55 Aus dem Morgenlande. Schriftstellers und sein Gedankenkreis durch seine nächste Um gebung und seine Erziehung und Bildung bedingt. Mein von diesem Standpunkte aus darf sein hinterlassenes Werk dem modernen Urteil unterzogen werden, ohne ein Hinder nis zu bieten, die Schärfe des menschlichen Gedankens mit dem heutigen Maßstabe zu messen. Unter allen litterarisch gebildeten Völkern und zu allen Zeiten der Kulturgeschichte ist der Geist des Menschen derselbe geblieben, nur abhängig, Wie gesagt, von geschichtlichen Epochen und der sprachlichen Entwickelung innerhalb derselben. Die erste Offenbarung seines Daseins für die Zeitgenossen und die Nachlebenden ist die Schrift. Ein berühmter Gelehrter, R. Lepsius, hat die Einleitung zu einem größeren Werke über die Chronologie der alten Ägypter einen eigenen Abschnitt über das Alter der Geschichte dieses Volkes gewidmet, das seiner wohlerwogenen und durch Beweise gestützten Meinung nach die Anfänge der Geschichte aller übrigen Kulturvölker der Welt bei weitem überragt und durch gleichzeitige, bis auf den heutigen Tag erhaltene in schristliche Überlieferungen gestützt wird. Die Erfindung der Buchstabenschrift und die Bearbeitung der massenhaft im alten Nilthale wachsenden Papyruspflanze zu einem passenden Schreibmaterial, ans welches sich leichter und schneller als auf Stein und Holz, die Schriftzüge hinwerfen lassen, for derten schon frühzeitig zu litterarischen Leistungen auf, wie sie uns in der Gegenwart in überkommenen zahlreichen Bei spielen vorliegen. Man wird beinahe versucht, wenn auch in einem anderen Sinne, den lebenden Soldaten des Schrift tums die bekannten Worte Napoleon Bonapartes znznrufen: „Soldaten von der Feder, sechs Jahrtausende schauen von der Spitze der Pyramide der Litteratur ans euch nieder. Darum vorwärts!" Wer nach dem ältesten Litteraten aus sucht, kann ihn zunächst nur an den Ufern des heiligen Nil stroms finden und damit glaube ich den einzig sichern und rechten Boden für meine Betrachtung gewonnen zu haben.