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73 kalifchen Theorieen erklären oder beftimmen liefs. Die forg- fältige Sammlung aller beobachteten einzelnen Fälle fowie ihre vergleichende geographifche Betrachtung konnte allein zu einem tieferen Eindringen in das Wefen der Schneegrenze, zu der Erkenntnifs der Complicirtheit unteres Begriffs führen. Müffen wir nun gerade in der Befeitigung jener allgemeinen Hypothefe, dafs die Region des ewigen Schnees untere Erdkugel in ge- fchloffener, regelmäfsiger Form umhülle, den hauptfächlichften Fortfehritt in der -Entwickelung unleres Begriffs feit Bouguer wahrnehmen, fo haftet dom. der Auffaffung Humboldt’s ein Beftandtheil noch an, den wir wohl unftreitig auf den unmittel baren Einflufs jener Hypothefe zurückführen dürfen, nämlich die Befchränkung des Begriffs der Schneegrenze auf die weit ausgedehnte, zufammenhängende Schneedecke im Gebirge oder was fich hieraus direkt ergiebt, die Ausfchliefsung der verein zelten Vorkommniffe dauernden Schnees, unterhalb der zufam- menhängenden Schneebedeckung, aus den Betrachtungen über die Schneegrenze. So verfchwanden aus feiner 2. Tabelle der Schneegrenze vom Jahre 1844 die Karpathen, nachdem Kämtz 1 ) fpeciell darauf hingewiefen hatte, dafs jene „Schneegruben“, wie fie Wahlenberg 1814 gefunden hatte, für die Schneelinie keines falls in Frage kommen könnten. „Die Karpathen treten alfo,“ fagt Humboldt, „nicht in die Linie des bleibenden Schnees ein.“ Auch der Aetna, auf dem er felbft , freilich nicht ganz genau, nur einzelne Firnflecken (taches de neige) beobachtet hatte, er reicht vielleicht kaum die Curve des ewigen Schnees. Wir verfuchten in unferen einleitenden Worten zu zeigen, dafs gerade jene Firnflecken, fofern fie fich dauernd erhalten, nach unferer heutigen Auffaffung, die ja nur die Dauer des Schnees als mafsgebend für die Betrachtung der Schneegrenze anerkannte, unter keinen Umftänden unberückfichtigt bleiben dürfen. Ihre forgfältige Beobachtung allein führte uns zu der Würdigung auch der vorwaltend orographifchen Einflüffe gegen über den klimatifchen und fo zu der Unterfcheidung einer klima- tifchen Schneegrenze von einer orographifchen. Wir fehen alfo, nach welcher Richtung hin wir unfere Auf- merkfamkeit lenken müffen, um das Bild zu vervollftändigen, das Humboldt uns von dem verwickelten Phaenomen des ewigen Schnees und feiner unteren Grenze entworfen hat. Die oro- graphifche Seite der Schneegrenze kann aber in ihrer wahren Bedeutung erft dann erkannt werden, wenn wir die Schneever- hältniffe in den Polargebieten zum Schluffe einer kurzen Be trachtung unterziehen. o ') Kämtz; Lehrbuch d. Meteorologie, 1832. Bd. II, S. 171.