168 Die Zustände der argentinische» Canipana j6. Buch. möglich; die Gemeinde fehlt, und wie sollten die Arme der Gerechtigkeit des Missethäters habhaft werden? Vielleicht giebt cs in gesellschaftlicher Beziehung aus der weiten Welt kaum etwas Monströseres als dieZuständc der argentinischen Campana. Die Gauchos unterscheiden sich von den nomadischen Stämmen, die ja eben einen Stamm, einen Verein, eine Ge meinschaft bilden; aber sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit den Feu- dalbaroncn, die auch aus dem Lande lebten, plünderten und mit den Städ ten in Fehde lagen; doch der Gaucho ist kein Baron und hat auch kein Fcudalschloß, keine Burg. Wenn etwa eine Gewalt in den Pampas sich geltend macht, so ist sie eine augenblickliche und von demokratischer Art; sie vererbt sich aber nicht, ist ohne Dauer und kann sich schon deshalb nicht festsetzen, weil Gebirge fehlen. Die Jndianerstämme in den Pam- pas sind gesellschaftlich stärker verbunden als die Gauchos, die Estan- cieros. Diese haben keine rs8 publica, bei ihnen ist, wir wiederholen es, der Fortschritt beinahe unmöglich. Wo soll z. B. die Schule sein? Die Familien leben viele Stunden weit von einander entfernt; wer soll den Kindern Unterricht ertheilen? Sarmicnto bemerkt, daß er im Jahre 1826, als er in der Waldgegend von San Luis sich anshielt, sechs jungen Männern aus wohlhabenden Familien im Lesen Unterricht er- thcilte, und daß der jüngste Schüler zwciundzwanzig Jahre alt war! Unter solchen Umständen ist eine höhere Ausbildung nicht möglich, die Bar barei wird normal, und man kann von Glück sagen, wenn in den häus lichen Gewohnheiten etwas von moralischer Unterlage vorhanden bleibt. Daß die Religion bei dieser Zersplitterung und Auflösung der Gesell schaft zu kurz kommt, versteht sich von selbst. Pfarreien sind allerdings vorhanden, aber »m die Kanzel versammeln sich keine andächtigen Zu hörer; der Priester meidet also die leere Capelle, und wird, abgeschieden von allem geistigen Umgang und Verkehr, auch wohl selber ein laster hafter Barbar, manchmal sogar politischer Parteihäuptling. Sarmiento erzählt Folgendes: „Ich wohnte 1838 in der Mon tana von San Luis im Hause eines reichen Estainiero. Dieser Mann hatte zwei Leidenschaften; das Spiel und das Beten. Er hatte sich eine Capelle bauen lassen, in welcher er jeden Sonntag Abend den Ro senkranz abbctete; einen Priester hatte er seit Jahren nicht gesehen. Es war ein homerisches Bild. Der Abend wollte Hereinbrechen, die Sonne