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26 — 4. Schnee ift kein conftanter Körper; er geht durch fort gefetztes Schmelzen und Wiedergefrieren fchliefslich in Eis über. Die mannigfachen Anregungen, welche Bouguer’s fcharf- finnige Beobachtungen und Ideen über die Schneegrenze ent hielten, wurden in der nächftfolgenden Zeit nur fehr oberfläch lich erfafst. Wir können thatlachlich nicht eher von einem wefentlichen Fortfehritt in der begrifflichen Entwickelung unferes Phaenomens reden, als bis de Saussure und Ramond in den Gang unferer hiftorifchen Darftellung eingreifen. Doch hatte Bouguer’s Arbeit unftreitig den Erfolg, dafs man der unteren Grenze des dauernden Schnees allgemeine Aufmerkfamkeit fchenkte und dafs man wenigftens die eine oder die andere der Fragen berührte, die er dem Geifte des Naturforfchers nahe legte. Zunächft unterfuchte man die Schneegrenze da, wo man fle früher nicht beachtet hatte, in den Alpen. So ftellt Grüner, der in feinem Werke „die Eisgebirge des Schweizerlandes“ die Erfahrungen feiner Vorgänger und Zeit genoffen zufammengetragen hat, folgende wichtige Betrachtung an: 1 ) „Der Gefrierungspunkt oder die Höhe, in der Schnee und Eis einen unvertreiblichen Sitz aufzufchlagen pflegt, ift an unferen Helvetifchen Eisgebirgen nicht fo leicht zu beftimmen wie an den Peruvifchen, wo er in einer Höhe von 2440 Klaftern eine gerade Linie durch das ganze Gebirge hinzieht. Bei uns fehen wir, dafs zwar die Berge, die nach Herrn Micheli’s Be- ftimmung eine Höhe von 1500 Klaftern (2920 m) erreichen, allezeit mit Schnee bedeckt bleiben, aber fle find es insgemein nicht nur in diefer Höhe, fondern fle bleiben manchmal bis an ihre Füfse mit Schnee bedeckt, da hingegen diejenigen Berge, die diefe Höhe nicht erreichen, gar keinen Schnee beftändig aufbehalten.“ Schon Gr.uner weift alfo auf den complicirten Charakter der Schneegrenze hin, wenn er erkennt, dafs ihre Höhe in ein und demfelben Gebirge nicht immer die gleiche fei, fondern Schwankungen erfahre, die ihrerfeits durch die verfchiedene Höhe der Berge bedingt werden. Die Schneegrenze in der Natur fällt nach feiner Anficht nicht immer mit der theoretifchen Schneegrenze oder Froftgrenze zufammen, fle kann vielmehr unter diefelbe herabgedrückt werden an einem Berg, der fleh weit über die Froftgrenze von 1500 Klaftern erhebt und der daher auf Gipfel und Gehängen mächtige, kälteverbreitende Schnee- und Eisanfammlungen aufzuweifen hat. Ganz ent- fprechend mufste an einem minder hohen Berg, der fleh wenig über 1500 Klafter erhebt, der Mangel eines derartigen natür lichen Kälterefervoirs die Schneelinie hinaufrücken. 1 ) Grüner: Die Eisgebirge des Schweizerlandes. Bern 1760, T. III, S. 32.