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45 Hülfe da am thätigsten sein, wo das Gefühl am lebendigsten ist, daß auf -ihm allein alles beruhe, und die Erfahrung zeigt auch, daß gedrückte, gleichsam von der Regierung verlassene Theile eines Volks immer doppelt fest unter einander verbunden sind. Wo aber der Bürger kälter ist gegen den Bürger, da ist es auch der Gatte gegen den Gatten, der Hausvater gegen die Familie. Sich selbst in allem Thun und Treiben überlassen, von jeder fremden Hülfe entblößt, die sie nicht selbst sich verschafften, würden die Menschen auch oft, mit und ohne ihre Schuld, in Verlegenheit und Unglück ge- rathen. Aber das Glück, zu welchem der Mensch bestimmt ist, ist auch kein andres, als welches seine Kraft ihm verschafft; und diese Lagen gerade sind es, welche den Verstand schärfen und den Charakter bilden. Wo der Staat die Selbstthätigkeit durch zu specielles Einwirken verhindert, da — entstehen etwa solche Uebel nicht? Sie entstehen auch da, und überlassen den einmal auf fremde Kraft sich zu lehnen gewohnten Menschen nun einem weit trostloseren Schicksal. Denn so wie Ringen und thätige Ar beit das Unglück erleichtern, so und in zehnfach höherem Grade erschwert es hoffnungslose, vielleicht getäuschte Erwartung. Selbst den besten Fall angenommen, gleichen die Staaten, von denen ich hier rede, nur zu oft den Aerzten, welche die Krankheit nähren, und den Tod entfernen. Ehe es Aerzte gab, kannte man nur Gesundheit oder Tod. 3. Alles, womit sich der Mensch beschäftigt, wenn es gleich nur be stimmt ist, physische Bedürfnisse mittelbar oder unmittelbar zu befriedigen, oder überhaupt äußere Zwecke zu erreichen, ist aus das genaueste mit innern Empfindungen verknüpft. Manchmal ist auch, neben dem äußeren Endzweck, noch ein innerer, und manchmal ist sogar dieser der eigentlich beabsichtete, jener nur, nothwendig oder zufällig, damit verbunden. Je mehr Einheit der Mensch besitzt, desto freier entspringt das äußere Ge schäft, das er wählt, aus seinem innern Sein'; und desto häufiger und fester knüpft sich dieses an jenes da an, wo dasselbe nicht frei gewählt wurde. Daher ist der interessante Mensch in allen Lagen und allen Ge schäften interessant; daher blüht er zu einer entzückenden Schönheit auf in einer Lebensweise, die mit seinem Charakter übereinstimmt. So ließen sich vielleicht aus allen Bauern und Handwerkern Künstler bilden, d. h. Menschen, die ihr Gewerbe um ihres Gewerbes willen liebten, durch eigen gelenkte Kraft und eigne Erfindsamkeit verbesserten, und da durch ihre intellectuellen Kräfte kultivirten, ihren Charakter veredelten, ihre Genüsse erhöhten. So würde die Menschheit durch eben die Dinge geadelt, die jetzt, wie schön sie auch an sich sind, so oft dazu dienen, sie zu ent ehren. Je mehr der Mensch in Ideen und Empfindungen zu leben ge wohnt ist, je stärker und seiner seine intellectuelle und moralische Kraft ist; desto mehr sucht er allein solche äußere Lagen zu wählen, welche zu gleich dem innern Menschen mehr Stoff geben, oder denjenigen, in welche ihn das Schicksal wirft, wenigstens solche Seiten abzugewinnen. Der Gewinn, welchen der Mensch an Größe und Schönheit einerntet, wenn er unaufhörlich dahin strebt, daß sein inneres Dasein immer den ersten Platz behaupte, daß es immer der erste Quell, und das letzte Ziel alles Wirkens, und alles Körperliche und Aeußere nur Hülle und Werkzeug desselben sei, ist unabsehlich. Wie sehr zeichnet sich nicht, um ein Beispiel zu wählen, iu der Ge-