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3778 kennen und ftndiren. Während Frankreich und Italien ein großes gesellschaftliche- Ganzes bilden, das von demselben Geiste und der selben Empfindung belebt wird, herrscht in Deutschland der Indi vidualismus vor. Jeder lebt für sich in seinem kleinen Winkel, mit seiner Meinung für sich, zwischen Frau und Kindern, immer voll Mißtrauen gegen seine Regierung wie gegen seinen Nachbar, stets nach seinem persönlichen Gesichtspuncte und nie nach dem der Masse urtheilend. Das Gefühl des Individualismus und daS Bedürfniß des Widerspruchs ist bei dem Deutschen in einem un begreiflichen Grade entwickelt. Zeigt man ihm ein Thor, so wird er, statt hindurchzugehen, lieber seinen Kops darauf setzen, da neben ein Loch in die Mauer zu hauen. Daher wird in Preußen keine Regierung, sie mag thun, was sie will, jemals populär werden. Die große Mehrzahl wird stets eine entgegengesetzte Ansicht haben. Bloß well es die Regierung ist und well sie als Autorität den Individuen gegenübertritt, ist sie dazu verurtheilt, ewig den Widerspruch der Gemäßigten zu erfahren und von den Exaltirten verschrieen und verlästert zu werden. Die liberalen Minister haben eben so wenig wie die reactionären vor unseren Politikern Gnade gefunden." Graf Bismarck führte dann diese seine Behauptungen durch geschichtliche Erörterungen weiter aus. Auf die Frage, ob die Unzufriedenheit des Landes nicht eine Revolution Hervorrufen könnte, erwiederte er: „Die Regierung glaubt, keine Revolution zu befürchten zu haben, und fürchtet sie auch nicht. Unsere Revolutionäre sind nicht so fürchterlich. Ihr Daß läßt sich in allerlei Beiwörtern für die Minister aus, aber sie respectiren den König. Ich allein bin an Allem schuld und mir allein wollen sie zu Leibe. Mit etwas mehr Unparteilichkeit würden sie vielleicht erkennen, daß ich nicht anders gehandelt habe, weil ich nicht anders konnte. Bei der jetzigen Lage Preußens in Deutschland und Oesterreich gegenüber bedurften wir vor Allem einer Armee. Das ist die einzige diSciplinirbare Kraft in Preußen. Ein Preuße, der sich den Arm auf der Barricade zerschmettern ließe, würde sehr deprimirt nach Hause kommen und von seiner Frau Schelte er halten. In der Armee aber ist er ein ausgezeichneter Soldat, der wie ein Löwe für die Ehre seines Vaterlandes kämpft.... Vor sechszehn Jahren lebte ich ruhig als Land-Edelmann, als mich der Wille des Königs als Bundestags-Gesandten nach Frankfurt rief. Ich war auferzogen in der Bewunderung, ich möchte sagen: in der Verehrung der österreichischen Politik. Aber ich brauchte nicht viel Zeit, um meine Jugend-Illusionen über Oesterreich zu verlieren, und ich wurde sein erklärter Gegner. Ich wußte nicht, daß ich einst eine Rolle spielen sollte; aber damals schon faßte ich den Plan, den ich jetzt auszuführen suche, nämlich Deutschland von der österreichischen Pression zu befreien, wenigstens denjenigen Theil Deutschlands, der durch Geist, Religion, Sitten und Interessen mit den Geschicken Preußens eng verbunden ist.... Um dieses Ziel zu erreichen, werde ich allem trotzen, dem Exil und selbst dem Schaffst, und ich habe dem Kronprinzen, der durch Erziehung und Tendenzen mehr der Mann der parlamentarischen Regierung ist, einmal gesagt: Was liegt daran, wenn man mich aufhängt, wenn nur mem Strick Ihren Thron fest an daS reine Deutschland bindet." Vom Landtage. In der Sitzung der 2. Kammer vom 11. Juni gab Minister v. Beust in Bezug auf einige vom Abg: Rose angeregte Fragen folgende Erklärungen ab: Die schleSwig - holsteinsche Frage fei lange dem Bunde entzogen gewesen; die Presse, die Kammern, das Volk hätten anerkannt, daß dies nicht recht sei. Von einer Seite (Oesterreich) habe man dies jetzt auch eingesehen, auch von der anderen werde Fühlung gesucht, wenn auch noch mit einigem Rückhalt. Genug, die Sache sei jetzt wieder an den Bund ge bracht und man könne doch nun unmöglich dafür stimmen, daß er dieselbe nicht in die Hand nehme. Wie dies geschehen werde, laste sich jetzt noch nicht sagen, wie denn überhaupt weitere Er klärungen den Verhandlungen vorgreifen würden. Da aber nicht nur von Sachsen, sondern auch von andern Regierungen die Ein berufung des Parlaments ernstlich in Aussicht genommen fei, so verstehe es sich, daß die Regierungen cht wünsche, daß die schleswig- bolsteinsche Angelegenheit ohne Mitwirkung des Parlaments ihre Erledigung finde. Was geschehen werde, wenn Oesterreich die Theilnahme am Parlament ablehne? laste sich noch nicht sagen. Er hoffe, daß diese Eventualität nicht einträte. Wenn man aber einmal die Nichttheilnahme einer Großmacht in Erwägung zöge, so laste sich dann vielleicht auch fragen, ob es nicht auch ohne die zweite Großmacht gehe? (Heiterkeit.) Und alle diese Even tualitäten zu erörtern, würde doch heute zu wett führen. Vrrhandlvugev -er Stadtverordneten am 30. Mai d. I. (Ans Ärund des Protokolls bearbeitet und veröffentlicht.) (Schluß.) Bei weiterer Berathung der RückLußerung deS RathS auf die zum Budget gestellten Anträge berichtete Vorsteher vr. Joseph selbst übex die, Conto 12, vom Rath erneut geforderte Zulage von 30 Thlr. für die beiden Obernachtwächter. Der Rath theilt dabei ein Gesuch der Letzteren abschriftlich mit, in welchem sie, nachdem sie um Gleichstellung im Gehalte mit den Polrzeiwachtmeistern (400 Thlr.) gebeten, auf das Anstrengende ihres Dienstes und auf manche damit verbundenen Extra-Arbeiten hingewiesen, u. A. noch anführen: „DaS Journal der Nachtwache, welches wir laut Instruction zu führen haben, enthielt vor 8 bis 10 Jahren jährlich 15, 16 bis 1800 Anzeigen, das vom vorigen Jahre dagegen 2447. Enthalten auch manche nur wemge Zeilen, so sind doch auch viele darunter, welche 2 bis 3 Blatt Mundum erfordern, denn alle Anzeigen, bei welchen eine Verhaftung vorgekommen ist, müssen früh 9 Uhr beim Rapporte auf dem Polizeiamte im Extracte oeigegeben werden u. s. w. Unsere Instruction schreibt vor, daß ein Oberwächter diese, der andere jene Nachthälfte zu patroulliren hat, dies mag während der Winterszeit genügen, für daS Sommerhalbjahr sind wir jedoch häufig zu Ausnahmen gezwungen, d. h. wir müssen Beide patroulliren gehen, da wahrend des Sommers die Mannschaften am Tage angestrengter arbeiten und wegen der warmen Witterung leichter zum Schlafen geneigt sind. Unter den Mannschaften der Raths- und Pottzeidiener findet nicht der häufige Wechsel statt als bei den Nacht wächtern und trotz der wenigen Ansprüche, welche man an letztere macht, bedarf doch Jeder seiner speciellen Einrichtung, da wir sie größtenteils nur aus den niederen Ständen rekrutiren können, andere hingegen sich zu einem derartigen Posten gar nicht melden rc." Herr Lorenz glaubte einen genügenden Grund für die Auf besserung in den Angaben der Gesuchsteller über ihre schriftlichen Arbeiten erblicken zu können, hielt auch außerdem die Gleichstellung dieser Beamten mit den Polizeiwachtmeistern nicht für unbillig. Herr Güttner r-gte zunächst die Aeußerung m dem Gesuche der Petenten, daß die Nachtwächter den niederen Ständen ange hörten und bemerkte sodann, daß bei 2400 jährlichen Anzeigen auf jeden Obernachtwächter täglich nur 3 kämen. Der Vorsteher fügte hinzu, daß auch auf ihn die von Herrn Güttner gerügte Aeußeruna insofern einen unerquicklichen Eindruck gemacht habe, als den Aussagen der Nachtwächter öffentlicher Glaube zugesprochen zu werden pflege und ihre über die Ver sicherung Anderer gestellt werde. Herr Hempel hielt die Vergleichung mit den Polizeiwacht- meiftern für nicht gerechtfertigt. Der Dienst der letzteren sei wett schwieriger und anstrengender. Uebrigens erschwerten sich die Nacht wächter durch übergroßen Eifer bei geringfügigen Veranlassungen häufig selbst den Dienst, und nicht selten seien sie es, welche öffent lichen Spektakel erst machten. Die Herren Jul. Müller und Adv. Winter bevorworteten die Gehaltserhöhung, letzterer mit der Bemerkung, daß die Be zeichnung der Nachtwächter als „niederen Ständen angehörig" wohl nicht so stpeng zu nehmen sei, als geschehen. Andererseits protestirte Herr Güttner ausdrücklich gegen den gebrauchten Ausdruck, während sich Herr Adv. Helfer mtt Rück sicht darauf für die Verwilligung aussprach, daß den Obernacht wächtern die GaScontrole entzogen worden sei. Nachdem Herr Hempel nochmals hervorgehoben hatte, daß die Polizeiwachtmeister wett mehr zu thun hätten, als die Ober- nachtwächter, wurde die Gehaltszulage für letztere auf Herrn Lorenz'S Antrag gegen 12 Stimmen verwiegt. Zu Conto 9, den Antrag auf Wiedereinführung des Instituts der Gasten meister, beantwortet der Rath in folgender Weise: „Ihr Antrag wegen etwaiger Wiedereinführung des Instituts der Gasse nmeist er ist von unS sorgsam erwogen worden. Wir können ;edoch Ihrer Auffassung von der Zweckmäßigkeit desselben nicht beipflichten. DaS fragliche Institut, dessen Einführung wahrscheinlich auS dem Anfänge des 18. Jahrhunderts stammt, hat allerdings bis zur Einführung der Städteordnung in Leipzig bestanden, jedoch nur in den außerhalb der Festungswerke liegenden Vorstädten, wo diese Gassenmeister von der Nachbarschaft gewählt und vom Rathe verpflichtet wurden. Es scheint, daß nur in der inneren Stadt eine strengere und ordnungsmäßige Handhabung der städtischen Wohlfahrtspolizei stattgefunven hat, wogegen man die Vorstädte mehr sich selbst überließ. Actenkundig sind nun aber die betreffen den Functtonen von den Gassenmeistern nur sehr ungenügend er füllt worden; gewöhnlich haben sie mehr die Privat- und Einzel- Interessen, als die öffentlichen und allgemeinen im Auge gehabt und dadurch der „Nachbarschaft" zu vielfältigen, meist sehr be gründeten Klagen Anlaß geaeben. Man hat daher, und wohl mtt Recht, das ganze Institut aogeschafft, indem man die Notwendig keit erkannte, eine gleichmäßige straßenpolizeiliche Ordnung in alle» Stadttheilen eben so durchzuführen, wie dies rücksichtljch der übrigen Zweige der Wohlfahrts- (und Sicherheit--) Polizei der Fall rst.