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Anschauung, wenngleich weniger der Wahrheit treu, doch für ihn tauglicher, zur Erfahrung verbunden zu werden. Nichts bewundert der Geist des Menschen überhaupt so willig und mit so voller Einstimmung seines Gefühls, als weisheitsvolle Ordnung in einer zahllosen Menge mannig faltiger, vielleicht sogar miteinander streitender Individuen. Indes ist diese Bewunderung einigen noch in einem bei weitem vorzüglicheren Grade eigen, und diese verfolgen da her vor allem gern die Vorstellungsart, nach welcher ein Wesen die Welt schuf und ordnete und mit sorgender Weis heit erhält. Allein andern ist gleichsam die Kraft des Indivi duums heiliger, andre fesselt diese mehr, als die Allgemein heit der Anordnung, und es stellt sich ihnen daher öfter und natürlicher der, wenn ich so sagen darf, entgegengesetzte Weg dar, der nämlich, auf welchen das Wesen der Indivi duen selbst, indem es sich in sich entwickelt, und durch Ein wirkung gegenseitig modifiziert, sich selbst zu der Harmonie stimmt, in welcher allein der Geist wie das Herz des Menschen^zu ruhen vermag. Ich bin weit entfernt zu wäh nen, mit diesen wenigen Schilderungen die Mannigfaltigkeit des Stoffs, dessen Reichtum jeder Klassifikation widerstrebt, erschöpft zu haben. Ich habe nur an ihnen, wie an Bei spielen zeigen wollen, daß die wahre Religiosität, sowie auch jedes wahre Religionssystem, im höchsten Verstände aus dem innersten Zusammenhangs der Empfindungsweise des Menschen entspringt. Unabhängig von der Empfindung und der Verschiedenheit des Charakters ist nun zwar das, was in den Religionöideen rein Intellektuelles liegt, die Begriffe von Absicht, Ordnung, Zweckmäßigkeit, Vollkom menheit. Allein einmal ist hier nicht sowohl von diesen Begriffen an sich, als von ihrem Einfluß auf die Menschen die Rede, welcher letztere unstreitig keineswegs eine gleiche Unabhängigkeit behauptet; und dann sind auch diese der Religion nicht ausschließend eigen. Die Idee von Voll kommenheit wird zuerst aus der lebendigen Natur geschöpft, 86