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44 die Bürger belehren kann, besteht darin, daß er das, was er für das Beste erklärt, gleichsam das Resultat seiner Untersuchungen, aufstellt, und entweder direkt durch ein Gesetz, oder indirekt durch irgend eine, die Bür ger bindende Einrichtung anbefiehlt, oder durch sein Ansehn und ausgesetzte Belohnungen, oder andre Ermunterungsmittel dazu anreizt, oder endlich es bloß durch Gründe empfiehlt; aber welche Methode er von allen diesen befolgen mag, so entfernt er sich immer sehr weit von dem besten Wege des Lehrens. Denn dieser besteht unstreitig darin, gleichsam alle mögliche Auflösungen des Problems vorzulegen, um den Menschen nur vorzu bereiten, die schicklichste selbst zu wählen, oder noch besser, diese Auflösung selbst nur aus der gehörigen Darstellung aller Hindernisse zu erfinden. Diese Lehrmethode kann der Staat bei erwachsenen Bürgern nur auf eine negative Weise, durch Freiheit, die zugleich Hindernisse entstehen läßt, und zu ihrer Hinwegräumung Stärke und Geschicklichkeit giebt; auf eine positive Weise aber nur bei den erst sich bildenden durch eine wirkliche National- Erziehung befolgen. Eben so wird in der Folge der Einwurf weitläuftiger geprüft werden, der hier leicht entstehen kann, daß es nämlich bei Be sorgung der Geschäfte, von welchen hier die Rede ist, mehr darauf an komme, daß die Sache geschehe, als wie der, welcher sie verrichtet, darüber unterrichtet sei, mehr, daß der Acker wohl gebaut werde, als daß der Ackerbauer gerade der geschickteste Landwirth sei. Noch mehr aber leidet durch eine zu ausgedehnte Sorgfalt des Staats die Energie des Handelns überhaupt, und der moralische Charakter. Dies bedarf kaum einer weiteren Ausführung. Wer oft und viel geleitet wird, kommt leicht dahin, den Ueberrest seiner Selbstthätigkeit gleichsam frei willig zu opfern. Er glaubt sich der Sorge überhoben, die er in fremden Händen sieht, und genug zu thun, wenn er ihre Leitung erwartet und ihr folgt. Damit verrücken sich seine Vorstellungen von Verdienst und Schuld. Die Idee des elfteren feuert ihn nicht an, das quälende Gefühl der letzteren ergreift ihn seltener und minder wirksam, da er dieselbe bei weitem leichter auf seine Lage, und auf den schiebt, der dieser die Form gab. Kommt nun noch dazu, daß er die Absichten des Staats nicht für völlig rein hält, daß er nicht seinen Vortheil allein, sondern wenigstens zugleich einen fremdartigen Nebenzweck beabsichtet glaubt, so leidet nicht allein die Kraft, sondern auch die Güte des moralischen Willens. Er glaubt sich nun nicht bloß von jeder Pflicht frei, welche der Staat nicht ausdrücklich auflegt, sondern sogar jeder Verbesserung seines eignen Zustandes überhoben, die er manchmal sogar, als eine neue Gelegenheit, welche der Staat benutzen möchte, fürchten kann. Und den Gesetzen des Staats selbst sucht er, so viel er vermag, zu entgehen, und hält jedes Entwischen für Gewinn. Wenn man bedenkt, daß bei einem nicht kleinen Theil der Nation die Gesetze und Einrichtungen des Staats gleichsam den Umfang der Mora lität abzeichnen; so ist es ein nieöerschlagender Anblick, oft die heiligsten Pflichten und die willkürlichsten Anordnungen von demselben Munde aus gesprochen, ihre Verletzung nicht selten mit gleicher Strafe belegt zu sehen. Nicht minder sichtbar ist jener nachtheilige Einfluß in dem Betragen der Bürger gegen einander. Wie jeder sich selbst auf die sorgende Hülfe des Staats verläßt, so und noch weit mehr übergiebt er ihr das Schicksal seines Mitbürgers. Dies aber schwächt die Theilnahme und macht zu gegenseitiger Hülfsleistung träger. Wenigstens muß die gemeinschaftliche