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» l- . Tageblatt und Anzeiger. -IF 139. Sonnabend den 19. Mai. 1855. «SSSS-M wie Tagesprcsse atr Sildungsmittel*)^ Zur Beschleunigung de- Bildungsgangs »an oben nach unten, von den Mächtigsten und Reichsten bis zu dm Kleinsten und Aerm- sten hinab bietet di« Tagespresse ihre mächtige Hand dar. In Deutschland entstanden die ersten Zeitungen in Augsburg, dem Sitze der reichen Fugger, die um die Mitte de- 1k. Jahrhundert- ihre Flagge auf allen Meeren wehm ließen, in Ostindien und Westin dien Kactoreien besaßen und in alle« wichtigen Handelsplätzen und Seestädten Agenturen unterbieten. Die eigenen HandelScorrespon- tzenze», die Berichte von Geschäftsfreunden, die Mitthellungen von Fürsten, Herren und Diplomaten gaben dm Stoff zu den Zeitungen, die nicht gedruckt, sondern von einem Diener de- Hause- geschrieben Wurde«. Was auf dmr gewöhnlichen Verkehrswege und an den regelmäßige» Poftlagen einlief, wurde als Ordinari-Ieitungen zu- sammengestellt, »eben denen dann Beilagen mit den Extraordinari »«-gegeben wurde». Der Schreiber erhielt von Jedem, dem seine AeltUWg zuging, vier Kreuzer für den Bogen, auch wenn da- Blatt nicht ganz beschrieben war. Ein ganzer Jahrgang, Ordinär! und Ewraordinari zusammen, kostete 25—*36 Gulden. Reben dm po- Wisch«, wflgiösm und Handel-neukgkeiten wurdm auch die wich- cktzst« Doeumente »itgecheilt, am vollständigsten diejenigen Akten stücke, dem» Inhalt Handel Mid Verkehr unmitteld« betraf. Die namoßlmu Aoionng-fchreiber erhielten schon Mlttheilungen, die ihnen ohne ,Verletzung des Amtsgeheimnisses" nicht zugänglich sein konn ten. In welche- Teheimaiß da- Pariser Parlament seine Verhand lungen hüllen mochte, der Fuggersche Zeitungsschreiber machte e- doch möglich, eine aetenmäßiae Darstelluna de- ganzen Processes zu bringm, der gegen Jean Chatel wegen seines Mordversuchs auf Heinrich IV. angestellt wurde. Der literarische Theil dieser Zeitungen hat et» beträchtliche Ausdehnung und bringt außer den handschrift liche» gedruckten Beilagen eine Menge politischer Tagesschristen und fliegender Blätter. Auch ein Feuilleton findet sich, das landschaft lich« Schilderungen aus dem Morgenlande, Beschreibungen von Festen, Aufzügen, Volksfitten und endlich sehr ernstlich gemeinte — Weissagungen enthält. Den Schluß machen Anzeigen, z. B. ein Berzeichniß, wie alle Sachen in Wien jetziger Zeit zu kaufen. So unterscheidet sich dt« älteste Zeitung wenig von den heulten in der Auswahl und Mannichfaltigkeit des Materials, in der Anordnung und Anlage, in der Ausführlichkeit der Berichte. Ein großer Unter schied besteht jedoch: die Fuggerschen Eorrespondenzen machen ihre Mittheilungen in fünf Sprachen. Die italienischen Artikel sind die beste», die lateinische» strotzen von gesuchter Gelehrsamkeit, die deut schen tragen den Stempel großer Uabeholfenheit und unerquicklicher Breite, die französischen und spanischen kommen am seltensten vor**). Die fliegenden Blätter, die der Fuggersche Zeitungsschreiber sei nem handschriftlichen Blatte beilegte, gaben den gedruckten Zeitungen das Dasein. Diese fliegend«, Blätter wurde« während der Kämpfe der Reformationszeit in Umlauf gesetzt. So nahe es lag, sie in regelmäßigen Zeitschriften unter einem gemeinschaftlichen Titel er- schekun zu lassen, so verging doch ein Jahrhundert, ehe die erste Zeitung geschaffen wurde. Die früheste franzöfische Zeitung, die Sazette, entstand am 1. April 1631 durch den königliche» Leibarzt Theophrast Renantzot. Der Titel wurde Venedig «achgeahmt, wo *) Aus dem Werke: „Aus allen Wissenschaften da- Wtssenswer- thetze", von vr. I. A. Romberg, Leipzig, in der Lombergschen Verlags buchhandlung. ") Theodor vickel, Zeitungen dis I«. Jahrhunderts. nicht lange zuvor eine Gazetta entstanden war, die nach der kleinen etwa acht Pfennige werthrn Münze benannt wurde, welche man für die Nummer zahlte. Leitartikel brachte die Gazetta nie, aber um so mehr Nachrichten, „welche", wie Rrnaudot ankündigt«, „unterhalten und belehren, dem Kaufmann Belehrung für seine Geschäfte mit dem Ausland ertheilen und die Verbreitung nach theiliger und beunruhigender Gerüchte verhindern sollten." Der Herausgeber war sich der Macht seiner Zeitung bewußt, denn als sie 1663 hier und da verboten wurde, schrieb er: „Ich bitte die fremden Fürsten und Staaten, daß sie nicht unnötdigerweise ihre Zeit damit verderben, meinen Nachrichten und Neuigkeiten den Weg zu versperren, denn meine Gazette ist eine Waare, die man nicht unterdrücken kann, und sie gleicht den Strömen, die durch jeden Widerstand aufschwellen und stärker werden." Anfänglich eine Wochenschrift von acht kleinen Quartselten, erschien dt« Gazette unter Ludwig- XIV. Regierung in doppelt starkem Umfang und zweimal wöchentlich. Der Jahrgang kostete jetzt fünfzehn Franken. Sie war anderthalb Jahrhunderte lang die einzige polnische Zeitung ge wesen, bi- sie 1777 in dem täglich erscheinenden Journal äs kuris einen Mitbewerber erhielt. Unter Ludwig XV. tauchte wieder eine geschriebene Zeitung auf, klouvell?« ä lu maio genannt, mit dem selben schmuzigen Inhalt, durch de» die von der Polizei für dm König zusammengestellten „Neuigkeiten" sich berühmtgemacht haben. 3« Jahr« 1622 lebte in London ein gewisser Butter, der Ha in jener Zeit viel verbreitete Geschäft trieb, an Kaffeehäuser in London und an Landedelleute über alle Lagesneuigkeitm zu berichte». Dieser Man» perfiel darauf, die aus den fliesenden Blättern her- vorgegangrnen Reui-keitm 1» regelmäßigen Wochmlleferungm er scheinen zu lassen. Ricolaus Bourne und Thomas Archer, die Herausgeber dieser „Wöchentlichen Neuiakeitm", machten ihn zu ihrem Redacteur. Die handschriftlichen Zeitungen dauerten fort und blieben im Borthell, da sie sich freier bewege» konntea. Um die Mitbewerbung zu verhindern benutzten Bretter und feine Mitarbeiter ein Mittel, das ihnen heftige Angriffe der Lnstspieldichter zuzog. „Gebt diesen Leuten", sagte Schtrley in einem seiner Lustspiele gegen sie, „eine Stunde Zeit und sie beschreiben euch eine Schlacht, in welchem Winkel Europas sie auch vorgefalle« sei, obgleich sie nie wo anders hingekommen sind als in die Schenke. Sie schil dern euch Städte, Befestigungen, Generale, die Streitkräfte des Feindes, nmnen euch seine Verbündeten , sagm euch seine Bttve- gunaen von jedem Tag vor." Bis zur Revolution von 1688 blieb das englische Zeitungs wesen unbedeutend. So lange die Rundköpfe herrschten, bean spruchten sie für ihre „täglichen Vorfälle im Parlament" ein aus schließliches Privilegium; als die Stuarts zurückkehrten, duldeten sie keine Veröffentlichung politischer Neuia/eiten ohne Genehmigung der Krone. In den letzten Jahren der Regierung Karls IN. er schien blos noch die amtliche London-Gazette, eine Nachahmung der Pariser Gazette. Sie erschien nur Mittwoch- und Donners tags und enthielt gewöhnlich eine königliche Verordnung, zwei oder drei Adressen von Tories an dm König, zwei oder drei Beförderun gen, ein« Bericht über ein Scharmützel ap der Dona« zwischen hm kaiserliche« Truppen und den Janitfchaeen, die Perssneubeschret» bung eines Straßenräubees, die Ankündigung eines Hahnenkampfes und ei» Ausschreibung einer Belohnung für das Ätederbnngm eines verlornen Hundes. Auweilen, wm« die RiWierung in der Laune war, bei einer wichtigen Angelegenheit die Ntugjer des Pu, bNcums zu befriedigen, veröffentlichte sie eknPtarat, weiches mehr