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Zweites Kapitel. Das Vorspiel. Am 1«. Mai 1774 bestieg Ludwig XVI. dcn Thron srim'ö Großvaters. Er hatte von seinen Vätern ein trau riges Erbe überkommen. Frankreich glich einem übcrtünch- ten Grabe; von innen faul, von außen gleißend. Je näher alle gesellschaftlichen Zustände ihrer Auslösung waren, um jo höher war der Lurus gestiegen. Doch cs ist nöthig, daß wir einen flüchtigen Blick aus dcn letzten Vorgänger Ludwigs werfen. Die beiden Könige, denen er folgte, waren schon im zarten Kindcsalter zum Throne gelangt und hatten unter Vormundschaft regieren müssen. Als der schwache König Ludwig XIII., der sieh ganz von seinem Premierminister, dem Kardinal Richelieu, hatte beherrschen lassen, 1643 starb, war sein Dauphin oder Kronprinz erst fünf Jahre. Ludwigs Gemahlin, die polnische Prinzessin. Anna, bemäch tigte sich der Regentschaft; doch schon in seinem 14. Jahre ward der junge König Ludwig XIV. mündig gesprochen. Er regierte bis 1715, wo er am 1. September starb. Gott hatte ihn früh auf dcn Thron gestellt und ein hohes Lebensalter erreichen lassen, aber von seiner Regicrungszcit ist nicht viel Gutes zu sagen. Er führte viele ungerechte Kriege, die dem Lande erschreckliches Geld kosteten, er ließ seine protestantischen Untcrthancn aufs das grausamste ver folgen und an seinem Hofe herrschte eine unsinnige Ver schwendung. Dabei war er ein gemeiner Ehebrecher und so despotisch er gegen sein Land austrat, so nachgiebig war er gegen seine Buhlerinnen. Diese regierten, wie sic Lust hatten und galten mehr, als die Königin, selbst. So hintcrlicß er seinem Nachfolger eine ungeheure Staats schuld. Gegen das Ende seines Lebens ließ Gott, wie ein sichtbares Strafgericht, Unglück auf Unglück über ihn hcrcinbrcchcn. Seine Kinder und Kinbeskinbcr starben ihm kurz hintereinander weg. Von seiner zahlreichen Nach kommenschaft blieb ihm, als Erbe des französischen Thro nes, nur ein kleiner Urenkel übrig. Als der alte König todt war, war das Prinzchcn, wie 1643 sein Urgroßvater, gleichfalls erst 5 Jahre. Der Herzog von Orleans, ein Brudcrösohn des verstorbenen Königs, übernahm die Regentschaft bis 1723. Das Straf gericht Gottes hatte nichts gefruchtet, denn in die Zeit die-