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gnügen einer Semmclmilch zu genießen. Kaum ein Vicrtel- stündchen vor der Stadt erweitert sich das Thal wieder, und an der ländlichen Villa des alten Senators Friedrich Ull rich, des bekannten originellen Verfassers der gemächlichen und humoristischen „Volksklänge in Altenburger Mundart", vorüber führt uns der Weg gerade in die Bergkeller hinein. Diese Versuchung war zu lockend, und da der Vormittag schon weit vorgerückt war und wir bereits einen Spatziergang von ohngcfähr drei Wegstunden gemacht hatten, so nahmen wir in der offenen Vorhalle deS Pippig'schen Bergkellers Platz, um uns durch ein tüchtiges Frühstück zu erquicken. lieber die Bierbrücke und durch die große Biergassc kehrten wir nun in die Stadt zurück; doch schlug mein Freund noch einen kleinen Umweg vor, um mir den großen Schießangcr, auf welchem alle zwei Jahre der lärmende Jubel eines so lennen, meist auf 8 —14 Tage ausgedehnten Vogelschießens sein Wesen treibt, zu zeigen. Wir wendeten uns nach der Moritzkirche zu und kamen an dieser vorüber bald auf den weitläufigen Platz, der zur Zeit jenes Schützenfestes mit Buden, Zelten, Seiltänzergerüsten, Carrouffcls rc. bedeckt und von einer wogenden Menge belebt, freilich ein ganz anderes Bild gewähren mag, als jetzt, wo er in stiller Ruhe da lag und nur der kleinen Schaafheerde eines Zwickauer Fleischers zum Weideplätze diente. Sonst wird er auch als Excrcirplatz des in Zwickau stehenden Militärs und der Communalgarde benutzt, und seine bedeutende Größe und Ausdehnung macht ihn sehr geeignet zu diesem Zwecke; ja ich glaube, daß einige Regimenter Soldaten sehr bequem auf ihm würden manövri- ren können. In einem merkwürdigen Contraste zu dem groß artigen Platze steht das Schießhaus, ein kleines, unansehnli ches, halb von Holz errichtetes Gebäude, von dessen ganz cigenthümlichcm Baustylc schwerlich Jemand behaupten möchte, daß er von dem Genius der Kunst eingegeben worden sei. Wenige Schritte, erst auf dem Weißenborner Fahrwege, an dem das Schicßhaus steht, und dann über die Werdaucr Chaussee hinweg, brachten uns an das Krciskrankenstift, und zwar an dessen Rückseite, welche mit dem runden Trcp- pcnthurme in der Mitte des Hauptgebäudes und dem von den beiden Seitenflügeln cingeschlossenen säubern und geräu migen Hofe sich fast ebenso freundlich darftellt, als die Haupt fronte, die ich am Sonntage im Vorbeigehen gesehen hatte. Heute traten wir auch für kurze Zeit in daS Innere des Hauses ein, um die unter der eifrigen und umsichtigen Lei tung des Medicinalrathes Di. Unger stehende Heilsanstalt wenigstens flüchtig zu betrachten. Von dem freundlichen Haus verwalter geleitet, gingen wir durch die Haupträume und er freuten uns, da wir als Laien in der Heilswissenschaft uns mit der Beobachtung von Krankheitsformen, den Arten des Hcilsverfahrens u. dcrgl. nicht zu befassen hatten, nur der zweckmäßigen Einrichtung, der musterhaften Ordnung und der sauberen Reinlichkeit, die überall wahrzunehmcn ist. Im Erd geschosse ist, außer einem schönen Vorplatze und den Woh nungen des Hausverwalters und des Unterarztes, besonders die nette Küche mit Dampfkochapparat und die sehr gut ein gerichtete Badeanstalt zu bemerken, welche letztere mehrere Wannen-, Douche- und Tropfbäder und ein vollständiges Dampfbad enthält. Im ersten Stocke, dessen eine Hälfte für die männlichen, die andere für die weiblichen Kranken