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«HZAWM — 30 — ist, welche der Begriff, und noch dazu nur abgcschnitten und einzeln, allein zu umfassen vermag. Die Beimischung des Schönheitsgefühls scheint der Reinheit des moralischen Willens Abbruch zu thun; und sie könnte es allerdings, und würde es auch in der That, wenn dies Gefühl eigentlich dem Menschen Antrieb zur Moralität sein sollte. Allein, es soll bloß die Pflicht aus sich haben, gleichsam mannigfaltigere Anwendungen für das moralische Gesetz aufzufinden, welche dem kalten, und darum hier allemal unfeinen, Verstände entgehen würden; und soll das Recht genießen, dem Menschen — dem es nicht verwehrt ist, die mit der Tugend so eng verschwisterte Glückseligkeit zu empfangen, sondern nur mit der Tugend gleichsam um diese Glückseligkeit zu handeln — die süßesten Gefühle zu gewähren. Je mehr ich überhaupt über diesen Gegenstand Nachdenken mag, desto weniger scheint mir der Unterschied, den ich eben bemerkte, bloß subtil und vielleicht schwärmerisch zu sein. Wie strebend der Mensch nach Genuß ist; wie sehr er sich Tugend und Glückseligkeit ewig, auch unter den ungünstigsten Umständen, vereint denken möchte: so ist Loch auch seine Seele für die Größe des moralischen Gesetzes empfänglich. Sie kann sich der Gewalt nicht erwehren, mit welcher diese Größe sie zu handeln nöthigt; und, nur von diesem Gefühle durchdrungen, handelt sie schon darum ohne Rücksicht auf Genuß, weil sie nie das volle Bewußtsein verliert, daß die Vorstellung jedes Unglücks ihr kein anderes Betragen abnöthigen würde. Allein diese Stärke gewinnt die Seele freilich nur ans einem, dem ähnlichen Wege, von welchem ich im Vorigen rede: nur durch mächtigen innern Drang, und mannichsaltigen äußern Streit. Alle Stärke — gleichsam die Materie — stammt aus der Sinnlichkeit; und, wie weit entfernt von dem Stamme, ist sie doch noch immer, wenn ich so sagen darf, auf ihm ruhend. Wer nun seine Kräfte unaufhörlich zu erhöhen, und durch häufigen Genuß zu verjüngen sucht; wer die Stärke seines Charakters oft braucht, seine Unabhängigkeit von der Sinnlichkeit zu be haupten; wer so diese Unabhängigkeit mit der höchsten Reizbarkeit zu ver einen bemüht ist; wessen gerader und tiefer Sinn der Wahrheit uner- müdet nachsorscht, wessen richtiges und feines Schönheitsgefühl keine reizende Gestalt unbemerkt läßt, wessen Drang das außer sich Empfundene in sich aufzunehmen, und das in sich Aufgenommene zu neuen Geburten zu befruchten, jede Schönheit in seine Individualität zu verwandeln, und, mit jeder sein ganzes Wesen gattend, neue Schönheit zu erzeugen strebt: der kann das befriedigende Bewußtsein nähren, auf dem richtigen Wege zu sein, dem Ideale sich zu nahen, das selbst die kühnste Phantasie der Menschheit vorzuzeichneu wagt. Ich habe durch dies, an und für sich politischen Untersuchungen ziemlich fremdartige, allein in der von mir gewählten Folge von Ideen nothwendigc, Gemälde zu zeigen versucht, wie die Sinnlichkeit mit ihren heilsamen Folgen durch das ganze Leben und alle Beschäftigungen des Menschen verflochten ist. Ihr dadurch Freiheit und Achtung zu ver schaffen, war meine Absicht. — Vergessen darf ich indeß nicht, daß gerade die Sinnlichkeit auch die Quelle einer großen Menge physischer und mora lischer Nebel ist. Selbst moralisch nur dann heilsam, wenn sie in richti gem Verhältniß mit der Uebung der geistigen Kräfte steht, erhält sie so