz außer Verhältnis zu dem großen Andrange, der, namentlich im vorigen Winter, die übrigen Gewandhaus-Concerte auSzeichnete. ES ist sehr bedauerlich, daß der Leipziger Wohlthätigkeitssinn, dessen man stch 1« unseren Mauern selbst doch so gern rühmt, diese Probe nicht besteht. Wir sind der Meinung, daß Derjenige, der sich auf die GewandhauS-Concerte abonnirt, die moralische Verpflich tung Übernimmt, auch sür die beiden Concerte zum Besten der Annen «nid des Pensionsfonds sein Bittet zu lösen, so gut wir birst »am gleichen Standpunkte aus von dem Theaterabonnenten Or die üblichen WohlthätigkeitSvvrstellunqen verlangen, und daß «an dabei nicht ängstlich prüfe, ob der Genuß auch di« 20 Ngr. E-ll Werth sein möge oder nicht; wir betrachten die Lösung der ^VlletS, die man nun selbst benutzen, verschenken oder liegen lassen ^ kan«, alS eine Steuer für den ein halbes Jahr lang gehabten Genuß tu Gunsten Derer, denen entweder da-Schicksal die Mit tel versagt hat, sich gleich uns am Schönen erfreuen zu dürfen, aber die selbst zu unserem Vergnügen beitrugen und nun alt und unfähig geworden sind. Früher gehörte es zum guten Tone in unserer Stadt, die WohlthätigkeitSconcerte nicht unbesucht zu lassen; -sye Aufstellung derjenigen aber unter den Abonnenten, die da- diesmalige Armen-Concert Nicht besuchten, weil sie nun „über sättigt" seien von Musik, aber nicht bedachten, ob auch Andere „übersättigt" von den nothwendigsten Bedürfnissen deS Leben- wätt«, eine solche Aufstellung würde eine große Menge von Na me« geigen, die sonst doch gern „ guten Ton" von sich rühmen «ächten und zu den Spitzen unserer Gesellschaft gerechnet werden oder sich wenigstens selbst rechnen. Aber auch daS Concert-Directorium müssen wir anklagen, den mangelhaften Besuch diese-, die Casse de- eigenen Institute- frei lich unberührt lassenden ConcerteS mit verschuldet zu haben; wir »olle« auf eine kritische Beurtheilung de- Programme- hier nicht »etter eingehen, eingedenk dessen, was wir eben sagtenj, daß da- Programm nicht entscheide« soll über den Besuch der Armen- Eoncertez warum verschiebt die Direktion nun aber schon zu wie derholten Malm da- Armen-Cyncert bis über da- Ende der eigent liche« musikalischen Saison hinaus? warum drängt sie die beiden WohlthätigkeitSconcerte — da- für den Pensionsfonds freilich vor aus! — so nahe an einander? und warum hat sie nicht wenig sten- dafür Sorge getragen, daß Subscriptionen bei den Abon nenten herumaekommeu sind, da sie doch wissen mußte, daß Viele -ine- solche» Hebels bedürfen, um ein Billet zu nehmen? Wir gestatten uns, diese Fragm hier öffentlich aufzuwerfen, »eil allerdings, wie wir h-ren, eine rechtliche Verpflichtung de- Eoncert-Direktorium- nicht besteht, kraft deren irgend ein« Stelle fich berechtigt fühlen könnte, auf Abhilfe derartiger Uedelstände zu drinDM z »enu aber ferner bei den Persönlichkeiten, die die Concert- Diwctio» bilde«, an eine absichtliche Vernachlässigung der durch die jahrelange Gewohnheit, alljährlich ein Armen-Concert zu geben, unserer Meinung nach doch allerdings auch erwachsenen moralischen Verpflichtung nicht gedacht werden kann, so bleibt dann freilich immer noch die Frage offen, ob, aller etwaigen unS unbekannten Schwierigkeiten ohnerachtet, bei recht ernstlichem Willen doch dem Armen-Concerte nicht eine bessere Einnahme hätte erzielt werden können? Hoffen wir eS im Interesse unserer Hilfsbedürftigen, ebenso wie im Interesse der Ehre unserer Stadt, daß nimmer wieder Ur sache zu solchen Klagen gegeben werden möge, die wir, wir wissen e-, nicht allein, sondern im Namen vieler unserer Mitbürger auS- sprechen. StadtlheateH. Rossini'- „Barbier von SevlllU" — dieftS von Ge nialität und liebenswürdiger Laune üderspM^nbe Werk, da- im Genre der komischen Oper neben Mozart-HMgarv" MtS muster gültig bleiben wird — ging am 14. AprKmmoVmesiz de- Herrn Mitterwurzer vor einem leider nicht stark besetzte« Hause in Scene. Ehe ich auf die gegebenen einzelnen Leistungen eingche, darf ich die Bemerkung nicht unterlassen, daß diese Vorstellung i« Allgemeinen sich durch Präcision und Abrundung im Ensemble auSzeichnete, mit Leichtigkeit rasch vorwärts ging und daher von der besten Wirkung war. Herr» Witte rwurzerS Figaro ist eine Leistung, welche denen der berühmtesten italienischen Gänger in dieser Partie nicht nachstehen dürfte. Der hier so leicht und anmuthig erscheinende Gesang diese- vielseitigen Künstler- ging Hand in Hand mit einem äußerst gewandten und feine« Spiel, da- nicht allein da- Publicum dinriß, sondern auch die übrigen Mitwirkenden in die günstigste Stimmung versetzte. Rächst dem Gaste ist mit besonderer Anerkennung de- Herrn Behr als Doc- tor Bartolo zu gedenken, der auch im Spiel diesmal um so nach haltiger wirkte, als er mit Glück da- Zuviel in dieser Beziehung zu vermeiden wußte. Der Gesang de- Herrn Behr war wie ge wöhnlich sehr tüchtig und namentlich hier da- komische Element entsprechend hervorgehoben. Wie es sich erwarten ließ, sang Herr Schneider den Grafen Almaviva recht brav und entsprach auch im Spiel den hier zu stellenden Anforderungen. Jedenfalls «ürde er jedoch mit der ersten Arie noch entschiedener gewirkt haden, wenn er hier nicht etwa- zu viel Verzierungen angebracht hätte, von denen einige beiläufig dem Geiste Rossinischer Kunst nicht ganz entsprechend erschienen. Eine sehr schwierige Aufgabe hatte sich Frau Witt mit der Partie der Rosina gestellt. ES liegt diese der Sängerin durchgehend- zu tief; deshalb hatte man die Arie nach O äur tranSponirt und dm GesangSpart der Rosina in den Duett- rc. oft etwas zu sehr aus Kosten der Melodie punctirt. Die ganze Partie, namentlich aber die Arie, verlor durch diese nothwendigen Aenderungen auffallend an WirkungSfähigkeit und eS stellte sich somit der Sängerin ein neue- Hinderniß entgegen. Um so mehr muß der Eifer anerkannt werden, mit dem sich Frau Witt der Lösung dieser großm Aufgabe hingab. Sie ist eine noch keinr-wegS fettige, aber — wie man aus allen ihren Leistun gen sehen kann — sehr strebsame und fleißige Sängerin, die, un terstützt von einem hübschen Darstellungstalent, voraussichtlich ihr Ziel erreichen und billigen Ansprüchen nach allen Griten hi« ent sprechen wird. Ihre Arie sang sie in dm Hauptsachen recht brav—