Volltext Seite (XML)
den weiten Spalten, wohl schäumte und spritzte das Wasser schon und wollte sich befreien von der Last des Eises, wohl hob sich hier und senkte sich dort eine Riesentafel, wohl knatterte es in den Massen, aber die Spannung des wohl zwei Schuh starken Eises war noch nicht ge brochen, und höher und höher stieg das Wasser. Jetzt donnerte eine Petarde, hoch auf bäumte sich das Eis, das Wasser strudelte empor, das Wasser hob jetzt hier, jetzt da; jetzt erzitterte der ganze Strom wie in Fieberhitze und Fieberfrost, und wie mit einem Zauberschlage bewegte sich die starre Masse. Es vergehen zwei und drei Secunden, da bricht Alles zusammen und saus't und braus't stromabwärts. Wie donnert und tobt das bewegte Eismeer! Hier prallt Scholle von Scholle ab, dort jagen die Tafeln zusammen, walzen und wühlen sich über und unter einander, mehr und mehr steigt das Wasser des wahrhaft königlich ge wordenen Stromes, es beginnt aus den Ufern zu treten und überflutbet die niedrig gelegenen Aenger und Wiesen. So braust's und jagt's, so kvchl's und siedet's, so wüthet's und tobt's, so kracht's und dvnnert's dahin, so reiben und quetschen und stoßen sich die Schollen, — ein unbeschreiblicher Anblick. Und Herber stand in seinem Garten und staunte die großartigen, unüberwindlich-mächtigen Gewalten der Natur an. Als die Fluth stieg und schon über das Ufer trat, da erhob er halb warnend, halb wehrend den Arm gegen die andrangenden Massen, und wie bittend, sprach er: „Laßt mir den Heinrichsbaum!" Er hatte es kaum gesprochen, da schob sich eine Tafel aus dem Eisgang und knickte eine starke Tanne um, die am Wasser stand, und drüben am andern Ufer stürzte eine große Erle in den Strom und wurde als Beute auf dem Rücken der jubelnden Schollen hinabgeführt. Eine Stunde wohl und darüber währte der Eisgang, da wurden die Schollen kleiner, abgestoßener, runder; es zeigte sich nach und nach der Wasserspiegel, der Strom trat in sein Ufer zurück, und Alles ath- mete auf, wie wenn ein großes Werk vollbracht ist. „Der Eisgang will sein Opfer haben," sagte sich Herber, „er hat mir die Tanne geknickt, mag es sein, es steht ja noch der Heinrichs baum und nun wird er blühen und treiben und Früchte tragen; ist er doch auch diesmal von der Gefahr verschont geblieben. Golk segne dich, Heinrich!" Die Natur hatte gearbeitet, mit Riesenkräften gearbeitet und die Rüstung des Winters vom Strome genommen, der wie verjüngt war und sich des langentbehrten Tageslichtes zu freuen schien. Es war, als ob der Strom nun froh und frei, stark und kräftig die Wanderschaft durch sein Thal begänne, als ob er es nicht erwarten könne, den Bergen, Dörfern, Brücken und Mühlen die Botschaft des Lenzes zu bringen. Herber folgte der Menschenmasse, die sich stromabwärts, den Eisgang begleitend, bewegte; kaum aber war er auf der nach den Bergkellern füh renden Brücke, als aufs Neue der Strom schwoll und kochte und eine zweite Eissahrt herantobte. Es war das Eis aus den obern Theilen der Mulde, welches sich bei Haslau geschützt, spater aber den Eisschutz durchbrochen hatte und nun mit erneuerter Gewalt anfluthete. Meergrünes, schnee weißes, himmelblaues, röthlich gefärbtes Eis schleppte der Strom auf seinem Rücken, und wieder schwoll das Wasser und überfluthete wieder die flach gelegenen Wiesen, — ein großes Wassermeer lag auf den Fluren. Noch größere, noch stärkere, noch festere Eisschollen brachten jetzt die Wogen und so dicht an einander gedrängt, daß man kaum die dunkeln Wellen zwischen ihnen bemerkte. Die Brückenpfeiler, die ganze Brücke erzitterte und erbebte, wenn solche Eisberge an sie hinanjagte», sich hoch aufbäumten und wie trunken in die Fluchen zurücktaumelten, — dann wurden sie weggedrückt in den allgemeinen Strudel. Abge rissene Bäume, weggespülte Balken, von den Wogen ergriffenes Holz-