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11. Kap.I Religiöse und häusliche Zustände. 169 neigte sich zur Rüste, die hcimkchrenden Heerden blökten. Der Estan- ciero, ein Mann von etwa scchszig Jahren, mit edlem Gesichtsausdruck und von uutadelhast reinem europäischen Blute, mit blauen Augen und schön gewölbter Stirn, begann den Chorgesang, in welchen ein Dutzend Weiber und einige Knaben einstimmten, deren Pferde vor der Thür der Capelle angebunden waren. Nachdem der Alte mit dem Rosenkränze fertig war, entquoll seiner Brust ein brünstiges Gebet. Er bat Gott um Regen für die Felder, um Fruchtbarkeit der Heerden, um Frieden für die Republik, um Sicherheit für die Reisenden. Mir kommt die Thräne nicht leicht ins Auge; damals habe ich geschluchzt, nie ist mir etwas vorgekommcn, das so ungcsucht und unwillkürlich religiös war; ich sah mich in die Zeiten Abrahams versetzt." Der Estancicro ist der kirchlichen Religion mehr oder weniger fremd geworden, er hat sich seine eigene Religion zurecht gemacht. Christen- thum und spanische Sprache sind allerdings vorhanden, aber wie eine Ucberlieferung, die sich fortpflanzte ohne Unterricht; Cultus und Ueber- zeugungcn sind geschwunden, dagegen ist der Aberglaube desto stärker ein gekehrt. In allen weit von den Städten entfernten Campanas trifft es sich häufig, daß Handelsleute, welche von San Juan odcrMendoza kom men, anfgefordert werden, Kindern die Taufe zu geben, und diese Täuf linge sind oft ein Jahr und drüber alt. Mancher Priester hat Knaben vom Pferde herabgehobcn und ihnen dann die Taufe gegeben. Die Frau beaufsichtigt das Haus, bereitet die Speisen, scheert das Wollvieh, melkt die Kühe, macht Käse, bereitet grobe Leinwand oder Baumwollenzeug; überhaupt liegen 'den Weibern eine Menge von Be schäftigungen ob, und sie können von Glück sagen, wenn der Mann sich die Mühe giebt, ein wenig Mais zu pflanzen. Brot wird im Allgemei nen nicht gegessen. Die Knaben üben sich sehr früh im Gebrauch der Fangschnur und der Wurfkugeln an Kälbern und Ziegen, und werden aufs Pferd gesetzt, wenn sie nur auf eigenen Füßen stehen können. So bald sic etwas hcrangewachsen sind, laufen sie im Feld zwischen den Viz- cachalöchern umher und üben sich im Reiten. Der Jüngling bändigt Füllen und reitet wilde Pferde zu. Das ist ein gefährliches Stück Ar beit, denn solch ein Reiter ist eine Beute des Todes, sobald er auch nur