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120 tigt war, in einem grossen hölzernen Mörser Hirse zu enthülsen, ergriff bei meiner Annäherung die Flucht. Der Tempel neben den Klöstern hat einen breiten niedrigen Architrav ; die Wände und ebenso die Oberschwellen sind nach innen geneigt, die Thiiren waren schwarz und beinahe ganz bedeckt mit dem riesenhaften unpropor- tionirten Bilde eines Kopfes, mit blutigen Wangen und ungeheuren Zähnen, um diesen herum waren Myriaden von glotzenden Augen, die eines das andere zu verfolgen schienen ; und obwohl in jeder Hin sicht roh, machte das Gemälde doch einen Eindruck. Man könnte dieseArchitrave mit den ähnlich proportionirten dunkelenPortalen ägypti scher Heiligthümer vergleichen; aber die tibetanischen Tempel haben kei neswegs das hehre Ansehen jener, und das unheimliche Gefühl, wel- ' ches einen bei dem Anblicke der schlaflosen Augen der zahllosen Incarnationen Buddhas überkommt, ist sehr verschieden von dem Schauer, welchen man empfindet, wenn man die ausgebreiteten Flü gel des ägyptischen Symbols betrachtet, wo man die Gegenwart dessen zu fühlen scheint, welcher sagt: „Ich bin Osiris der Grosse; Niemand hat es gewagt, meinen Schleier zu lüften.“ Ich war hinter dem Dorfe hinaufgestiegen, kehrte aber auf der „Via sacra“ wieder zurück, einem steilen Pfade mit Mendongs oder seichten steinernen Gräben zu beiden Seiten, in welche Reihen stei nerner Tafeln eingelegt waren, auf denen man die heilige Inschrift las: „Om Mani Vatimi Om“. — „Heil ihm mit dem Lotus und Ju wel“ — eine Anrufung Sakkias, der gewöhnlich mit einer Lotus- blume und einem Juwel in derselben abgebildet wird. Am folgenden Morgen wurde, um sehr hohen Preis, ein kleiner Vorrath von schmutzigemReis herbeigebracht. Ich hatte jedoch meine Rei segellschaft so vertheilt, dass ich keine grossen Vorräthe gebrauchte, weil ich beabsichtigte, die meisten meiner Leute am Tambar hinab nach Dordschiling zu schicken. Ich behielt im Ganzen nur neunzehn Personen und wählte die willigsten aus, da vorauszusehen war, dass die Reise mit vielen Beschwerden verknüpft sein würde; wir nahmen für sieben Tage Nahrungsmittel mit, das höchste, was sie tragen konnten. Gegen Mittag verliess ich Wallantschun und musterte meine Gesellschaft an der Vereinigung des Tambar mit dem Yang- ma, wo ich diejenigen, welche mit meinen Sammlungen von Pflanzen, Mineralien u. s. w. nach Dordschiling zurückgehen sollten, entliess, und dann mit meiner auserwählten Schaar am Yangma aufwärts weiter ging. Die Landschaft war wild und sehr grossartig und un ser Weg führte durch eine enge Gebirgsschlucht, die mit Tannen stämmen verstopft war, über welche das Wasser in wiithender Strö mung herabstürzte. Die Gebirge zu beiden Seiten waren mit thurm ähnlichen Felsenmassen gekrönt und theilweise mit Schnee bedeckt. Der Pfad war sehr schlecht und ging oft über Leitern und Breter, die an den Felsenwänden hoch über dem Strome hinfuhrten den wir mehrmals auf Brücken von Bretern überschritten. Mit Ein bruch der Dunkelheit kamen wir zu Yangma Guola an, einem Hau fen leerer hölzerner Hütten, die in dom mit Wald bedeckten Thale versteckt liegen , und von denen wir einige in Besitz nahmen. Sie waren gut gebaut und standen auf Pfosten; an der Giebelseite war